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Aus dem Inhalt der Ausgabe 8/9 – 2002

Rosch Haschana 5763

Ausserdem im aktuellen Heft:


Grußwort zum Jahr 5763

Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg

eisenberg

Ein Mann verirrte sich einmal in einem dichten Wald. Und je mehr er versuchte aus diesem Wald hinauszukommen desto tiefer verlief er sich. Da sah er plötzlich einen anderen Mann im Walde. Voller Freude lief er auf diesen zu, in der Hoffnung, dass der andere vielleicht den Weg aus dem Dickicht wisse! Doch seine Hoffnung wurde enttäuscht. Auch der andere hatte sich im Wald verlaufen und wusste keinen Ausweg! Doch dann sagte einer von ihnen: "Es ist doch gut, dass wir einander getroffen haben; denn jeder von uns weiß wenigstens einige Wege, die nicht aus dem Wald führen. Gehen wir von nun an gemeinsam und vermeiden wir diese falschen Wege. Dann werden wir hoffentlich gemeinsam den richtigen Weg finden!"

Wir stehen vor dem Beginn des neuen jüdischen Jahres 5763.

Wir Juden versuchen nicht mit Jubel und Trubel das alte Jahr zu vergessen, sondern reflektieren darüber und finden oft, dass auch wir nicht immer die richtigen Wege gegangen sind!

Auch in Israel, wo im letzten Jahr soviel Blut vergossen wurde, scheint es heute, als würde kein Weg aus dem dunklen Dickicht von Gewalt und Terrorismus herausführen. Doch ist für uns Juden das neue Jahr immer wieder auch ein Anlass zur Hoffnung.

Und so dürfen auch wir hoffen und sollten beten, dass der Ewige uns vielleicht den Weg weisen wird in ein besseres Jahr, ein Jahr der Gesundheit, des Erfolges und des Friedens!

Schana Towa!

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Neue Historiker schreiben die Geschichte um

40 Jahre nach dem Unabhängigkeitskrieg trat in Israel eine Generation "neuer Historiker" auf, die in den arabischen Ländern und von links- und rechtsextremen "Antizionisten" bejubelt werden. Es sind in der Regel nach 1948 geborene israelische Wissenschaftler, die sich in ihren Arbeiten auf die Jahre der Schaffung des Staates konzentrieren. Beny Morris (der seinen Standpunkt geändert hat), Avi Shlaim, Ilan Pappe und andere haben eine politisch-ideologische Agenda, mit der sie die "Mythen des Jahres 1948" zerschlagen wollen, indem sie die Geschichte umschreiben und wesentliche Fakten ausblenden. Zum Beispiel, dass in den Gebieten, in denen die Juden 1948 eine Niederlage erlitten, kein einziger Jude – auch kein antizionistischer orthodoxer – bleiben durfte und die jüdischen Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Die ersten Bücher der "neuen Historiker" erschienen Ende der 80er Jahre und sie markierten eine Trendwende. Die "alten" israelischen Historiker bemühten sich bereits seit Jahrzehnten die ideologische Sicht der Dinge abzulegen und die auch in anderen Ländern üblichen Methoden der Dokumentation und Analyse einzuführen. Kritisches Herangehen und ein erfrischender Skeptizismus wurden spürbar.

Während die einen in die Archive gehen und die primären Quellen erforschen, wie zum Beispiel Beny Morris und Avi Shlaim, erspart sich etwa Ilan Pappe meistens diese Arbeit, weil: Wir sind alle politisch, es gibt auf der ganzen Welt keinen Historiker, der objektiv ist. Ich bin nicht so sehr an dem interessiert was geschehen ist als an dem wie Menschen das sehen, was geschehen ist.

Pappe stellt wie andere "neue Historiker" das "israelische Narrativ" dem palästinensischen gegenüber, um das "zionistische Narrativ" zu verwerfen. Denn der Zionismus ist in ihren Augen mit einer "Ursünde" behaftet, als ein archaisches Überbleibsel des westlichen Kolonialismus, das früher oder später verschwinden wird, ist er eine räuberische und aggressive Bewegung, die die palästinensische Tragödie verursachte und für die Fortsetzung des Konflikts mit den arabischen Nachbarn verantwortlich ist. Die Shoa berechtigt nicht die Verwandlung von 750.000 Palästinenser zu Flüchtlingen, deklamierte Ilan Pappe, Lehrbeauftragter an der Universität Haifa, denn seiner Meinung nach sind die Palästinenser die "echten Opfer" der Shoa, als ob die Shoa dazu beigetragen hätte, dass die palästinensische Führung den Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen abgelehnt und einen Krieg gegen den jüdischen Jischuv begonnen hat.

Die "neuen Historiker" bemühen sich die Bedeutung der Shoa zu mindern, indem sie den Staat Israel und den Zionismus beschuldigen diese Tragödie auszunützen, sie das Verhalten der Soldaten oder von gewissen Gruppen in Israel mit den Aktionen der Nazi vergleichen, und sie aus den Palästinensern die "echten Opfer" der Shoa machen. Da sie nur die jeweiligen Narrative – also die individuelle Sicht bzw. Erfahrung der Geschichte – interessieren, sind für die "neuen Historiker" die genauen Daten und Abläufe von nachgeordnetem Interesse und Faktentreue beziehungsweise korrektes Zitieren ist nicht unbedingt ihre Sache.

In seinem Buch "Britain and the Arab-Israeli Conflict, 1948-1951", London 1988, behauptet Pappe eine transjordanische-israelische Verschwörung, deren gemeinsamer Nenner die Ablehnung der "Errichtung eines palästinensischen Staates" gewesen sein soll.

Tatsächlich gab es am 17.11.1947 ein geheimes Treffen von Golda Meirson (Meir) mit König Abdallah, in dem sie kategorisch jeden Vorschlag ablehnte, der im Gegensatz zu einem Beschluss der Vereinten Nationen stehen sollte. Meir vertrat provisorisch den Leiter der politischen Abteilung der Jewish Agency und hatte keine Ermächtigung irgendeine Vereinbarung mit König Abdallah zu treffen. Sie versuchte Abdallah zu überzeugen, sich nicht mit Gewalt gegen den zu erwartenden Teilungsbeschluss zu wenden und ihn über die Vorstellungen der Jewish Agency zu informieren. Kein Zweifel kann bestehen, dass die zionistische Führung Abdallah seinem palästinensischen Rivalen, dem Mufti von Jerusalem, Hadj Emin el Husseini vorzog, aber das bedeutete nicht, dass sie einen palästinensischen Staat ablehnte. Im Gegenteil, noch im Dezember 1948 – also ein Jahr nach der Teilung des Landes – haben David Ben Gurion und Mosche Scharet (Schertok) die Errichtung eines palästinensischen Staates gegenüber dem Anschluss der arabischen Teile des Landes an Transjordanien bevorzugt. Abdallah sah jedoch im Land Israel einen integralen Teil des Königreiches, das er sein ganzes Leben lang errichten wollte und im jüdischen Jischuv höchstens einen autonomen Teil dieses Königreiches, aber keinesfalls den Staat einer unabhängigen Nation.

Tatsache ist, dass die eindeutige Ablehnung des Teilungsbeschlusses durch die Führung der Palästinenser und der arabischen Staaten diesen Beschluss hat scheitern lassen, denn sie bevorzugten die gewaltsame Auseinandersetzung. Pappe schreckt nicht vor einer groben Geschichtsfälschung zurück, wenn er die 50minütige Begegnung Golda Meirson und König Abdallah so schildert: Im November 1947 traf König Abdallah die an der Spitze der politischen Abteilung stehende Golda Meirson (Meir) und schlug den Juden eine unabhängige jüdische Republik vor als ein Teil des haschemitischen Königreiches, zu dem Transjordanien und das ehemalige Mandatsgebiet gehören sollte. Nachdem dieser Vorschlag abgelehnt wurde, bat er um die Zustimmung zum Anschluss der von den Vereinten Nationen den Arabern zugesprochenen Gebieten. Die Vertreterin der Jewish Agency gab ihre Zustimmung für die Zusicherung des Königs, nicht den zukünftigen jüdischen Staat anzugreifen. Eine solche unterstellte Abmachung hätte nicht in einer einzigen lediglich 50 Minuten dauernden Besprechung getroffen werden können. Abgesehen davon war Golda Meirson gar nicht bevollmächtigt eine solche Abmachung zu treffen. Die Abmachung hätte von der Leitung der Jewish Agency bestätigt werden müssen. Was aber nicht der Fall war. Hier wurde eine seit den sechziger Jahren bestehende linke und rechte Mär aufgewärmt. Außerdem widersprechen die erbitterten Kämpfe der arabischen Legion gegen die israelische Armee 1948 einer solchen Verschwörung.

Für Pappe aber gibt es keine objektive Wirklichkeit, es gibt nur eine, die sich in den Augen des Betrachters widerspiegelt. Man kann also nicht über etablierte Fakten sprechen und überhaupt nicht über eine historische Wahrheit. Deswegen muss die Kommentierung auch nicht durch Fakten begrenzt sein, denn diese sind nichts anderes als von Historikern – deren vorgefaßten Meinungen ihr Herangehen an die Quellen bestimmen – erfundene Täuschungen. Laut dieser Auffassung ist Geschichtsschreibung immer nur eine subjektive Betrachtungsweise, allerdings glaubt Pappe, bei ihm sei diese Subjektivität aufgehoben, er und seine Genossen seien im Besitz der definitiven Geschichtsschreibung und ihr "Narrativ" bedeutet das Ende aller anderen Narrativen.

Anlässlich eines Symposiums an der Universität Tel Aviv erklärte Pappe, laut seiner Auffassung ist es die Aufgabe des Historikers weiter zu gehen als die Dokumente und diese zu ergänzen. Er verglich in einem Interview die Geschichtswissenschaft mit der Archäologie und meinte: Es gibt Abschnitte, die man selbst hinzufügt, denn man hat ja nicht alle Ergebnisse. Sie ergänzen also das Fehlende aus der Sicht der Gegenwart.

