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Domino in Nahost

Riad:

Als Saudi Arabiens Kronprinz Muhammad bin Salman (MbS) diese Woche bis zu 500 Personen von der neuen Antikorruptions-Kommission verhaften ließ, ging es um Innenpolitik. Er wollte Rivalen aus dem Weg räumen, Kritiker einschüchtern. Doch die Razzia hat Folgen für die gesamte Region, könnte den schwelenden Konflikt mit Iran verschärfen. 

Die Rivalität mit Teheran ist nichts Neues: Ethnische Spannungen zwischen Arabern und Persern gab es schon im Altertum, der religiöse Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ist 1400 Jahre alt. Nun heizen hegemonische Begierden diese Konflikte weiter an, in Form von Stellvertreterkonflikten. Bislang ließen Iraner und Saudis für sich kämpfen. 

Aber MbS will mehr, schickte in den Jemen erstmals saudische Soldaten in den Krieg. Sein Hass gegen den Iran ist Überzeugung, ist ihm aber auch dienlich: Der Konflikt schürt nationalistischen Eifer und Angst vor persischer Aggression. Diese Emotionen helfen ihm, die Bevölkerung für seinen Kampf gegen den konservativen Klerus und politische Widersacher im Inland zu rekrutieren. Wenn die aus dem Weg geräumt sind, hat er freie Bahn für seine Strategie der Eskalation.

Palästina: 

Einst förderten die Saudis die Muslimbruderschaft, Mutterorganisation der radikal-islamischen Hamas. Doch inzwischen bedroht deren revolutionäres Gedankengut das Königshaus. Sie drehte den Geldhahn zu, verbündete sich mit der Palästinensischen Autonomiebehörde. So wurde der Iran wichtiger Förderer der Extremisten, die als Vorhut gegen Israel dienten. 

Als nun die Versöhnung von Fatah und Hamas verkündet wurde, zitierte MbS Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zu sich, angeblich um ihm zwei klare Direktiven zu geben: Er solle nicht zu eng mit der Hamas anbandeln. Eine Einigung wird so erschwert. Zudem soll er Abbas genötigt haben, sich im Namen der vielen palästinensischen Flüchtlinge im Libanon offen zu Saudi Arabien zu bekennen, falls der Konflikt dort, wie erwartet, eskaliert.

Libanon:

Hier mischte sich MbS diese Woche offen ein. Er zitierte den sunnitischen Premier Saad Hariri nach Riad und zwang ihn, von hier aus seinen Rücktritt zu erklären. Motivation für diesen Schritt: Die Hisbollah-Miliz, eines der wichtigsten Instrumente iranischer Außenpolitik, dominierte die Koalition mit Hariri. Statt den Iran auszubremsen, bereitete Hariri ihm so den Weg. Sein Rücktritt ermöglicht eine offene Konfrontation mit der Hisbollah. Ein Militärschlag ist zwar unmöglich, dafür aber wirtschaftliche Kriegsführung. Neben politischem Stillstand droht Beirut eine ökonomische Krise – Nährboden für einen Bürgerkrieg. Schon wies Riad alle Saudis an, den Libanon zu verlassen. Und die Hisbollah zieht Krieger aus Syrien ab. Auch sie bereitet sich auf eine Schlacht vor. Nach dem Rücktritt vom Rücktritt ist die Lage nach wie vor ungewiss.

Syrien:

Syriens Präsident Baschar Assad ist Irans wichtigster Vasall, Damaskus Drehkreuz von Teherans revolutionärer Logistik: Hier saßen extremistische palästinensische Organisationen, die den Friedensprozess mit Israel torpedierten. Zugleich wurde die Hisbollah von hier aus versorgt, Jordanien bedroht. Riad unterstützte syrische Rebellen, um Assad zu stürzen und Iran zu schwächen. Das schlug fehl. ­Assad sitzt fest im Sattel. Nachdem sein Truppen Deir a Saur, Majadin und Bukamal eroberten, kommt der Iran seinem alten Traum vom Landkorridor bis zum Mittelmeer näher. Das will Saudi Arabien verhindern, auch indem es versucht, Israel in einen neuen Krieg gegen die Hisbollah oder zu einem Präventivschlag gegen iranische Interessen in Syrien zu verleiten. 

