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Aus dem Inhalt der Ausgabe 12/1– 2002/2003


Veränderung in Sicht

Politische Narren und Pausenkasperln, die offen die Rassismuswalze abspielen, sich und Österreich lächerlich machen, außenpolitische Abenteurer, die aus PR-Gründen Besuche bei arabischen Terror-Diktatoren machen, die offen Naziparolen rezitieren ("Unsere Ehre heißt Treue"), die im Parlament Konzentrationslager als Straflager bezeichnen, bekommen von den österreichischen Wählerinnen und Wählern einen Fußtritt. Das ist die positive Erfahrung des Wahlsonntages.

Eine weitere Erfahrung: Eine Regierung wie diejenige von Bundeskanzler Schüssel hat es in schwierigen Zeiten nicht leicht, ihre Mehrheit zu behaupten, kann aber, geschickte Argumentation vorausgesetzt, mit geringen Verlusten über die Runden kommen. Die alte (und möglicherweise neue) rechts-konservative Regierung musste zwar Mandate an die bisherige Opposition abgeben, konnte ihre Mehrheit aber verteidigen, wobei freilich Schüssels ÖVP den kleineren Regierungspartner in die Luft gesprengt hat. Und – das ist ebenfalls eine Erfahrung des Wahlabends – in schwierigen Zeiten zählt der Kanzlerbonus offenbar besonders viel. "Meine Politik des Nicht-Ausgrenzens wurde bestätigt", sagte der ÖVP-Chef am Abend nach der Wahl, und es ist schwer, Argumente dagegen zu finden.

Vielleicht war es aber doch nicht nur das Nicht-Ausgrenzen. Polit-Auguren haben bereits vor Jahren gemeint, Haider müsse man nicht fürchten, der würde sich selbst sprengen. Schüssels Verdienst ist es zweifellos, ihm das Dynamit dazu in die Hand gedrückt zu haben

Was jetzt freilich auch niemand vergessen sollte: Die von Schüssel zu verantwortende Regierungsbeteiligung der FPÖ hat das politische Klima in Österreich geändert. Es wurde plötzlich möglich Dinge zu sagen, die in anderen zivilisierten Ländern zu einem Empörungssturm samt Politikerrücktritten geführt hätten, und Schüssel hat dazu jedes Mal geschwiegen, was ihm eine gewisse Mitschuld an den verschiedensten skandalösen Entgleisungen gibt. Allerdings war Schüssel damals nur der Obmann der drittstärksten Partei – sicher keine großartige Position, um anderen, stärkeren, Ordnungsrufe zu erteilen. Schüssel ist heute der stärkste Parteiobmann seit langem in Österreich und ein politisches Schwergewicht. Damit trägt er nun die Hauptverantwortung für den Ton, der künftig innenpolitisch herrschen wird.

Österreichs Wähler haben also der rechts-konservativen Regierung die Mehrheit ausgesprochen, woraus man mehrere Schlüsse ziehen kann: Der Kurs der Regierung soll fortgesetzt werden, wobei sich aber – und das erscheint schon etwas pikant – bisher freiheitliche Wähler von Minister wie Bartenstein, Grasser etc. zu vertreten sind. Wie groß hier künftig der Spielraum für solche Minister sein wird, bleibt abzuwarten – und spannend ist die Frage, inwiefern der Zustrom von Wählern, die vor rund drei Jahren einem Jörg Haider gefolgt sind, diese ÖVP ändern wird. Wenn antisemitische Rülpser, Ariel-Wortspielchen, die Förderung von rechtsrechtem Schrifttum künftig auf eine Minderheitsposition zurückgestutzt bleibt, dann wäre das als Erfolg des Bundeskanzlers zu werten. Bisher hat er sich sehr "diplomatisch" um klare Standpunkte gedrückt. Der weggebrochene und mit 600.000 Stimmen gewaltige bei der ÖVP gelandete FPÖ-Flügel hat immerhin irgendwann einen Jörg Haider gewählt, der im Umgang mit politischer Weisheit, Anstand und Bedächtigkeit einen recht saloppen Ton an den Tag legte.

Was wird, was muss Schüssel tun, um diese Schar von Wählern, die offenbar bereit waren, rechte Entgleisungen zu tolerieren (wenngleich der Wahnsinn der vergangenen Monate dann halt doch zu viel wurde) bei der Stange zu halten? Das Gesicht der Grünen hat sich nach diesen Wahlen nicht geändert, und auch die SPÖ hat eben frühere Wähler zurückgewonnen, ohne eine Änderung zu signalisieren. Geändert haben sich hingegen die Regierungsparteien. Die FPÖ, weil sie nach rechts zwar offene, aber letztlich doch distanzierte Wähler verloren hat und nun auf den harten Kern der nationalen Wählerschaft zurückgeworfen wurde. Die ÖVP, weil sie die gleichen, nach rechts offenen Wähler als neue Klientel gewonnen hat. Allein das schon macht die große Koalition so schwierig. Die langjährigen erfolgreichen Weggefährten SPÖ und ÖVP stehen heute für so unterschiedliche Positionen, dass eine Kooperation nicht ohne Aufgabe wichtiger Wahlversprechen und Haltungen durch einen der beiden früheren Partner möglich wäre. Auch wenn eine große Koalition vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zumindest bisher immer noch die beste Lösung für das Land war.

F. C. Bauer

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Israels Wahlen auf Hochtouren

Erpressungsversuche ultrarechter Parteien lassen mir keine andere Wahl." So rechtfertigte Premierminister Scharon die vorzeitige Auflösung der Knesset und Ausschreibung von Neuwahlen, obwohl Scharon selbst der Ansicht war, dass es "das Letzte ist, was unser Land derzeit braucht". Aber in Anbetracht der Alternativen fand er sie als die "am wenigsten schädliche Option". Wenn alle Wahlprognosen nicht täuschen, wird sie sicherlich für Scharon nicht schädlich sein. Seine Likud-Partei kann mit einem massiven Stimmenzuwachs rechnen und in den Likud-Primaries, die bei Drucklegung dieser Zeilen schon vorbei sind, verfügt Scharon derzeit über einen zweizahligen Vorsprung gegenüber seinem Rivalen, dem derzeitigen Außenminister und vormaligen Premierminister Benjamin ("Bibi") Netanyahu.

Die Entscheidung in diesen Wahlen, in denen Israel zum alten Proporzsystem zurückkehrt, wo wiederum die Partei und deren Listenführer, nicht aber ein bestimmter Kandidat für das Amt des Premiers gewählt wird, war praktisch in den Likud-Primaries zwischen Scharon und Bibi gefallen. Mangels echter ideologischer oder politischer Differenzen zwischen den beiden wurde sie vorwiegend aufgrund von Emotionen der Likud-Mitglieder gefällt.

Der Winner in diesen Primaries wird am 28. Januar in diesem antiklimatischen Wettkampf einem im Auslande bisher kaum bekannten, neugewählten Führer der Arbeitspartei, Amram Mitzna, gegenüberstehen. Der frühere General und später Bürgermeister von Haifa wurde so ziemlich mangels eines attraktiveren Kandidaten gewählt. Sein Vorgänger, Binyamin ("Fuad") Ben-Eliezer, zuletzt Verteidigungsminister in Scharons Koalition der Einheit, war der eher elitistischen und vorwiegend aschkenasischen Sozialdemokratie nicht länger als Spitzenkandidat akzeptabel. Mitzna ist demgegenüber ein Sabra und als Sohn deutscher Einwanderer auch ein "Jekke", der die bisher in der politischen Mitte angesiedelte Partei nach links abrückt. Er machte schon vor seiner Kandidatur in den Primaries der Avoda (Arbeits-)Partei klar, dass er (a) nicht an Gott glaubt ; (b) mit jedem Palästinenser, einschließlich der durch Terrorismus belasteten, über einen einseitigen Rückzug aus der Gazazone verhandeln wird; (c) innerhalb eines Jahres entweder eine Einigung mit den Palästinensern – also mit Arafat – findet, oder aber Israel durch die Errichtung einer Mauer von den Palästinensern zu trennen und zerstreut liegende Siedlungen auf der Westbank zu räumen gedenkt und (d) Etatmittel, die jetzt den Siedlern zugute kommen, in Hinkunft für die Entwicklung des arabischen Sektors in Israel einzusetzen gedenkt.

Welche Ergebnisse ein so brutal ehrlicher, atheistischer Peacenik in einem von Terrorismus geplagten Israel erwarten kann, dessen Bevölkerungsmehrheit in den letzten Jahren – nicht zuletzt mit Hilfe der Terror-Schergen Arafats – scharf nach rechts gerückt ist, liegt auf der Hand. Von der Rechten wird er als ein "Jossi Beilin mit Bart", als einer der Mitschuldigen für "das Verbrechen von Oslo", gebrandmarkt. Von den religiösen Parteien wird er als ein gottloser Arafat-Kollaborateur dargestellt. Von einem im Krieg gegen den Terrorismus stehenden Washington, das demnächst auch in einen Krieg mit dem Irak verwickelt sein könnte, hat er wenig zu erwarten. Im Weißen Haus stehen derzeit die Türen für Scharon offen und Präsident Bush dürfte noch vor der Wahl sein Vertrauen in Scharon durch die Erfüllung des israelischen Wunsches nach einer 10 Milliarden Dollar-Lohngarantie unterstreichen.