Da die Geschichtsschreibung aufhört die Vergangenheit zu schildern, weil es keine "sicheren" Fakten gibt, und die Phantasie und die Wirklichkeit vermischt werden, neigen die "neuen Historiker" dazu, in ihrer Geschichtsschreibung dem, was geschehen ist, das gleiche Gewicht zu geben, wie dem, das nicht geschah. Zum Beispiel werden Frage gestellt, wie: Weshalb kam es nicht bereits Anfang der 50er Jahre zu einem Friedensabkommen mit den arabischen Nachbarn? Weshalb wurde der Unabhängigkeitskrieg nicht verhindert? Weshalb wurde 1948 kein Palästinenserstaat errichtet? Warum hat die zionistische Führung nicht die Juden Europas gerettet?

Schon in der Formulierung der Frage gibt es eine Beschuldigung aus der Perspektive der Gegenwart. Vom Standpunkt der linken Sektierer werden die Helden von Gestern zur Verantwortung gezogen nicht nur für das, was sie getan haben, sondern auch für das, was sie nicht getan haben und das vor einem gnadenlosen Gericht von Leuten, die sicher wissen sie hätten mit mehr Vernunft und moralischer gehandelt. In den Augen der "neuen Historiker" ist die Geschichte eine Kette von Irrtümern und versäumten Gelegenheiten.

Aber die Geschehnisse, die nicht geschahen, sind keine Historie, denn weil sie nicht geschehen sind, wissen wir auch nicht was die Resultate gewesen wären wenn sie stattgefunden hätten. Wer könnte sagen, was passiert wäre, wenn Israel 1949 alle Flüchtlinge wieder aufgenommen hätte? Hätte dies tatsächlich zu einer Versöhnung mit den Nachbarn geführt oder zur Vernichtung des Staates?

Solche Fragen können endlos gestellt werden. Doch die Aufgabe der Historiker ist es zu dokumentieren, zu analysieren und einzuschätzen, was geschehen ist und nicht darüber zu spekulieren, was nicht geschehen ist.

Karl Pfeifer

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Arabischer Antisemitismus

Es gibt einen arabischen Antisemitismus, der dem des "Stürmer" in Bild und Wort zum Verwechseln ähnlich sieht. Es ist ein Antisemitismus, in dem sich Nationalismus, religiöser Fundamentalismus, ethnische Vorurteile, sekulärer Judenhass unter dem Deckmantel des Antizionismus verbinden. Es geht dabei aber nicht darum, Israel als Staat zu delegitimisieren, sondern dem Judentum und den Juden als solchen das Menschentum abzusprechen.

Arabische Intellektuelle und westliche antizionistische Gutmenschen, die um keinen Preis die Existenz eines arabischen Antisemitismus wahrhaben wollen, behaupten gerne, dass zwischen Juden und Zionismus ein scharfer Unterschied gemacht werde. War dies schon in der Vergangenheit kaum der Fall, so wurde durch die Menge und Intensität der antijüdischen Ausritte in Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, im täglichen Leben (nicht zu vergessen die Freitagspredigten), Tonbandkassetten usw. die geringfügige Anzahl derer, die differenzieren, mundtot gemacht. Über 50 Jahre lang wurde der Ausdruck Jude (yahuda) als Synonym für Zionist (Sahyuniyyun), Israelis oder Kinder Israels ( banu Israil) verwendet.

 

Von Marokko bis zu den Golfstaaten und Iran ergießt sich eine Flut von ätzenden Karikaturen und Aussprüchen, in denen die Juden als Dämonen und Mörder, als verabscheuungswürdige, hassenswerte Untermenschen aufscheinen, die die moslemische Gesellschaft unterminieren wollen, um schließlich die Weltherrschaft anzutreten. Die bildlichen Darstellungen eines dunklen, bärtigen, langnasigen Geschöpfes unterscheiden sich in nichts von den Darstellungen im Stürmer. Der Judaismus ist eine abwegige, unmoralische Religion, voll von Lügen und Blutritualen, während die Zionisten als verbrecherische Rassisten und Nazi dargestellt werden.

Der wahre Konnex zum Nazismus verläuft freilich anders:

So ist der Schulterschluss des Großmufti von Jerusalem mit Hitler und Himmler ausführlich dokumentiert. Der Beispiele gibt es noch mehrere: Die Protokolle der Weisen von Zion, ein infames Machwerk des russischen und europäischen Antisemitismus, von der Nazipropaganda rücksichtslos eingesetzt, wurde in arabischen Ländern wiederholt aufgelegt und so im mainstream arabischen Denkens rezipiert.

Mit der apodiktischen Behauptung, bei den Protokollen handle es sich um ein zionistisches Manifest zut Welteroberung wurden die Vorstellungen von einer geheimnisvollen, unkontrollierbaren Supermacht fokussiert. Vor wenigen Monaten wurden in Ägypten die Protokolle in einer millionenteuren 30 teiligen Radio- und Fernsehserie dramatisiert, um die Zuseher mit der Strategie, die bis heute die Politik und den Rassismus der Zionisten charakterisieren, vertraut zu machen.

Bei der sogenannten Antirassismuskonferenz in Durban in Südafrika (sie schloss nur 48 Stunden vor dem Terroranschlag in New York ) wurde über Betreiben arabischer, palästinensischer und moslemischer Organisationen ein Schlüsselparagraph, der sich mit dem Antisemitismus befasste, eliminiert, während gleichzeitig ein Flugblatt zirkulierte, das ein Bild Adolf Hitlers mit der Überschrift zeigte: Wenn ich gewonnen hätte, dann würde heute kein Blut der Palästinenser fließen.

Mit der Erwähnung Hitlers schließt sich der Kreis zwischen Nazismus und dem, was man als den islamischen Faschismus bezeichnen könnte.

Gewiss, der Nazi-Antisemitismus hat einen Prozess der Islamisierung durchgemacht, man bedient sich zur Rechtfertigung des Terrorismus jetzt der Koranverse, und zitiert nicht aus "Mein Kampf", aber die geistigen Strukturen und ihre Weltsicht haben verblüffende Parallelen mit dem Nazismus. Es fließt alter Wein in neuen Schläuchen

Die moslemischen Fundamentalisten argumentieren ebenso wie die Nazis gegen die anonymen Kräfte des Weltjudentums und den ihm hörigen, plutokratischen Westen, symbolisiert durch das World Trade Center und New York. Wie ihre totalitären Vorläufer behaupten sie, für die unterprivilegierten und verarmten Massen zu sprechen, die von den traditionellen, arabischen und moslemischem Führungseliten im Dienste des internationalen Kapitalismus ausgebeutet werden. Für die radikalen Moslems ist das jüdische New York zusammen mit dem zionistischen Staat Israel die Verkörperung eines satanischen Bösen, ebenso wie die Wall Street für die Nazis der Inbegriff der Plutokratie und des internationalen vaterlandslosen Judentums war.

Wenn man auch nicht verneinen kann, dass es in der Geschichte Perioden der islamischen Toleranz gegeben hat, und die Juden unter den Moslims weniger Verfolgungen ausgesetzt waren als unter den Christen, so lassen sich doch viele der zeitgenössischen, antisemitischen Klischees auf den Koran und frühislamische Quellen zurückführen.

Im Prinzip waren die Juden Schutzbefohlene, das heisst gegen eine Steuer konnten sie ihre Religion frei ausüben, genossen ein gewisses Maß an persönlicher Sicherheit und durften sich in Gemeinden selbstverwalten. Dafür war ihnen verboten Waffen zu tragen, Pferde zu reiten, neue Kultstätten zu errichten, sie mussten sich auf bestimmte Art kleiden (der gelbe Judenstern hat seinen Ursprung in Bagdad und nicht im europäischen Mittelalter). Viel öfter als man allgemein vermeint waren sie Opfer von Erniedrigung und Verfolgungen, besonders im 11. und 12. Jahrhundert. Dies veranlasste Maimonides, den berühmten Philosophen, sich bitter zu beklagen über die "Kinder Ismaels, die uns grausam verfolgen und immer neue Mittel finden, um uns zu verletzen und zu erniedrigen". Gewalttätigkeiten gegen Juden ereigneten sich besonders in den weiter entfernten Ländern wie Marokko, Iran, Yemen bis ins 20. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert kam es auch in anderen islamischen Ländern zu Pogromen, hervorgerufen durch die Blutlügen, die von griechisch-orthodoxen Christen im ottomanischen Reich in die Welt gesetzt worden waren. So in Smyrna 1872 und zwei Jahre später in Konstantinopel. Blutlügen hatten vorher zu Pogromen in Beirut 1824, Antiochia 1826, Hama 1829 und in Damaskus 1840 geführt.

Die koranischen Aussprüche über die Juden waren alles andere als freundschaftlich. Im Koran finden sich Passagen, in denen Mohammed die Juden als Feinde des Islam brandmarkt und ihnen eine übelwollende, aufrührerische Gesinnung unterstellt. Es galt, sie zu erniedrigen, da sie dem Zeichen Gottes nicht geglaubt hätten und die Propheten zu Unrecht getötet hätten! (Sure zwei, 61/58) Der Koran wirft ihnen besonders vor, dass sie Mohammed zurückgewiesen hätten, obwohl sie nach moslemischer Auffassung wussten, dass er ein Prophet gewesen sei, vermutlich aus Neid gegenüber den Arabern, weil er kein Jude gewesen war. Dieses Verhalten wird heute als typisch für den falschen und tückischen Charakter der Juden zitiert.

Die palästinensische Hamas, die sich aus den ägyptischen Moslembrüdern entwickelte, beruft sich als Inspiration für den gegenwärtigen Vernichtungskrieg gegen Israel in ihren Flugblättern auf die Eroberung von Kaibar – eine Oase – im Jahr 628, wo die verräterischen Juden von Mohammed vernichtet worden waren.

Wenn es um die jüdische Weltverschwörung geht, kann man auch wieder auf die Weisen von Zion zurückgreifen.

Die Charta der Hamas aus dem Jahre 1988, Artikel 32, hält fest:

Für die Zionisten hat das Ränkeschmieden kein Ende, und nach der Eroberung Palästinas werden sie sich vom Nil bis zum Euphrat ausdehnen wollen. Ihr Plan ist in den Protokollen der Weisen von Zion niedergelegt, ihr gegenwärtiges Verhalten ist der beste Beweis für das, was darin gesagt wird. Die Juden werden von der Hamas ganz offen beschuldigt, dass sie den Reichtum der Welt und die Massenmedien kontrollierten und dass sie, um ihre zionistischen Ziele zu verwirklichen, sowohl die französische wie auch die russische Revolution angezettelt hätten, ebenso wie die beiden Weltkriege. Sie gründeten geheime Organisationen, Lions Klub, Rotarier, Freimaurer zum Zweck der Subversion und Spionage. Die Juden zerstörten absichtlich das islamische Kalifat um die Welt durch ihre Mittelsmänner zu regieren Derselbe Radikalismus inspiriert die schiitischen Hisbollah im Libanon in ihrer bedingungslosen Ablehnung der Existenz Israels. Ihre Sicht der Juden als älteste und erbittertste Feinde des Islam geht auf die Predigten des Ayatollah Khomeini und die enge Symbiose mit der islamischen Republik Iran zurück.

