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Zum Tod des Schriftstellers Yoram Kaniuk

Kritischer Israeli und säkularer Jude

Der autobiographische Roman Zwischen Leben und Tod, 2009 erschienen im Claasen Verlag, entstand nach schwerer Krankheit des israelischen Schriftstellers Yoram Kaniuk. "Nach diesen Dingen - nach der Krankheit und nach dem Tod und nach dem Schmerz und nach dem Lachen und nach der Untreue und nach dem Alter und nach der Gnade und Liebe - nach all dem erwachte ich in einen Halbschlaf, in dem ich vier Monate verharren sollte. Und es war schlecht und es war gut und es war traurig und es war aussichtslos und es war ein Wunder." Mit solch großartiger, poetischer Sprache vermochte Kaniuk seine Erkrankung zu umschreiben und viele weitere Stationen seines Lebens Revue passieren lassen. 

Yoram Kaniuk am 2. Mai 1930 in Tel Aviv geboren, hatte osteuropäische Wurzeln. Sein Vater, aus Tarnopol stammend, war enger Mitarbeiter von Meir Dizengoff, dem ersten Bürgermeister Tel Avivs, und begründete das Tel Aviv Museum of Art; die Mutter stammte aus Russland, war Lehrerin und schrieb Lehrbücher.  Kaniuk kämpfte bei der Palmach und arbeitete auf einem Schiff, das Holocaust-Überlebende nach Israel brachte. Er verbrachte ein Jahrzehnt in New York, wo er als Kunstmaler reüssierte, und veröffentlichte unzählige Romane, Erzählbände und - wie andere berühmte Schriftstellerkollegen - auch Kinderbücher. Zwei Jahre vor seinem Tod ehrte die Universität Tel Aviv ihn noch mit einem Ehrendoktor. Sein wohl berühmtester Roman Adam Hundesohn (1968) wurde 2008 von Paul Schrader mit Jeff Goldblum in der Hauptrolle verfilmt. Die Geschichte eines ehemaligen KZ-Häftlings, der als Hund des Lager-Kommandanten gehalten wurde, und nun in einer Heilanstalt in der Wüste bei der Heilung eines traumatisierten Jungen mitwirkt, ist grauenhaft und großartig zugleich.  Kaniuk hatte Humor, lebte aber eher im Zynismus, in der Bitterkeit. Zu vieles machte ihn wütend: Er rang um einen Nahost-Friedensprozess gemeinsam mit Emil Habibi, in "Das zweifach verheißene Land" (1997). In "Der letzte Berliner" (List Verlag 2002) rechnete er mit der Ignoranz der Deutschen - dem Establishment wie den Links-Intellektuellen - ab. Sein letztes Buch widmete er seinen Erinnerungen rund um den Unabhängigkeitskrieg von "1948" (Aufbau Verlag 2013). Darin ist die Rede - wie könnte es anders sein - vom Kampf, vom Töten, vom Sterben und von später Reue.  Seinen vorletzten Kampf führte er gegen die Einheit von Religion und Staat in Israel. Und er gewann. Denn er erstritt als Jude in Israel für sich den Status "ohne Bekenntnis". Den müssen seine Enkel, die Kinder seiner Töchter tragen, weil Kaniuks Frau Miranda nichtjüdisch ist. Und mit ihnen wollte er solidarisch sein. Eine Krebserkrankung vor ein paar Jahren überlebte er dank der finanziellen Hilfe des Berliner Lebemanns Rolf Eden. Den letzten Kampf verlor Yoram Kaniuk am 8. Juni 2013. Doch nie gab er sein Wissen um die jüdische Religion und seine der Groteske verpflichtete Ironie auf. In seinem Roman "Zwischen Leben und Tod" heißt es nämlich: "Ich meine, der Tod hat etwas Positives, fast Optimistisches an sich, denn er ist der Messias, der zu kommen zögert."

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