Im Gegensatz zu dem Porträt eines "rechtsradikalen Schlächters", das man sowohl in islamischen als auch in zahlreichen westeuropäischen Zeitungen von Scharon zeichnet, wird er von der Mehrheit der Israelis als eine kompetente Vaterfigur respektiert, der trotz der tragischen Sicherheitslage und der miserablen Wirtschaftslage eine unter den gegebenen Umständen recht gute Arbeit als Regierungschef geleistet hat. Die mit dem Likud zwar in Koalitionen verbündete, sonst aber um die Stimmen der sephardischen unteren Mittelklasse konkurrierende Schas-Partei muss mit der Einbuße eines erheblichen Teils ihrer gegenwärtigen Mandate in der Knesset rechnen. Das Schicksal der arabischen Parteien, die derzeit über fünf Abgeordnetensitze verfügen, hängt weitgehend von den Erwägungen innerhalb der arabischen Bevölkerung Israels ab, Mitzna als die aussichtsreichste Alternative zu Scharon zu unterstützen.

Weil Scharon mit Bush in der Einsicht übereinstimmt, dass in der Post-Saddam und Post-Arafat- Ära im Nahen Osten ein palästinensischer Staat in irgendeiner Form unvermeidlich ist, versuchte Netanyahu in den Primaries Scharon als so etwas wie eine Likud-Version von Mitzna hinzustellen, der Siedlungen abbauen und Gebietsverzichte zu Gunsten der Palästinenser eingehen wird. Netanyahus Pech dürfte es sein, dass nicht nur die Mehrheit der israelischen Gesamtbevölkerung, sondern auch die Mehrheit der Likud-Wähler der Ansicht ist, dass Ausmerzung des Terrors und Sanierung der israelischen Wirtschaft ohne irgendeiner Friedensregelung mit den Palästinensern so gut wie unmöglich wäre. Scharon hat noch einen "Verbündeten: Hamas und den Islamischen Jihad. Neue Terroranschläge würden nur noch mehr die israelische Bevölkerung von der Notwendigkeit einer starken Hand à la Scharon überzeugen und Mitzna als einen naiven und gefährlichen Träumer erscheinen lassen. Nur ein Wunder kann noch Scharons Wahlsieg verhindern. Und Wunder geschehen in der harten politischen Wirklichkeit des Nahen Ostens nur recht selten.

Zeev Barth

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"Ich bete darum, dass Scharon wie Begin handelt"

Dschihan Sadat im Gespräch mit Mira Avrech

 

Washington – Es war am Morgen des 6. Oktober. Dschihan Sadat trank in ihrem schönen Haus in einem ruhigen Vorort im US-Staat Virginia nicht weit von Washington gerade ihren Morgenkaffee, als das Telefon läutete. Die Witwe des ermordeten ägyptischen Staatspräsidenten Anwar Sadat wusste, noch bevor sie den Telefonhörer abgehoben hatte: Das ist ein Anruf von Eser und Re'uma Weizman. Eser ist unser einziger Freund, der alljährlich am Jahrestag der Ermordung meines Mannes bei mir anruft, um mir zu sagen: ,Wir denken immer noch an Anwar Sadat, und wir lieben Sie!‘, betont Dschihan. Auch wenn ich nicht zu Hause bin, weiß Eser immer, wie und wo er mich an diesem Tag finden kann. Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie sehr mich dieses treue und hingebungsvolle Gedenken an meinen Mann bewegt.

Frau Sadat ist erst vor kurzem von einer Vortragsreise durch einige Länder nach Hause zurückgekehrt. Jetzt sitzt sie zu Hause und bewirtet ihren Gast – die israelische Journalistin Mira Avrech – mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen.

Sie ist schon 69 Jahre alt, doch immer noch strahlend und schön. Ihr Haus ist nicht sehr groß, aber umgeben von Pflanzen und schönen Blumen. Mit ihr wohnen in dem Haus eine Haushaltshilfe, eine Köchin, ein Chauffeur und ein Sekretär, der seinerzeit Yassir Arafat diente.

Barbara Walters hat mich hier einmal besucht, um mich zu interviewen, und sie fragte mich verwundert, wie ich in diesem kleinen Haus zurechtkomme nach den weiträumigen Palästen, in denen ich früher gewohnt habe. Und ich habe ihr erklärt, dass die Paläste Besitz der Regierung waren. Das hier ist mein Haus, es sind meine Möbel und mein Geschmack, erklärt Dschihan.

Dschihan Sadat ist fest davon überzeugt, dass der Nahe Osten heute ganz anders aussehen würde, wenn ihr Mann noch lebte.Er hätte Scharon und Arafat zu sich eingeladen und ihnen gesagt: ,Tut, was ich getan habe, denn das ist der einzige Weg, um zu einem Frieden zu gelangen. Gewalt, Bomben und Selbstmordattentäter werden keinen Frieden bringen, höchstens Verhandlungen.‘

Frage: Was halten Sie von Ministerpräsident Ariel Scharon?

Ich äußere niemals meine Meinung über israelische Führungspersönlichkeiten. Aber ich muss doch sagen, dass Netanyahu in mir Hoffnungen geweckt hatte. Ich dachte: er ist jung und elastisch und wird Rabins Weg fortsetzen. Aber ich habe mich in ihm getäuscht. Auch Ehud Barak war für mich eine große Enttäuschung.

Aber in Camp David hat Barak Arafat doch fast alles angeboten …

Soweit ich informiert bin, hat Barak zwar in der Tat die Rückgabe von 97 Prozent des Westjordanlandes angeboten, aber ein Großteil der Siedlungen dort sollte weiter bestehen bleiben. Er hatte auch keine Lösung für das Flüchtlingsproblem. Das hat Arafat vor ein ernstes Problem gestellt, weil es die Flüchtlinge nicht akzeptieren werden, einen Staat zu haben, aber, nicht dort leben und nicht einmal dorthin zu Besuch kommen zu dürfen!

Sie haben teilgenommen an den Überlegungen und den Beschlüssen Ihres Mannes. Wie hätte er Ihrer Meinung nach das palästinensische Problem gelöst?

Beide Seiten dürfen nicht an sich selbst denken, sondern müssen die junge Generation berücksichtigen. Ich bete darum, dass Ministerpräsident Scharon wie Menachem Begin handeln wird, der mit Ägypten Frieden geschlossen hat, weil er an diesen Frieden glaubte. Sadat und Begin waren Feinde, aber dadurch, dass sie sich trafen und miteinander an einem Verhandlungstisch saßen, achteten sie sich gegenseitig und es entstand sogar zwischen ihnen eine Freundschaft. Natürlich hat jeder von ihnen auch weiterhin versucht, für sein Land das Maximum zu erreichen, und das war anfangs ganz und gar nicht einfach. Aber sehen Sie, wozu das mit der Zeit geführt hat: Präsident Mubarak hat die Beziehungen mit Israel nicht abgebrochen, auch nicht angesichts der Massendemonstrationen in Ägypten gegen die Ereignisse in Dschenin und Nablus.

Sie leben hier in den USA, fahren aber immer wieder zu Ihren Kindern in Ägypten zu Besuch. Treffen Sie sich mit Präsident Mubarak?

Ja, aber nicht jedes Mal, wenn ich zu Besuch nach Ägypten komme. Es besteht eine sehr gute Beziehung zwischen uns. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis sie zustande kam, aber jetzt ist sie vollkommen zufriedenstellend!

Und mit Frau Mubarak?

Sie ist überaus aktiv. Sie macht einiges, was ich auch machte, zum Beispiel ihr Einsatz für Frauenrechte, für Behinderte, für Kinder, und dazu erfüllt sie auch noch Aufgaben, die ich damals vor allem aus Zeitmangel nicht wahrnehmen konnte.

Dschihan Sadat hat heute die Schirm-herrschaft über den Anwar-Sadat- Lehrstuhl an der Universität Maryland inne und ist außerdem Mitglied im Kuratorium dieser Universität.

Ich halte Vorlesungen in der Universität und reise zu Vorträgen in alle Welt. Außerdem bin ich zuständig für viele Aktivitäten im Rahmen des Lehrstuhls. So laden wir zum Beispiel alljährlich eine namhafte Persönlichkeit ein, bei uns einen Vortrag zu halten. In diesem Zusammenhang sprachen bei uns unter anderen Eser Weizman, Jimmy Carter, Henry Kissinger und (der CIA-Chef) George Tennet. Lea Rabin und ich sind gemeinsam offiziell als zwei Witwen aufgetreten, die ihre Ehemänner infolge ihres Einsatzes für den Frieden verloren haben. Und unlängst hat bei uns der Staatspräsident von Südafrika, Nelson Mandela, gesprochen. Es hatten sich über 10.000 Personen angemeldet, die seinen Vortrag hören wollten, so dass wir uns gezwungen sahen, die Veranstaltung ins Sportstadion zu verlegen.Wir schicken auch amerikanische Studenten in den Nahen Osten, damit sie israelische, palästinensische, jordanische und ägyptische Studenten kennenlernen. Übrigens ist der Dekan unserer Fakultät Jude. Er heißt Herbert Goldstein. Jede Sorge ist überflüssig – die Auswahl der Studenten erfolgt ohne jegliche Diskriminierung.

Und was tun Sie in Ihrer freien Zeit?

Ich habe ein neues Hobby gefunden – Malen. Diesem Hobby gehe ich hauptsächlich bei meinen Besuchen in Ägypten nach, aber zur Zeit arbeite ich hier an einem Porträt meines verstorbenen Mannes.

Sie sind eine immer noch sehr schöne Frau. Gewiss haben Sie zahlreiche Verehrer. Haben Sie nie daran gedacht, wieder zu heiraten?

Niemals. Eine ägyptische Frau wird es nie wagen, so etwas zu tun. Ich habe in der Tat festgestellt, dass die Gedanken mancher Männer in diese Richtung gingen, aber es war ihnen klar, dass in meinem Herzen niemand den Platz meines Mannes einnehmen kann. Ich werde niemals einen Mann so lieben und verehren, wie ich meinen Mann geliebt und verehrt habe. Und übrigens bin ich sehr gerührt über die Tatsache, dass wir jetzt einen neuen Anwar Sadat haben. Ich habe zwar schon Enkel von meinen verheirateten Töchtern, aber sie tragen den Familiennamen ihrer Ehemänner. Aber nachdem mein Sohn Gamal geheiratet hat und ihm ein Sohn geboren wurde, erhielt er den Namen Anwar, so dass wir wieder einen Anwar Sadat in der Familie haben.

