Joanna Nittenberg,
Stadtrat Mailath-Pokorny
Im Rahmen einer würdevollen Feier erhielt Dr. Joanna Nittenberg, Herausgeberin und Chefredakteurin der Illustrierten Neuen Welt, am 19. Jänner das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien.
Bei der Überreichung würdigte Stadtrat Dr. Andreas Mailath-Pokorny die Bedeutung der Arbeit Johanna Nittenbergs als unverzichtbaren Beitrag zur heutigen jüdischen Kultur in Wien.
Die heftig akklamierte Laudatio wurde von Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka gehalten. Er hob den unermüdlichen Einsatz und das politische Engagement Nittenbergs hervor:
Den publizistische Kampf gegen den Ungeist führt Joanna Nittenberg nicht sosehr im eigenen Interesse, auch nicht sosehr im Interesse der Jüdinnen und Juden dieses Landes. Sie kämpft diesen Kampf auch und vor allem im Interesse Österreichs; im Interesse der Demokratiequalität in diesem Land; im Interesse von Österreichs Europa- und Weltoffenheit. Die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Antisemitismus ist zuallererst eine Sache Österreichs – und zwar insbesondere des nicht-jüdischen Österreich.
Den gesamten Wortlaut der nicht nur für den Kreis der in der Feierstunde Anwesenden interessanten und relevanten Rede Anton Pelinkas finden Sie in der nächsten Ausgabe der Illustrierten Neuen Welt.
Joanna Nittenberg bekannte sich in ihrer Dankesrede zur Abschicht, seit mehr als dreißig Jahren mit ihrer Arbeit eine Brücke zwischen der jüdischen und nichtjüdischen Welt, zwischen Österreich und Israel bauen zu wollen. Damit unterstreicht sie auch das Motto der Illustrierten Neuen Welt : Mehr Toleranz durch mehr Information.
Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Politik nahmen an der Feier im Roten Salon des Wiener Rathauses teil. Viele von ihnen sind als MitarbeiterInnen, UnterstützerInnen und FreundInnen der Illustrierten Neuen Welt am Erfolg und dem Bestand der Zeitung beteiligt.
Freunde und Freundinnen, Mitstreiterinnen und Mitstreiter, Leser und Leserinnen, kurz alle, die mit Joanna Nittenberg feiern wollten, um ihrer Freude über die Ehrung Ausdruck zu verleihen, waren am Sonntag, 23. Jänner zu einem Fest ins Ensemble Theater am Petersplatz geladen.
Nittenberg mit Doron Rabinovici und
Verdienstzeichen
Eine bunte Mischung aus allen Bereichen des öffentichen und privaten Lebens fand sich zu einer schier unüberschaubaren Gästeschar zusammen. Gesehen wurden unter vielen anderen: Paul Lendvai, Georg Hoffmann-Ostenhof, Wolfgang Hutter, Walter Schmögner, Franz Ringel, Heinz Unger, Rudolf Scholten, Beppo Mauhart, Therezija Stoisits, Bernd Marin, Felix de Mendelssohn, Shmuel Barzilai, Gerhard Bronner, Elfriede Gerstl, Reinhold Knoll, Gerhard Ruiss, Doron Rabinovici, Arlette Leupold-Löwenthal, Hans Paul Lendvai, Georg Hoffmann-Ostenhof, Wolfgang Hutter, Walter Schmögner, Franz Ringel, Heinz Unger, Rudolf Scholten, Beppo Mauhart, Therezija Stoisits, Bernd Marin, Felix de Mendelssohn, Shmuel Barzilai, Gerhard Bronner, Elfriede Gerstl, Reinhold Knoll, Gerhard Ruiss, Doron Rabinovici, Arlette Leupold-Löwenthal, Hans Veigl …
Durch das Programm, mit zahlreichen Laudationes und künstlerischen Darbietungen führte Gerhard Ruis; Mandy's Mischpoche sorgte für die musikalische Unterhaltung.
Das Fest dauerte bis in die frühen Morgenstunden.
Mit dem Tod des palästinensischen Langzeitpräsidenten Yassir Arafat wurden die Karten im Nahen Osten neu gemischt. Allein, in welche Richtung sich der schüchtern wieder aufflackernde Friedensprozess entwickeln wird, ist selbst kurzfristig unklar. Zum einen hielt ein versöhnlicher Gesprächston nach vier Jahren Intifada wieder Einzug in den israelisch-palästinensischen Dialog. Die palästinensischen Sicherheitskräfte durften während der drei offiziellen Trauertage erstmals seit Jahren wieder Waffen tragen. So blieben gefürchtete Szenarien aus: es kam zwar zu vereinzelten Zusammenstößen, die befürchtete Konfrontation zwischen der Armee und tausenden trauernden Demonstranten blieb jedoch aus. Hohe Offiziere machten gar ihren palästinensischen Kollegen und bisherigen Feinden über die Zusammenarbeit am Tage der Bestattung Komplimente.