Irak:

Mesopotamien ist für Iran und Saudi Arabien von zentraler Bedeutung. Der Abzug von US-Truppen unter US-Präsident Barack Obama gewährte den Iranern hier großen Einfluss: Die von ihnen kontrollierte Haschd al Schaabi-Miliz ist stärker als Iraks Armee, genau wie die Hisbollah im Libanon stärkste Kraft ist. Iraks Wirtschaft befindet sich in iranischen Händen, viele Parlamentarier folgen Teherans Weisungen. Doch längst nicht alle. Selbst schiitische Politiker lehnen Irans Dominanz in Arabiens Kernland ab. Saudi Arabien will schiitische arabische Nationalisten wie Muktada al Sadr, einer der bedeutendsten Kleriker Iraks, auf seine Seite ziehen. Der Kampf um Bagdad dauert an. 

Kurdengebiete:

Sie sind für die Saudis einer der wichtigsten Schlüssel, um Irans Vormarsch zu stoppen. Gelänge es Riad, ein unabhängiges Kurdistan zu schaffen, wäre das ein schwerer Schlag für seine Kontrahenten, in denen kurdische Minderheiten leben: Syrien, Irak, Iran. Zugleich schwächte man die Türkei, die den saudischen Führungsanspruch in der sunnitischen Welt infrage stellt. Es wäre süße Rache dafür, dass Ankara sich im Streit, den MbS vor wenigen Wochen mit Katar vom Zaun brach, aufseiten Dohas stellte. Vorerst zügelt Washington Saudi Arabien. Doch wie lange MbS den Weisungen aus dem Weißen Haus folgt, ist ungewiss.

Jemen:

Wohl niemand leidet mehr unter der Abenteuerlust von MbS als der Jemen. Als schiitische Huthi-Rebellen vor zwei Jahren die Regierung stürzten, griff Saudi Arabien, gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, an, um Präsident Mansur al Hadi wieder an die Macht zu bringen. Seither haben Bombardements tausende jemenitische Zivilisten getötet und die Infrastruktur des Landes zerstört. Hunderttausende erkrankten an Cholera. Dabei ist die Einsetzung der rechtmäßigen Regierung längst Nebensache: Hadi befindet sich, laut Berichten in Riad unter Hausarrest. MbS geht es in erster Linie darum, die Huthis zu besiegen, weil er sie als Handlanger des Irans betrachtet. Nachdem es denen – anscheinend mit iranischer Hilfe – gelang, mit neuen Raketen Saudi Arabiens Hauptstadt zu bedrohen, verschärfte MbS seine Strategie. Alle Häfen des verarmten Landes sind nun mit einer Blockade belegt. Nun droht dort laut Angaben der UNO die „schlimmste Hungersnot seit Jahrzehnten“.

Eastern Province:

Hier leben Saudi Arabiens Schiiten, eine unterdrückte Minderheit, die rund 15 Prozent der Bevölkerung stellt. Das Königshaus betrachtet sie als fünfte Kolonne, diskriminiert sie, tötete 2016 gar den extremistischen Prediger Nimr al Nimr. Aufstände waren die Folge bis Sicherheitskräfte vergangenen Sommer gezwungen waren, die Stadt Awamia regelrecht zurückzuerobern. 

MbS Hardline-Politik und eherne Feindschaft zum Iran verheißt den unterdrückten Schiiten nichts Gutes. Sein Misstrauen ihnen gegenüber könnte zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Ohne Aussicht auf Emanzipation könnten diese tatsächlich zu den iranischen Revolutionswächter überlaufen. Statt Rebellionen andernorts hätte MbS so einen Aufstand daheim ausgelöst. 

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