Aus Israel Nachrichten

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Der Fall Deutsch

Hans Deutsch wurde zwar vom Vorwurf des Wiedergutmachungsbetruges freigesprochen, aber Wiedergutmachung in eigener Sache bblieb ihm versagt.

Am 13. Mai diesen Jahres starb Prof. Hans Deutsch im Alter von 96 Jahren in seinem Schweizer Domizil, im Kreis seiner Familie. Der Autor hatte den Rechtsanwalt im März des Vorjahres in der Schweiz besucht.

 

Er galt als der engagierteste und erfolgreichste Vorkämpfer von Hoffnung, Anspruch und Forderung an der Front der Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung", schrieb SPIEGEL-Reporter Gerhard Mauz über den Rechtsanwalt Prof. Hans Deutsch, vor dreißig Jahren. Der gebürtige Wiener hatte die individuelle Wiedergutmachung für geraubtes jüdisches Vermögen außerhalb des deutschen Reichsgebietes vorangetrieben, was den untergetauchten Nazis im deutschen Staatsapparat ein Dorn im Auge war. Die Bonner Behörden ließen Deutsch am 3. November 1964 wegen angeblichen Wiedergutmachungsbetruges verhaften und steckten ihn 19 Monate lang in U-Haft. Die Wiedergutmachung war damit diskreditiert.

Eine Mesalliance der Bonner Staatsanwaltschaft mit dem Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland und Kriegsverbrechern der Waffen-SS brachte einen Unschuldigen hinter Gitter und sparte dadurch dem deutschen Fiskus Milliarden.

Hans Deutsch wurde zwar vom Vorwurf des Wiedergutmachungsbetruges neun Jahre nach seiner Verhaftung in einem aufsehenerregenden Prozess freigesprochen, aber Wiedergutmachung in eigener Sache bekam er zeit seines Lebens nicht mehr.

Hans Deutsch verbirgt seine Verbitterung nicht: "Eine Ungeheuerlichkeit war das, ein Verbrechen, das mir die Deutschen angetan haben und sie haben nicht einmal den Anstand sich bei mir zu entschuldigen." Jetzt ist es dafür zu spät. Hans Deutsch ist tot.

In der Intrigen-Welthauptstadt Wien hört im Jahr 1964 Gräfin Bethlen, dass die Hatvany-Erben eine Wiedergutmachung in Höhe von 35 Millionen Mark erhalten, die Hälfte sei bereits überwiesen. Für die Kurtisane samt adeliger Entourage ist eine kurze Liaison mit dem ungarischen Zuckerbaron Ferenc Hatvany der Angelhaken: Bethlen fordert Geld. In Wien ist die Unterscheidung von Intriganten aus Schadenfreude und Erpressern aus Gewinnsucht schwierig. Die Erben wollen deshalb kein Risiko eingehen und zahlen ein Beruhigungssümmchen. Das reicht der klebrigen Grafen-Runde aber nicht und man liefert den deutschen Behörden in Erwartung eines Kopfgeldes eine atemberaubende Geschichte: Die berühmte Gemäldesammlung von Hatvany sei nicht von der SS aus Budapest geraubt worden, sondern von den Russen, die Wiedergutmachung deshalb ein Betrug.

Der Rechtsanwalt Hans Deutsch hatte diese Wiedergutmachung mit dem deutschen Finanzministerium für die Hatvanys ausgehandelt. Die Sammlung, um die es ging, bestand aus mehr als 800 Gemälden und Zeichnungen, darunter Meisterwerke des französischen Impressionismus von Cézanne, Corot, Monet, Manet, Courbet, Renoir, Degas, Pissarro, aber auch Werke von El Greco, Tizian und Tintoretto. Dazu noch wertvolle Isfahan-Teppiche aus dem 16. Jahrhundert, Gobelins und kostbare Kleinodien aus aller Herren Länder.

Am 3. November 1964 wird Deutsch in Bonn im Finanzministerium verhaftet und bleibt 19 Monate eingesperrt.

In Deutschland erstarken zu dieser Zeit neonazistische Tendenzen und Parteien. Sie bekämpfen die Wiedergutmachung und die Verfolgung der NS-Verbrecher.

Hans Deutsch, der den Deutsch-Verlag besitzt, publiziert die Prozessprotokolle, aus denen das ganze Ausmaß der Nazi-Gräuel hervorgeht. "Mister Wiedergutmachung", wie ihn DER SPIEGEL nennt, wird noch stärker zum Feindbild der Rechten.

"Die Freunde von Hans Deutsch" formieren sich ebenfalls, der Eifrigste und Einfallsreichste unter ihnen ist der bekannte Wiener Maler Georg Chaimowicz. In seinem "Revier" in Südfrankreich entsteht eine Gegenöffentlichkeit, die zu einer Massenbewegung wird. Man vergleicht den Fall Deutsch in den Zeitungen mit der Affäre Dreyfus.

Die deutschen Medien verbreiten damals hingegen nahezu ausnahmslos die Darstellung der Bonner Staatsanwaltschaft. Was sie nicht berichten: Die wertvollen Dienste der Gräfin Bethlen wurden mit einer wöchentlichen Apanage von 5000 DM und einem einmaligen Fixbetrag abgegolten und in Ungarn werden sogenannte Dokumente um 200.000 DM angekauft. Sie sollen belegen, dass die wertvollen Gemälde von Hatvany bis 1945 in einer Bank in Budapest deponiert waren. Es handelt sich zwar um Fälschungen, aber zunächst kann man den Eindruck verstärken, dass Deutsch ein Betrüger sei!

Fast neun Jahre dauert es, bis der Prozess stattfinden kann. Die Bonner Staatsanwälte werden zu Weltreisenden: Viele Kriegsverbrecher der Waffen-SS hatten sich ja bekanntlich nach Südamerika abgesetzt. Sie werden nun vor Ort einvernommen. Aber um die Schuld der Nazis geht es der Bonner Staatsanwaltschaft nicht, sondern um jene eines jüdischen Anwalts, der den SS-Mördern im Jahr 1938 entkommen war.

Der Leiter der Wiedergutmachungsstelle im Bundesfinanzministerium, Fritz Koppe, gibt später vor Gericht zu, dass man sich 2 Milliarden Mark an Wiedergutmachung durch den Fall Deutsch erspart habe, weil es das bis dahin praktizierte Verfahren der Wiedergutmachung auf dem Vergleichsweg nach seiner Verhaftung nicht mehr gab.

Diese Ungeheuerlichkeiten, die aus Tätern Kronzeugen und aus Opfern Schuldige machen wollte, konnten kein Zufall sein. Deutsch saß 19 Monate unschuldig in U-Haft. Mit Wissen und/oder auf Veranlassung honoriger Herren. Etwa des Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland. Dr. Rolf Dahlgrün (FDP), einem Feind der Wiedergutmachung und Freund von Herrmann Göring, NSDAP-Mitglied mit der Nummer: 2957575, involviert in die Vorbereitung von Raubzügen in den okkupierten Ländern und in die Organisation von Zwangsarbeit.

Motor der Ermittlungen ist der Leiter der Staatsanwaltschaft in Bonn, Oberstaatsanwalt Kirschbaum; von den Russen wegen Kriegsverbrechen zum Tod verurteilt, dann begnadigt und nach zehn Jahren Sibirien nach Deutschland abgeschoben.

Staatsanwalt Werner Pfromm leitet die Propagandaabteilung (Pressesprecher). Er war zuvor "Nationalsozialistischer Führungsoffizier", der in einer Beurteilung am 1. Oktober 1944 bescheinigt erhielt, er sei ein überzeugter Nationalsozialist" (...) und hätte besonders anerkennenswerte Leistungen aufweisen lassen. Später wird dieser Nazi sogar Generalstaatsanwalt.

Einen Freispruch von Hans Deutsch können sie dennoch nicht verhindern. Die Fakten sprechen einfach dagegen. Staatsanwalt Dieter Irsfeld, der Jahrzehnte später die Ermittlungen gegen Altkanzler Helmut Kohl leiten sollte – die bekanntlich eingestellt wurden – ist im Prozess der Anklagevertreter gegen Deutsch. Er bringt ihn um viel Geld: Schadenersatz wird Deutsch vom Landgericht Bonn zwar zugesprochen, aber in der Revision vom Bundesgerichtshof mit der Begründung aberkannt, er hätte die Untersuchungshaft grob fahrlässig verursacht. Es sei nur ein kleiner Teil der Hatvany-Sammlung nach Deutschland gebracht worden und schon gar nicht 30 Meisterwerke der großen französischen Impressionisten. Weil so gut wie alles falsch ist in diesem wüsten Verfahren, ist auch das eine Erfindung:

Die russischen Historiker Konstantin Akinsha und Grigorii Kozlov haben den Weg der Bilder rekonstruiert. Nach der Schlacht um Berlin, im Jahr 1945, entdeckten Kampfeinheiten der 49. Armee, im Großraum Berlin einen Güterzug mit Kunstwerken aus den ungarischen Privatsammlungen der Familien Herzog und Hatvany. Die Historiker finden Dokumente eines Soldaten, der damals an der Verladung und dem Transport nach Nishnii Novgorod (Gorky) beteiligt war. Auf den Transportlisten sind 133 Kunstwerke verzeichnet, wovon damals mehr als die Hälfte den Vermerk erhielten: "Unbekannter Künstler". Die Werke von Camille Corot, Edouard Manet, Edgar Degas und Jacopo Tintoretto wurden jedoch richtig zugeordnet. Auf der berühmten Beutekunstausstellung im Puschkin-Museum konnte man diese Meisterwerke dann im Jahr 1995 bewundern.