Israel steigerte sich schnell in eine optimistische Friedenseuphorie: kaum ein Politiker, der nicht hoffnungsvoll von einer „neuen Ära“ sprach. Entmottetes Aussöhnungsvokabular ertönte dabei längst nicht nur von der Linken: auch Erzpessimisten der regierenden Likud-Partei ließen sich vom aktuellen Trend anstecken. Gegner des umstrittenen Entkopplungsplanes des israelischen Premiers Ariel Scharon sahen im Tod Arafats einen geeigneten Vorwand, um die Umsetzung des Vorhabens zu verschieben. Das zentrale Argument für den Plan, nämlich das Fehlen eines pragmatischen palästinensischen Partners, sei mit dem Ableben Arafats obsolet geworden, so ihre Räson. Mit einem Mal zogen selbst Falken wie Finanzminister Benjamin Netanyahu oder Außenminister Silvan Schalom Gespräche mit jedem palästinensischen Nachfolger Arafats unilateralen israelischen Maßnahmen vor.
Scharon, sonst eher für seine Unverblümtheit bekannt, bewies ein überraschendes Maß an Takt. Seit dem Tode Arafats wurden Beziehungen auf höchster Ebene aufgefrischt. Es bestehen wieder fortwährende Kontakte auf lokaler Ebene, auch auf nationaler Ebene tauschen sich insgeheim die Ministerien der Premiers aus. Scharon nahm nicht nur Abstand davon, Arafat posthum wie vorgesehen zu desavouieren, er machte gegenüber dem erhofften Nachfolger, dem frischgebackenen PLO-Chef Machmud Abbas, sogar unerwartete Zugeständnisse. Das Begräbnis Arafats in Ramallah statt im Gazastreifen war nur der erste Schritt von vielen: es folgte die Zustimmung, die Araber im 1967 eroberten Ost-Jerusalem an den Wahlen der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) teilnehmen zu lassen. Scharons Weggefährten überraschte er mit einer Relativierung der ehedem kategorischen Vorbedingung für die Neueröffnung der Friedensgespräche. War früher noch die Entwaffnung der Hamas das sine qua non, fordert Scharon jetzt nur noch die Einstellung der Hetzkampagne in den palästinensischen Medien und Schulen, bevor er sich an den Verhandlungstisch setzt. Ließ Scharon bisher die Führer der Hamas noch weltweit um ihr Leben fürchten, verblüffte er nun mit der Entlassung eines hochstehenden Hamasführers, des ehemaligen Sprechers in der Westbank, Hassan Yussuf. Beim Besuch des US-Außenministers Collin Powell erklärte Scharon sich sogar dazu bereit, den einseitigen Abzug mit den Palästinensern zu koordinieren.
Auch auf palästinensischer Seite mehren sich die Zeichen der Annäherung. Das Versprechen des amtierenden Premiers Achmed Kurei, illegale Waffen einzufordern und die Anarchie zu bekämpfen, klingt wie Musik in israelischen Ohren. Abbas widmet einen Großteil seiner Zeit der Bemühung, alle palästinensischen Fraktionen zu einem Waffenstillstand bis zu den Wahlen zu bewegen. Laut palästinensischen Quellen sind die Aussichten für eine solche „Hudna“ besser denn je. Hardliner wie der frischgebackene Fatah-Chef Faruk Kadumi, der bisher jeden Kompromiss kategorisch ablehnte, bekräftigten ihre Verhandlungsbereitschaft mit Israel. Manche extremistische Splittergruppen der Fatah-nahen Al- Aksa Brigaden, die für die Mehrheit der Attentate gegen Siedler verantwortlich sind, gaben in Pamphleten in der Westbank ihr grundsätzliches Einverständnis zu einem Waffenstillstand mit Israel bekannt. Dabei stellten sie die Bedingung, dass „vitale Interessen unseres Volkes bewahrt“ werden müssten. Selbst der freigelassene Yussuf, nun eine der wichtigsten Personen in der durch die israelische Tötungspolitik gesichtslos gewordenen Hamas, schloss in einem Interview an das israelische Radio einen Waffenstillstand und eine Teilnahme an den Wahlen der PA nicht mehr aus. Sollte die Hamas letztendlich tatsächlich an den Wahlen in der PA teilnehmen, wäre sie danach zumindest indirekt an Gesprächen mit Israel beteiligt. Dies wäre ein bedeuten- der ideologischer Wendepunkt für die islamistische Bewegung.
