Franz Ringel: „Das Gebüsch“,
2001, 170x130 cm, Acryl
Von 19. Februar bis 31. März 2004
stellt Franz Ringel ca. 40 seiner Werke,
entstanden zwischen 1980 und 2003,
im Givataym Theater bei Tel Aviv aus.
Martin Hohmann wurde aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen.
Dem Abgeordneten aus Hessen wurde zum Verhängnis, dass er laut über die Schuld der „Juden“ an den Mordexzessen der russischen Bolschewiki nachgedacht hatte. Man könne „Juden mit einiger Berechtigung als "Tätervolk bezeichnen“, das würde „der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet“.
Nun bezeichnet niemand, der heute intellektuell ernst genommen werden will, „Deutsche“ als „Tätervolk“. Hohmann stellte das aber in den Raum – um so, scheinbar immunisiert, über „Juden“ als „Tätervolk“ phantasieren zu können. Wer in der Vergangenheit in deutsche Bierzelte (oder österreichische Wirtshäuser) hineinhorchte, konnte die Hohmanns immer schon hören. Hohmann sagte, was viele denken: Das ganze Gerede vom Holocaust und der deutschen Schuld diene ja nur der Ausbeutung der Deutschen – im Interesse der „Ostküste“, Israels, oder auch des Weltjudentums. Doch wenn „den Deutschen“ eine „Kollektivschuld“ anhafte – dann doch erst recht „den Juden“.
Das alles folgt einem bestimmten Muster. Die Argumente werden ganz einfach umgekehrt. Die Apologeten des NS-Regimes behaupten etwas, was niemand seriös behauptet – „den Deutschen“ werde kollektiv eine schuldhafte Verantwortung zugeschrieben. Die Apologeten projizieren etwas – das Konstrukt einer „Kollektivschuld“ – auf „die Deutschen“, um das von ihnen so geschaffene Gespenst gegen dessen angebliche Erfinder zu wenden. Manche machen dies subtil – Martin Walser etwa; manche weniger fein – Norman Finkelstein und die anderen, die ein „Shoah Business“ erfinden, um es dann zu attackieren. Grundsätzlich ist aber nichts neu an den Projektionen der Hohmanns und Walsers und Finkelsteins. Neu ist nur, dass diese Denkfiguren, die vor dreißig, vierzig Jahren aus dem Bereich des Respektierten in den Untergrund des Nicht-Respektierten abgetaucht waren, sich nun unter den Respektierten zurückmelden.
In Deutschland eröffnete Möllemann diesen altneuen Diskurs – Hohmann setzte ihn fort. Nicht der Inhalt der Hohmann- Debatte ist neu – neu ist, dass sie in dieser Öffentlichkeit stattfinden kann. Das passt in das Klima eines alt-neuen Antisemitismus, der sich an der Kritik an der Politik Israels hochrankt. Wer immer Israel attackiert, rufen die neuen Antisemiten, werde mit der „Antisemitismus- Keule“ erschlagen. Und mit dieser von ihnen erfundenen Keule glauben sie sich immunisieren zu können, wenn sie die antijüdische Gewalt in Europa als verständliche Reaktion auf die Politik Israels hinstellen und die Menschenrechtsproblematik in Israel mit einer Schärfe sehen, die ihnen gegenüber Saudi-Arabien oder Pakistan natürlich nie in den Sinn kommen würde. Denn es geht ihnen nicht um die universellen Menschenrechte, sondern darum, den Staat der Juden an den Pranger zu stellen.
Reinhard Günzel, Brigadegeneral, Chef des Kommandos Spezialstreitkräfte der deutschen Bundeswehr, lobte Hohmanns „Mut zur Wahrheit und Klarheit“ – Hohmann spreche „der Mehrheit unseres Volkes eindeutig aus der Seele“. Was immer der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck über die Seele der Deutschen denken mag – für Günzel sah der Minister jedenfalls keinen Platz mehr in der Bundeswehr. Günzel wurde gefeuert. So klar kann politische Verantwortung sein – wenn sie von einem Peter Struck wahrgenommen wird.
Nach einem fast vierjährigen Tief in den Beziehungen zwischen Österreich und Israel bahnen sich wieder sichtbare Verbesserungen an.
Den Besuch von Außenministerin Ferrero- Waldner im August in Israel erwiderte ihr Amtskollege Silvan Shalom, für diplomatische Verhältnisse sehr schnell, bereits im November. Vor allem die Ankündigung Israels, wieder einen Botschafter nach Österreich zu entsenden, trug zur Erwärmung des kühlen Klimas bei. Die Motive der israelischen Regierung für diese Wandlung werden vielfältig interpretiert. Die Opposition im Lande sieht darin einen direkten Zusammenhang mit der Wahlspendenaffäre, die über Österreich lief.
Das bereits zweimal an österreichische Behörden gestellte Rechtshilfeverfahren wurde mit der Begründung abgelehnt, dass Wahlspenden in Österreich keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Außenpolitische Absicht sind hingegen die Bemühungen
Israels, die Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft zu verbessern. Jahrelang wurde von israelischer Seite den Europäern die Möglichkeit, eine entscheidende Rolle im Friedensprozess des Nahen Ostens zu spielen, abgesprochen. Silvan Shalom versuchte nun bei seinem Europatrip die Europäer zu überzeugen, eine ausgewogenere Haltung in diesem Konflikt einzunehmen.
Die letzten Forschungsergebnisse, in denen Israel für das Land, das den Frieden am meisten gefährde, eingestuft wurde – vor Nordkorea und dem Iran, bewiesen, wie unaufgeklärt und einseitig Europa agiere. Dem wachsenden Antisemitismus in Europa und der zunehmende Terrorbereitschaft, wobei die Türkei als warnendes Beispiel dient, müsse entschieden entgegengetreten werden, meinte der Minister. Österreich könne dabei eine entscheidende Rolle spielen. Zusätzlich stellte der Minister anlässlich des 100. Todestages von Theodor Herzl 2004 gemeinsame Aktionen mit Israel, Österreich und Ungarn in Aussicht. Außenministerin Ferrero-Waldner sprach von der österreichischen Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus, die bzw. deren Nachfahren in Israel eine zweite Heimat gefunden haben. Österreich stehe den Bemühungen Israels für engere Zusammenarbeit mit Europa offen gegenüber, zumal sich durch die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft neue Aspekte ergeben.
Der Frieden im Nahen Osten ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für europäische Stabilität. Was immer in diesem Gebiet geschieht, hat auch direkte Auswirkungen in Europa. Die Kooperation auf wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Ebene soll in Zukunft weiter verstärkt werden. Eine große Wirtschaftsdelegation mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl an der Spitze besucht im Februar Israel und man erwartet einen starken Impuls für den derzeit mageren Wirtschaftsaustausch. Wissenschaftliche Projekte zwischen der Tel Aviv Universität, der Hebrew Universität in Jerusalem, dem Technion in Haifa und dem Weizman Institut in Rechovot werden bereits seit Jahren erfolgreich betrieben.
Staatssekretär Franz Morak konnte im September bei seinem Besuch in Israel anlässlich der 50-Jahr-Feier von Yad Vashem die kulturellen Beziehungen beider Länder vertiefen. Im Rahmen des Jubiläums wurde auch der Österreichische Nationalfonds geehrt und vor allem die Person, die sich für seine Belange intensiv einsetzt, Dr. Hannah Lessing, gewürdigt.
Das diesjährige internationale Kammermusikfestival von Jerusalem stand im Zeichen Wiens. Werke von Gottfried von Einem und Johann Strauß Sohn in Arrangements von Arnold Schönberg und Alban Berg, kamen zur Aufführung. Der 1996 verstorbene Komponist Einem wurde 2002 in der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem wegen seines Einsatzes für die Opfer der Verfolgung durch das Nazi-Regime unter die „Gerechten unter den Nationen“ aufgenommen. Fast gleichzeitig eröffnete das Israelische Philharmonische Orchester unter der Leitung von Zubin Mehta die Saison im Wiener Musikverein. Künstler und Musikgruppen aus Österreich konnten in Israel großes Interesse erwecken. Im Dezember reist Topsy Küppers mit ihrem Programm durch Israel und im kommenden Februar präsentiert Franz Ringel in einer Ausstellung im Givatayim Theater seine Werke.