Die Hatvany-Sammlung war damals aber nicht mehr komplett. Ein großer Teil dürfte auf dem "Rattenpfad der SS" verschwunden sein. Zusammen mit den anderen Kostbarkeiten.

Ein Indiz dafür ist das Auftauchen eines Gemäldes von El Greco aus der Hatvany-Sammlung in den achtziger Jahren auf dem Wiener Naschmarkt. Das Bild "venduta del monte sinai" wird damals dem Wiener Maler Georg Chaimowicz zum Kauf angeboten. Er ist nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein lebendes Kunstlexikon. Er erkennt sofort, um welches Bild es sich handelt. Jahrzehnte später holt ihn also der "Fall Deutsch" wieder ein. Die heiße Ware schleusen in der Folge Dunkelmänner in den Kunstmarkt, Sotheby‘s übernimmt das Gemälde und verkauft es nach Heraklion; Ermittlungen der Polizei verlaufen im Sande, wichtige Akten verschwinden und Sotheby‘s schweigt. Der Rattenpfad der SS endet im Nirgendwo, wie immer...

Vor eineinhalb Jahren hatte Prof. Hans Deutsch noch kämpferisch gesagt: Es war ein Komplott der Nazis gegen mich und die Wiedergutmachung. Ein himmelschreiendes Unrecht, ein Verbrechen, für das Deutschland wird geradestehen müssen. Und hinzugefügt: Wann auch immer. Nach dem Ableben seines Vater führt nun Joram, der Sohn, diesen Kampf um Wiedergutmachung in eigener Sache weiter.

Burkhart List

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Argentinische Diplomatie und der Holocaust

In seinem Anfang 2002 in London veröffentlichten Buch, das kürzlich auch in den USA erschienen ist und bald auch in Argentinien erscheint, erzählt der Argentinier Uki Goñi die Geschichte von einhundert argentinischen Juden, die vom argentinischen Außenministerium einfach vergessen wurden, obwohl hochrangige Nazis sich darum bemühten, ihre Vernichtung abzuwenden.

Goñi schreibt in seinem Buch: Berlin bot Argentinien immer wieder die Repatriierung seiner jüdischen Staatsangehörigen an, die in Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland, Italien und Griechenland lebten. Der Außenminister Joachim von Ribbentrop war um das Schicksal dieser Menschen besorgt.

Von Ribbentrop, ein ausgesprochener Antisemit und der erste nach dem Nürnberger Prozess hingerichtete Kriegsverbrecher, handelte dabei nicht aus noblen humanitären Gefühlen heraus. Seine Strategie zielte, gegen den heftigen Widerstand von Heinrich Himmler, darauf ab, die hervorragenden Beziehungen zu Argentinien, das damals von Perons Obristen regiert wurde, zu bewahren. Argentinien lieferte Deutschland einen diskreten aber effektiven Deckmantel für sein weitverzweigtes Spionagenetz und einen idealen Ort für die Geldwäsche von US Dollars, wie auch den Nachschub wichtiger Güter für die deutsche Kriegsmaschinerie.

Goñi führt in seiner hervorragend belegten Arbeit aus, die Deutschen hätten mit dem argentinischen Botschafter in Vichy, Ricardo Olivera, die Repatriierung von etwa fünfzehn in Frankreich lebenden Argentiniern erörtern wollen. Die Nazis wollten sie ausreisen lassen und gaben Olivera drei Monate für die dazu notwendigen Vorbereitungen Zeit. Sechs Monate später hatten die Deutschen immer noch keine Antwort erhalten. Von Ribbentrop schickte sogar einen Vermerk an Adolf Eichmann persönlich, in dem er auf die Notwendigkeit des Schutzes der argentinischen Staatsbürger hinwies.

Im März des selben Jahres wurde dem Sekretär der argentinischen Botschaft in Berlin (gemäß Goñi eine Delegation mit vielen Sympathisanten des Nationalsozialismus, von denen viele zu Himmlers Geheimdienstbereich gehörten), Luis H. Irigoyen mitgeteilt, dass 59 Argentinier in Krakau, sieben in Holland und zahlreiche andere in Griechenland überlebt hätten. Irigoyen wurden sechzehn argentinische Ausweise als Beweis vorgelegt. Der Diplomat sah sich die Pässe nur flüchtig an und sagte: Es sind Fälschungen. Die argentinische Botschaft interessiert sich nicht für die Inhaber dieser zweifelhaften Dokumente.

Auf intensiven alliierten Druck hatte Argentinien dann am 26. Januar 1944 die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich abgebrochen. Die argentinischen Juden genossen daraufhin keinen Schutz mehr und wurden nach Bergen-Belsen deportiert.

Es ist nicht viel über das Schicksal dieser Argentinier bekannt, aber man nimmt an, dass die meisten von ihnen ermordet wurden. Argentinien war somit das einzige Land der Welt, das sich weigerte, seine eigenen Staatsangehörigen wieder aufzunehmen, unterstreicht der Autor.

Gemäß Goñi hielt sich Irigoyen damit an die geheime Anweisung 11 des argentinischen Außenministers José María Cantilo, die sich, ohne sie ausdrücklich zu nennen, auf Juden bezog, indem sie alle argentinischen Konsulate anwies Visen, auch Transit- und Touristenvisen, von allen Personen abzulehnen, die ihr Heimatland aufgegeben haben, weil sie unerwünscht oder aus irgendwelchen anderen Gründen ausgewiesen worden waren. Die am 12. Juli 1938 unterzeichnete Anweisung 11 war damit gleichbedeutend mit einem Todesurteil für tausende europäische Juden, schreibt Goñi.

Es ist zumindest erstaunlich, daß Luis H. Irigoyen, zusammen mit elf anderen argentinischen Diplomaten, auf einer "Liste von Diplomaten, die Juden retteten" auftauchen sollte. Diese Liste wurde von der "Commission for the Clarification of the activities of Nazism in Argentina" (CEANA), einer Organisation des argentinischen Außenministeriums, für die Ausstellung "Visas a la Vida" (Visen fürs Leben) zusammengestellt, die auf der letzten Buchmesse in Buenos Aires gezeigt wurde.

Die Aufklärung dieses offensichtlichen Widerspruchs wäre ein großer Beitrag für die geschichtliche Wahrheit, damit alle Menschen guten Willens das Andenken an die wirklichen Retter bewahren können. Die Argentinier, die im Holocaust ausgelöscht wurden, verdienen, dass man sich ihrer mit Würde und Respekt erinnert.

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Das Verbrechen begann in der Gasse nebenan.

Gelbe Sterne oder blaue Häuser?

Eine Datenbank und ein digitaler Stadtplan zur Vertreibung und Ermordung der Juden in Wien.

War Ihr Nachbar ein Jude? Wem gehörte Ihre Wohnung? Was geschah mit der Jüdin von gegenüber? Antworten auf diese Fragen finden Sie auf www.ns-verbrechen.at/ Damit haben die Volkshochschulen Simmering und Hietzing und das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung die Basis für eine zukunftsweisende Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der Stadt gesetzt. Möglich wurde dies durch die Zusammenarbeit mit dem Institut für Geographie und Regionalforschung, Abteilung Kartographie der Universität Wien garantierte eine technische Realisierung dieses Vorhabens und ist ein Beispiel für eine gelungene Vernetzung zwischen Universität und Volksbildung.

Die Datenbank mit angeschlossenem Stadtplan zeigt, wo die Vertreibung und Ermordung der Juden in Wien begonnen hat: in der Gasse nebenan, zwei Straßenzüge weiter, im Bezirk. Die bislang 1600 Daten umfassenden Datenbank wird aus zwei Quellen gespeist. Für ganz Wien sind alle Jüdinnen und Juden verzeichnet, die aus Gemeindebauten vertrieben wurden. Für den Bezirk Hietzing wurden die Daten von 600 Personen, die rund um das Schloss Schönbrunn wohnten oder dort Grund oder Häuser besessen haben erfaßt. Die Daten, die Namen, die Adressen und das Schicksal alleine sind jedoch nur ein Teil dieses zeitgemäßen Versuchs, die Verbrechen auch für nachfolgende Generationen zu vermitteln. Auf die Suche nach den vertriebenen und ermordeten Juden kann sich jede/jeder machen, eine Suche mit einem digitalen Stadtplan, eine Wanderung durch Hietzing, eine Spurensuche in den Gemeindebauten.

In der Hietzinger Hauptstraße sind bislang 57 Personen erfaßt, in der Auhofstraße 17, in der Kupelwiesergasse 14 und in den Lainzer Straße 29 Personen. Die Landkarte kann in vier Stufen vergrößert werden. Eine erschreckende Wanderung durch die Geschichte kann beginnen. Gelbe Sterne markieren die aus Gemeindebauten gekündigten Juden, blaue Häuser die in Hietzing lebenden Juden. Ein Blick auf den Bezirksplan macht deutlich wie lückenlos, wie dramatisch diese Vertreibung war, noch erschreckender wird die Tatsache jedoch erst, wenn in Rechnung gestellt wird, das auch für Hietzing noch nicht alle Daten ausgewertet werden konnten. Wer diese Stadtpläne gesehen hat, kann sich nur schwer vorstellen, dass dieser Terror der Nationalsozialisten unbemerkt geblieben sein kann.