Längst nicht alle Zeichen deuten jedoch in eine rosige Zukunft. Obschon die israelische Armee ihren Plan „neues Blatt“ für die Zeit nach Arafats Tod umsetzt und die Reibungspunkte mit den Palästinensern auf ein Minimum begrenzt, werden fast täglich weiter Menschen erschossen, Häuser abgerissen und Felder wie Plantagen planiert. Bewegungsfreiheit und Arbeit bleiben für die in den Städten eingeschlossene breite Bevölkerung weiterhin ein ferner Traum. Scharon spricht jetzt vielleicht versöhnlicher denn je, die Siedlungen in der Westbank werden aber trotzdem weiter ausgebaut. Es wäre naiv anzunehmen, dass eine pragmatischere palästinensische Führung einen Akt tolerieren kann, der von der eigenen Bevölkerung als Landraub und Wurzel allen Übels angesehen wird. Auf der palästinensischen Seite sind die Gegner des Friedens ebenfalls hoch aktiv. Laut Berichten des israelischen Geheimdienstes überweist der Iran mit Hilfe der Hisbollah immense Summen an willige Gruppen bewaffneter Palästinenser mit der Forderung, eine neue Terrorwelle anzukurbeln. Während ein Teil der Hamas von Wahlen spricht, präsentiert ein anderer stolz neue Kassam-Raketen mit verbesserter Reichweite und verspricht, den bewaffneten Kampf niemals aufzugeben. Ein Vorfall im Gazastreifen, bei dem zwei der Leibwächter Abbas von Fatah-Aktivisten erschossen wurden, verstärkt in Israel die Besorgnis über die Drohungen palästinensischer Fanatiker, Abbas zu ermorden, sollte er zu große Zugeständnisse machen. Das abgrundtiefe Misstrauen der Palästinenser lässt sich daraus ablesen, dass mehr als 60% von ihnen trotz der Beteuerungen der französischen Ärzte davon überzeugt sind, dass Israel Arafat vergiftet haben soll.
Ein zarter Keim der Hoffnung sprießt seit wenigen Wochen im Nahen Osten. Ein bloßer unglücklicher Zufall, wie ein strategisches Attentat oder eine disproportionale Reaktion eines Soldaten, könnte sich in dem leicht entzündlichen Klima aber blitzartig verselbstständigen und eine Eigendynamik entwickeln, die jede Hoffnung unter sich begräbt. Mit dem Tode Arafats ist die Lage zwar hoffnungsvoller als seit mindestens vier Jahren. Jubel über eine „neue Ära“ scheint angesichts der vielen Gefahren und zu erwartenden Rückschläge aber noch verfrüht.
Gil Yaron
Präsident Moshe Katzav zu Besuch
bei Präsident Heinz Fischer
Vier Tage lang stand die österreichische Hauptstadt Wien im Zeichen des ersten Besuches eines israelischen Staatspräsidenten im Geburtsland Hitlers.
Starke Sicherheitsmaßnahmen beeinträchtigten zuweilen den Verkehr, aber erstaunlicherweise nahm es die Bevölkerung ohne ausfallende Bemerkungen zur Kenntnis. Präsident Moshe Katzav hatte ein dichtes Programm zu bewältigen. Neben Gesprächen mit österreichischen Spitzenpolitiker und Mitgliedern der jüdischen Gemeinde sollte der Besuch im Konzentrationslager Mauthausen und die Kranzniederlegung beim Holocaust- Denkmal am Judenplatz an die verhängnisvolle und grausame Geschichte Österreichs erinnern und der Opfer gedenken.
Aber trotz des Gedenkens und niemals Vergessens müsste man auch in die Zukunft blicken, meinte Präsident Katzav in seiner Tischrede anlässlich des Galadiners zu dem Präsident Heinz Fischer in die Hofburg lud. Präsident Katzav zeigte sich nicht nur beeindruckt von den Prunkräumen der Hofburg, sondern unterstrich auch die Bemühungen Österreichs im Kampf gegen den Antisemitismus. Im Laufe der letzten Jahre haben die österreichisch israelischen Beziehungen Höheund Tiefpunkte erfahren. Doch auch in den Jahren mit Schwierigkeiten sei der Dialog zwischen beiden Völkern nie abgebrochen worden, versicherte Katzav.