Der derzeitige syrische Verteidigungsminister Tlas (im Amt seit 1972), der seit Jahren die mittelalterlichen Verleumdungen, dass die Juden das Blut von christlichen Kindern trinken, verbreitet, schreibt in seinem zu einem Klassiker gewordenen Buch "the Matzo of Zion", herausgekommen 1983: "Die Juden können dich und unser Blut nehmen, um das zionistische Brot zu bereiten. Hier öffnet sich uns eine Seite, die schlimmer ist als das Verbrechen selbst: Der religiöse Glaube der Juden mit seinen Entartungen, der aus einem dunklen Hass gegen die Menschheit und alle Religionen genährt wird."

Der islamische Antisemitismus hat sich mit Lichtgeschwindigkeit unter den moslemischen und arabischen Emigranten in den westlichen Demokratien verbreitet. Diese Emigranten transportierten die antisemitische Programmierung mit sich, die sie in ihren Ländern und Kulturen eingepflanzt erhalten hatten, sie wurde verschärft durch die mediale Aufbereitung des eskalierende Nahostkonflikts. Im September und Oktober 2000 kam es zu einem alarmierenden Anwachsen moslemisch-arabischer Übergriffe auf Diasporajuden besonders in Europa, zu Brandlegungen an Synagogen, Friedhofsschändungen, physischen Angriffen, Briefbomben, verbalen Beleidigungen, Einschüchterungen, Bedrohungen.

Ebenso schnell wurde innerhalb der moslemischem und arabischen Gesellschaften die Schuld für die terroristischen und Anthraxattentate der israelischen Regierung und dem Mossad in die Schuhe geschoben. Der syrische Botschafter in Teheran erklärte unter Berufung auf "zweifelsfreie Quellen", dass die Israelis in diese Vorfällen involviert waren. Am Tag des Attentats sei kein jüdischer Angestellter im World Trade Center anwesend gewesen!

Nach dem syrischen Regierungsblatt Al Tahwra versuchte MP Scharon auf diese Art die Aufmerksamkeit von seinem agressiven Vorgehen gegen die Palästinenser abzulenken.

Es ist bezeichnend, dass der Terroranschlag vom 11. September in vielen Teilen der moslemischen Welt, einschließlich der Palästinensischen Verwaltungsbehörden mit lautem Beifall bedacht wurde. Zum Beispiel hat der Mufti von Jerusalem in seiner Freitagspredigt in aller Öffentlichkeit zur Zerstörung von Israel und den USA aufgerufen.

Oh Allah, zerstöre Amerika, denn es wird von zionistischen Juden beherrscht. Allah wird das Weiße Haus schwarz färben!

Ebenso bezeichnend ist allerdings auch die Zurückhaltung der westlichen Medien, wenn es darum geht, den heutigen Terrorismus gegen Israel und den Westen auf seine ideologischen Wurzeln im Islam zurückzuführen. Der Antisemitismus wird höchsten als eine Fußnote im derzeitigen Sturm des Antiamerikanismus oder als eine politische Opposition zu Israel gesehen. Dabei ist der blinde Hass gegen die USA und den Westen vom Terrorismus gegen Israel und die Juden nicht zu trennen.

Sogar die weit verbreitete Behauptung, der Holocaust sei eine Erfindung der zionistischen Juden gewesen, stößt im Westen kaum auf Beachtung.

Bereits 1983 war ein Buch von Mahmmoud Abbas erschienen mit dem Titel: "Die andere Seite. Die geheimen Verbindungen zwischen dem Nazismus und der zionistischen Bewegung". Darin wird festgestellt, dass die Zahl der jüdischen Opfer in der Shoa weniger als eine Million betragen hätte. In Iran erklärte Ayatollah Ali Khameini kürzlich: Es gibt Beweise, dass die Zionisten enge Verbindungen mit den deutschen Nazis hatten und die Zahl der jüdischen Opfer übertrieben. Es gibt auch Beweise, dass eine große Anzahl nichtjüdischer Hooligane und Verbrecher aus Osteuropa gezwungen wurden, als Juden nach Palästina zu emigrieren, um unter dem Vorwand der Unterstützung von Opfern des Rassismus im Herzen der islamischen Welt einen Staat zu errichten.

Der Mufti von Jerusalem, Scheich Ikrima Sabri, erklärte der New York Times im März 2000: Wir halten die Zahl von sechs Millionen getöteter Juden für übertrieben. Die Juden benützen diese Zahl um die Deutschen finanziell zu erpressen: Der Holocaust schützt Israel. Nach der ägyptischen Zeitung Al Ahkbar diente das zionistische Holocaust-Komplot" dazu die Juden zur Emigration nach Israel zu motivieren und um einerseits die Deutschen zu erpressen, andererseits Unterstützung für die Juden in der ganzen Welt zu organisieren.

Mahmud al Khalid in der jordanischen Zeitung al Arab al Yom verlässt sich mehr auf die Argumente westlicher Holocaustleugner: Hitler ermordete ungefähr 300.000 Juden, aber nicht, weil sie Juden waren, sondern eher weil sie Deutschland verrieten.

 

Israel verkörpert im arabischen Sprachgebrauch gewissermaßen einen Nazismus zum Quadrat. Laut Präsident Assad von Syrien ist Israel rassistischer als die Nazis und Saddam Hussein bezeichnet das "Zionistische Gebilde" als einen Krebs oder einen AIDS-Virus, der vollständig ausgelöscht werden muss. Für ihn und die moslemischen Fundamentalisten gilt: Palästina ist arabisch und muss vom Jordan bis zum Meer gesäubert werden, alle Zionisten die in das Land Palästina ein gewandert sind, müssen es verlassen.

Das Denken der Fundamentalisten und der arabischen Nationalisten in der ganzen Welt ist von der fixen Idee einer jüdischen Weltverschwörung besessen. Internationale Finanzverflechtungen, Globalisierung, Säkularismus, Zionismus, Kommunismus alles sind okkulte Kräfte, die von einem einzigen, riesigen Octopus, dem "internationalen Judentum", dirigiert werden. Das Gespenst einer solchen Verschwörung erleichtert auch den Arabern, ihre Traumata nach den Niederlagen, die sie durch den Westen und Israel erlitten hatten, zu sublimieren.

Gewiss verleiht der israelisch-palästinensische Konflikt dem arabischen Antisemitismus eine besondere Note. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm eine Eigendynamik innewohnt und dass ihm ideologische Strukturen eigen sind, die tiefer liegen als Tagespolitik, Territorialkonflikte, Besitzansprüche oder die Instrumentalisierung von aus dem Westen importierten antijüdischen Stereotypen für tagespolitische Propagandazwecke.

Robert S. Wistrich

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Kultur des Erinnerns

Seit zehn Jahren arbeitet der Verein Gedenkdienst in Österreich
Zum Jubiläum ist der Sammelband "Jenseits des Schlussstrichs" erschienen

Die Erinnerungsarbeit an Nationalsozialismus und Holocaust blieb über Jahrzehnte hindurch den Opfern des Regimes und des Vernichtungsplanes vorbehalten. Das gilt für Museen, Mahnmale und für die Literatur gleichermaßen, während in den Nachfolgestaaten des Dritten Reiches, in Deutschland und Österreich, vergleichsweise wenig Trauer- und Erinnerungsarbeit geleistet wurde, und man bis heute kaum von einer entwickelten Erinnerungskultur sprechen kann. Spät errichtete und vergleichsweise wenige Mahnmale, die an die Verbrechen erinnern, späte Empathie mit den Opfern und lückenhafte Auseinandersetzung mit den Tätern waren das Umfeld für die dritte und vierte Generation in Deutschland und Österreich, die in den 1970er und 1980er Jahren aufgewachsenen Enkeln und Urenkeln der einstigen Täter und Täterinnen, bei denen man nie sicher sein konnte, ob sie ihren Taten wirklich abgeschworen hatten.

Von Vertretern dieser Generation liegt nun ein im Wiener Löcker-Verlag unter dem Titel Jenseits des Schlussstrichs veröffentlichter Sammelband vor. Vier aus dem Umfeld des Gedenkdienstes stammende Herausgeber nahmen das heurige 10-jährige Bestandsjubiläum des Vereins Gedenkdienst zum Anlass für eine ausführliche Diskussion über die Bedeutung von Nationalsozialismus und Holocaust für Nachgeborene. Das Besondere an dem Band ist, dass Herausgeber und Autoren sich der Introspektive stellen, dass nicht der Umgang anderer mit dem historischen Erbe von Nationalsozialismus und Holocaust, sondern der erstmals eigene kollektive Umgang – die Selbstreflexion – im Vordergrund steht.

Im ersten von insgesamt fünf Kapitel setzen sich Wissenschafter mit Strategien der Nachgeborenen auseinander. In einem programmatischen Artikel thematisiert der Bochumer Professors Norbert Frei, der sich erst vor kurzem um die Nachfolge des Zeithistoriker-Lehrstuhl von Anton Staudinger beworben hatte, den mit dem Wegsterben der Zeitzeugen eingetretenen Generationenwechsel – "Erbantritt" – und die damit verbundenen Aufgaben für die Geschichtswissenschaft. Die Wiener Zeithistorikerin Margit Reiter, Habilitationsstipendiatin im Rahmen des Charlotte Bühler-Stipendiums, analysiert in ihrem Beitrag die zweite Generation in Österreich und weist sowohl auf Unterschiede zwischen der BRD wie auch zwischen den Generationen und Geschlechtern hin. Einer aktuell brisanten Fragestellung geht Brigitte Bailer-Galanda, Historikerin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands und Mitglieder der Historikerkommission, in einem Essay über Restitution nach: Warum sollen Generationen zahlen, die nichts verursacht haben?, während der israelische Psychologieprofessor Dan Bar-On (Ben Gurion-Universität) mit seinem Beitrag über Mitläufer als Opfer, Helfer und Täter einen thematischen Bezug zu sozialpsychologischen Fragen der Gegenwart herstellt. Alexander Joskowicz, Doktorand an der Universität von Chicago, analysiert die jüdischen Gedenkdiskurse der fünfziger und sechziger Jahre, und berichtet von den mitunter verzweifelten Versuchen der Israelitischen Kultusgemeinde und ihrer Repräsentanten, eine positive jüdische Identität in Österreich zu schaffen. Als Quellenmaterial für zukünftige Forschungen kann das Interview mit Franz Vranitzky, dem früheren Bundeskanzler und Proponenten des österreichischen Paradigmenwechsels im offiziellen Vergangenheitsdiskurs, gelten.