"Als im März 1938 Österreich an Deutschland "angeschlossen" wurde, waren in den sechs vorangegangenen Jahren nationalsozialistischer Herrschaft im "Altreich" einschneidende antijüdische Maßnahmen bereits beschlossen worden. Spätestens die Nürnberger Rassegesetze vom September 1935 machten klar, daß die Nazis ihre Ideologie von der "Reinerhaltung der deutschen Rasse" mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wahr machen würden. Ein wichtiger Schritt in der Gewaltspirale, die schließlich im millionenfachen Massenmord in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern enden sollte, war die systematische Desintegration zunächst deutscher und dann - ab März 1938 - auch österreichischer Jüdinnen und Juden. Der Mord war verbunden mit Raub, in der damals üblichen Sprache "Arisierung" genannt. In den Jahren 1938 und 1939 wurden allein in Wien über 2000 Kündigungsverfahren gegen jüdische Gemeindebaumieter eingeleitet, insgesamt arisierten die Nationalsozialisten in den sieben Jahren ihrer Herrschaft in Wien mehr als 70.000 Wohnungen.

Die in Wien akut bestehende Wohnungsnot führte zu der Überlegung, jüdischen Mieter auch ihre Gemeindewohnungen zu kündigen, da diese Maßnahme am geeignetsten schien, schnell zu freien Wohneinheiten zu kommen. Soferne die Bauten vor 1917 erbaut worden waren, galt für die dort lebenden jüdischen Mieter der Kündigungsschutz. Nur die Wohnungen, die zwischen 1917 und 1938 gebaut worden waren, unterlagen nicht den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes; Mieter konnten also ohne Angaben von Gründen mit einer zweiwöchigen Frist gekündigt werden. Die Erfassung der jüdischen Mieter dürfte bereits im Rahmen der Volksabstimmung durch die örtlichen NS-Parteidienststellen erfolgt sein. Unzählige Listen wurden ausgestellt, die genaue Unterscheidungen wie "Volljude, Halbjude, Hauptmieter Jude, Gattin Jüdin, Mann Arier, Frau Arier, Schwiegersohn Jude, gilt als Jude" aufwiesen. Hausverwaltungen und -besitzer wurden angewiesen, die jüdischen Mieter zu den zuständigen Wohnungsreferenten der jeweiligen Kreisleitung zu melden.

Dr. Robert Streibel, Historiker und Publizist, Direktor der Volkshochschule Hietzing.

Weitere Informationen auf der homepage www.ns-verbrechen.at, Deutsch und Englisch.
Unterstützt wurde dieses Projekt vom Österreichischen Nationalfonds der Republik Österreich und den Magistratsabteilungen 13 und 7 der Stadt Wien.

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Nobelpreis für Daniel Kahneman

Die Akademie der Wissenschaft in Stockholm vergab den diesjährigen Nobelpreis an den in Israel geborenen Daniel Kahneman (68) und Vernon L. Smith (75) für ihre Arbeiten auf dem Gebiet der psychologischen und experimentellen Wirtschaftswissenschaft.

Kahneman ist sowohl Bürger der USA als auch seines Geburtslandes Israel. In der Begründung der Akademie hieß es, er habe "Einsichten aus der psychologischen Forschung in die wirtschaftswissenschaftliche Analyse integriert". Kahneman, der an der Princeton-Universität in New York arbeitet, habe die Wirtschaftswissenschaften vorangebracht, indem er das Entscheidungsverhalten von Menschen besonders in Situationen auch unter psychologischen Gesichtspunkten untersucht habe. "Seine Arbeiten haben eine neue Generation von Forschern in der Volkswirtschaft und Finanzwissenschaft inspiriert, die die ökonomische Theorie mit Einsichten aus der Psychologie um menschliche Motive bereichert haben", hieß es in der Begründung weiter.

Der Preis für Smith von der George-Manson-Universität im US- Bundesstaat Virginia wurde mit dessen Arbeit an experimentellen Methoden für die Wirtschaftsforschung begründet. Die Akademie meinte weiter: "Smith hat das Fundament für das Forschungsgebiet experimentelle Wirtschaftswissenschaft gelegt." Dank seiner Arbeit könnten jetzt etwa Spielregeln für neue Märkte "wie in einem Windtunnel" im Labormilieu getestet werden. Als Beispiel nannte die Akademie die Liberalisierung der Elektrizitätsmärkte.

Der Psychologe und Ökonom Daniel Kahneman hat die Erkenntnisse beider wissenschaftlicher Disziplinen in seinem umfangreichen Werk kombiniert. Dabei analysierte der 68-Jährige das Entscheidungsverhalten von Menschen in wirtschaftlichen Situationen. Kahneman stellte fest, dass es häufig von herkömmlichen Wirtschaftstheorien über das angeblich rationale Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer abweicht.

Daniel Kahneman und der Psychologe Amos Tversky haben mit ihren Arbeiten über systematische Rationalitätsabweichungen die Managementwissenschaft, den Finanzsektor, die Investmentforschung sowie Forschungen zum Verbraucherverhalten stark beeinflusst. Daniel Kahneman ist Professor für Psychologie und "Public Affairs" an der Woodrow Wilson School der amerikanischen Prestigeuniversität Princeton. Er wurde 1934 in Tel Aviv geboren und studierte an der Hebrew University in Jerusalem sowie an der Universität von Kalifornien. Er hat in Israel, Kanada und den USA gelehrt. Der Wissenschaftler hat die israelische und die amerikanische Staatsbürgerschaft.

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Sich selbst misstrauen

Ilse Aichinger erhielt den Preis für Toleranz in Denken und Handeln

 

Im Rahmen der Wiener Buchwoche wurde der Schriftstellerin Ilse Aichinger der Preis für Toleranz in Denken und Handeln verliehen. Die Laudatio auf die Dichterin hielt Standard-Redakteur Günter Traxler, der bemerkte: Es ist mehr als ein halbes Jahrhundert her, dass Ilse Aichinger einen der großen Romane der österreichischen Literatur geschrieben und ihn "Die größere Hoffnung" genannt hat: Die größere Hoffnung – nicht die große. Die ist noch immer uneingelöst, und sie wird es bleiben, solange wir nicht jene kritische Masse an Misstrauen gegen uns selbst aufbringen, die Toleranz erzeugt. Der Aufgabe, dieses Misstrauen produktiv zu machen, hat sich Ilse Aichinger mit ihrem Schreiben gewidmet. Endlich wurde sie auch dafür geehrt.

Ilse Aichinger und ihre Zwillingsschwester Helga wurden 1921 in Wien als Töchter einer jüdischen Ärztin und eines "arischen" Lehrers geboren. Nach der Scheidung der Eltern wuchs Aichinger bei ihrer Mutter auf, die 1938 – nach der Annexion Österreichs – Praxis, Wohnung und ihre Stelle als städtische Ärztin verlor. Die Schwester konnte 1939 mit einem der letzten Transporte nach England fliehen, der Kriegsausbruch verhinderte jedoch die Ausreise der restlichen Familie. Ilse Aichinger blieb zum Schutz der Mutter in Wien – die Mutter einer noch unmündigen "Halbarierin" durfte nicht deportiert werden – und begab sich selbst in Gefahr, als sie diese nach ihrer Volljährigkeit versteckte. Die jüngeren Geschwister der Mutter und die Großmutter wurden 1942 nach Minsk deportiert und ermordet. Keiner von ihnen hat überlebt – in Aichingers Texten taucht dieses traumatische Ereignis immer wieder auf: Großmutter, wo sind deine Lippen hin, um die Gräser zu schmecken.

Aichinger und ihre Mutter bezogen ein Zimmer in unmittelbarer Nähe des Wiener Gestapo-Hauptquartiers. Sowohl Mutter als auch Tochter wurden im Zweiten Weltkrieg dienstverpflichtet. Nach Abschluss des Gymnasiums bekam Aichinger als Halbjüdin bis 1945 keinen Studienplatz. Erst nach Kriegsende begann sie ein Medizinstudium, das sie jedoch nach fünf Semestern abbrach, um ihren ersten und einzigen Roman Die größere Hoffnung (1948) zu beenden – eine autobiografische Geschichte von einem Mädchen, das die Verfolgung der Juden und den Krieg erlebt.

Am 1. September 1945 veröffentlichte die 24jährige im Wiener Kurier einen kleinen Text über den jüdischen Friedhof: "Das vierte Tor". Es ist der erste Text in der österreichischen Literatur, der vom Konzentrationslager spricht – im Zusammenhang mit den auf dem Friedhof spielenden jüdischen Kindern:

,Warum geht ihr nicht in den Stadtpark?‘ - ,In den Stadtpark dürfen wir nicht hinein, nicht einmal außen herum dürfen wir gehen!‘ - ,Und wenn ihr doch geht?‘ - ,Konzentrationslager‘ sagt ein kleiner Knabe ernst und gelassen und wirft seinen Ball in den strahlenden Himmel.

Aufsehen erregte Aichinger mit ihrem Essay Aufruf zum Misstrauen, in dem sie dazu aufruft: uns selbst [zu] misstrauen. Der Klarheit unserer Absichten, der Tiefe unserer Gedanken, der Güte unserer Taten! Unserer eigenen Wahrhaftigkeit müssen wir misstrauen!".

1949/50 arbeitete sie als Verlagslektorin, ab 1951 stand sie in Verbindung mit der Gruppe 47, wo ihre "Spiegelgeschichte" 1952 mit dem jährlich vergebenen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann, den Schriftsteller Günter Eich, kennen, mit dem sie zwei Kinder bekam.

Nach Veröffentlichungen von Erzählungen, Hörspielen, Kurzprosa, Szenen, Dialogen und Gedichten erschien zuletzt 2001 die Autobiografie "Film und Verhängnis – Blitzlichter auf ein Leben". Film und Biografie verknüpfen sich für Ilse Aichinger zu einem komplexen Geflecht, ergänzen oder kontrapunktieren einander. Bei Kriegsausbruch 1939 war die 18jährige Ilse Aichinger im Kino, bei Kriegsende übermittelte ihr eine Kinokassiererin eine Nachricht über deportierte und ermordete Verwandte: Film und Verhängnis – seither denkt Ilse Aichinger auch selbst filmisch über Leben, Treue und Verrat nach.