Mit Besorgnis stellte er einen wachsenden Antisemitismus in Europa fest und wies darauf hin, dass es enge Zusammenhänge zwischen Antisemitismus und Terror gäbe. Der Terror trifft nicht nur Israel, sondern auch die Palästinenser sowie die gemäßigten Regime der arabischen Welt und beeinträchtigt die Stabilität der ganzen Welt.
Das jüdische Volk stehe in keiner Konfrontation mit dem Islam, versicherte er: Wir betrachten die Palästinenser nicht als Feind. Die palästinensischen Terroristen sind unsere Feinde. Der grausame Terror sowie die andauernde Gewalt verhindern eine Rückkehr zu den Verhandlungen, die der einzige Weg sind, um eine Lösung dieses ständigen Konfliktes herbeizuführen. Der Präsident bekannte sich voll zur Roadmap und forderte die europäischen Regierungen auf, Wirtschafts- und Finanzhilfe an die Palästinenser nur dann zu vergeben, wenn diese den Terror gegen israelische Bürger einstellen. Die EU könne weiterhin die Palästinenser bei ihrem Streben nach Unabhängigkeit politisch unterstützen, im Kampf gegen Terror sollte Europa auf der Seite Israels stehen.
Dieser historische Besuch war ein wichtiger Schritt in persönlichen Gesprächen und öffentlichen Statements, die in der Vergangenheit oft strapazierten Beziehungen beider Völkern zu vertiefen.
J. N.
Die Wahlen von 2004 gaben Präsident Bush und seiner Republikanischen Partei eindeutliches Mandat für die nächsten vier Jahre, aber nicht den erhofften Einbruch in die jüdische Wählerschaft, den sie sich angesichts der betont Israel freundlichen Politik des Präsidenten erhofft haben.
Alle Wahlstatistiken sprechen für einen Vorsprung Kerrys von 55–57 Prozent gegen 23–25 Prozent jüdischer Stimmen für Bush. Dieses Ergebnis löste prompt eine intensive Debatte zwischen Demokraten und Republikanern darüber aus, wie diese Resultate zu werten sind. Die Demokraten suchten Trost in der Tatsache, dass Bush wide rErwarten und trotz seiner Partnerschaft mit Israels Ariel Scharon nur wenige Prozente jüdischer Stimmen gegenüber den Wahlen von 2000 hinzugewann. Die Republikaner deuteten aber diesen Stimmenanstieg als einen weiteren Schritt auf dem Wege der „Republikanisierung“ der jüdischen Wählerschaft.
Einfach ist es nicht die Wahlresultate aus jüdischer Sicht zu analysieren. Die Demokraten haben schon Recht mit dem Hinweis, dass es lediglich Bush war, der jüdische Stimmen hinzugewonnen hat, keineswegs die Republikanische Partei. Republikanische Kandidaten für beide Häuser des Kongresses schnitten nicht so gut ab. Während etwa in Florida Bush 23 Prozent der jüdischen Stimmen gewann, brachte es der republikanische Senatskandidat Mel Martinez nur auf 16 Prozent . Zahlreiche jüdische Sprecher sehen in den Wahlergebnissen einen Beweis dafür, dass Amerikas Juden nicht unbedingt und ausschließlich auf Israels Interessen bedacht sind, die Sicherheit Israels stelle lediglich eine von vielen Erwägungen und eines der Bindeglieder zwischen Amerika und dem Krieg gegen den islamistischenTerror dar.
Erwartungsgemäß zogen orthodoxe Juden mit 69 Prozent Bush seinem Rivalen vor, während unter den Konservativen und den Reformjuden Kerry 77 Prozent bzw. 85 Prozent der Stimmen gewann. Wie amerikanische Wähler in Israel,stimmten auch jene Juden in den USA, für die Israel im Mittelpunkt aller Erwägungen steht, vorwiegend für Bush. Beiden Orthodoxen spielte neben der israelfreundlichen Politik der Bush-Administration auch deren konservative, religions-und familienorientierte Politik eine wichtige Rolle. Das gilt auch für die mittlerweile in die Hunderttausende angewachsene Gemeinde russisch-jüdischer Imigranten, die konservativer und in israelischenDingen viel „falkenhafter“ denken als alteingesessene US-Juden derz weiten, dritten, oder auch vierten Generation.