Im Dezember besuchte auch Botschafter Ali Yahya Österreich und brachte in seinen Vorträgen in Wien und Graz interessante Aspekte zum israelisch palästinesischen Konflikt. Der israelische Sonderbeauftragte für die UNO und erste arabische Botschafter des Staates Israel in Finnland unterstrich die Vielfalt der Kulturen in Israel und bedauerte gleichzeitig das mangelnde Verständnis für einander. Die beste Erziehung zur Toleranz ist seiner Meinung nach das gemeinsame Studieren und Zusammenleben von Juden, Arabern, Drusen und Christen. Der Regenbogen hat viele Farben und ist nicht nur schwarz und weiß – ist seine Devise. Bleibt nur zu hoffen, dass alle Beteiligten auch diese Vielfalt erkennen.
Die Hamas hat vor allem neben dem bewaffneten Arm, den Kassambrigaden, ein dichtes Netzwerk sozialer Einrichtungen aufgebaut.
Die Palästinensische Autonomiebehörde hat sich redlich bemüht, sowohl die Erwartungen der Israelis und der USA, als auch die des eigenen Volkes recht nachhaltig zu enttäuschen. Sie zeichnet sich aus durch Korruption, Filz, Nepotismus und eine gröbliche Vernachlässigung fast aller Infrastrukturen. Das unterscheidet sie zwar nicht im Prinzip von anderen Verwaltungen dieser Region, nur sind diese zumeist in einer doch etwas weniger prekären Situation. In einer Pressekonferenz gab Ministerpräsident Abbas, nachdem ihn Arafat vor die Tür gesetzt hatte, eine erschütternde Übersicht über seine vergeblichen Versuche, wenigstens ansatzweise die Grundlagen eines Staates herzustellen. Er beschrieb, wie er aufgrund eines klaren Auftrags in dem von Arafat kultivierten Wildwuchs die nötigen Strukturen schaffen wollte, aber immer wieder ins Kreuzfeuer der PLO geriet. Trotz der Ernennung eines Innenministers behielt Arafat Dreiviertel aller Sicherheitsdienste in seiner Hand und lehnte jede Koordination, von einer Verschmelzung ganz zu schweigen, systematisch ab.
So hätten sich, wie die seriöse Neue Zürcher Zeitung schreibt, „nicht nur Israel und Amerika um ihren Beitrag zur Förderung des Friedensprozesses gedrückt, auch Arafat habe die road map zu Fall gebracht, weil er eine Abschreckung und Unterdrückung möglicher Verstöße gegen die Waffenruhe verhinderte”. Er habe im Übrigen stets darauf bestanden, die zentrale Verwaltung und die Postenvergabe überhaupt aller Staatsdiener in seiner Hand zu konzentrieren. Die Bediensteten der Ministerien seien dem Ministerpräsidenten aufgezwungen worden, Versuche einer Pensionsreform wurden mit dem Verweis auf Verdienste als alte Revolutionsveteranen abgeschmettert. „So beschäftigten wir weiterhin Großvater, Vater und Enkel im gleichen Ministerium, während 18.000 Hochschulabgänger auf einen Posten warten.“ Die Gouverneure unterstehen der PLO und nicht der Regierung, dasselbe gilt für die diplomatischen Vertretungen. Während Jordanien, immerhin ein voll etablierter Staat, mit 45 Auslandsvertretungen das Auslangen findet, unterhält die PLO über 89, wobei Arafat bis zum Abtritt Abbas nicht entscheiden wollte, wer denn nun die Palästinenser als Außenminister vertrete, nämlich Kaddumi Faruk von der PLO oder Shaath von der Regierung Abbas.
Auch der neue MP Korei hatte wenig Glück bei der Gestaltung seines Kabinetts. Nicht nur setzte ihm Arafat in einem schriftlichen Regierungsauftrag auch gleich ein politisches Programm vor, er drückte ihm auch als Innenminister einen al Fatah Mann, Arafats Hausmacht, aufs Auge. Kurei drohte entschlossen mit Rücktritt und ebenso entschlossen blieb er. Arafat bewahrte sich damit den Einfluss auf die Sicherheitskräfte und damit die entscheidenden Machtinstrumente. Deren Dotierung bleibt natürlich im Dunkeln, doch gibt es einige Quellen, aus denen auch in diesem ausgepowerten Gebilde der palästinensischen Selbstverwaltung Kapital flüssig gemacht werden kann.
Das palästinensische Treibstoffmonopol nimmt laut Abbas schätzungsweise jährlich 72 Millionen Dollar ein, die der Staatskasse vorenthalten werden. Abbas hatte versucht, das Monopol der Regierung zu unterstellen, das war ihm schlecht bekommen. Andere Monopole, wie das für Tabak und Zigaretten sowie für bestimmte Importe, waren schon 1997 vom Parlament gerügt worden, weil sie sich jeder Kontrolle entzögen. Dasselbe gilt für den Flughafenbetrieb. In welchen Kanälen diese Einnahmen versickern, das konnte auch Abbas nicht klären.
Klar ist nur, dass für Infrastruktur-Maßnahmen, vor allem im sozialen Bereich, kaum Geld, kaum Personal, kaum Interesse, kaum Zeit aufgewendet wird. Dieses Defizit wird nun von den islamischen Hilfswerken aufgefüllt, wie dies im Übrigen auch in anderen arabischen Ländern der Fall ist, die ihre beschränkten Budgetmittel lieber für Repression, Rüstung und Prestigevorhaben locker, für karitative Einrichtungen zögernd ausgeben. So hat vor allem die Hamas neben dem bewaffneten Arm, den Kassambrigaden, ein dichtes Netzwerk sozialer Einrichtungen aufgebaut, das an Effizienz die der Autonomiebehörde weit übertrifft. Hier wurde ein Parallelstaat errichtet, an dem kein Weg vorbei geht.
Gelder kommen von überall aus dem islamischen Raum, daneben hat sie selbst sich durch geschickte Kapitalanlagen einen soliden Polster geschaffen. Wohl hatte die Regierung Abbas geglaubt, die mehr als 30 Konten von neun islamischen wohltätigen Vereinigungen blockieren zu können. Abbas hatte auch von Saudi Arabien verlangt, es solle seine Zuwendungen an zwei Hilfswerke zugunsten der Autonomiebehörde umleiten, denn die beiden Einrichtungen seien nur Strohmänner der Hamas. Ob dies wirklich aus dem Bestreben geschah, terroristischen Organisationen den Geldhahn abzudrehen, oder ob man sich lediglich selbst den Zugriff auf diese Gelder sichern wollte, bleibt wohl offen. Jedenfalls hat die Hamas noch keinen Konkurs angemeldet. Die im Budget der Autonomiebehörde vorgesehenen Geldmittel reichen gerade für die Besoldung der über 100.000 Staatsdiener, das ist überwiegend die Klientel Arafats und seiner Organisationen, und nur für ein ganz notdürftiges medizinisches und Erziehungssystem ausreichend. Nach Schätzungen bezieht mindestens jeder 6. Palästinenser der Autonomiegebiete islamische Notstandsunterstützung. Über diese reine Überlebenshilfe hinaus gibt es islamische Waisenhäuser, Kindergärten, Schulen und andere verbunden wird, versteht sich wohl von selbst, „es gilt laut NZZ als erwiesen, dass Hamasterroristen in den religiösen Schulen, in den Moscheen und noch mehr in den moslemischem Sportclubs rekrutiert werden”.
Die USA haben die Hamas als terroristisch eingestuft und sogar die EU kann sich nicht länger blind stellen. Anfang September wurde nach der militärischen auch die politische Hamas als Terrorgruppe qualifiziert und auf die schwarze Liste der mit Sanktionen bedrohten Organisationen gesetzt, nachdem Frankreich noch im Sommer es mit einer „Warnung“ bewenden lassen wollte. Dabei steht man vor einem Dilemma: Mit einer Kontrolle der Hamashilfswerke durch die Autonomiebehörde ist, da sie sich weitgehend verselbstständigt haben, nicht zu rechnen. Die Variante, die Hamas könnte veranlasst werden, Geld von den terroristischen Aktivitäten umwidmen, ist so realistisch wie die Annahme, ein Hund würde einen Wurstvorrat anlegen, um ihn mit anderen Hunden zu teilen. Will man anderseits durch ein Abdrehen des Geldhahns ihre Tätigkeiten zum Erliegen bringen, treibt man möglicherweise viele der Palästinenser noch tiefer in die Misere, da es ja sonst niemand gibt, der willens oder in der Lage ist, die sozialen Aufgaben zu übernehmen.