Während im ersten Kapitel vor allem grundsätzliche Beiträge zu finden sind, geht es im zweiten Kapitel um die Details der – mit diesem Buch erstmals öffentlich zugänglichen – Gedenkdienstarbeit. Individuelle Zugänge, Motivation, Institutionalisierung, das Vorbild der deutschen Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Nachfolgeprojekte, deren Anzahl ebenso überrascht wie das vielfältige Spektrum der Aktivitäten, werden ebenso beschrieben wie das Verhältnis zur FPÖ. Darauf und auf das erste Kapitel aufbauend folgen drei Kapitel, die sich mit den Arbeitsfeldern im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im Allgemeinen und im Rahmen des Gedenkdienstes beschäftigten: die Begegnung mit Überlebenden des Holocausts, die Zeitgeschichteforschung und die pädagogische Vermittlung. Artikel von in diesen Bereichen etablierten Wissenschaftern stehen Beiträge von Gedenkdienst-Mitarbeitern gegenüber. Die Information über Gedenkdienst wird mit einem detaillierten Anhang über die Einsatzstätten ergänzt.

Dass der Band im Jahr 2002 erschienen ist, mag – 57 Jahre nach Kriegsende und Fall des Nationalsozialismus – anachronistisch anmuten. Ein Eindruck, der spätestens mit der Lektüre des Buches schwindet und sich geradezu ins Gegenteil umkehrt. Die Auseinandersetzung mit NS und Holocaust ist noch lange nicht abgeschlossen – anachronistisch erscheinen da eher die zuletzt von Martin Walser und Rudolf Burger postulierten und von Politikern allzu gern aufgegriffenen Metaphern vom Schlussstrich. Das belegt auch ein im Herbst dieses Jahres im Berliner Philo-Verlag erscheinender Sammelband mit Beiträgen deutscher Autoren – hervorgegangen aus einer zweisemestrigen Seminarreihe über die "Bedeutung des Holocaust für die dritte Generation" an der Freien Universität Berlin. Auch mit diesem Band reklamieren sich Angehörige der dritten Generation in die Diskussion.

J. N.

Martin Horváth, Anton Legerer, Judith Pfeifer, Stephan Roth (Hg.): Jenseits des Schlussstrichs. Gedenkdienst im Diskurs über Österreichs nationalsozialistische VergangenheitLöcker Verlag 2002, 335 Seiten, EUR 25, ISBN 3-85409-367-5.

Jens Fabian Pyper (Hg.): Uns hat keiner gefragt. Positionen der dritten Generation zur Bedeutung des Holocaust, Philo Verlag 2002, 291 Seiten, EUR 19,90, ISBN 3-8257-0247-2.

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Antiisraelisches Sommergespräch

Die Wiener Grünen luden am 21. August im Rahmen ihrer "Sommergespräche" unter dem Motto "Gewalt der Globalisierung – Globalisierung der Gewalt" zu einer Diskussion über den "Krieg ums Heilige Land". Schon die Einladungspolitik wies auf die Motive der VeranstalterInnen: Mit Uri Avneri und Felicia Langer sollten zwei militante AntizionistInnen sich wechselseitig im Glauben an den verbrecherischen Charakter der israelischen Politik gegenüber den PalästinenserInnen bestärken. Avneri, der unlängst im Interview mit der Zeitschrift Context XXI die palästinensischen Lynchmorde an vermeintlichen "Kollaborateuren" legitimierte und Arafat als Anführer der palästinensischen "Friedensbewegung" bezeichnete, sagte jedoch ab. In der Folge suchten die Grünen nach einem geeigneten Konterpart zu Langer. Dem Vorschlag, doch mit dem Journalisten Karl Pfeifer einen ausgewiesenen Kenner Israels und des Konfliktes aufs Podium zu bitten, sind sie jedoch nicht nachgekommen. Es ist wohl Pfeifers Bekanntheit als streitbarer Kritiker des Antizionismus, die seiner Einladung im Wege stand. So saß die israelische Kommunistin, die 1990 nach Deutschland übersiedelte, mit Ulrike Lunacek, der außenpolitischen Sprecherin der Grünen im Nationalrat, alleine am Podium. Schon bei der Ankunft im "Grünen Haus" wurde deutlich, welcher Geist an diesem Abend dort wehte: Vor dem Eingang stand ein Kleinbus, geschmückt mit der Parole "End of Zionism is Peace". Den mit diesem Bus angepackten Inhalt breiteten AktivistInnen auf einem riesigen Büchertisch aus. Das Angebot umfasste u.a. die Schriften des stalinistischen Antisemiten Karam Khella und der rechtsextremen Islamexpertin Sigrid Hunke. Im zum Bersten vollen Saal tummelten sich antiimperialistische KämpferInnen, tatsächliche wie vermeintliche MenschenrechtsaktivistInnen, ganz gewöhnliche ÖsterreicherInnen und Aktivisten der Palästinensischen Gemeinde in Österreich, die auf ihrer homepage behauptet, der Zionismus sei schlimmer als der Nationalsozialismus. Ein älterer Herr konnte sich nicht halten und drückte gegenüber den ZuhörerInnen neben ihm, die er als Juden und Jüdinnen zu identifizieren meinte, seinen Vernichtungswunsch aus. Nach massiven Protesten mussten die VeranstalterInnen den dann doch zu offenen (und österreichischen) Antisemiten des Saales verweisen. Eine, ob des massiven Widerspruches von einigen ZuhörerInnen sichtlich konsternierte Frau Langer beschrieb die "Kriegsverbrechen" der Israelis, gab diesen die Schuld an den Terroranschlägen und setzte auf das bewährte Kindchenschema: Auf die Wand projizierte sie Agenturfotos mit süßen palästinensischen Kindern vor zerstörten Häusern. Den Reichsadler schoss die Wahldeutsche mit ihrer Verteidigung Möllemanns ab. Dieser sei, so Langer, kein Antisemit und habe Recht, wenn er Israel des "Staatsterrors" bezichtige. Das war jetzt sogar Lunacek, die sich zuvor für einen Boykott israelischer Waren aus den "besetzten Gebieten" stark machte, zu viel: Nicht jedes Motiv hinter der Kritik an Israel sei ein redliches. Rund ein Viertel der ZuhörerInnen teilte die antizionistische Sicht auf den "Nahost-Konflikt" nicht. Weil diese ihren Unmut über den Charakter der Veranstaltung immer wieder lautstark kundtaten, wurden sie vom Moderator als "Störenfriede" abgetan. Als einige kritische Fragen der Beantwortung seitens des Podiums harrten und mit Prof. Rudi Gelbart ein prominentes Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde das Wort ergreifen wollte, wurde die Veranstaltung kurzerhand abgebrochen. In den Berichten aus diesem Milieu wurden aus den KritikerInnen des antiisraelischen Konsens erwartungsgemäß "gewalttätige Zionisten". Aber auch die regierungsamtliche Wiener Zeitung hat einen Zionistenriecher: Von "lauten Beschimpfungen Langers seitens zionistischer Publikumsteilnehmer" war dort die Rede. Ja, wenn es gegen Israel geht, gibt es keine Parteien mehr...

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Hitler-Wagner-Diagonale

Hitler, wie alle eher bescheidenen Geister, denen ein unvermutetes Schicksal Aufstieg zum Dämonischen gewährt, benützte zeitentrückte Autoritäten, die das Dritte Reich aufbereiteten – vielleicht um die Beklemmung über den eigenen Übermut zu beruhigen. Richard Wagner war eine solche Ikone. Er war ohne Frage ein begnadeter Künstler, der sozusagen nebenberuflich den Antisemitismus pflegte. Dies hätte ihm wahrscheinlich im kritischen Buch der Geschichte eine schlechte Sittennote eingetragen, im Übrigen wäre man aus Respekt vor seiner Musik diskret darüber hinweggegangen. Das große Mayer Konversationslexikon, ebenso wie der große Brockhaus Jahrgang 1897 widmen ihm mehrere Seiten, nicht ein einziges Mal wird die Judenfrage auch nur gestreift. Immerhin war Wagner ja auch Demokrat gewesen, durch die Revolution des Jahres 1848 zur Emigration gezwungen. Zur Kultfigur eines deutsch- nationalen Mythos wurde er durch seine Anbeter und vor allem durch die Mitglieder seines Klan hochstilisiert, der sich zum ausschließlichen Kurator seiner musikalischen und weltanschaulichen Hinterlassenschaft (wohlverstanden mit allem Prestige und manchmal, nicht immer aber doch öfters, den Tantiemen ) machte. Mit den Festspielen inszenierten sie einen Gral der deutschen Kunst, Bayreuth wurde zur nicht mehr wandelbaren Vollendung des arischen Mysteriums.

Zum Klan gehörte auch der unselige Chamberlain, Schwiegersohn Wagners, der mit seinen "Grundlagen des 20. Jahrhunderts" die Rechtfertigung für einen nationalen und antisemitischen Kannibalismus lieferte. Das, was Rabauken wie ein Schönerer in Wien in der Gasse und der Gosse betrieben, machte er salonfähig. Wagner und Chamberlain firmierten gewissermaßen Marx und Engels der neuen völkischen antisemitischen Heilslehre.