Vom neuen amerikanischen Kongresswerden werden keine wesentlichen Änderungenerwartet. Zahlenmäßig blieb die jüdische Vertretung in beiden Häusern unverändert: mit 11 von 100 Senatoren und 26 Kongressabgeordneten ist das US-Judentum proportionell zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung weit mehr als nur ausreichend vertreten. Angesichts der verstärkten Präsenz von Republikanern und verstärkter Präsenz evangelikanischer Christen in beiden Häusern ist mit der Fortsetzung der betont proisraelischen Linie des Kongresses zu rechnen.Die orthodoxen Juden Amerikas, derzeit noch zahlenmäßig die kleinste, aber kinderreichste und von Assimilation und Mischehen verschonte Strömung im US-Judentum, hatten allerdings neben Israel auch ihre soziale Agenda, die sie von den Republikanern besser vertreten empfinden.Wie die Konservativen unter den Republikanern widersetzen sich auch die orthodoxen Juden Abtreibungen, gleichgeschlechtlichen Ehen und unterstützenstaatliche Zuschüsse für religiöse Institutionen– im totalen Gegensatz zu der Haltung nichtorthodoxer Juden, die sich in diesen Belangen mit den Demokraten identifizieren. Wie die Republikaner unterstützen auch die orthodoxen Juden den neuen Gesetzentwurf (Workplace ReligiousFreedom Act), der religiösen Personen ausreichenden Schutz bieten soll, ihre Religion am Arbeitsplatz zu praktizieren.
Die orthodoxen Juden wie die russischen Immigranten waren und bleiben in größerem Maße als der Rest der jüdischen Gemeinschaft auf verschiedene karitative Organisationen angewiesen. Die großen jüdischen Organisationen sind immer weniger imstande dieses finanzielle Bedürfnis zu stillen, denn superreiche jüdische Philanthropen haben seit Jahren viel öfters Millionenspenden Museen,Opernhäusern, Spitälern und sonstigen Einrichtungen als jüdischenZwecken zukommen lassen. Israel gilt mittlerweile als entwickelter Industriestaat,militärisch als regionale Supermacht, kaum noch auf Philanthropie angewiesen.Staatliche Programme der Alters-und Krankenfürsorge sind in finanziellenSchwierigkeiten und müssen mitBudgetkürzungen rechnen. Im Vordergrundbudgetärer Erwägungen werden in absehbarer Zukunft nationale Sicherheit, Terrorabwehr und Außenpolitik stehen. PräsidentBushs Plan, staatliche Wohltätigkeit durch karitative Werke religiöser Gemeinschaften zu ersetzen, haben bei nichtorthodoxen Juden bisher wenig Gefallen erweckt. Republikaner unterstützten darüber hinaus eine jüdische Initiative, aus den Fonds des Heimatsschutz-Ministeriums Finanzierung für den Schutz von Synagogen und jüdischen Einrichtungen zur Verfügungzu stellen.
Die in der nächsten Amtsperiode Bushs fällige Neubesetzung durch Rücktritt aus Alters- und Gesundheitsgründen vakant werdenden Posten im Obersten Gerichtshofsind für die jüdische Gemeinschaft gleichfalls von größtem Interesse. Das Gericht wird sich in den kommenden Jahren mit Fragen der Geburtenkontrolle, der Trennungslinie zwischen Staat und Kirche und sonstigen Dingen befassen,denen die meisten US-Juden nicht gleichgültig gegenüberstehen. Oberrichterin Ginsberg, eine von insgesamt zwei jüdischen Mitgliedern des Obersten Gerichtshofes, leidet an Krebs. Der Vorsitzende des Gerichtshofes ist seit kurzem gleichfalls krebsleidend. Insgesam tvier Posten im Gericht dürften in den nächsten vier Jahren neu zu besetzen sein und im Senat sind heftige Kämpfe über die Kandidaten für diese Posten zu erwarten.
Im Mittelpunkt wird der soeben zu seiner fünften Amtsperiode wiedergewählte republikanische Senator Arlen Specteraus Pennsylvanien stehen (der einzigejüdische Republikanerim Senat), der als neuer Vorsitzender des Senate Judiciary Committee die Anhörungen über neuernannte Oberrichter leiten wird.
Der Tod des Palästinenserführers Yassir Arafat und die damit verbundene Möglichkeit der Wiederbelebung des nahöstlichen Friedensprozesses, der Rücktritt des Außenministers Powell und der Einzug der bisherigen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice ins State Department sind Entwicklungen, denen das US-Judentum große Aufmerksamkeit schenken wird. In diesen für Israels Zukunft und Sicherheit entscheidenden Fragen dürfte sich auch zeigen, ob die zweite Amtsperiode Bushs eine Ähnlichkeit mit der ersten aufweisen wird.