Aber vielleicht käme das manchen gar nicht so ungelegen. Denn alles, was sich als Hass gegen Israel instrumentalisieren lässt, auch wenn es das Elend der eigenen Bevölkerung ist, dient der Perpetuierung des Schwebezustandes, von dem sich so gut für die eigenen Taschen und Interessen profitieren lässt. Meinungsumfragen zufolge befürwortet auch die Mehrheit der Palästinenser die Terroranschläge.
Der gebürtige Ägypter Soliman Biheri hatte sich vor einem Bundesgericht in Virginia wegen„falscher Angaben“ in seiner Bewerbung um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu verantworten. Normalerweise wird ein solches Vergehen mit maximal sechs Monaten Gefängnis bestraft, doch im Falle Biheiri beantragte die Staatsanwaltschaft eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren.
Der Grund: potentielle Verwicklung in Terrorismus. Biheiri ist nur ein Glied in der umfangreichen Untersuchung gegen zahlreiche islamistische „caritative“ Organisationen und Firmen, die als Teile eines weltweiten, den Terrorismus finanzierenden Netzes gelten, das sich von Virginia, über die Schweiz bis ins Fürstentum Liechtenstein erstreckt.
Die falschen Angaben in seinen Einwanderungspapieren wurden im Falle Biheiri ebenso als Vorwand verwendet wie Steuerhinterziehung im Verfahren gegen den Chicagoer Gangster Al Capone. Man nahm ihn fest, weil er über umfassende Kenntnisse in Sachen des sogenannten SAAR-Netzes verfügt, der Gruppe im Bundesstaat Virginia ansässiger islamistischer „Wohlfahrtsverbände“ und Scheinfirmen. Biheiri wird auch verdächtigt von den SAAR-Konten 3.7 Millionen Dollar via der in New Jersey ansässigen BMIImmobilien- Gesellschaft für Terrorgruppen abgezweigt zu haben.
Die Anklage weiß ferner von persönlichen wie geschäftlichen Beziehungen Biheiris mit dem Hamas-Führer Moussa Abu Marzuk, al-Kaida’s Yassin Qadi und Sami al-Arian zu berichten, einem floridianischen Universitätsprofessor palästinischen Ursprungs, der sich seit Monaten bereits wegen seiner Führungsposition im palästinischen Islamic Jihad im Gefängnis befindet. Biheiris Rechtsanwalt bestritt diese Beziehungen nicht, bemängelte aber jegliche Beweise für die Verwicklung seines Klienten in Terrorismus.
Welche Beweise die Anklage für die vom Staatsanwalt dargestellten Beziehungen zwischen Biheiri und dem geheimen Finanznetzwerk Al Taqwa in der Schweiz und Liechtenstein hat, ist unklar. Al Taqwa ist die Hauptfinanzquelle der ältesten unter den islamistischen Gruppen, der Moslemischen Bruderschaft. Diese ist der ideologische Pate aller radikaler islamistischer Gruppen und nun scheint es, dass die Bruderschaft die Terrorgruppen u. a. über die Al Taqwa mitfinanzierte. An der Spitze der von der UN und der USA terroristisch eingestuften Al Taqwa stehen zwei führende Mitglieder der Moslemischen Bruderschaft und al Kaida- sowie Nazi-Anhänger Youssef Nada und Ghaleb Himmat. Beide stehen nun auch im Mittelpunkt einer Untersuchung schweizerischer Behörden, die alle Vermögenswerte und Konten von Al Taqwa eingefroren haben. Biheiri wird als Al Taqwas Statthalter in den USA bezeichnet. Die US-Behörden haben in Biheiris Computer nicht nur die Adressen von Nada und Himmat gefunden, sondern auch „andere Hinweise“ auf bestehende Beziehungen zwischen Al Taqwa und Biheiris BMI-Immobilienfirma, einschließlich finanzieller Transaktionen zwischen den beiden. Die Anklage gegen Biheiri ist angesichts der Notwendigkeit, Informationen ausländischer Geheimdienste zu schützen, zur Diskretion gezwungen. Aber dem Wall Street Journal zufolge stellt der von den UN und den USA als terroristisch kategorisierte, in Liechtenstein beheimatete Asad Trust einen wichtigen Bestandteil des Al Taqwa-Netzes dar. Der liechtensteinische Direktor von Asat Trust, Martin Wachter, erklärte dem New Yorker Wochenschrift Forward, Asat Trust operiere lediglich als „Geschäftsregister“ und sei nicht in die Geschäfte der registrierten Firmen verwickelt. Wachter zufolge habe die US-Regierung den Asat Trust ungerechtfertigt terroristischer Verbindungen beschuldigt, denn er habe lediglich ein einziges Mal Al Taqwa in einem kleinen Immobiliengeschäft vertreten.
Aber Dokumenten der liechtensteinischen Regierung zufolge bestanden seit gut 30 Jahren umfassende Beziehungen zwischen dem Al Taqwa-Netz und dem Asat Trust, wo Firmen-Namensänderungen, Veränderungen in ihrer personalen und finanziellen Struktur registriert wurden, was die UN und USA veranlasst haben dürften, den Asat-Trust terroristischer Kontakte zu bezichtigen. Merkwürdigerweise war auch ein Mitglied der herr- 1990 Mitglied des Asat Trust-Verwaltungsrates und wurde dann durch den jetzigen Direktor Wachter ersetzt. […]
[…] Das islamistische Netz ist undurchsichtiger denn je und die seit zwei Jahren laufende Untersuchung der schweizerischen Behörden hat bisher zu keinerlei Anklagen geführt. Biheiri und die Al Taqwa waren überall präsent. Zu Biheiris Freundeskreisen gehörte der radikale ägyptische Islamist Scheich Yussuf Qaradawi, der wegen Unterstützung von Terrorismus seit 1999 nicht mehr US-Gebiet betreten darf. Qaradawi figuriert auch prominent als Aktionär einer Al Taqwa Bank-Filiale auf den Bahamas, die im April 2001 wegen Enthüllungen über finanzielle Beziehungen zur al-Kaida schließen musste. Das Al Taqwa-Hauptquartier in der Schweiz wurde 2001 geschlossen, als die UN und USA sie als terroristisch eingestuft hatten. Italienischen Geheimdienstberichten zufolge hatte Al Taqwa auch radikale Gruppen in Algerien, Tunesien und Sudan unterstützt und war während der siebziger Jahre der Hauptfinancier der PLO und später der Hamas. Amerikanischen Behörden zufolge hat Al Taqwa vor und nach dem Terrorangriff vom 11. September auch die al-Kaida mitfinanziert.
Ben Zakan
Vor einem Jahr startete das Simon Wiesenthal Center zusammen mit der Targum Shlishi Foundation des jüdischen Philanthropen Aryeh Rubin aus Miami das Projekt „Letzte Chance“: Ausgesetzt wird eine Belohnung von 10.000 $ für Informationen, die zur Verfolgung baltischer Holocaust-Täter führen. Im April vergangenen Jahres wurden die Bedingungen erleichtert: 1.000 € reichen für einen Hinweis, der zu einer offiziellen Untersuchung, 1.500 € für einen Hinweis, der zur Erhebung einer Anklage führt, der Rest wird ausbezahlt, wenn eine Verurteilung und Bestrafung erfolgt.
Das Wiesenthal Center garantiert den Informanten völlige Geheimhaltung. Ein eigenes Zeugenschutzprogramm besteht nicht, doch hat es sich bei zwei früheren Verfahren gegen Nazikollaborateure, Lileikis and Gimzauskas, nicht als notwendig erwiesen. Wie zu erwarten, führte die Ankündigung der Aktion zu einer Flut von antisemitischen Hetztiraden im Internet, die von einer internationalen Verschwörung des „jüdischen Ungeziefers“ sprachen und jeden, der das Angebot annähme, als Judas bezeichneten.
Die Litauer lehnen es ab, für das, was sie die „Untaten einzelner Krimineller“ nennen, Verantwortung zu übernehmen. In einem liebevoll gepflegten Mythos betrachten sie sich nicht nur nicht als Täter, sondern vielmehr selbst als Opfer.