Es ist glaubhaft, dass Hitler zu Wagners Kunst einen echten Zugang hatte und ihr mit Ehrfurcht begegnete. Seit seiner Haftentlassung besuchte er regelmäßig als persönlicher Gast des Hauses Wagner bis 1940 die Festspiele. Die Teilnahme an ihnen war eine Art Pilgerreise zu einem Gnadenort. Als Ergänzung zu den profanen Parteitagen dienten sie als das sakrale Hochamt. Denn laut Wagner (in "Das Kunstwerk der Zukunft") ist das Kunstwerk die lebendig dargestellte Religion. Recht bedauerlich freilich, dass die Nazibonzen, wenn sie nach Bayreuth in Marsch gesetzt worden waren, sich statt in diese höheren Sphären zu erheben, auf dem Boden der Wirklichkeit blieben und geräuschvoll einschliefen. Aber das waren eben die Kolateralerscheinungen einer dem untauglichen Objekt applizierten Droge. Jedenfalls sorgte Hitler dafür, dass die Festspiele auch während des Krieges so lange wie nur möglich, bis 1944 durchgeführt werden konnten.

Eine ganz zentrale Rolle spielte dabei Winifried Wagner.

Wie Hitler dezidiert erklärte, hatte sie Bayreuth dem Nationalsozialismus erschlossen. Siegfried, Richard Wagners Sohn sei zu sehr in den Händen der Juden gewesen. Hatte Wagner ein künstlerisches Erbe hinterlassen, so war Winifred Wagner eine ebenso außergewöhnliche Masseverwalterin.

Ihre Lebensgeschichte ist das, was man eine Erfolgsstory par excellence nennen würde. Sie kam als herumgestoßenes Waisenkind, von einer schweren Hautkrankheit geplagt, aus England zu Zieheltern nach Deutschland, wurde durch den Ziehvater, einem enthusiastischen Wagnerianer in das Haus Wagner eingeführt und heiratete 1915 mit 18 Jahren Siegfried, den Sohn Richard Wagners. Mit einer Behändigkeit sondergleichen identifizierte sie sich mit dem Wagner Kult in Bayreuth, nach dem Tod Siegfrieds 1923 monopolisierte sie ihn. Ihre nicht zu bremsende Betriebsamkeit katapultierte sie in die obersten Fünfhundert des Musikbetriebes. In ihrer Freizeit setzte sie vier Kinder in die Welt.

Zu Hitler hatte sie eine besondere Beziehung, sie war eine der ganz wenigen Menschen, mit denen er sich duzte. Hitler konnte durchaus charmant sein, dies erleichterte vielen, die ihm begegneten, die Verblendung, dass er der Gütige, Verständnisvolle war, und nur die Kamarilla um ihn für die Exzesse verantwortlich zeichnete. Stereotyper Satz: Wenn der Führer das wüsste. Vor allem der Wunsch nach einer Art Familienleben wurde Hitler im Hause Wagner mit den Kindern, die ihm ohne Scheu begegneten, erfüllt. In einer so entspannten Atmosphäre konnte er die Kunst Wagners stimulierend auf sich wirken lassen. Dass er für attraktive Frauen ein Faible hatte, ist ebenfalls bekannt und Winifred wieder konnte die Rolle einer repräsentativen Dame von Welt, die in der Nazihierarchie so selten war, erfolgreich übernehmen Im Gegenzug nützte sie ihre Freundschaft mit ihm bis zum Letzten für ihre Lebensaufgabe aus. Dabei war sie mit seiner Politik, seinem Antisemitismus, dem großdeutschen Nationalismus, wohl um beträchtliches weniger dem Sozialismus, seiner antirepublikanischen, antidemokratischen Einstellung durchaus einverstanden. Das war die eingefleischte Haltung der Familie Wagner. Es ist kein Widerspruch, wenn sie, in ihrer Egomanie, mit einigen der Bonzen kräftig in Konflikt geriet, die da glaubten sich über sie hinwegsetzen zu können, wenn sie sich für Verfolgte und Juden bei Hitler direkt einsetzte, wenn sie in jüdischen Geschäften einkaufte.

Göring wird der Ausspruch zugeschrieben: Wer ein Jud ist bestimm ich. So dürfte auch Winifred gedacht und jedenfalls gehandelt haben.

Das ist nicht gleich die Ablehnung des Bösen, sondern der Stolz, über der Disziplin für die Masse zu stehen. Die große Freiheit, zu sagen, alles, was für die misera plebs gilt, gilt natürlich nicht für mich, ist verlockend.

Dennoch, ihre tatkräftige Hilfe für Verfolgte und Juden, im Spruchkammerverfahren nach dem Krieg vielfach belegt, ist nun einmal eine Tatsache. Sie führte, das ist nicht beweisbar, man kann es aber vermuten, wenn schon nicht zu einem Zerwürfnis mit Hitler, so doch zu einer Abkühlung, da er offenbar ihrer Interventionen und Klagen, die sie im Bewusstsein ihrer Sonderstellung ziemlich ungeniert vorbrachte, als Belästigung empfand. Sie sahen sich 1940 zum letzten Mal.

Bemerkenswert, dass sich eine der Töchter, ganz vom Geist der Familie emanzipierte, emigrierte und sich einer Antinazipropaganda widmete.

Winifred war von der Vision Bayreuth besessen und betrachtete aus dieser einseitigen Perspektive Hitler als Retter und Förderer. Sie blieb Hitleranhängerin bis zu ihrem Tode. Das verleiht ihr eine gewisse Originalität, denn besonders nach dem Krieg war ja niemand ein Nazi gewesen. So zum Beispiel ihr Sohn Wieland, der mit Hitler zu einer Zeit, da dessen Beziehungen zur Mutter bereits eingefroren waren, sogar im Führerhauptquartier Inszenierungen durchbesprach, zu denen Hitler dem Vernehmen nach Bühnenbilder entwarf. Nach dem Krieg konnte sich Wieland vor lauter Antinazismus nicht beruhigen.

Von mancher Seite (vor allem von einem Enkelsohn Winifreds) wird Hamann der nachsichtige Umgang mit Winifreds Nazismus vorgeworfen.

Gewiss hat jemand, der wie Winifred meinte, über der Masse zu stehen, der der Menschheit über das Medium der Kunst höhere Werte zu vermitteln unternimmt, eine weitaus höhere Verantwortung als irgendein Biertischantisemit. Winifred ist jedenfalls zugute zu halten, dass sie nie finanziellen Vorteil direkter Art gezogen und nie jemanden denunzierte oder schädigte. Wie weit man dies als "mildernde Umstände" für Winifred gelten lassen will, darüber urteilt die Autorin nicht mit Keulenschlägen, sondern lässt die Fakten für sich sprechen. Aber ein Biograph muss ja nicht unbedingt Oberlehrer sein, er kann schließlich auch dem Leser ein Urteil zumuten.

Als satyrische Garnierung gibt Hamann auch noch Einblick in die Positionskämpfe und Intrigen innerhalb der Familie, Winifred gegen Cosima, alle gegen die Schwestern Siegfrieds, dann die Kinder Winifrieds gegen die Mutter, (Wolfgang als Nachfolger Wielands verbot ihr wegen unverbesserlichem Nazismus den Zutritt zum Festspielhaus), und das Gerangel der Kinder untereinander. Immer ging es um Bewahrung des hehren, vom Meister übertragenen Auftrag. Schwer zu entscheiden, wie sehr dieser nur Vorwand für Eitelkeit und Geld war. Aber Wagner selbst war ja auch beiden nicht abhold. So blieb diese Tradition jedenfalls gewahrt.

Heimo Kellner

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Alte Liebe rostet nicht

Ein anderer Arthur Koestler (1905 – 1983)

 

Am Morgen des 27. Januar 1947 machte sich Richter Ralph Windham wie gewohnt auf seinen Weg zum Gerichtshof, der sich auf der Yehuda Ha-Levi-Straße in Tel Aviv befand. Um die Mittagszeit, während Windham einer Verhandlung vorsaß, stürmten Bewaffnete in den Gerichtssaal, ergriffen den Richter, warfen ihn in ein wartendes Auto und brachten ihn in ein sicheres Haus. Die Entführer gehörten Menachem Begins "Irgun" an. Ziel war es, die Hinrichtung ihres Mitglieds Dov Gruner zu verhindern. Während seiner Haft erhielt der Richter nicht nur Verpflegung und Zigaretten, er wurde auch mit Literatur versorgt: Ein "Irgun"-Offizier lieh ihm sein Exemplar des Romans Diebe in der Nacht von Arthur Koestler. Das Buch gefiel dem Richter offenbar so sehr, dass er "vergaß" es bei seiner Entlassung aus der Gefangenschaft zurückzugeben. Jahre später versicherte Windham einer verdutzten Golda Meir, dass er alles Wissenswerte über den Zionismus aus Koestlers Roman erfahren habe.

Arthur Koestlers propagandistisches Meisterstück Diebe in der Nacht (Thieves in the Night, 1946) war – bis Leon Uris´ Exodus gut zehn Jahre später die Bestsellerlisten stürmte – der international meistverkaufte zionistische Roman. Dass das Buch ebenso erfolgreich wie umstritten war, ist typisch für Koestlers Werk und Person: Eigenschaften wie "Mäßigung" und "Ausgewogenheit" waren ihm stets Laster, nie Tugenden gewesen. Sowohl aufgrund seines Charakters wie auch aus kühlen politischen Erwägungen heraus neigte er zur Provokation, zur Radikalität und Kompromisslosigkeit. Diese Eigenschaften zeigten sich zum Beispiel in seinem Engagement für Jabotinskys "Revisionisten" in den 20er Jahren, in seinem Streit für und gegen den Kommunismus und in seiner waghalsigen Spionagetätigkeit im Spanischen Bürgerkrieg (wofür er zum Tode verurteilt wurde). Sie zeigten sich in seiner öffentlich bekundeten Sympathie für Menachem Begins "Irgun", in seiner aufsehenerregenden Berichterstattung aus dem israelischen Unabhängigkeitskrieg und in seinem Engagement gegen die Todesstrafe. Selbst in seinem oft belächelten Kampf für die Anerkennung der Parapsychologie als seriöser Wissenschaft.

Heutzutage fällt Koestlers Name meist nur noch in Verbindung mit dem anti-stalinistischem Roman Sonnenfinsternis (Darkness at Noon, 1940) und der sogenannten "Neuen Wissenschaft". Der Jude und Zionist Koestler wurde jedoch vergessen oder – wie in einer 1998 publizierten Biographie – als jemand porträtiert, der in seiner Lebensmitte mit Judentum und Zionismus gebrochen habe. Eretz Israel war jedoch ein Leitmotiv seines Lebens. Der Zionismus war Koestlers – so wie er es ausdrückte – "premier amour", zu der man immer wieder zurückkehre.