Zeev Barth
Jelinek im Gespräch mit Gerstl
Elfriede Jelinek hat sich nichts gewünscht und hat den Preis aller Preise bekommen, den Nobelpreis für Literatur, zu dem man ihr aus einer Vielzahl von Gründen und von Herzen gratulieren muss.
Sie hätte ihn, sagt sie, einigen Kolleginnen und Kollegen vergönnt, und wäre zurückgezogen, wie sie gerne lebt, mit ihrem vorigen Bekanntheitsgrad und öffentlichen Beachtetwerden zufrieden gewesen. Aber nein, die Jury hat in ihrer Begründung Jelineks Erfindungs-Furor, die Vielfältigkeit ihrer Einfälle, ihre verlässliche Wut auf Unterdrückung, Rassismen und schamlose Ungleichbehandlung von Frauen und von Minderheiten unbedingt anerkennen wollen.
Das „andere Österreich“, wie man neuerdings sagt, wenn man sich als Kritiker der gegenwärtigen Regierung zeigen will, freut sich mit ihr.
Jetzt steht sie da mit ihrem Preis, den ihr gewiss einige neiden, mit einem netten Stück Geld, aber auch mehr öffentlicher Beachtung als ihr angenehm und wünschenswert erscheint. Damit meine ich nicht nur die eintrudelnden Kamerateams und Interviews einfordernden Journalisten, diese Mühsal war vorherzusehen.
Damit nicht genug, werden ihr von Bekannten aller Art andauernd und hartnäckig allerhand ungebetene Ratschläge angeboten. Stellvertretend möge sie realisieren, was die Projizierenden für gut und richtig erachten. Sich mit ihr identifizierend, wünschen sich öffentlich und privat Journalistinnen und Kolumnisten, Theaterleute, Leser und Fans, dass sie in ihrem Sinne handeln möge. Selbst in der U-Bahn trägt man mir auf, zu welchen Thematiken und Auftritten ich sie überreden soll.
Der kommunikationsscheuen Person, der ihre Kaffeehausbesuche mit Freundinnen in der Wiener Innenstadt verleidet sind, weil sie immer wieder von Fremden angeplaudert wird, rät man gerne, sich doch einen Ruck zu geben und doch noch nach Stockholm zur Preisverleihung zu fahren, um der Sache der Frauen, der Künstler, der Antifaschisten etc. Gewicht zu verleihen.
Dass sie mit ihren Romanen und Theaterstücken, auf hohem ästhetischen und intellektuellen Niveau, zeigt, wie sie denkt und auf welcher Seite sie steht, scheint manchen nicht zu genügen. Auch ihre Bitte um Schonung vor Menschenmengen wird von manchen nicht ernst genommen, nicht respektiert.
Ich bin mir sicher, schließlich sind wir seit dreiunddreißig Jahren miteinander befreundet, dass sie ihren Elan und Kampfgeist nicht verlieren wird, ich wünsche mir für sie mehr Respekt für ihre Wünsche und Empfindlichkeiten, mit Ezzes ist sie versorgt.
Die Erkenntnis, dass die wahre Judenfrage ein innere und individuelle ist, nämlich die Stellungnahme jedes einzelnen Juden zu der ererbten Wesensbesonderheit, die er in sich vorfindet, zu seinem inneren Judentum, und dass dieses allein das Volk statuiert, war Herzl versagt.
Martin Buber
Er und Wir – Zu Herzls 50. Geburtstag (1910)
Da ist es, Juden! Kein Märchen, kein Betrug!
Jeder kann sich davon überzeugen, denn jeder trägt ein Stück vom Gelobten Land hinüber: der in seinem Kopf, und der in seinen Armen, und jener in seinem erworbenen Gut.
Theodor Herzl Der Judenstaat (1896)
Buber und Herzl, beide waren als politische Denker in erster Linie Kinder ihrer Zeit im europäischen Zwischenraum, wo die Problematik von Individuum und Gesellschaft im Mittelpunkt stand.
Der Zionismus war für Buber keine Partei, sondern eine Bewegung, die zu einer jüdischen Renaissance führen sollte, zu einer Neubelebung der jüdischen Kultur durch eine Rückkehr zu den Quellen, den schriftlichen der Bibel und den örtlichen des Landes Israel.
Den gesamten Artikel von Rabbinerin Eveline Goodman-Thau finden Sie in der aktuellen Ausgabe (Dezember 2004/Jänner 2005) der Illustrierten Neuen Welt.
