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Die Ruinen von Palmyra

Man erinnert sich noch an den Aufschrei der zivilisierten Welt, als vor Jahren in Afghanistan die damals dort herrschenden Taliban auf einem der antiken Handelswege des Landes eine imposante Buddha-Statue zerstörten, und man verstand auch nicht genau, um was es bei dieser brutalen Missetat ging: in den strengen Ausformungen des Koran sind Menschendarstellungen jeglicher Art streng verboten, hat man uns einstweilen kundgetan… An diese Buddha-Statue muss man aus guten Gründen als Signal und Alarmzeichen leider mehr denn je denken.

Aus den Ländern der zwei schicksalsträchtigen Flüsse Euphrat und Tigris stammt das kulturelle Erbe nicht nur des Morgen-, sondern groß teils auch des Abendlandes. Unser Vater ­Abraham zog, aus seiner mesopotamischen Heimat der zwei Flüsse kommend, an das Mittelmeer, wo sich dann die Kulturen vermischten. Die großen Reiche Assyrien, Babylonien und Persien, die aufeinander folgten, verschwanden, als die Griechen und später die Römer in ihre Fußstapfen traten und durch ihre Vorstöße und Eroberungen Orient und Okzident verbanden, als Ausgang für die judeo-christliche Zivilisation.

Diese großen Königsreiche, die etwa zweitausend Jahre vor der Zeitrechnung in die Geschichte eintraten, hinterließen Schätze an Kunst und Schrifttum, Monumente und Bibliotheken, große Städte und prächtige Bauten, die den Nachfahren als Vermächtnisse dienten. Horte dieser Traditionen und Werte waren die Zweistromländer, wo heute durch den Islamischer Staat das Erbe und die Schätze von damals im Namen ihres radikalen Glaubens vernichtet werden. So ist bekannt, wie sie in Nimrud, eine im 13. Jahrhundert vor der Zeitrechnung vom assyrischen König Schalmaneser I. gegründeten Großstadt, gewütet haben, und wie vor allem Niniveh, die älteste, größte und reichste Stadt Assyriens, mit Sitz aller berühmten Herrscher, fast ausradiert wurde. Niniveh ist sehr bedeutend für das Judentum und wird in den heiligen Schriften oft erwähnt. Die zehn Stämme, die sich von Jerusalem abgespalten hatten und das Königreich Israel im Norden des Landes begründeten, wurden im Laufe der Zeit in viele Kämpfe mit den Assyrern verwickelt, bis Israel schließlich besiegt wurde und die zehn Stämme für alle Zeiten verschwanden. Die zwei südlichen Stämme behielten die Macht im Königreich Judäa, wo sie bis zum Fall von Jerusalem in die Hand Roms im Jahr 70 der Zeitrechnung als Hüter des Heiligen Landes und Beschützer des übriggebliebenen Judentums überlebt hatten.

Mit dem Fall Jerusalems ging das große Salomonische Reich endgültig unter. Aber der durch seine Berühmtheit sagenhafte König hat Spuren hinterlassen, denen man noch heute mit Staunen begegnet.

Die letzte Eroberung der IS in ihrem brutalen Vormarsch durch Irak und Syrien, der das große Erbe der Antike gefährdet, enthüllt dabei auch eine ganz neue und ergreifende Geschichte. 

Mitten in der syrischen Wüste liegt eine Oasenstadt: Palmyra. Ehrfurcht und Schönheit, Stille und Magie strahlen die Ruinen aus, die diese antike Stadt zieren. Wenn die Sonne untergeht, wird der Himmel blutrot, und der Horizont rundum färbt sich in tiefes Blau. Die Säulen, die hoch in den Himmel ragen, scheinen in einem goldenen Licht, aber bald verwandelt sich alles in ein mysteriöses Dunkel. Wenn am Tag die Sonne strahlt, scheint sie die Ruinen zum Leben zu erwecken, und die ganze Stadt, die sie beherbergt, ist eine Symphonie von fast unirdischer Schönheit und Charme. Ich war ein achtjähriges Flüchtlingskind in Mailand, 1939, als mich meine Mutter – als „Schulferienprogramm“ – eines Nachmittags ins Kino mitnahm und ich von der Pracht und Herrlichkeit dieses antiken und doch so lebendigen, verlassenen, aber so vital vieles erzählenden Ortes verzaubert wurde. Die in Sonnenlicht getauchten Säulen, Kolonnaden und alle anderen einzigartigen Relikte sind mir unvergesslich geblieben. Nicht umsonst gehören sie heute dem Weltkulturerbe der UNESCO an.

In der Bibel, im Zweiten Buch der Chroniken, heißt es in Kapitel 8 Vers 2: „Und ­Salomon ging und erbaute Tadmor in der Wüste.“ Gab es da eine mystische Verbindung, hat der Ort, der später als aufgebaute Stadt Palmyra hieß, mein kleines Kinderherz so berührt, weil er von König Salomon für alle Zeiten der Welt geschenkt wurde? Auf jeden Fall erhält Palmyra durch diesen Umstand eine ganz besondere Bedeutung und ihre Ruinen werden Teil der jüdischen Geschichte. 

Palmyra, die große, blühende Handelsstadt, so schön, so imposant, so reich, war bis zum Untergang Roms eine autonome Provinz des Reiches, die über die Seidenstraße und andere Verbindungswege mit der ganzen damaligen Welt Handel trieb und Austausch pflegte. In Palmyra sprach man – ganz unüblich für Ort und Zeit – Aramäisch…, die Sprache, die erst viele Jahrhunderte später das Volksidiom im Königreich Judäa war. Nach dem Fall von Rom und der Eroberung durch den Islam Mitte des 7. Jahrhunderts verfiel Palmyra.

Die Oasenstadt Palmyra ist vor einigen Wochen in die Hände des Islamischen Staates geraten. Was das bedeutet, hat man an den historischen Orten in Irak und Syrien erfahren… 

Die englische Produktionsfirma World Windows Ltd. hat im Jahr 1939 in Farbe die historische Filmreportage Die Ruinen von Palmyra veröffentlicht, der ich die Entdeckung dieser einzigartigen Oasenstadt verdanke. Dort ist mein Herz in dieser schweren Zeit, in der Hoffnung, dass Salomon, König der Könige, Erbauer des Tempels, Barde, Dichter und Philosoph, gerechter Herrscher, Beschützer Zions, sein Palmyra für die Menschheit retten wird.

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