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Feuern und Feiern

Während in Jerusalem mit der Einweihung der amerikanischen Botschaft ein israelischer Traum wahr wurde, realisierten sich die zu erwarteten Albtraumszenarien im Gazastreifen und um ihn herum nur zum Teil. Die radikal-islamische Hamas will ihre blutigen Proteste fortsetzen.

Lokale Nachrichtensender teilten ihre Bildschirme, um der extremen Realität des israelischen Alltags gerecht zu werden. Die eine Hälfte zeigte die Feierlichkeiten zur Eröffnung der neuen amerikanischen Botschaft in Jerusalem. Festlich gekleidete VIPs schritten lächelnd in das Botschaftsgebäude im Süden der Stadt, um an der Zeremonie teilzunehmen. Während man in Jerusalem feierte, wurde rund um den Gazastreifen gefeuert. Die andere Hälfte israelischer Fernsehbildschirme zeigte Rauchschwaden, die den blauen Himmel Gazas verdeckten. Dort hatte die Hamas die bislang größten Proteste im Landstrich organisiert. Mehr als 50.000 Palästinenser nahmen an 12 Orten entlang des Grenzzauns an gewalttätigen Protesten teil. Israels Armee berichtete über mindestens drei Terrorkommandos der radikal-islamischen Hamas, die versuchten, Attentate an der Grenze zu begehen. Als Reaktion beschossen Luftwaffe und Panzer Ziele im Gazastreifen.
Geht es nach der Hamas, dann waren die blutigen Ereignisse nur der Auftakt. Die Bewegung hatte alles daran gesetzt, die Proteste anzufachen. Man rief zu einem Generalstreik auf. Universitäten, Schulen und viele Geschäfte blieben geschlossen um den Menschen zu ermöglichen, an den Protesten teilzunehmen. Zugleich organisierte die Hamas Busse und Lastwagen, um die Demonstranten in Grenznähe zu bringen. Die Islamisten sehen in einer Konfrontation mit Israel den besten Ausweg aus ihrer politischen Misere: Die Bewegung ist fast bankrott, diplomatisch isoliert, innenpolitisch ausmanövriert und Israel militärisch unterlegen. Sie glaubt, hohe Opferzahlen unter palästinensischen Zivilisten an der Grenze zu Israel lenke die Aufmerksamkeit der internationalen Staatengemeinschaft auf die Lage in Gaza. Sprecher der Organisation gaben sich Montagmittag zufrieden mit dem Verlauf der Ereignisse.
Dabei müssen die Islamisten enttäuscht sein. Ihre Versuche, den Zaun zu durchbrechen, um auf der anderen Seite der Grenze Attentate zu begehen, schlugen fehl. Und sie unterschätzten die Kriegsmüdigkeit ihrer eigenen Bevölkerung. Mehr als 100.000 Demonstranten sollten kommen stattdessen demonstrierten nur 50.000 Palästinenser. Mit solchen Zahlen kann die Hamas Israels Armee nicht überwältigen. Die hohen Opferzahlen am Zaun dürften international Schlagzeilen machen, indes nur für kurze Zeit. An der strategischen Notlage der Hamas wird das nichts ändern.
Vor allem weil die wichtigsten Entwicklungen, auf welche die Islamisten setzten, nicht eintrafen. Keine palästinensischen Flüchtlinge aus Nachbarstaaten wie Jordanien, Syrien oder dem Libanon marschierten auf Israels Grenze zu, um diese medienwirksam zu durchbrechen. Israels Nord- und Ostgrenzen blieben ruhig. Dasselbe gilt für das Westjordanland. In Bethlehem, Ramallah, Hebron, Nablus und andernorts fanden vormittags Demonstrationen mit tausenden Teilnehmern statt. Am Kalandia Checkpoint zwischen Jerusalem und Ramallah kam es danach zu Zusammenstößen zwischen Soldaten und Demonstranten. Doch schon kurze Zeit später drängten sich wieder mit Kaltgetränken beladene Lastwagen hupend durch die Menge von Journalisten, die sich in Erwartung großer Zusammenstöße vor Ort versammelt hatten. Es schien, als kehre wieder Normalität ein.
Der befürchtete Flächenbrand blieb vorerst aus. Doch für eine Entwarnung ist es zu früh. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hält infolge der Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt an ihrer Weigerung fest, mit den USA an einem Friedensplan zusammenzuarbeiten. So wird es in naher Zukunft keinen politischen Horizont für die Palästinenser geben. Am Wochenende schienen die Fernsehsender und Radiostationen der PA, eigentlich ein bitterer Rivale der Hamas, den Islamisten das Wort zu reden. Sie riefen die Bevölkerung ebenfalls zu Massenprotesten auf. „Wer darauf setzt, dass die Sicherheitsdienste der PA im Westjordanland weiter mit Israel kooperieren, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, sollte beachten, dass ihre Beamte täglich diese Propaganda hören“, warnt der israelische Politologe Ehud Yaari. Das andauernde Blutvergießen in Gaza, die politische Ausweglosigkeit und das Führungsvakuum in der PA könnten letztlich auch im Westjordanland zu Gewalt führen.
Israels Regierung bereitete all das wenig Sorgen. Das Sicherheitskabinett wurde gewarnt, die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem motiviere Palästinenser zu Protesten. Geheimdienste rechneten bei den Zusammenstößen in Gaza mit hunderten Toten. Bildungsminister Naftali Bennett, Mitglied des Sicherheitskabinetts, kommentierte das trocken: „Die Herrschaft über Jerusalem hatte schon immer einen Preis, aber wir sind bereit, ihn zu zahlen.“
Nach Monaten, in denen die Amtszeit des Premierministers Benjamin Netanjahu sich ihrem Ende zu nähern schien, kann er nun viele außenpolitische Erfolge verbuchen. Die USA annullierten, wie von ihm gefordert, das Atomabkommen mit dem Iran; die Einweihung der US-Botschaft in Jerusalem ist für ihn eine historische Errungenschaft; zudem gelang es ihm, die iranische Expansion in Syrien zu bremsen, ohne dabei den Beziehungen mit Russland zu schaden; die Versuche der Hamas, die Lage zu eskalieren, schlugen fehl. Und dann gewann Netta Barzilai auch noch den Eurovision Song Contest. So herrschte in Israel eine euphorische Stimmung, an der auch die Unruhen in Gaza nichts änderten.

 

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