Es war nicht eigentlich der jüdische Geist, der zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und dem denkwürdigen Datum der Auslöschung des österreichischen Judentums mit dem Einmarsch Adolf Hitlers am 12. März 1938 in das Salzkammergut im Allgemeinen und in das Ausseertal im Besonderen jeweils pünktlich zur Sommersaison eingezogen war. Die Dichte und Bedeutung aber zahlreicher kreativer Geister jüdischer Herkunft ist einzigartig und bemerkenswert! Man könnte fast von einem unsichtbaren Sommertheater ohne festen Spielplan und ohne Programm sprechen, aber mit einer außerordentlich begabten Besetzung, von Hugo v. Hofmannsthal bis Jacob Wassermann, von Hermann Broch bis Friedrich Torberg, von Gustav Mahler bis Arnold Schönberg und Egon Wellesz, von Sigmund Freud bis zur Psychoanalytischen Gruppe um Siegfried Bernfeld und Mädi Olden im Kreuz am Grundlsee, von Theodor Herzl bis zu Eugenie Schwarzwald.
Die Gruppe der emanzipierten und bürgerlichen Schriftsteller, Musiker, Komponisten, Journalisten und Professoren jüdischer Herkunft nahm mit Begeisterung an dem jährlichen rituellen Ausflug in die ganz andere Welt teil und unterwarf sich dem Brauch des Trachtentragens, der Idylle vom einfachen Leben und der scheinbaren oder echten Nähe zum Volk der einheimischen Bergbauern, Holzknechte, Bergleute und Salinenarbeiter, ebenso wie ihre nicht-jüdischen Zeitgenossen aristokratischer und großbürgerlicher Herkunft. Nichts verband sie mit dem fundamentalistischen und orthodoxen Judentum des europäischen Ostens und oft auch noch ihrer eigen Großväterund Urgroßvätergeneration. Nichts hätte sie mehr erschreckt, als die religiöse oder gar persönliche Verwandtschaft mit Menschen zugeben zu müssen, die streng nach den Ritualvorschriften des jüdischen Glaubens ihr Leben einzuteilen bereit waren, mit koscherer Küche, Arbeitsverbot am Sabbat, Tragen von Kaftan, Schläfenlocken und Käppi und leidenschaftlicher Ablehnung der Taufe quasi als ärgste Sünde und Verrat am Gott des Alten Testaments. Das Nicht-mehr-Jude-sein-Wollen war die Parole und die naive Leidenschaftlichkeit, ebenso innigen Anteil am Sommertheater haben zu dürfen, wie die in ihrer selbstverständlichen und angeborenen Katholizität agierenden Hofräte, Universitätsprofessoren, Diplomaten und gamsjagenden Aristokraten.
Konrad Mauthner
Betrachten wir einen Augenblick die Kulissen dieses einzigartigen „Sommertheaters“, bevor wir uns den Spielern und ihren Einzelschicksalen zuwenden: Da steht die Jagdkulisse vor uns, mit dem Hauptdarsteller Erzherzog Johann. Gamskar und der Adlerhorst, die Hirschbrunft und der Murmeltierpfiff beleben diese Kulisse, die wir uns als Alm oder Gamskar hoch über der Baumgrenze vorzustellen haben, mit dem Kaiser als obersten Jagdherren im Ischler Revier, mit den fürstlichen Hohenlohes in Altaussee, oder mit den gräflichen Kinskys, Kesselstatts und Strachwitzs am Grundlsee. Inmitten dieser Kulisse wurde die Idealfigur des „edlen Wilden“ geboren, der in wadelstrammer Naturburschenhaftigkeit, die hohen Ideale der Rousseau’schen Rückkehr zur Natur wie in den lieblichen Landschaften von Gauermann und Waldmüller verkörpernd, zur Paradeschau des natürlichen Naturtheaters zwischen Traunstein, Dachstein und hohem Priel beizusteuern hatte. Im Sommertheater- Akt mit der Jagdkulisse gibt es kaum Mitspieler jüdischer Herkunft, aber in der Darstellung des edlen Wilden selbst haben wir das Paradebeispiel in der Figur des Konrad Mautner, Großbürgersohn und Textilimperiumserbe aus Wien-Pötzleinsdorf, der sich in Gössl am Grundlsee zum musizierenden „Holzknecht“ mit Hülzen, Gamsbart und langer Tabakpfeife mit Porzellanknopf hoch- bzw. herabstilisierte.