Tatsache ist, in Litauen wurde nach dem Krieg nicht eine einzige Person wegen der Ermordung von 220.000 litauischen Juden, die bis auf 8.000 umkamen, bestraft. Obwohl eine Belohnung von 10.000 oder auch nur 1.000 € in Litauen, wo ein Monatseinkommen kaum 250 € überschreitet, eine starke Motivation wäre, kommen, die meisten der Informationen von Menschen, die am Geld desinteressiert sind. Eleonora Vilcinskiene, im 2. Weltkrieg ein junges Mädchen von 15 Jahren, erinnert sich, wie in ihrer Heimatstadt Rosikies litauische „Selbstschutzbataillone“ ihre jüdischen Nachbarn in einen Sumpf trieben, sie bis zum Hals versenkten und ihnen die Bärte mit Messern, die zum Schlachten von Schweinen verwendet wurden, abschnitten, sie noch wochenlang quälten und dann umbrachten. Vilcinskiene, betagt und kränklich, sagt: „Manche der Täter sind zu Helden gemacht worden und haben nach dem Krieg Karriere gemacht. Die Schuldigen müsssen sich verantworten.“
Justinas Jokubaitis aus Klaipeda, dem ehemaligen Memel in Ostpreußen, war Augenzeuge von Gewalttätigkeiten gegen Juden. Trotz eines Monatseinkommen von 100 € erklärte er, dass es ihm nicht auf das Geld ankomme, es ginge ihm vor allem darum, dass soviel von den sowjetischen Deportationen der Litauer geredet werde, dass man aber das Schicksal der Juden mit völligem Schweigen übergehe. Wenn sich auch die Resultate in Grenzen halten, so sind sie doch bemerkenswert. Das Wiesenthal Center hat insgesamt 241 Hinweise auf Verdächtige erhalten, 184 aus Litauen, 38 aus Lettland, sechs aus Estland und sogar 13 aus der Ukraine, die ursprünglich nicht einbezogen war.
Das Center hat 32 Namen den Untersuchungsbehörden in Litauen, 13 in den USA und 10 in Lettland übermittelt. In Litauen sind bereits Untersuchungen gegen 24 gegen Mordverdächtige eingeleitet worden. Das veranlasste das Wiesenthal Center, die Recherchen auf Polen, Rumänien und Österreich auszudehnen.
Die Sprecherin der Republikanischen Partei beschuldigte ihn „die Demokratische Partei gekauft“ zu haben und stellte die Frage in den Raum, wessen Interessen damit gedient, welche Ziele verfolgt werden sollen. Joseph Farah, der eindeutig proisraelische, christliche Fundamentalist libanesischen Ursprungs, bezeichnet ihn in der Online-Ausgabe des WorldNetDaily als ein „miserables, antiamerikanisches und antisemitisches Schwein“, als einen „machthungrigen, nihilistischen, arroganten, von Selbsthass und Selbstgefälligkeit geplagten Juden“. All diese Eigenschaften werden George Soros nachgesagt, dem 74jährigen gebürtigen Ungarn, Holocaust-Überlebenden, Finanzmagnat, Spekulanten und Selfmade- Milliardär, der auf Platz 28 der Liste der reichsten Leute Amerikas im Forbes-Magazin figuriert. Sein Vermögen schätzt Forbes auf 7 Milliarden Dollar, nachdem er bereits 5 Milliarden Dollar für diverse wohltätige Zwecke verschenkt hat, von der Polnischen Solidaritätsbewegung Lech Walesas, über Václav Havels Dissidentenbewegung in der einstigen Tschechoslowakei, bis zu den verschiedensten, politisch links-orientierten, Gruppen in den USA (einschließlich der Demokratischen Partei). Ausgelöst hat die jüngste – keineswegs erste – Aufregung um Soros zuerst eine Rede, die der sonst in jüdischen Kreisen selten gesehene Soros am 5. November im Rahmen der Konferenz des Jewish Funders Network hielt, in der er die Politik des US-Präsidenten Bush und des israelischen Regierungschefs Scharon für den sich weltweit verstärkenden Antisemitismus verantwortlich machte, aber auch sich selber, weil er ja zu den „jüdischen Financiers“ gehöre, die, dem malayischen Expremier Mahathir Mohammad zufolge, „die Welt über Hintermänner beherrschen“.
Was ihn auf der Rechten des amerikanischen politischen Spektrums besonders verhasst macht, war seine offene „Kriegserklärung“ an Präsident Bush. Die Verhinderung der Wiederwahl Bushs bezeichnet Soros als „das Hauptziel meines Lebens“, denn „Amerika unter Bush stellt eine Gefahr für die Welt dar“ und Soros ist bereit sich das viel Geld kosten zu lassen, um dieses Ziel zu erreichen. Er stellte die ersten 20 Millionen Dollar für den neuen, liberalen think-tank „Center for American Progress“ zur Verfügung und versprach weitere 75 Millionen Dollar für den demokratischen Rivalen im Wahlkampf gegen Bush aufzubringen. Die (vielfach jüdischen) Neokonservativen in der Bush- Administration bezeichnet Soros als ein „Bündel von Extremisten, geleitet von einer groben Form sozialen Darwinismus“. Zu Soros jüngsten Aussprüchen gehören Sätze, wie: „Wenn ich Bush höre ‚Du bist entweder mit uns oder gegen uns’ zu sagen, werde ich an Nazi-Deutschland erinnert... Bush hat das Gefühl, nach dem 11. September von Gott gesalbt worden zu sein und er führt die USA und die Welt in einen sich zunehmend eskalierenden Gewaltsirkel“.
Der Linkstrend des Milliardärs Soros ist nicht neu. Er hatte bereits 5 Millionen Dollar für die ultralinke MoveOn.org Online- Bewegung gespendet, die Clinton helfen sollte gegen die ihn während seiner zweiten Amszeit plagenden Probleme zu schützen und später Albert Gores Wahlkampf gegen Bush zu unterstützen. Er spendete Millionen für eine Werbekampagne zu Gunsten der Legalisierung von Marihuana, aber kaum jemals für jüdische Zwecke. In seinem jüngsten Unternehmen geht es aber nicht um Rauschgift, sondern um einen „Regimewechsel in Amerika“. Er widersetzt sich dem Irakkrieg und unterstützt Howard Dean, den demokratischen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur in den Wahlen von 2004.
Wer ist diese kontroversielle Figur Soros, der Abraham Foxman, dem Direktor der Anti-Defamation League zufolge, in „absolut obszöner“ Weise Israel und die Juden für den Antisemitismus verantwortlich macht und sich dabei auch noch antisemitischer Rhetorik bediene? Er ist 1930 als Sohn des Budapester Rechtsanwalts Tivadar Schwartz geboren, der seinen Namen 1936 in Soros magyarisiert hatte. Seine Familie war völlig assimiliert und unterhielt keine Kontakte zur jüdischen Gemeinschaft, was sie aber nicht vor dem Schicksal anderer 440.000 ungarischer Juden rettete, die in der Shoah umkamen. George überlebte mit „arischen“ Papieren und flüchtete als 17jähriger nach London, wo er anfänglich auf Sozialfürsorge angewiesen war. Bis heute wirft er jüdischen Hilfsorganisationen vor, ihm damals wenig geholfen zu haben. Zwischen 1949 und 1952 studierte er an der London School of Economics und der im Jahre 2002 von Michael Kaufmann verfassten Biographie „Soros: The Life and Times of a Messianic Billionaire“ zufolge hat er „eine Abneigung gegen jegliches Stammes- Sektarientum entwickelt und fand proisraelische Zionisten als unattraktiv chauvinistisch“.
1956 begann Soros seine Karriere auf der Wall Street mit 5000 Dollar und machte sein Vermögen mit Währungsspekulation und dem Management des Geldes anderer Leute. Mit seiner Spekulation gegen das britische Pfund Sterling versetzte er der konservativen Regierung John Majors einen Schlag, aus dem sich die Tory-Partei bis heute nicht erholte. Ähnliches hofft er 2004 gegen die Republikaner und Bush zustande zu bringen. 1997 wurden Soros finanzielle Machenschaften vorgeworfen, die zum wirtschaftlichen Kollaps in Asien beigetragen haben sollen und russische Antisemiten werfen ihm bis heute vor, 1998 eine 50%ige Abwertung des Rubel herbeigeführt zu haben. Im Jahre 2002 wurde er von einem französischen Gericht des Insider-Trading schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von € 2,2 Millionen verurteilt. Soros erklärte damals zwar, er werde gegen das Urteil Berufung einlegen, hat dies aber bis heute zu tun unterlassen. Als Milliardär kann er es sich erlauben im französischen Strafregister zu figurieren.