Trotz zahlreicher Auszeichnungen und Würdigungen gelten Aichingers Texte bis heute als schwierig und hermetisch. Ihr Werk ist von Sprachskepsis und Vorbehalten gegenüber normativer Realitäts- und individueller Wirklichkeitserfahrung geprägt. Ihre Sprache ist von den Erfahrungen der Verfolgung durchdrungen. Sie fordert ihre LeserInnen mit Beharrlichkeit dazu auf, Grenzen stets zu hinterfragen und nach neuen und dauerhaften Wegen für ein verständnisvolles Miteinander zu suchen. In Aichingers schmalem Werk nehmen Hörspiele und dialogische Szenen einen wichtigen Platz ein. Dialoge, die aus anscheinend einfachen Erzählsituaitonen entstehen, machen in ihrem Verlauf die Brüchigkeit der erzählten Realität deutlich und entwickeln eine alptraumhafte, kafkaeske Logik. In ihrer Verweigerung, in ihrer Kritik ist Aichinger konsequent, sie schafft eine eigene Wirklichkeit, die alles auf den Kopf stellt und dabei klarer sieht als jeder Realismus. Mit ihren verdichteten Texten der letzten Jahrzehnte ist sie zu einer bedeutenden Leitfigur der jüngeren und der jüngsten AutorInnengeneration geworden.

Petra Springer

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Amos Oz: "Allein das Meer"

Ein Text über Liebe und Tod ausserhalb jeglicher literarischen Gattung

Wie kommt man zur Liebe, an so einem regnerischen Samstagmorgen in Alt-Bat Jam, fragt sich der schüchterne Albert Danon, als ihn seine spätere Frau Nadia in hellem Kleid und rotem Schal zum ersten Mal in seinem Mietzimmer in der kleinen Mittelmeerstadt, wenige Kilometer südlich von Tel Aviv, besucht. Natürlich mit Schwarzbrot, Feta, Honig und Tomatensalat, das war Mitte der sechziger Jahre nicht anders als heute. Inzwischen sind mehr als dreißig Jahre vergangen und wir im Israel der späten Neunziger: Albert ist seit kurzem Witwer, der Sohn Rico allein unterwegs auf einer Selbstfindungstour im Himalaya und Dita, Ricos Freundin, versucht in Tel Aviv ein Drehbuch unterzubringen. Wie kommt man zur Liebe, oder besser: was ist das, Liebe, wenn man sein ganzes Leben als Steuerberater mehr oder weniger mit Bilanzen und Buchführung verbracht hat, und nun allein in seinem Haus lebt?

Albert zieht Bilanz. Der alternde Steuerberater sitzt vor dem Computer, überprüft Rechnungen und ist zuweilen ein kleiner Held, zum Beipiel dann, wenn er Dita aus einem unbedacht unterschriebenen Vertrag herausholt. Aber auch über sein Leben zieht er Bilanz und wie er, so die anderen Figuren und nicht zuletzt auch der Erzähler selbst.

Amos Oz erzählt, als würde er Perlen auffädeln. 155 kurze Texte aneinandergereiht, manche in Gedichtform, mal in Strophen unterteilt, mal nur ein paar Zeilen Prosa. Häufig ist es nur ein Wort, ein Satz, der die einzelnen Teile miteinander verbindet. Kaum Aufregendes geschieht, nur das ganz normale Leben aus der Perspektive der verschiedenen Figuren, mehr gedichtet als erzählt. Eine Reihe von Dreiecksbeziehungen über die Generationen hinweg, zum Teil nur Wunschvorstellungen, mehr Handlung hat das Buch an seiner Oberfläche nicht zu bieten.

Diese Geschichte handelt von fünf, sechs Figuren, meistenteils lebendig, meistens, die einander oft etwas zu trinken anbieten, was Heißes oder Kaltes, doch zumeist was Kaltes, es ist Sommer. Manchmal bringen sie einander ein Tablett mit Käse und Oliven, ein paar Scheiben Wassermelone und Wein, zuweilen wird sogar etwas gekocht. Man kann das auch als eine Reihe Dreiecke, sich überschneidend, sehen. Rico, Vater, Mutter. Dita mit zwei Liebhabern, – so gibt der Erzähler mitten im Buch selbst eine Zusammenfassung und zeigt, wo der Schwerpunkt der Geschichte liegt: auf den Beobachtungen, den Details, die Oz mit dichterischer Präzision herausarbeitet, ohne dabei manieriert zu wirken.

Nadia, eine der Erzählstimmen, ist tot. Dennoch – vielleicht müßte man aber auch sagen, gerade deshalb – ist sie das eigentliche Zentrum, zu dem sich die verschiedenen Stimmen in Beziehung setzen. Ricos Liebeshunger in den Bergen entpuppt sich als im Begehren der Mutter als ödipale Phantasie. Und dass auch Alberts Verlangen nach der Freundin seines Sohnes, die, weil sie pleite ist, vorübergehend bei ihm einzieht, bei allem Sex-Appeal Ditas letztendlich eine Suche nach der längst Verstorbenen ist, daran wird kein Zweifel gelassen.

Der Text hat erstaunliche Wandlungsfähigkeit, nichts, was man ohne weiteres den gängigen Lyrik- oder Prosagattungen zuordnen könnte. Eher schon wären musikalische Satzbezeichnungen angebracht. So heißen die Kapitelüberschriften dann auch De profundis, Nocturne, Scherzo, Magnificat. Als Vorlage die Hass-/Liebe-Geschichte von David und dessen aufständischen und schließlich ermordeten Sohn Absalom, mal ein Psalm, mal das Hohelied der Liebe, dessen hebräischen Titel man aber auch "Gedicht der Gedichte" übersetzen könnte.

Heilig ist hier kein Text; biblische Metaphern werden anzitiert, um als häretische und manchmal sehr witzige Versatzstücke in den Text eingebaut zu werden. Nichts ist wie es scheint und am Ende dennoch klar warum die Bilder stimmen: wenn die aus dem Kloster geflogene Ex-Nonne Maria sexhungrigen jungen Männern im Himalaya für ein geringes Entgelt "Gunst und Gnade" gewährt, dann ist diese Fürsorge der heiligen Prostituierten den jungen Abenteuertouristen eine "Speisung der Fünftausend", und die Hohelied-Romantik der beiden Liebenden, Albert und Nadia, wird erst heraufbeschworen, um am Ende durchgestrichen zu werden: Sie war keine Hirschkuh, er kein junger Hirsch.

Alles hat man schon mal gehört oder gelesen: Bibel und Talmud, Ödipus, Odyssee / Ulysses und Tschechow sind nur einige wenige Stimmen in dem großen Requiem auf das, was niemals war und jetzt verschwunden ist.

Der Erzähler selbst ist Teil des Erzählten. Er sitzt in Arad an dem Schreibtisch, den der opernsingende Schreiner Elimelech für ihn gebaut hat. Massives, schweres Holz, ein "Basstisch", der wie alles in der Geschichte seinen Bezug zur Musik hat. Wen wundert es da, dass beim Schreiben im Hintergrund mal Schubert, mal das Requiem von Fauré läuft.

Man ist natürlich versucht, in dem Erzähler die Stimme von Amos Oz selbst zu erkennen, der wie der Erzähler in Arad wohnt, wie dieser ein Buch mit dem Titel "Eine Frau erkennen" geschrieben hat, dessen Kinder wie die des Erzählers heißen und der, wer weiß, vielleicht ein Frühaufsteher ist. Doch der Erzähler ist auch nur eine seiner Figuren, mischt sich ein, trifft sich mit den anderen Figuren, gibt ihnen Ratschläge, und damit man nicht vergisst, dass der Erzähler nicht gleich Oz ist, wird hinter das Wort Erzähler jedesmal ein "fiktional" in Klammern gesetzt.

Fiktional am Erzähler ist allerdings vor allem das "(fiktional)". Schelmisch nimmt Oz die literaturwissenschaftliche Trennung zwischen dem impliziten und dem wirklichen Autor auf den Arm und schickt sie beide einschließlich der Textfiguren und eines Ich-Erzählers, mit dem man nun das Spiel erneut beginnen könnte, nicht etwa zur Hölle, sondern zur morgendlichen Arbeit in den Garten: Also werden wir begeistert aufstehen und im Garten arbeiten, obwohl es noch vor sechs ist, der Erzähler (fiktional), seine Figuren, der gemeinte Autor und der Frühaufsteher-Schriftsteller und ich.

Lyrik könnte man auch als das definieren, was beim Übersetzen verloren geht, und so war eigentlich schon beim Erscheinen der hebräischen Ausgabe 1999 klar, dass das Buch im Grunde unübersetzbar sein würde. Doch Frank Heiberts Übertragung ins Deutsche liest sich erstaunlich gut, so gut, dass man fast vergessen könnte, eine Übersetzung der Übersetzung vor sich zu haben.

"Allein das Meer" ist ein Alterswerk des Autors, der so alt ist wie sein Protagonist, aber kein bisschen larmoyant, sondern so wie das Mittelmeer selbst, hier und da mal Wellen, doch im Großen und Ganzen ruhig, so erzählt Amos Oz sehr gelassen und wunderschön über den Tod und die Liebe.

Sebastian Wogenstein

Amos Oz: "Allein das Meer". Aus dem Englischen von Frank Heibert; Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2002; 191 S.,
Euro 20,50. Hebräische Erstausgabe: Verlag Keter 1999.