Angefangen hat Koestlers zionistisches Engagement in Wien, im Herbst 1922. Damals, zu Beginn seines ersten Semesters an der "Technischen Hochschule Wien", kam der aus einer assimilierten Familie stammende 17jährige Ungar in Kontakt mit der zionistischen (schlagenden) Studentenverbindung "Unitas". Ihre Mitglieder verstanden sich als "Elitetruppe", als Kaderschmiede der zionistischen Bewegung. Sie wollten – getreu Herzls Losung – "aus Judenjungen junge Juden" machen. Militante und stolze Juden, "Neue Juden".

Zu den lärmenden, trinkenden und streitlustigen "Uniten" zählten damals. "Puttl" Rauchwerger, Otto "Gockl" Hahn, Jacob "Attila" Teller, Hans Kolban und Saul Jecies. Bei ihnen fand der Einzelgänger Koestler, der seit seiner 1919 erfolgten Flucht von Budapest nach Österreich unter seiner zweifachen Einsamkeit – als Ungar und als Jude – sehr gelitten hatte, eine "Familie", von der er sich respektiert und gemocht fühlte. Hier setzte er sich erstmals mit seinen jüdischen Wurzeln auseinander, hier wurde er zum Zionisten. Mehr noch: In der "Unitas" machte Koestler die für ihn prägende Erfahrung, Teil eines großen Ganzen zu sein und damit die Isolation des Individuums zu überwinden; sowohl als Angehöriger des jüdischen Volkes wie auch als Zionist.

Voller jugendlichem Eifer begann Koestler mit seiner Selbsterziehung zum "Neuen Juden". Dies waren jene Jahre, in denen "nicht mehr die Stimme sondern der Geist mutiert", die "zweite Pubertät" des jungen Mannes. Dieser Verfassung entsprechend konnte der frischgebackene zionistische Revolutionär Koestler in seiner Rhetorik dann auch leicht über das Ziel hinausschießen. Etwa wenn es darum ging, die Diaspora-Existenz prinzipiell zu verdammen. Auch Koestler war nun davon überzeugt, dass die Juden die Diaspora verlassen müssten, dass ein Leben in Sicherheit und Würde nur in "Eretz Israel" möglich sei. Dabei ging es ihm nicht nur um die Rettung vor dem Antisemitismus. Mindestens genauso wichtig war Koestler die kulturelle und sogar physische Erneuerung des jüdischen Volkes in der historischen Heimat. So verkündete Koestler im Rahmen eines 1923 im Rahmen der "Unitas" gehaltenen Vortrags über Otto Weininger, dass die Jahrhunderte der Unterdrückung aus dem jüdischen Volk ein "Volk mit entstellter Physiognomie und entstelltem Charakter" gemacht hätten. Die Assimilation verurteilte er als "Anbiederung an eine fremde Kultur", als "geistiges Schmarotzertum". Die Juden der Diaspora hätten an der "Kultur des Wirtsvolkes" keinen Anteil, könnten sie daher auch nicht begreifen. Ein Verbleib der Juden in der Diaspora schien dem eifrigen Zionisten in jeder Hinsicht als gefährlicher Irrweg.

Zugegeben: Auch Koestler war in einer assimilierten Familie aufgewachsen. Er beschäftigte sich tagtäglich mit der angeblich so "fremden Kultur" und träumte von einer Karriere als Weltenbummler und Schriftsteller. Seine heimlich verfassten Liebesgedichte schrieb er in der Sprache des "Wirtsvolks". Ungeachtet der "entstellten Physiognomie" machte er in den Kreisen der von Benyamin Aktzin geführten Studentenverbindung "He-Chaver" jüdischen Kommilitoninnen den Hof. Doch all diese Widersprüche zu seiner ultraradikalen Ideologie hielt er lässig aus: Auch was die Trennung von Privatem und Öffentlichem anging konnte er sehr radikal sein.

Koestler konnte "nicht nur einstecken, sondern auch austeilen", wie er es dem Kommilitonen Alex Ott versicherte. Obwohl klein von Statur, ging er keinen Raufereien mit antisemitischen Studenten aus dem Weg. Ott hierzu:

Es war uns bekannt, dass es jüdischen Studenten an einem gewissen Tag nicht erlaubt war, das Gebäude der Universität zu betreten. Was tat Koestler? Er stattete sich mit einem koscheren ,Arierpass' aus und betrat das Gebäude, um den ,Skandal' in näheren Augenschein zu nehmen. Plötzlich bringt man den blutüberströmten Koestler zum Eingang und wirft ihn wie einen Ball die Treppen hinunter.

Auseinandersetzungen gab es allerdings auch mit anderen Zionisten: So sekundierte Koestler bei einem Duell, das sein Freund Paul Diamant – ein "Alter Herr" der Giskala – mit einem Anhänger Weizmanns austrug.

Die Geschichten von Koestlers Wagemut, seinen amourösen Eskapaden und politischen Auseinandersetzungen sollten fester Bestandteil der "Unitas"-Historie werden: Als George Weidenfeld Mitte der 30er Jahre der "Unitas" beitrat, machten die Geschichten um den bewunderten und mittlerweile berühmten "Alten Herrn" Koestler noch stets die Runde.

Bei seiner Ankunft in Palästina im Mai 1926 erklärte Koestler seinem Freund Benyamin Doeg, dass Vladimir Zeev Jabotinsky sein "Vater und Lehrer" und "Eretz Israel" seine "Mutter" sei. Was die Person Jabotinskys angeht, war diese Aussage nur wenig übertrieben: Kein anderer Mensch hat den jungen Koestler mehr beeinflusst als Jabotinsky, zu dessen aktivistisch-radikaler Oppositionsbewegung die "Unitas" Ende 1923 (auf Initiative Wolfgang von Weisls hin) mit fliegenden Fahnen übergelaufen war. Als Jabotinsky 1924 nach Wien kam, machte er den Studenten Koestler für die Dauer seiner Rundreise durch Österreich und die Tschechoslowakei kurzerhand zu seinem Privatsekretär und Co-Redner. Koestler lernte von Jabotinsky nicht nur die Kunst der politischen Rede: Er verinnerlichte ebenfalls dessen kompromisslosen Judenstaatszionismus und die Ablehnung der "Getto-Psychologie". Vor allem aber wurde "Jabo" zu Koestlers väterlichem Freund, an den sich der junge Mann auch in persönlichen Krisensituationen stets wenden konnte. Eine Sache hat der liberale Demokrat Jabotinsky seinem Schüler Koestler allerdings nicht mehr vermitteln können: Die eigene abgrundtiefe, geradezu körperliche Abneigung gegen autoritäre Strukturen. Doch selbst Koestlers Ende 1931 erfolgter Beitritt zur anti-zionistischen KP ändert nichts an Jabotinskys Zuneigung zu dem jungen Mann: Als der Kommunist Koestler seinem politischen Lehrmeister im Paris des Jahres 1936 zum letzten Mal wiederbegegnete, verhielt sich der junge Mann wie ein Sohn, der etwas "ausgefressen" hat: Er verkroch sich hinter einer Zeitung. Jabotinsky hatte indes mehr Verständnis für seinen ungestümen "Sohn" als dieser glaubte und so trennten sich Koestler und sein "Vater" in altem Einvernehmen. Als Koestler in seinem letzten Interview danach gefragt wurde, wer für ihn der "most exciting man" sei, den er je getroffen habe, fiel dem alten Mann dann auch sofort der Name Vladimir Jabotinskys ein.

Koestler wurde – neben Männern wie Benyamin Aktzin – zu einem der Hoffnungsträger der Revisionisten. Wie Jabotinsky einem Parteifreund gegenüber versicherte, sei Koestler zwar noch sehr jung, habe jedoch die "besten Absichten". Mehr noch als zuvor vernachlässigte Koestler sein Studium und widmete sich der politischen Tagesarbeit: In den Büros des Keren Hajessod am Wiener Bauernmarkt betätigte er sich (unter der Aufsicht Lucy Adler-Weinerts) als freiwilliger Helfer, gründete neue Gruppen der revisionistischen Partei (so die Frauenorganisationen in Wiener Neustadt und in Korneuburg), gewann mit Vorträgen unter Studenten neue Anhänger Jabotinskys (z.B. Edmund Schechter), entwarf zusammen mit Freunden die Uniform der revisionistischen Jugendorganisation "Beitar" und wurde Zeuge von Jabotinskys legendärem Auftritt vor dem 14. Zionistischen Kongress.

Als Koestler 1926 im Stamm-Café der "Unitas", dem "Café Louvre" in der Wipplingerstraße, auftauchte und seine Freunde um Geld für die Reise nach Palästina bat, waren seine Freunde nicht wenig überrascht. Koestler hatte jedoch in einem Anfall von trotzigem Übermut sein Studium abgebrochen und sich schließlich dazu entschieden, den Sprung ins Ungewisse zu wagen und Kibbutznik zu werden. Mit Unterstützung des Sozialisten Samuel Orchow und seines Freundes Paul Diamant (der im Wiener Palästina-Amt arbeitete) erhielt er eines der raren Einwanderungszertifikate. Koestler war nun fest dazu entschlossen, den – so wie er es nannte - "Bankrott" seiner "Galutexistenz" zum "Beginn einer neuen Existenz" zu machen, er wollte "ein produktiver Mensch und Mitarbeiter am Aufbau Eretz Israels" werden. Mehr begeistert als gekonnt dichtete er:

Schabbath bricht an
die Dunkelheit bricht an
die Dunkelheit bricht an
Schleier sinken schattenhaft herab
Schleier sinken schattenhaft herab
dunkle Schleier sinken schattenhaft herab
Schleier bedecken die heilige Stadt
Still atmet die heilige Stadt
Jeruschalajim!
Oben ein Stern zittert allein
Jeruschalajim!

Koestlers Freunde aus den Tagen der "Unitas", allen voran Wolfgang von Weisl, haben ihm auch während seiner KP-Jahre stets die Treue gehalten. Dies war nicht selbstverständlich. Vielleicht kannten seine alten Freunde ihn aber auch nur besser als er sich selbst: Als die KP-Disziplin es während der arabischen Unruhen des Jahres 1937 von ihm erforderte, sich im Widerspruch zu seinen zionistischen Überzeugungen zu äußern, weigerte er sich offen.