Der demokratische Spitzenreiter für die Präsidentschaftswahlen von 2004, Howard Dean, kann sich hingegen kaum erlauben mit einem Soros identifiziert zu werden, der nicht nur vorbestraft ist, Marihuana legalisieren will, als globaler finanzieller Manipulator gilt, Präsident Bush mit den Nazis vergleicht und Israel für den Antisemitismus verantwortlich macht. Dean betont unentwegt, er sei ein treuer Freund Israels, habe eine jüdische Frau und seine Kinder werden als Juden erzogen. Er ist auf jüdische Wähler und auf jüdische Wahlspender mehr angewiesen als auf einen exzentrischen Milliardär, der antiisraelischer und antiamerikanischer Tendenzen bezichtigt wird und dem WorldNetDaily empfiehlt eine andere Heimat zu finden, wo er sein Adoptivland so hasse und den Treueeid gebrochen habe, den er beim Empfang der USStaatsbürgerschaft abgelegt hatte.
Zeev Barth
Von den Bomben der Araber haben wir uns nicht einschüchtern lassen, aber jetzt bedrohen uns jene, die sich unsere Freunde nennen.
Mit diesen Worten appellierte Michel Khalifa, Präsident des Verbandes der koscheren Fleischerläden in der Pariser Rue des Rosiers, von den Ansässigen besser bekannt als das Pletzl, für den Erhalt des letzten westlichen Judenviertels, nachdem fleißige Inder und Pakistanis das Londoner Whitechapel-Viertel praktisch kampflos erobern konnten, weil die meisten Juden in „bessere“ Gegenden gezogen sind.
Die Rue des Rosiers verläuft am Südrand des Pariser Marais-Viertels. „Marais“ war ursprünglich ein Sumpf, der vor hunderten Jahren trocken gelegt und zum ältesten Viertel von Paris wurde. Die Place des Vosges, mit der Reiterstatue von König Henry IV. in der Mitte, ist ein Symbol wie die Plaza Major in Madrid. Am von Hochwasser gefährdeten Teil des Marais siedelten sich Ende des 19. Jahrhunderts jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa an. Die Rue des Rosiers und der Boulevard Sebastopol (verjüdischt „Schabbestempel“) war vielfach ihre erste Anlaufstelle in Frankreich. Vor Ausbruch des II. Weltkriegs lebten rund 9.000 Juden im und im Umkreis des Pletzl.
Die deutsche Besatzung hinterließ schreckliche Spuren unter den Bewohnern des Viertels und in den fünfziger und sechziger Jahren wurden die Lücken durch jüdische Einwanderer aus den Maghreb-Staaten aufgefüllt. Die askenasische „Urbevölkerung“ erhielt einen sephardischen Anstrich. Aber gerade hier gab es keinerlei Spannung zwischen den beiden Gruppen. Zu den askenischen Synagogen kamen eben sephardische, und neben den Mikvas nisteten sich orientalische „Hammas“ (Dampfbäder), ein. Die Straßenfront wurde aber weiterhin von kleinen Läden – koscheren Fleischern und Bäckern – okkupiert.
Zum größten Etablissement wurde Joe Goldbergs Restaurant, ein Treffpunkt für alle Liebhaber jüdischer Küche. „Goldbergs“ hatte nicht einmal einen „Hekscher“ (Kaschout, Lizenz), aber dies schien die Kunden – zumeist Touristen und Mitglieder der israelischen Diaspora – nicht zu stören. Es waren arabische Terroristen, welche die „Jüdischkeit“ des Restaurants erkannten und dort vor einigen Jahren eine Bombe legten. Doch die Gourmets ließen sich nicht einschüchtern. Und selbst „feinere Juden“ aus besseren Vierteln kamen vor dem Sabbat und den Feiertagen, um sich mit heimischen Köstlichkeiten einzudecken.
Die Schwierigkeiten begannen, als sich der Marais zu einem Nobelviertel mit sündteuren Wohnungen entwickelte. Naturgemäß warfen die Realitätenmakler gierige Blicke auf das unterentwickelte Pletzl. Aber die Bewohner wollten nicht verkaufen. Der erste Angriff der McDonald‘ s-Kette, das traditionsreiche „Café du Hammam“ in ein Schnellimbissrestaurant zu verwandeln, konnte gerade noch abgewehrt werden. Aber die „Globalisierer“, mit dem Bürgermeister des vierten Arrondissements im Rücken, bedienten sich jetzt subtilerer Waffen. Die Bewohner des Pletzls haben, ähnlich wie jene von Whitechapel jenseits des Ärmelkanals, das Recht, an Sonntagen offen zu halten, weil sie am Samstag ihre Rolläden herunterlassen. Nun trat der Bürgermeister an die Bewohner mit der Idee heran, die Rue des Rosiers zeitweilig zu einer Fußgängerzone an Sonntagen zu erklären. Das war für Khalifa ein Alarmsignal: Ich glaube nicht an zeitlich begrenzte Maßnahmen. Provisorien erweisen sich in der Regel als äußerst langlebig. Obwohl es noch keinen Beschluss der Stadtverwaltung gibt, wetterte er, scheint das Geld für die Finanzierung bereits vorhanden zu sein. Unsere Leute erhalten Anrufe: ,Wollt ihr nicht verkaufen? So gute Preise wie jetzt werdet ihr nie wieder kriegen!‘ In ihrem Kampf erhalten die Pletzl-Kaufleute auch Hilfe aus dem Ausland. So schrieb die Londoner „Jewish Chronicle“, die auch gegen die Schließung von Blooms-Restaurant in Whitechapel (Eigendefinition: „The world's most famous kosher restaurant.“) auf die Barrikaden gestiegen war: Das Pletzl kämpft ums Überleben. Es gibt allerdings auch unter den „Verteidigern“ gemäßigte Stimmen. Florence Finkelstajin, Besitzerin eines Delikatessenladens, plädiert für eine „sanfte Reform“: Wenn Maßnahmen zu rasch durchgezogen werden, zerstören sie den Charakter eines Viertels. Wenn die Lebensmittelläden von McDonalds verdrängt werden, dann ist wirklich alles aus.
Lucian Meysels
Tipps für einen Besuch im Pletzl
Musee d’Art et d’Histoire du Judaisme
Hôtel de St. Aignan 71, rue du Temple 75003 Paris, E-Mail: info@mahj.org,
Restaurants:Jo Goldenberg 7, Rue des Rosiers
Finkelsztaijns 27, Rue des Rosiers
Chez Marianne, Rue des Hospitalières St.-Gervais
Les Ailes Restaurant-Boutique, 34, Rue Richer
… sie haben ihre eigene Überzeugungkraft. So könnte man das Motto des jüngsten Buches, Wendezeiten, umschreiben, das der zweite Nationalratspräsident Heinz Fischer vorstellte. Es ist ein präzises und detailliertes Kalendarium der Stimmungen vor den Wahlen vom 3. Oktober 1999, dem Ausgang der so genannten Wende, und der nachfolgenden Ereignisse: Regierungsverhandlungen, die Regierungsbildung Schüssel/Riess-Passer, Sanktionen, der Weg der schwarzblauen Koalition durch die „Wüste Gobi“, die „Griffe Haiders in das Lenkrad“, Knittelfeld, die vorgezogenen Neuwahlen, die zweite blauschwarze Koalition. Allein der Darstellung dessen, was sich in und während der Regierungsverhandlungen 2000 abgespielt hat, sind nicht weniger als rund 50 Seiten gewidmet.
Eine der Klarstellungen betrifft die Behauptung, von Regierungsseite als Vorwurf erhoben und von den Medien genüsslich wiedergekäut, in Stockholm hätte sich die Sozialistische Internationale zu einer Verschwörung getroffen, um die Verhängung der so genannten Sanktionen gegen Österreich zu betreiben. Tatsächlich hatte es sich um eine Holocaust-Gedenkveranstaltung gehandelt, zu der die konservativ liberale Regierung Schwedens Teilnehmer aus ganz Europa und allen politischen Lagern geladen hatte. Allerdings könnte, so Fischer, die besondere Thematik dieser Konferenz bei den Teilnehmern bestimmte Sensibilitäten verstärkt und die Bereitschaft vergrößert haben, sich zu Wort zu melden.