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Feindbild Gustav Mahler

Über die antisemitisch motivierte Abwehr der Moderne

Das Feindbild Mahler von Gerhard Scheit und Wilhelm Svoboda untersucht am Beispiel Mahlers die antisemitisch motivierte Abwehr der Moderne in Österreich. Die Verfasser verzichten auf eine Biographie, obwohl diese bereits ausreichend Stoff zum Thema abgegeben hätte, sondern beginnen ihre dokumentarische Darstellung der Mahlerrezeption, gelegentlich der Rezeptionsverweigerung, im In- und Ausland mit der Zeit nach dem

1. Weltkrieg, die geradezu eine Mahlerrenaissance brachte. 1920 kam es zur ersten Aufführung eines Mahler Zyklus, es kam zur Uraufführung des Fragments der 10. Symphonie, es erschienen zahlreiche Publikationen, unter den namhaften Dirigenten nahm sich besonders Bruno Walter, ein Schüler Mahlers, seiner Werke an. So konnte ein Kritiker schreiben: Es taut aus allen Konzerthaushimmeln, es regnet Mahler herab. Die Flut kam überraschend, förmlich über Nacht, alle kühnsten Prognosen überbietend. Hiezu leisteten nicht zuletzt die Arbeitersymphoniekonzerte einen beträchtlichen Beitrag, die Mahler unter den neueren Komponisten den ersten Rang einräumten.

Erstaunlicher Weise setzte der Ständestaat die Linie fort. Für die Feierlichkeiten zum 25. Todestag übernahm Schuschnigg den Ehrenschutz. Freilich, hinter diesem Feigenblatt verbarg sich ein subkutaner Antisemitismus, der unter deutschem Druck anfänglich geduldet, dann immer offener zu Tage trat. Mit dem Anschluss verschwand Mahler aus dem Musikleben. In Nazideutschland war er zur Ikone des "zersetzenden Juden" avanciert. Er war Gipfelpunkt der Verjudung in der Musik, die Wendung ins Parodistische und fratzenhafte Züge, Zerrissenheit und Zersetzung waren Wesensmerkmale seiner Symphonik". Ihre Stimmung diente dem Zweck, die angestammte Empfindungswelt der Deutschen zu zerstören.(!) Heinrich Damisch, einer der Gründerväter der Salzburger Festspiele, schrieb 1938: Von der über Betreiben der Familie Rothschild erfolgten Berufung des militant jüdischen Dirigenten Gustav Mahler zur Leitung der Hofoper an datiert die unverhüllte Machtergreifungstaktik des Judentums auf dem Gebiet der Musik.

 

Sehr nachhaltig war dann die Rezeption Mahlers im Exil, vor allem den USA, da dort viele der zur Emigration gezwungenen Kunstschaffenden, die sich Mahler verpflichtet fühlten, Zuflucht und Wirkungsmöglichkeiten fanden, hier haben sich Bruno Walter, Otto Klemperer und Fritz Krenek besonders engagiert.

Die Rückbesinnung in Wien nach 1945 hingegen vollzog sich nur sehr stockend. Noch 1960, dem Jahr des hundertsten Geburtstages, orten die Verfasser peinliche Zurückhaltung und glauben eine "ernüchternde Bilanz" ziehen zu müssen. Allerdings muss man ihnen nicht unbedingt folgen, wenn sie darin den Ausfluss eines nicht bewältigten Antisemitismus erblicken wollen. Man kann schließlich Wagner lieben und man kann den Zugang zu Mahler nicht finden, ohne deswegen ein Antisemit zu sein. Die Tatsache, dass Wien die Avantgarde sehr zögernd akzeptiert und man eher zum traditionellen Konservativen neigt, genügt für sich allein noch nicht für eine Stigmatisierung. Der große Durchbruch erfolgte mit Bernstein, der mit zahlreichen Aufführungen Mahler zu einem festen Bestandteil des Repertoirs machte. Ihm ist es mitzuverdanken, dass Mahlers Musik heute Weltgeltung hat. In den Schallplatten-Weltverkaufszahlen rangierten seine Kompositionen bereits 1975 unter den ersten 50 Titeln.

Heimo Kellner

Gerhard Scheit/Wilhelm Svoboda: "Feindbild Gustav Mahler" – Zur antisemitischen Abwehr der Moderne in Österreich. Sonderzahl Verlag, Wien 2002, 337 S. Euro 35,-.

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Die Nestbeschmutzerin

Über die Autorin Elfriede Jelinek & Österreich

Über die weit über die Grenzen Österreichs bekannte und im Inland umstrittene Autorin Elfriede Jelinek, die in ihren Texten die österreichische Gesellschaft und Mentalität kritisch befragt, wurde eine Publikation veröffentlicht. Debatten und Skandale, die es in Österreich zu Jelinek gab, werden erstmals in Form von Originaldokumenten – ausschließlich Primärmaterialen – in dem Buch "Die Nestbeschmutzerin. Jelinek & Österreich" zusammengefaßt. Pia Janke und 52 GermanistikstudentInnen der Universität Wien haben diese Dokumentation, die gleichzeitig als ein umfassendes Nachschlagewerk gesehen werden kann, erstellt. Das Material ist strukturell sehr übersichtlich nach bestimmten Bereichen gegliedert, wie Jelineks Positionen zur 68er Bewegung, KPÖ oder EU Debatten, Aussagen über die Waldheim-Affäre, Asylpolitik usw. sowie das mediale Echo darauf. Die öffentliche Sprache wird wahrnehmbar durch Reaktionen von PolitikerInnen, JournalistInnen, Intellektuellen, Theaterleuten, politischen AktivistInnen, Kirchenvertretern bis hin zu LeserbriefschreiberInnen.

Die Kontexte von Jelineks Texten – in Form von politischen Schriften, (Demo-) Reden, Statements, Essays und Leserbriefe, in denen sie Stellung bezieht und auf aktuelle Ereignisse in Österreich reagiert - werden aufgezeigt und gleichzeitig Jelineks Texte selbst in diesen Kontext gestellt. Einzelne Meinungen, Haltungen,

Urteile und Attacken stehen somit gegeneinander.

Neben einem Verzeichnis aller Jelinek-Aufführungen in Österreich wurde erstmals eine Gesamtbibliographie ihrer politischen Texte zu Österreich veröffentlicht.

Diese Auseinandersetzungen spiegeln nicht nur die österreichische Zeitgeschichte seit den 80er Jahren wider, sondern geben auch ein präzises und erschreckendes Bild des Umgangs mit Kunst und KünstlerInnen in Österreich. Deshalb ist es ein Anliegen der HerausgeberInnen, mit diesem Buch eine Reflexion über den öffentlichen Diskurs in Österreich in Gang zu setzten, für einen verantwortungsvolleren Umgang mit KünstlerInnen zu plädieren und eine ernsthaftere sowie substantiellere Auseinandersetzung mit Elfriede Jelinek einzufordern.

Petra Springer

Pia Janke und StudentInnen (Hg.): Die Nestbeschmutzerin. Jelinek & Österreich. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2002, 252 Seiten, zahlreiche SW-Abbildungen. Euro 39,50.

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Zeugnis einer Verhinderung

Die Künstlerin Betty Freund 1904–1977

Keine Kataloge, keine Zeitungskritiken berichten von Betty Freund. Nur an Hand weniger Fotografien kann man sich durch ihr Leben blättern. Eine Fotografie aus den 20-er Jahren zeigt die Künstlerin in einer festlichen, engen Robe, die sich am unteren Ende zu einer breiten Schleppe weitet – dort sind am Saum Musikplatten befestigt. Das ungewöhnliche Kleid ist von ihr entworfen und ausgeführt. Man betrachtet eine hübsche Frau und spürt, dass sie voller Lebenslust und neuer Ideen ist.

Das Kleid trug sie bei einem der legendären Feste an der Wiener Kunstgewerbeschule, wo sie in der Zeit von 1926 bis 1930 bei Prof. Eduard J. Wimmer zuerst in der Werkstätte für Textilarbeit und anschließend in der Werkstätte für Modewesen studierte.

Einer ihrer Studienkollegen war Friedrich von Berzeviczy-Pallavicini, der ihr, so die Überlieferung, bei einem Treffen den Schal galant aus dem Wienfluss gerettet hat. Berzeviczy-Pallavicini beschrieb ihren gemeinsamen Lehrer: "Professor Wimmer hatte einen großartigen Spürsinn, das Neue, das Elegante, Künstlerische, Modische in allem herauszufinden. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg war man in Wien nicht so gut über die internationale Mode informiert, nur ganz Privilegierte, die gereist waren, hatten einen gewissen Überblick, was in der großen Welt geschah."

Im Jahr 1929 bestand die Klasse von Betty Freund aus 29 Schülern, 27 davon waren weiblich. In den 30 Wochenstunden studierte man – Die männliche und weibliche Kleidung, ihr Entwurf, ihre Herstellung und ihre zeichnerische Darstellung.

Später ging Betty Freund auf Wunsch ihrer Eltern, die ihr zusätzlich eine Lehre als Schneiderin empfahlen, nach Michelbeuren und absolvierte dort diese Ausbildung.

In einer Bewerbung schreibt sie selbstbewusst:"Als Absolventin der staatlichen Kunstgewerbeschule Wien habe ich in der Modeklasse Prof. J. Wimmer gearbeitet und mit Auszeichnung abgeschlossen. Seit einem Jahr bin ich von dem ersten schwedischen Unternehmen für Sport und Modebekleidung als Modezeichnerin und Beraterin engagiert und habe auf beste Erfolge hinzuweisen. Mit viel praktischer Erfahrung in Anwendung und Ausführung von Modellen kann ich infolge meiner ausgesprochenen kultivierten und originellen Entwurfsfertigkeit den höchsten Ansprüchen eines führenden Modehauses entsprechen."