Auch wenn er 1945 zum letzten Mal Einladungen zu den Alumni-Abenden der "Unitas" (diesmal in Tel Aviv) erhielt, so brach Koestlers Kontakt zu den Freunden der Studienjahre doch nicht ab. Was noch wichtiger ist: Seine in den Reihen der "Unitas" gewonnenen zionistischen Grundüberzeugungen hat sich Koestler entgegen aller Kritik, die er später von zionistischer Seite erfuhr, bis zuletzt bewahrt.

Wenige Tage nachdem man den weltberühmten Schriftsteller und Journalisten Arthur Koestler zusammen mit seiner Ehefrau Cynthia in der gemeinsamen Londoner Wohnung am "Montpellier Square" aufgefunden hatte, gab Saul Jecies im Namen des "Alte Herren Verbands der Jüdisch Akademischen Verbindung Unitas" bekannt, dass unser geliebter alter Herr Arthur Koestler plötzlich verschieden ist. Wir werden ihn nie vergessen. Fiducit. Dies ist der wohl passendste Nachruf, der nach dem Freitod des Juden und Zionisten Arthur Koestler erschienen ist.

Christian G. Buckard

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Ein Jude in Amerika

Zum Tod des Schriftstellers Cheim Potok

 

Am Dienstag, den 23. 7. 2002, starb der amerikanische Schriftsteller Chaim Potok im Alter von 73 Jahren in Philadelphia. Mit seinem Roman Die Erwählten hat er sich einen denkwürdigen Platz erschrieben neben Bernard Malamud, Henry Roth, Isaac Bashevis Singer und Herman Wouk, die die Erfahrungen jüdischer Emigranten auf dem amerikanischen Kontinent, ihr Verhaftetsein in der jüdischen Tradition wie die Loslösung und Entfremdung thematisierten.

In jenem Roman, der den Weltruhm Potoks begründete, scheint sein lebenslanges Leitmotiv auf. Denn es ging Potok immer um Menschen, die in einer Welt aufgewachsen, auf eine ganz andere stoßen. In den Erwählten thematisierte er den Zusammenprall jüdischer Orthodoxie mit der Moderne. Unwillkürlich erinnert man sich an die kongeniale Verfilmung mit Rod Steiger als ultraorthodoxem Rabbiner und Maximilian Schell als liberalem Gegenmodell. In Mein Name ist Ascher Lev ging es um die Unvereinbarkeit des biblischen Bilderverbots und der schöpferischen Kreativität eines Malers aus orthodoxem Elternhaus.

Stets lautet dabei die Frage: Welche Elemente bestimmen unser Weltbild, an dem wir all unsere Erfahrungen messen – und wann tritt etwas so Gravierendes ein, dass ein Paradigmenwechsel unerlässlich wird?

Für Chaim Potok stellte sich dieser Augenblick beim Collegebesuch ein. Da nämlich begann er "zu begreifen", dass die bedeutendste Beschäftigung, die radikalste und zukunftsträchtigste Neubestimmung der Realität, die damals in der westlichen Zivilisation stattfand – in den Künsten, den Wissenschaften und sogar im religiösen Gedankengut –, von Personen geschaffen wurde, die beinahe ohne Ausnahme tiefgreifend säkularisiert waren. Noch heute spüre ich die Eindringlichkeit, mit der Chaim Potok mir diese für ihn offensichtlich zentrale Problematik deutlich machen wollte. Die Gelegenheit zum Interview bot sich für mich im Rahmen seiner Lesereise zu dem Tatsachenroman Novembernächte. Die Geschichte der Familie Slepak. Darin geht es um das Schicksal einer russisch-jüdischen Familie, eingebettet in die Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. Und um einen Vater-Sohn-Konflikt. Bei Vater Salomon weg vom Judentum hin zum Kommunismus, beim Sohn Wolodja unter Inkaufnahme vieler Repressalien wieder zurück. Potok müssen diese Wandelungen sehr fasziniert haben, denn gewöhnlich schrieb er nicht über andere Leute: Ich habe genug eigene Geschichten.

Chaim Potok kam am 17. Februar 1929 als Sohn eines Belzer Chassiden in New York zur Welt. Seine Mutter stammt aus der Ryzhyner Dynastie. Herman (Chaim Zwi) Herold, wie er damals hieß, "missachtete die heiligen Gesetze meiner Eltern und wurde Schriftsteller". Potok plädierte für intelligent erzogenen Juden. Juden, die beim Öffnen eines Buches wissen und begreifen, was sie da lesen.

Ein Laizist war Potok trotzdem nicht. Er studierte am Jewish Theological Seminary, erwarb 1954 eine Smicha als konservativer Rabbiner. Gleichzeitig hatte er Philosophie studiert und über Kant promoviert. Um über jüdische Dinge zu schreiben, worüber sonst, wollte er seinen Gegenstand genau kennenlernen, sich einen wissenschaftlichen Zugang verschaffen. Alles Dogmatische war Potok zeitlebens suspekt. Angesprochen auf den Vormachtanspruch der Orthodoxie argumentierte er vehement und historisch: Es gab nie nur eine Art Judentum. Nie! Wer das behauptet, weiß nichts über die jüdische Geschichte!

Immer wieder sei das Judentum anderen Strömungen ausgesetzt gewesen: der hellenistischen und römischen Kultur, dem Christentum, dem Islam und zuletzt säkular-humanistischen Strömungen.

Wenn man das nicht wahrnehme, habe man nichts vom Reichtum des Judentums begriffen. Dabei sei das Judentum nicht nur fremden Einflüssen ausgesetzt, sondern es beeinflusse auch den "Mainstream": Heute tragen Juden soviel bei zur modernen Welt. Zum ersten Mal in der jüdischen Geschichte gehören wir Juden wirklich dazu! Das Erscheinen seines ersten Jugendbuches in deutscher Sprache, vom Hanser Verlag für September angekündigt, hat der Autor zahlreicher Romane, Theaterstücke und Jugendbücher nun leider nicht mehr erleben können.

Ellen Presser

Lieferbare Bücher von Chaim Potok:
Die Erwählten. Roman. Rotbuch Verlag, 2002.
Mein Name ist Ascher Lev. Roman. Rowohlt, 2000.
Novembernächte. Die Geschichte der Familie Slepak. Rowolth, 2000; Hardcover-Ausgabe, Zsolnay Verlag, 1998.
Zebra. Geschichten aus Amerika. Hanser Verlag, München 2002.

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Der Nobelpreisanwärter

Harry Mulisch ist 75

Jedes Leben hat seine Geheimnisse, und die müssen gewahrt werden. Doch je älter man wird und je weniger man zu verlieren hat, desto uneinsehbarer wird es, warum man sie eigentlich wahrt, so dass man sie genausogut erzählen kann. Mit diesem bemerkenswerten Gedanken beginnt der wunderbare kleine Roman Augenstern von Harry Mulisch.

Er lässt darin teilhaben an den Umständen der Geburt eines zeitgenössischen Schriftsteller von Weltrang. Weit war der Weg des 18-jährigen, der nach Kriegsende einen Italienaufenthalt mit einer Tätigkeit erst als Tankstellengehilfe, später als Gesellschafter einer alten Dame finanzierte. Damals, und man kann hier den Romanhelden und den Autor als eins verstehen, interessierte ich mich nicht für das, was in der Nähe war, sondern für das Ferne, für das Entfernteste … das so weit weg war, dass ich es nicht sehen konnte. Genau deshalb wollte ich schreiben. Ich hatte das Gefühl, dass die weiße Leere, in der ich etwas zu erkennen versuchte, die Weiße des Papiers war, auf dem die Worte erscheinen mussten: gewissermaßen aus der Tiefe des Papiers.

Solch verzweifeltes Ringen hat der niederländische Bestsellerautor Harry Mulisch hinter sich gelassen. Am 29. Juli feierte er seinen 75. Geburtstag. Seine Romane gehören zum festen Bestandteil der Schullehrpläne. Gedichte und Bühnenstücke zählen ebenfalls zum Werk des niederländischen Hoffnungsträgers auf den Literaturnobelpreis.

Eines seiner immer wiederkehrenden Themen ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Als Sohn einer österreichischen Jüdin und eines ehemaligen k.u.k.-Offiziers im niederländischen Harlem geboren, resümierte Mulisch sein Schicksal einmal zynisch: Ich bin der Zweite Weltkrieg. Sein jüdischer Großvater, ein Wiener, war Direktor einer Frankfurter Bank in Antwerpen gewesen. Sein Vater wurde nach der Okkupation Hollands Direktor einer ehemals jüdischen Bank, in der alle holländischen Juden ihr Vermögen hinterlegen mussten, ehe sie deportiert wurden. Besuchte Mulisch dort einmal pro Woche den Vater, so sah er lauter NS-Parteiabzeichen. Den Rest der Woche verbrachte er bei seiner geschiedenen Mutter, die in einer jüdischen Behörde arbeitete. Dort trugen die Menschen den Judenstern. Kein Wunder, dass Mulischs Bücher immer wieder um die Verbrechen Hitlers und der sichtbaren und verkappten Nazis kreisen.

Den Eichmann-Prozess thematisierte er in "Strafsache 40/60", die Unmenschlichkeit Hitlers in dem Roman "Siegfried" um einen fiktiven Sohn des Führers. In der Novelle Das Theater, der Brief und die Wahrheit beschrieb Mulisch einen ungeheuerlichen, doch vielschichtigen Vorfall in Holland aus dem Jahr 1987, die getürkte Aktion eines Schauspielers und Shoa-Überlebenden, der selbst antisemitische Briefe und seine eigene Entführung inszenierte, um eine Aufführung des Fassbinderstücks Der Müll, die Stadt und der Tod zu verhindern. Die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, fasziniert Mulisch in vielerlei Hinsicht. Die Erzählung Das Attentat ist das meistübersetzte niederländische Buch der letzten hundert Jahre. Mulisch zweite Obbsession gilt den Naturwissenschaften. Er wäre gerne Wissenschafter geworden: Aber es stellte sich heraus, dass ich Schriftsteller war. Auf die Frage nach dem Schöpferischen gab Mulisch einmal zu bedenken, Wissenschaftler halte man für nüchtern: Dabei werden ihre Theorien auch intuitiv, mit Chaos, Irrwegen geschaffen. Auf die Frage, wie er es mit der Religion halte, erwidert er knapp: Ich bin kein Gläubiger. Auch seine jüdische Mutter sei völlig agnostisch gewesen. Dass sie die Nazizeit überlebte und mit 88 Jahren in den USA starb, war übrigens ihrem geschiedenen Mann zu verdanken. Wäre er kein Kollaborateur gewesen, so Mulisch, hätte er nicht die Beziehungen gehabt, seine Ex-Frau nach ihrer Verhaftung wieder freizubekommen. Seinen Eltern ist er jedenfalls dankbar, in keinen Glauben hineingepresst worden zu sein. In den fünf Büchern Mose kennt er sich jedoch bestens aus: Die Geschichten interessieren mich. In dem Roman Prozedur verwebt Mulisch die Entstehung des Menschen nach dem Schöpfungsbericht mit dem kreativen Schöpfungsakt des Schreibens. Im Mittelpunkt steht – in nicht zufälliger Parallelität zur Golem-Legende – ein Wissenschaftler, der sich anschickt, Gott ins Handwerk zu pfuschen. Übrigens animierte ein Blick in die Weltgeschichte Mulisch einmal zu dem Aperçu: Da ist es leichter, an den Teufel zu glauben, als an Gott.