Fischers Motiv: die Sicht der Wende nicht von der einen Seite monopolisieren zu lassen und vorbehaltlos aufzuzeigen, welches die daraus resultierenden neuen Probleme sind: Beschäftigung, Altersversorgung, Liberalisierung, Privatisierung und gleichzeitig darzulegen, dass man sie, da sie nun einmal in Angriff genommen werden müssen, auch auf andere Arten wie die der Regierung, lösen kann.
So fehlt es zwar nicht an Kritik, aber es ist keine polemische Agitation. Er macht kein Hehl daraus, dass er ein Verfechter der Konsensdemokratie und nicht der Konfrontation ist, wenn er auch freimütig bekennt: „In Österreich wird schon am Konsens gebastelt, ehe noch klar geworden ist, worin der Konflikt besteht.“ Es bedarf wohl des sicheren Fundaments der Gesinnungstreue, eine in der politischen Kultur immer seltener werdende Eigenschaft, wenn man dem politischen Gegner, der noch nicht zum Todfeind mutiert, Gerechtigkeit, und, wo verdient, auch Anerkennung zuteil werden lässt und sich in der Lage fühlt, zuzugeben, dass der andere Recht haben kann und man selbst irren kann – und umgekehrt. Und dass es in der Politik nicht immer nur eine Lösung geben kann.
Dass das Buch zu einem Zeitpunkt erscheint, zu welchem Fischer als Kandidat für die Bundespräsidentschaft ins Rampenlicht tritt, war von ihm nicht beabsichtigt, verleiht jedoch dem Buch in gewissem Sinn den Charakter eines Geleitbriefes.
Fischer empfiehlt sich als Vollblutpolitiker, der durch die Analyse der vergangenen Jahre über klare Einsichten und Wissen verfügt und, wie er zum Ende ausführt, bereit ist, die Herausforderung, gestaltend zu wirken, anzunehmen. Für die Historiker von morgen und übermorgen wird das Buch eine der wichtigsten Primärquellen sein.
Heimo Kellner
Heinz Fischer: Wendezeiten. Ein österreichischer Zwischenbefund. Kremayr & Scheriau, 2003, 320 S., Euro 25,–.
Mit dem Buch „Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit“ liegt eine Neuauflage der eindrucksvollen Autobiographie der jüdischen Ärztin, Psychologin, Sexualwissenschafterin und Schriftstellerin Charlotte Wolff vor. Diese Publikation – aus dem Jahr 1980 – gibt Aufschluss über Wolffs bewegtes Leben und über ihre Begegnungen mit bekannten SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen. Beschrieben ist darin auch ihre Flucht aus Berlin bis hin zu ihren Begegnungen mit Feministinnen im Berlin der 80er Jahre.
1897 als Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Riesenburg/Westpreußen geboren, studierte sie zuerst in Freiburg und anschließend in Berlin Philosophie, Psychologie sowie Medizin. Sie war eine fortschrittliche Jüdin, glücklich unverheiratet, kinderlos und lesbisch. Sie arbeitete als Ärztin in der Geburtshilfe im Städtischen Rudolf-Virchow-Krankenhaus und anschließend als stellvertretende Direktorin in der Klinik für Familienplanungsund Schwangerschaftsfürsorge und Schwangerschaftsverhütung der Allgemeinen Krankenkasse Berlins. Als Jüdin war sie jedoch in dieser Position nicht dauerhaft tragbar und auch im Privatleben prägte sich nationalsozialistisches Gedankengut negativ aus – ihre Lebensgefährtin verließ sie aufgrund ihrer jüdischen Identität nach neun Jahren. Im Februar 1933 wurde Wolff von der Gestapo verhaftet, jedoch kurze Zeit darauf wieder frei gelassen. Darauf flüchtete sie zuerst nach Paris und 1936 nach London.
1939 legte sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit ab und wurde 1947 britische Staatsbürgerin. Obwohl sie bis dahin kaum dem Judentum nahe gestanden hatte, bezeichnete sie sich ab diesem Zeitpunkt als internationale Jüdin mit einem britischen Pass. Bis 1950 durfte sie nicht mehr als Ärztin praktizieren, sie verdiente ihren Lebensunterhalt mit Chiromantie – sie arbeitete im Londoner Zoo und verglich die Hände der Affen mit jenen von Menschen. Diese Studien erregten großes Aufsehen und brachten ihr die Ehrenmitgliedschaft der British Psychological Society ein. 1964 besuchte sie erstmals nach ihrer Vertreibung wieder Deutschland und 1978 auch Berlin.
Schon in früheren Jahren interessierte sie sich für das Themengebiet Psychologie und Sexualität, und als zu Beginn der sechziger Jahre die ersten Schwulen- und Lesbenorganisationen an die Öffentlichkeit gingen, weitete sie ihre Forschungen auf die Bisexualität des Menschen und die weibliche Homosexualität aus. Mit ihrem Buch „Love between Women“ aus dem Jahre 1971 und einer Untersuchung der Bisexualität (1977) erschienen die ersten umfassenden Arbeiten über dieses Thema. Ein wichtigstes Werk war auch das Portrait des Berliner Sexualreformers Magnus Hirschfeld (1868- 1935), das sie kurz vor ihrem Tode fertig stellte. Charlotte Wolff starb am 12. September 1986, kurz vor ihrem 89. Geburtstag, in London.
Petra M. Springer
Charlotte Wolff: Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit.
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Huber. Mit einem Vorwort von Christa Wolf.
Kranichsteiner Literaturverlag, 2003. 319 S. Euro 15,–
Er gilt als einer der bekanntesten Regisseure und meistgespielten Autoren des deutschen Theaters der Gegenwart.
GeorgeTabori – bereits jetzt eine Legende, ein ewiger Optimist, Stückeschreiber, Regisseur, Theaterdirektor und Schauspieler.
Geroge Tabori– auch ein Zeuge des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts, einer, der den Holocaust überlebt hat, und der die Erinnerung daran stets in seinen Arbeiten wach zu halten versucht. Vor drei Jahen hat der namhafter Künstler sein umfangreiches künstlerisches und persönliches Archiv, an die 30 laufende Meter mit Manuskripten seiner Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele und Filme, der Stiftung Archiv der Berliner Akademie der Künste übergeben. Tabori ist seit Jahren selbst Akademie- Mitglied.
Dank dieser Archivunterlagen konnte Anat Feinberg, in Tel Aviv geborene und derzeit in Heidelberg wirkende Professorin für hebräische und jüdische Literatur an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg, die erste Tabori-Biografie in deutscher Sprache vorlegen. Zuvor hatte sie eine wissenschaftliche Studie über den Künstler – allerdings nur in englischer Sprache – veröffentlicht. Schillern wie Taboris Leben sind auch die kapitel des Buches: Jugend in Budapest, Kriegs- und Wanderjahre, (Un-)glück in Hollywood, New York: Zwischen Familie und Theater; Eine schicksalhafte Premiere in Berlin, Theaterexperimente im Labor, Provokationen in München, Von Beckett bis Mozart, Zwischen „Kreis“ und Burgtheater sowie Abschied von Wien.
1969 begann in Berlin mit „Kannibalen“ der Triumph des Theatermachers Tabori. Mittlerweile wird er mit Ehrungen überhäuft, seine Gabe, auch schwierige Themen mit Witz und Humor zu behandeln, hat ihn zum bekanntesten jüdischen Theatermacher im deutschen Sprachraum gemacht. Übersein Publikum meint George Taboris: Ein gutes Publikum ist ein mutiges. Es ist willig, in den Spiegel hineinzuschauen, den wir ihm hochhalten, ein Spiegel, der [...] weder schmeichelt noch die Welttäuschungen bekräftigt [...]. Seit den Griechen ist das Theater unser größter Heiler, unser größter Lehrer und, was aufs Gleiche herauskommt, unser größter Clown.“
( Lesen Sie den ungekürzten Artikel von Beate Hennenberg in der Printausgabe der Ilustrierten Neuen Welt )
Anat Feinberg: George Tabori. dtv, 2003, 192 S., Euro 10,30
Eigentlich hasst Professor Jochanan Rivlin Hochzeiten wie die Pest. Trotzdem fährt er in das an Israels Nordgrenze gelegene arabische Dorf al-Mansura, um seinen gesellschaftlichen Pflichten gerecht zu werden und bei der Trauung seiner arabischen Studentin Samaher mit dabei zu sein. Schließlich könnte sonst der Vorwurf entstehen, dass er seinen arabischen Studenten nicht die gleiche Achtung entgegenbrächte wie seinen jüdischen.