1933 erhält sie eine Einladung vom Bayrischen Nationalmuseum. Die Staatliche Kunstbibliothek in Berlin möchte die Ausstellung – Die Modezeichnung – in der auch ihre Werke vertreten sind, in Berlin zeigen.

Die Karriere fing also vielversprechend an. Geblieben sind einige Modeentwürfe, wenige Fotos und ein großartiger Gobelin – den man als Betty Freunds Lebenswerk bezeichnen muss. Denn sie arbeitete an ihm beginnend 1926 und wieder nach 1973. Etwa 150 x 150 cm groß, aus französischen Seiden bestehend, zeigt dieses Werk eine beeindruckende Komposition mit abstrakten Formen, Blumen und Paradiesvögel. Ein Springbrunnen voller Farben. Man kann an Impulse der rumänischen Volkskunst und des Surrealismus denken, die hier zu einer wirklich virtuosen Kreation verarbeitet sind. Dieser Gobelin ist Zeugnis einer heute leider nur mehr ahnbaren Kreativität voller Fantasie und Farbsensualismus. Dieser Gobelin ist aber auch stummes Zeugnis einer Verhinderung – Verhinderung von Leben und Kunst. Denn für Betty Freund und für viele andere ihrer jüdischen Kolleginnen und Kollegen wurde die Ära des Nationalsozialismus auf Grund ihrer Abstammung zum Verhängnis. Jene, die zu diesem Zeitpunkt bereits tot waren, wurden aus der österreichischen Kunstgeschichte gelöscht und totgeschwiegen. Die anderen, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere standen, mussten das Land verlassen oder endeten im Konzentrationslager. Ab Ende der 30er Jahre sind jüdische KünstlerInnen in Österreich nicht mehr präsent. Da ihre Werke im Ausland, in Privatbesitz oder verschollen waren, gerieten sie auch zunehmend in Vergessenheit.

Betty Freund konnte diese Zeit, geschützt durch die Ehe mit Franz Herberth, zwar lebend überstehen, aber sie hatte keine Möglichkeit für künstlerisches Schaffen. Ihr Talent versickerte im Nichts.

1933 heiratete sie ihren Kollegen Franz Herberth, der an der Kunstgewerbeschule Graphik studierte. 1934 wurde ihr gemeinsamer Sohn geboren, den sie zu Hause versorgte. Als sie gerade am Weg zu ihren Eltern nach Bratislava war, marschierten die Truppen Hitlers ein. Ihr Bruder konnte nach Israel flüchten. Sie blieb bei ihrem Mann. 1938 wurde Franz Herberth von seiner Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule entlassen, der Ausschluss vom Bund Österreichischer Gebrauchsgraphiker wegen nicht arischem Ehepartner folgte. 1940 erhielt er Berufsverbot. Betty wurde als Uniformschneiderin von Abzeichen, Epoletten und Aufschläge zur Heimarbeit zwangsverpflichtet. Die Bezahlung war minimalst und sie stand bei der Arbeit unter enormen Zeitdruck, sodaß die ganze Familie mithelfen musste. Zugleich stand der Schrecken einer Deportation ständig vor der Tür – Drorygasse 8 im 3. Bezirk in Wien. Nach 1945, als die Zeit halbwegs heil überstanden war, malte Betty Freund nur mehr auf glasierte Keramiken, die als Reste des zerstörten Daches vom Wiener Stephansdom herumlagen. Sie malte das Madonnenbild im Wiener Stephansdom – die Maria Pötsch –, um etwas Geld zu verdienen. Künstlerisch hat Betty Freund auch später nicht mehr gearbeitet. Sie verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens in einem kleinen Häuschen in Pulkau.

Der Gobelin wurde 1960 ein einziges Mal im französischen Saal des Wiener Künstlerhauses bei einer Ausstellung des Neuen Hagenbundes ausgestellt. Nach dem Tod ihres Mannes begann sie den ursprünglich sehr hellen Gobelin im Hintergrund schwarz auszusticken – Symbol ihrer Jugend und Liebe und Trauer!

Gabriela Nagler

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Der erste zionistische Satiriker

Fritz Löhner-Beda zum 60. Todestag

Vor 60 Jahren wurde Fritz Löhner-Beda im Lager Buna bei Auschwitz ermordet – als Todestag wurde der 4. Dezember 1942 amtlicherseits festgelegt.

Der 1883 in Böhmen geborene Fritz Löhner war eine der Größen des deutschsprachigen Entertainments der zwanziger und dreißiger Jahre gewesen. Als Librettist von Franz Lehár und Paul Abraham schrieb er viel gespielte Operettenklassiker, unter anderem "Das Land des Lächelns", "Giuditta", "Viktoria und ihr Husar" oder "Die Blume von Hawaii". Als Schlagertexter schuf er mit Songs wie "Ausgerechnet Bananen", "Was machst du mit dem Knie, lieber Hans" oder "Lou Lila" Gassenhauer und Evergreens. Als Satiriker unterzog er in zahllosen Beiträgen für renommierte Zeitschriften, wie den "Simplicissimus" und den "Götz von Berlichingen", sowie in vielen Kabaretttexten für die "Hölle", die "Fledermaus" und den "Simpl" Zeiterscheinungen einer kritischen und stets überaus publikumswirksamen Untersuchung.

Löhner, der seine Texte häufig unter dem Pseudonym Beda publizierte, war damit einer der frühesten Exponenten der modernen Unterhaltungskultur. Er hatte ein untrügliches Gespür für neue Trends und arbeitete diese umgehend in seine Texte ein. Vor allem aber war er offen für alle neuen medialen Formen – so schrieb er etwa auch zahlreiche Stummfilm-Drehbücher.

Viele seiner Erfolgstexte entstanden in Zusammenarbeit mit anderen Autoren, wie etwa Alfred Grünwald oder Hugo Wiener. Es war dies eine Art des Schreibens, die in Hollywood als Garant für Erfolgsproduktionen galt, im deutschsprachigen Raum damals aber noch eine absolute Novität war.

Fritz Löhner, der ab seinem vierten Lebensjahr in Wien lebte, setzte sich in vielen seiner Texte mit den politischen Entwicklungen seiner Zeit und dem Leben in seiner Stadt auseinander. Sehr klar vertrat er dabei den Standpunkt eines bewussten Juden und engagierten Demokraten. Wichtig war ihm die Auseinandersetzung mit seinen jüdischen Glaubensgenossen, vor allem mit jenen, die ihre jüdische Identität aufgaben und zum Christentum konvertierten.

1908 veröffentlichte Löhner seinen ersten Gedichtband mit dem Titel "Getaufte und Baldgetaufte". Schon der Name dieser ersten Publikation dokumentiert Löhners entschieden kritische Haltung in Bezug auf Assimilation und Konversion.

Bereits ein Jahr später erschien die nächste Gedichtsammlung unter dem Titel "Israeliten und andere Antisemiten".

In den meisten Gedichten dieser Bände beschäftigt sich Löhner anhand von Alltagssituationen mit dem – von ihm stets als negativ beurteilten – Verstecken und Verleugnen jüdischer Identität. Daneben waren auch die Repressionen, denen Juden ausgesetzt waren, ein Thema seines bitteren Humors.

Oscar Teller, einer der Mitbegründer des Jüdisch-Politischen Cabarets, bezeichnete den Autor aufgrund dieses Engagements als den ersten zionistischen Satiriker.

Fritz Löhners jüdisch-politisches Engagement beschränkte sich aber nicht nur auf die Literatur: Er war einer der Mitbegründer der Hakoah und auch der erste Präsident dieses Sportklubs. Später wurde er zum Ehrenpräsidenten ernannt und 1927, als sich der Klub in einer Krisensituation befand, aufgrund seiner Erfahrung nochmals in das Amt berufen.

 

Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Österreich wurde Fritz Löhner verhaftet und mit dem sogenannten "Prominententransport" nach Dachau gebracht, im Herbst 1938 dann nach Buchenwald. Einer seiner Mithäftlinge war dort Hermann Leopoldi, mit dem Fritz Löhner befreundet war und wiederholt zusammengearbeitet hatte. Im Zeichen des Nazi-Terrors entstand im Winter 1938 ihr letztes gemeinsame Werk: das Buchenwaldlied. Im Oktober 1942 musste Löhner nach Auschwitz, wo er im Dezember ermordet wurde.

Nicht nur für frühere Weggefährten, wie etwa Franz Lehár, schien er damit vergessen zu sein. Auch die Nachwelt vergaß den Namen jenes Mannes, dessen Werke jedoch stets als ein Teil unserer Kultur präsent blieben.

Nach langer Zeit des Desinteresses sind in den letzten Jahren einige der durch den Nationalsozialismus verdrängten, vertriebenen und ermordeten Künstler in unterschiedlicher Weise nach Österreich "heimgeholt" worden: Nachlässe wurden erworben, Dokumentationen erstellt, Forschungsstellen eingerichtet, Werkeditionen veröffentlicht.

Im Falle von Fritz Löhner gibt es im materiellen Sinne nichts heimzuholen – keinen Nachlass, keine Erinnerungsstücke. Im ideellen Sinne aber gilt es, ein umfangreiches und gerade aufgrund seiner Vielfältigkeit hoch interessantes Werk zu entdecken.

Geblieben ist in Fritz Löhners Heimatstadt Wien als trauriges Belegstück einer Biographie nur eines: der Grabstein der Eltern in der Alten Israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofes.

Barbara Denscher/Helmut Peschina

Barbara Denscher/Helmut Peschina: Kein Land des Lächelns, Fritz Löhner-Beda 1883-1942, Residenz Verlag, 2002. Euro 24, 90.

 

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Letzte Änderung: 03.01.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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