Als sein wichtigstes Buch wird im allgemeinen der Roman Die Entdeckung des Himmels genannt. Er ist wie ein Kosmos, in dem viele große Fragen unserer Zeit zur Sprache kommen, Astrophysik, Religion und natürlich die Liebe. Harry Mulisch ist eine unparteiliche Leichtigkeit zu eigen, die er wohl auch seinem ganz eigenen Humor verdankt. Eines meiner Lieblingsbeispiele möchte ich abschließend zitieren. Es stammt aus dem Roman Zwei Frauen: Einmal hatte meine Mutter Wasser für Tee aufgesetzt, aber kurze Zeit später sagte mein Vater, dass er eigentlich lieber Kaffee hätte. ,Gut';, sagte meine Mutter, goss das kochende Wasser in den Spülstein und setzte frisches auf. Ich kugelte mich vor Lachen, aber mein Vater meinte, es erscheine ihm nicht völlig abwegig, einen strengen Unterschied zwischen Tee- und Kaffeewasser zu machen. ,Es könnte ja gut sein, dass der Kaffee sonst ein wenig nach Tee schmeckt'.

Ellen Presser

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belauscht & beobachet

 

Ende Oktober treten im Theater Akzent Christina Bahlo und das Kurschattenorchester in einer frech-frivolen Operettenrevue auf.

Die in Oberösterreich geborene Sopranistin wird von einem reinen Damenorchester begleitet. An ihrer Seite interpretieren vier Tänzer unter Chiang-Mei Wang die Choreographien der großen Revuen im Stile der Goldenen 20er Jahre. Die aktuelle Show läßt Welthits wie die Lieder Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben oder Er heißt Waldemar wiedererstehen, aber es werden auch meist vergessene, in den 20-er und frühen 30-er Jahren sehr beliebte Operetten und Revuen, die aus der Feder oft jüdischer Komponisten stammen, zu hören sein. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb vielen nur der Weg ins Exil. 12 dumpfe Jahre reichten aus, um eine ganze Künstlergeneration im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit geraten zu lassen. Unter der musikalischen Leitung von Patrick Walliser versucht Bahlo die Musik, die damals in aller Ohren war, neu aufleben zu lassen.


Ein Symposium der besonderen Art veranstalteten die österreichischen Freunde der Hadassah-Spitäler in der wunderbaren Gebirgslandschaft um den Altausseersee. Zwei Künstlerinnen und deren Schicksal und Schaffen im Exil beherrschten das Thema des diesjährigen Symposiums: Edith Kramer und Charlotte Lichtblau.

Edith Kramer, die Nichte des Dichters Theodor Kramer und auch der Schauspielerin Elisabeth Neumann-Viertel, wuchs in einer liberalen jüdischen Wiener Familie auf, verbrachte die Sommer ihrer Kindheit am Grundlsee im Ausseerland, lernte Malerei bei der Bauhauskünstlerin Friedl Dicker und Bildhauerei und emigrierte 1938 nach Amerika, wo sie als junge Künstlerin in New York bald Anschluss in den Künstlerkreisen fand. Sie verdiente ihren Unterhalt als Kunsterzieherin und war maßgeblich an der Entwicklung der Kunst-Therapie als Behandlungsform bei gestörten Kindern beteiligt. Heute arbeitet die Künstlerin in New York, wo sie auch an der New York University unterrichtet, und am Grundlsee inmitten einer wunderbaren Landschaft, die sie immer wieder auf ihre Bilder bannt.

Charlotte Lichtblau wurde ein ähnliches Schicksal zuteil, auch sie wuchs in einer liberalen jüdischen Familie auf, verbrachte die Sommer ihrer Kindheit am Altausseersee und emigrierte mit ihrer Familie 1938 zuerst nach Belgrad und dann nach New York, wo sie zuerst sich als Gelegenheitsmalerin ihren Lebensunterhalt verdiente und später mit Kindern arbeitete, bis sie sich als Malerin etablieren konnte.

Für Charlotte Lichtblau war die Sehnsucht nach der verlorenen Landschaft sehr groß und sie fand Trost und Hilfe in der Malerei, indem sie die Landschaft aus der Erinnerung malte.

Dr. Charlotte Zwiauer, Herausgeberin des Buches Edith Kramer, Malerin und Kunsttherapeutin zwischen den Welten legte in einem beeindruckenden Vortrag dar, wie Kramers New York Exilerfahrungen gleichermaßen Herausforderung und Lebensbereicherung waren. Wolfgang Georg Fischer, der ebenfalls ein Emigrationsschicksal teilte und seine Erlebnisse in einer Romantrilogie verarbeitete, moderierte als nunmehriger Ehrenpräsident des österreichischen Pen-Clubs die Gespräche mit den beiden Künstlerinnen in einer sehr aufmerksamen und sensiblen Weise.

Susi Shaked nahm schließlich Bezug auf die aktuelle Situation an den Hadassah-Spitälern in Jerusalem. Da die derzeitige Situation dadurch gekennzeichnet ist, dass zu wenige Therapeuten sich der Schicksale der traumatisierten Kinder annehmen können, gelingt es den Kindern nur schwer, ihre bedrückenden Erlebnisse zu verarbeiten. Die Kunsttherapie würde hier einen Ausweg bieten, um die schlimmsten Erfahrungen überwinden zu helfen.

Daß die Veranstaltung gleichwohl in einer entspannten Atmosphäre ausklang, war der Ärztin und Kabarettistin Dr. Regina Hofer zu verdanken, die dem Publikum die heiteren Seiten der weiblichen Nöte näherbrachte.


Bundespräsident Thomas Klestil wurde am 9. Juli 2002 von einer Rabbiner-Delegation des North American Board of Rabbis (NABOR) besucht. Der Vorausbesuch diente der Planung und Vorbereitung der NABOR-Jahreskonferenz, die im Herbst dieses Jahres in Wien stattfinden wird. Im Gespräch mit den Delegationsmitgliedern sagte der Bundespräsident für die Durchführung der Konferenz seine Unterstützung zu.

Das North American Board of Rabbis versteht sich als Plattform von rund 4.000 Rabbinern in den USA und Kanada. Hauptanliegen von NABOR besteht in der Zusammenführung von jüdischen Gemeinden aller Glaubensrichtungen.


Demnächst wird in Österreich der Film Atlantic Drift, vom französischen Regisseur Michel Daëron, gezeigt. Er erzählt von der Flucht mehrerer tausend Juden aus Österreich, Deutschland, Ungarn und der Tschecholowakei in Richtung Palästina – das unter britischem Mandat stand – am 3. September 1940.


Regina Jonas war die erste Rabbinerin in der Geschichte des Judentums. Salomon Formstecher war ein heraus ragender Vertreter der jüdischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts und bedeutender Rabbiner. Beide lebten in Deutschland, beider Schicksal ist eng mit dem deutschen Städtchen Offenbach verwoben. Regina Jonas wurde 1935 durch den Offenbacher Rabbiner ordiniert, Salomon Formstecher lehrte in der Synagoge seiner Geburtsstadt Offenbach, in der er 1842 zum Oberabbiner bestellt wurde. 1882 erhielt Formstecher die Ehrenbürgerwürde von Offenbach, am 24. April 1889 verstarb er 81jährig in seiner Heimatstadt. In seinem Nachruf hieß es, dass er als Rabbiner, Gelehrter, Bürger und Mensch einer der bedeutendsten Offenbacher gewesen sei. Am 6. November 1942 wurde Regina Jonas 42-jährig in Auschwitz ermordet. Nach den beiden jüdischen Persönlichkeiten, denen ein so verschiedenes Schicksal beschieden war, benennt die Stadtgemeinde Offenbach zwei Wege. Die Namen beider Persönlichkeiten sollen damit auch in einer breiteren Öffentlichkeit vor dem Vergessen bewahrt werden.


 

Mit dem Film In-Out verknüpft die aus der Schweiz stammende Sängerin und Regisseuse Christina Zurbrügg Träume und Realität, Musik von ihr und Michael Hudecek, lyrische Texte von Heinz R. Unger und die einzigartigen Bewegungsformen des Tai-Chi von Birgit Heyn. Heyn, die in Wien als Pharmazeutin, Ernährungsberaterin, Physiotherapeutin, Ayurveda-Spezialistin, Buchautorin, Tai-Chi- und Yogalehrerin lebt, reiste 1975 nach Asien, um in die Geheimnisse der fremden Kultur einzutauchen. Dort traf sie auf Pak Abraham Soenarso, der ihr Tai-Chi-Lehrer wurde. Für den Film bereiste Heyn Jahrzehnte später wieder für sie wichtige Orte in Europa und Asien, die sie in sechs verschiedenen Tai-Chi-Formen durchtanzt. Diese meditativen Bewegungen führen in die verschiedenen Welten des Seins. Die Langsamkeit der Gesten stehen einer gehetzten Welt von heute gegenüber. Eine der berührendsten Sequenzen zeigt Heyns Wiedersehen und Wiederüben mit ihrem Lehrer – zwanzig Jahre später. Das atmosphärisch dichte Gesamtkunstwerk In-Out ist ab Anfang Oktober im Votiv-Kino zu sehen.

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Letzte Änderung: 03.01.2012
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