Obwohl sich die Gastgeber alle Mühe machen und die Feier harmonisch verläuft, kippt seine Stimmung um. Denn prompt werden durch die Hochzeit Erinnerungen an die Scheidung seines Sohnes Ofer wach, deren Ursachen selbst nach über fünf Jahren immer noch im Dunkeln liegen. Anders als seine Frau Chagit, eine nüchterne Richterin, empfindet Jochanan Rivlin die Scheidung seines Sohnes wie eine persönliche Niederlage, mit der er sich partout nicht abfinden kann. „Mutter hat als Richterin die Aufgabe, die Vergangenheit mit einem endgültigen Urteil abzuschließen. Aber ich bin Historiker, und die Vergangenheit ist für mich immer eine tiefe, unerschöpfliche Goldgrube voller Möglichkeiten und Überraschungen.“
Und so passiert es, dass er eines Tages vor der Tür der Familie seiner Ex-Schwiegertochter Galia in Jerusalem steht, nur um in die Trauerfeierlichkeiten für deren soeben verstorbenen Vater zu platzen. Weitere Besuche folgen, bei denen er mit geradezu penetranter Vehemenz darauf insistiert, die Gründe dafür zu erfahren, warum Galia seinem Ofer den Laufpass gegeben hat. Peu à peu kommt er der Wahrheit näher: Das Verhältnis Galias zu ihrem verstorbenen Vater war von mehr als nur rein familiär bedingter Zuneigung geprägt. Ebenso obsessiv wie er die mysteriöse Scheidung seines Sohnes zu verstehen versucht, bemüht er sich auch, die ihm merkwürdig erscheinende Ehe seiner arabischen Studentin Samaher zu verstehen. Eine ausstehende Seminararbeit ist für ihn der Grund, immer wieder in das kleine Dorf zu fahren, um mit ihr zusammenzutreffen. Dort trifft er auf eine Samaher, die wenig mit der fröhlichen Studentin gemein hat, die er aus seinen Seminaren kennt, sondern auf eine junge Frau, die massiv unter Depression leidet.
Doch der Roman dreht sich nicht allein um inzestuöse Beziehungen und Hochzeiten. Wie sein Schriftstellerkollege Amos Oz gehört auch A. B. Jehoschua zur „Dor HaMedina“, zur „Generation des Staates“. In den sechziger und siebziger Jahren traten sie als eine neue Generation von Autoren in den Vordergrund, für die „Israelisch sein“ schon etwas ganz Normales ist. Anders als ihre Vorgänger fühlen sie sich nicht mehr dazu veranlasst, ausschließlich die Grandiosität des zionistischen Aufbauwerkes zu besingen. Durch ihr literarisches Schaffen trugen sie mit dazu bei, die israelische Identität zu formen und zu festigen. Sie waren es auch, die sich literarisch mit den Arabern auseinanderzusetzen begannen, ohne auf das Arsenal tradierter Klischees vom naiven edlen Wilden oder blutrünstigen Terroristen zurückzugreifen. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass A. B. Jehoschua mit seinem Protagonisten Jochanan Rivlin ausgerechnet einen „Fachmann in Sachen Araber“, einen Orientalisten, als Plattform für die Darstellung der Beziehungen zwischen Juden und Arabern ins Rennen schickt.
Obwohl der Professor fließend Arabisch spricht und alle seine arabischen Studenten perfekt das Hebräische beherrschen, scheint keiner den anderen so richtig zu verstehen. Zudem ist Rivlins Attitüde gegenüber seinen arabischen Studenten nicht ohne eine gehörige Portion Paternalismus, durchwirkt von einem reichlich krampfhaften Bemühen um Fairness. Dies alles geschieht immerhin in Haifa, einer Stadt, wo das Zusammenleben zwischen Juden und Arabern wenigstens ohne größere Reibereien funktioniert. Professor Rivlins akademisches Steckenpferd ist Algerien und seine islamistischen Gewaltexzesse. Minutiös klopft er die gesamte algerische Lyrik und Literatur der vergangenen hundertfünfzig Jahre auf Hinweise ab, die Aufschluss über die Ursachen der Gemetzel von heute geben könnten. Doch was das Verstehen der Araber direkt vor seiner Haustür angeht, scheint Rivlin irgendwie zu passen. Da hilft auch keine Einweihungsfeier des Chalil al-Sachkini-Kulturzentrums in Ramallah, wo jüdische und arabische Intellektuelle sich jeweils mit der Musik und Lyrik der anderen Seite beschäftigen wollen – natürlich unter demonstrativer Ausklammerung aller Politik. „Aber ohne Politik, ganz entspannt. Alle hätten die Politik gründlich satt. Und Ramallah sei nicht Gaza, wo man gern alle Welt hasse.“ Andererseits sind es immer wieder Araber, die zu Schlüsselfiguren werden, wenn es um das Ergründen der Geheimnisse um die Trennung seines Sohnes Ofers von Galia geht.
A. B. Jehoschua gelingt es famos Grenzen auszuloten. Und zwar in allen Bereichen. Ausgehend von persönlichen Grenzen innerhalb der Familie, beschäftigt er sich mit den politischen und sozialen Trennungslinien zwischen jüdischen und arabischen Israelis sowie den Palästinensern in den Autonomiegebieten. Dabei verwebt er alle diese Themenbereiche in einer einzigen, recht unspektakulär erzählten Geschichte. Auffällig ist dabei, dass A. B. Jehoschuas Roman keine eigentliche Kritik an der israelischen Gesellschaft beinhaltet, sondern vielmehr die Klage darüber, dass der moralische Kodex verloren gegangen ist, der früher einmal vorgeherrscht haben mag.
Ralf Balke
Evelyn Adunka hat mit Abraham B. Jehoschua ein ausführliches Interview geführt. Sie finden es in der Printausgabe der Illustrierten Neuen Welt.
Abraham B. Jehoschua: Die befreite Braut. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Piper, 2003, 671 S., Euro 25,60
Als die Wiener Kulturmanagerin Primavera Gruber im Rahmen des von ihr aufgebauten Klangforums Wien 1992 Noten für eine Veranstaltung zum Thema ,Entartete Musik‘ suchte, musste sie feststellen, dass nichts zu finden war. „Es gab auch niemanden, der uns helfen konnte“, erinnert sie sich. Von da an war Primavera Gruber von dem Gedanken beseelt, diese vergessene, vertriebene, unveröffentlichte Musik und ihre Schöpfer zu finden und wieder ins kulturelle Gedächtnis zu rufen. „Dem Musikland Österreich sollte es doch freudige Pflicht sein, diese schmerzliche Lücke zufüllen. “Dachte sie. Gab ihren Beruf als PR-Beraterin auf, um sich ganz der Aufgabe, Musik und MusikerInnen vor dem Vergessen zu bewahren, zu widmen. Doch schon bei der Gründung des Vereins„zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst“ waren die Hürden größer als Gruberund das anfangs kleine Häuflein Getreuer dachten. Abhalten ließ sich die Kulturmanagerin nicht. Wobei Musik zu finden, zu sammeln, zuarchivieren, nicht ganz einfach ist. Literatur, bildende Kunst existieren per se. Musik lebt erst, wenn sie aufgeführt wird, sie braucht Noten und vor allem Interpreten. Dennoch gab Primavera Gruber nicht auf, knüpfte ein dichtes Netz an Kontakten und leistet seit 1996 kontinuierliche Sammel-und Archivarbeit.
Inzwischen ist der Orpheus Trust bei InterpretInnen, Musikwissenschaftlerinnen und Veranstaltern in aller Welt bekannt und angesehen. Nur in Österreich wird dieLeistung des Vereins nicht entsprechend honoriert. „Ich habe kaum Personal, weil ich mir das nicht leisten kann. Und doch liegen hunderte Interviews auf Datenträgern, die abgeschrieben und geordnet werden sollen. Die Zeit drängt, die Zeitzeugen werden immer weniger. Wir müssen uns beeilen.“ Die Sisyphusarbeit leistet Gruber allein mit einer Assistentin und den freiwilligen MitarbeiterInnen. Der Orpheus Trust führt neben der aufwändigen Forschungsarbeit und der Erstellung einer Datenbank auch Veranstaltungen durch – Konzerte, Vorträge oder Symposien –, auch die vom OrpheusTrust herausgegebene Bibliothek wächst kontinuierlich.
Nur die finanziellen Ressourcen werden immer weniger. 1999 hat der Bund die Unterstützungssumme gekürzt und seither nicht mehr aufgestockt. Und heuer läuftd ie gewährte Dreijahres-Subvention aus.„Wir haben jetzt sieben Jahre von der Hand in den Mund gelebt. Und nun schautes aus, als ob unsere ganze Arbeit vergeblich gewesen wäre.“ Schon können Forschungsanfragen nur schleppend beantwortet werden, weil die drei Fulltime-Jobs, die notwendig wären, nicht bezahlt werden können. Die Datenbank umfasst bereits 500 Namen, doch die Arbeit ist noch nicht beendet. „Es sind gar nicht lauter Unbekannte, die meisten waren damals recht prominent, doch dann wurden sie vergessen, ausgelöscht.“ Im Vorjahr erhielt der Orpheus Trust den renommierten Rennerpreis. Viel Ehr und wenig Brot!„Es gab keine Folgewirkungen. “Ohne persönliches Engagement, ohne Selbstausbeutung hätte der Orpheus Trust niemals die zahlreichen Projekte realisieren können, doch nun verlässt auch die tapfere Initiatorin allmählich die Kraft. Über die zahlreichen Unterstützungsbriefe –„Ihn nicht zu unterstützen, hieße die eigene Kultur zu verleugnen“, schrieb Vereinsmitglied Auguste Neider – freut sich Primavera Gruber – aber sie braucht Geld. „Betteln kostet Zeit und Kraft. Bald habe ich keines mehr davon.“ Noch ist Primavera Gruber nicht ganz entmutigt. Doch wenn nicht bald Hilfe kommt…
Ditta Rudle
EuropaMemoria betitelte Ruth Beckermann ein Projekt, das im Dom im Berg in Graz installiert wurde.
Die in Frankreich und Österreich lebende Filmemacherin sammelte für ihre Video-Installationen ein Jahr lang Gesichter und Geschichten zu den vielfältigen, vielfach keinesfalls freiwilligen Ursachen der Migrationsbewegungen. 25 Menschen erzählten in dieser Installation auf 25 Bildschirmen in 25 begehbaren, mit dickem farbigen Filz verhängten Kabinen von Erinnerungen an die Wanderung innerhalb Europas oder nach Europa wegen Nationalsozialismus, Kommunismus und Kolonialismus. Die Geschichte der vergangenen sechs Jahrzehnte bildete den Hintergrund: Judenverfolgung, Vertreibung der Sudetendeutschen, Vertreibung der Italiener aus Istrien, der Spanische Bürgerkrieg, Ungarn 1956, Prag 1968, Dien Bien Phu, die Folgen des britischen Kolonialismus in Indien und in Afrika, Palästina. Die etwa 10 Minuten langen Gespräche wurden in extremen Close Ups gedreht, was die Aufmerksamkeit auf die Landschaft eines Gesichts und den Laut einer Stimme lenkt. Die BesucherInnen montierten ihren eigenen Film, indem sie die Reihenfolge der Kabinen selbst wählten und die Länge ihres persönlichen Films bestimmten. Sie waren allein in der Kabine, allein mit einem Gesicht, einer Geschichte. Eine bemerkenswerte Arbeit der Künstlerin zum Thema Gedächtnis, Erinnerungskonstruktion und Migration.
Die Galerie aRtmosphere im 15. Bezirk, organisiert von Manuela Schreibmaier und der INW-Mitarbeiterin Petra Springer, zeigte eine umfassende Schau der Meisterklasse für Bildhauerei der Universität für angewandte Kunst, die von Gerda Fassel geleitet wird. Unter dem Titel „Kontravention“ wurden Kleinplastiken aus Gips und Bronze, Gipsreliefs, Zeichnungen, Graphiken und eine Videoinstallation der Lehrenden Gerda Fassel, Stephan Hilge, Roland Reiter, Monika Verhoeven, Judith Wagner und der StudentInnen Jenny El Nadi, Johannes Falkeis, Alexander Hintersberger, Shahin Jafari Bidgoli, Sanna Kaiser, Verena Kranebitter, Esther Pschibul, Michael Stadelmann und Fabian Vogler ausgestellt. Zur Vernissage las Petra Paul in dem zum Bersten vollen Ausstellungsraum aus ihrem Text „Die Liegende“, der den bildhauerischen Schaffensprozess behandelt. Da der Mensch, die menschliche Figur zentrales Thema im Unterricht dieser Klasse ist, war die Figur, auch Schwerpunkt dieser Ausstellung. Einerseits bietet die Figur die für die formale Gestaltung notwendige, unverzichtbare Begrenzung, durch welche erst Bezüge sichtbar gemacht werden können, Aussagen erst möglich sind, andererseits wird durch die Fragmentierung der Figur ihre Begrenzung wieder aufgehoben. Dem von Hegel diagnostizierten Ende der Kunst begegnet man mit einer Ästhetik des Beharrens, mit einem widerständigen Festhalten der Kunst, der Moderne, der postmodernen fiktiven Bilderflut durch ein Insistieren auf dem Formen des greifbar Materiellen im primären Raum als ein Monument prädigitaler Gesellschaft.
Hidden Images – eine Archäologie des Unbewussten nennt Wolf Werdegier einen Zyklus, in dem er sich mit den unbewältigten Problemen der Palästinenser und der Israelis auseinandersetzt. Bemerkenswert an dieser Ausstellung ist auch der Umstand, dass sie an drei verschiedenen Orten stattfand – in Ostjerusalem, in Tel Aviv und in Ramalah. In zusätzlichen Workshops wurde diese Problematik ausführlich diskutiert, wobei verständlicherweise die unterschiedlichsten Meinungen zum Ausdruck kamen. In großen Teilen beider Völker entstanden im Laufe ihrer dramatischen Geschichte viele Ängste, Traumen und Träume. Dem Künstler geht es vor allem darum, den verschiedenen Realitäten nachzuspüren und die Beteiligten auf diese hinzuweisen. Ziel dieses Projektes ist es, den Betroffenen ihre versteckte und „unbewusste Landschaft“ vor allem emotional entdecken zu lassen und somit eine bessere Basis zu schaffen, Probleme rational zu bewältigen.
The Vienna Mirror – das starke und verwundbare Herz der Demokratie,
ein Projekt des Wiener Malers und Bildhauers Bernd Fasching, besteht aus drei Elementen, die in chronologischer Abfolge ein Gesamtprojekt rund um das Denkmal und um die Person Karl Luegers ergeben. Eine vorbereitende künstlerische und mediale Ausstellung mit Elementen des Projekts im ehemaligen Postpalais (Karl-Lueger-Platz 5) dient vorerst der Vermittlung des komplexen Themas Karl Lueger und Wien. Gezeigt werden aber auch Bronzen und weitere Werke von Bernd Fasching, die das Projekt im Kontext seiner bisherigen internationalen und nationalen Arbeiten präsentieren, wie „12 Tage und 12 Nächte“, „Terra Nova“ oder „Vienna Pillows“. In einem nächsten Schritt werden einzelne Straßenbahnzüge – vor 100 Jahren gründete Karl Lueger die städtischen Straßenbahnen – zu Ausstellungsobjekten umgestaltet und auch im Inneren künstlerisch bearbeitet. Die Passagiere werden zu „Zeitreisenden“ auf der Zeitachse entlang der Ringlinien und somit selbst zu einem Bestandteil der temporären Kunstaktion. Der dritte Teil besteht aus einer begehbaren Skulpturenformation des Künstlers beim Karl-Lueger-Denkmal und soll Anfang 2004 umgesetzt werden. Die seit Jahrzehnten notwendige Diskussion über die Bedeutung Karl Luegers als großer Kommunalpolitiker und gleichzeitig als Wegbereiter des österreichischen Antisemitismus wird mit den Mitteln der künstlerischen Auseinandersetzung neu geführt.
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Letzte Änderung: 03.01.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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