Mautners leidenschaftliche Liebe zur Ausseer Gegend, den Ausseer Menschen und dem Brauchtum hat uns das „Raspelwerk“ beschert, jenem wohl schönsten Dokument der romantischen Suche nach den wahren Quellen der alpenländischen Liedkunst.
Meine scheinbar kühne Behauptung, dass die beiden jüdischen Menschen Konrad Mautner und Theodor Herzl ihre neue Identität hier zu finden versuchten, in dem einen Fall die bis ins Letzte durchstilisierte Schein-Existenz als Gössler „Holzknecht“, in dem anderen Fall die neue Lebensform als nationaler Jude in einer neuen, gleichzeitig alten festumrissenen Heimat, in ALT-NEULAND, wie es Herzl in seinem utopischen Roman von 1902 nennt, erklärt sich aus der damaligen Situation der Juden um 1900. Sie hatten ihre alte Identität und geistig-geistliche Heimat zwischen Thora und strenger Befolgung altertümlicher Ritualgesetze verloren und waren mit leidenschaftlicher Inbrunst zur Suche nach neuen, zeitgenössischen Identitäten und Lebensformen aufgebrochen. In beiden Fällen reihen sich die beiden Suchenden in die große Schar der Himmelsstürmer ein, welche, von den Idealen der französischen Revolution beflügelt, neue persönliche und nationale Identitäten suchten. Sei es im Dreigestirn der Ideale von liberté, egalité und fraternité oder im Sammeln von romantischem Volksliedgut der Völker, auf welche Pfade sich ein Johann Gottfried Herder oder auch ein Konrad Mautner begeben hatte. Man wollte die Fesseln der Reaktion abschütteln, ob in Form der Zuchtrute des Vatikans als Weltmacht oder in Form des scheinbar bescheideneren, aber ebenso intoleranten Rabbiners aus einem galizischem Stettl zwischen Pruth und Weichsel. (Auszug)
Lesen Sie den gesamten Anrtikel von Wolfgang Fischer in der aktuellen Ausgabe (Dezember 2004/Jänner 2005) der Illustrierten Neuen Welt.
Es wird sicher besser werden, aber erleben werd' ich's nicht.
Diesen prophetischen Satz schrieb der große Kabarettist und Schriftsteller Fritz Grünbaum (1880– 1941) von einem Aufenthalt in Deutschland 1932 an seine Nachbarin. „Überall haucht mich der Hass an um Eigenschaften, für die ich ja gar nichts kann, weil ich sie nicht in mir ausbildete, sondern in sie hineingeboren wurde (Religion und Rasse). Es wird immer ärger und ich fürchte, Ihr schöner Optimismus ist unbegründet. Noch mehr als hierzulande habe ich in Berlin gesehen, wie der gehirnlose Hitlerkopf unaufhaltsam die Herrschaft antritt …“
Grünbaum hatte sich vom apolitischen Kabarettisten über den kaisertreuen Soldaten im 1. Weltkrieg zu einem politisch engagierten, kritischen Republikaner gewandelt. 1914 wurde der Grundstein für Grünbaums politische Wandlung gelegt: So wie viele seiner Kollegen verfiel er der allgemeinen Kriegseuphorie und verfasste Stücke wie die „patriotische Skizze“ Die befohlene Linie ist erreicht. Doch auch hier schimmerte der Kabarettist durch, die Zensur beanstandete einige Formulierungen als zu despektierlich, so die Verwendung von „Franzl Prohaska, Feldwebel“ und „Willy Lehmann, deutscher Offizier“. Diese galten als Decknamen für Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm. Grünbaum meldete sich freiwillig an die Front, nahm an den Isonzo-Schlachten teil und zog nach dem Krieg Resümee – sein Gedichtbändchen Vom seligen Zensor. Demobilisierte Gedichte rechnet mit dem Größenwahn und der Kriegstreiberei ab und zeigt den ehemaligen Hurra-Patrioten Fritz Grünbaum als desillusionierten, aber nicht hoffnungslosen Mann. In der gereimten Widmung an seine Mutter fasste Fritz Grünbaum seine ganze Verzweiflung zusammen: Hätt’ Gott mir seine Macht gelieh’n, Was hätt’ ich alles angestellt! Ich hätte meinen Haß gespien Auf diese Welt!
Ab diesem Zeitpunkt äußerte sich Grünbaum immer öfter politisch – unterschwellig und humorvoll in seinen Conferencen und Kabaretttexten, offen als Chronist in Zeitungsartikeln, offensichtlich in der Wahl seiner Auftrittsorte in den Wiener Außenbezirken.
Im Frühling 1919 schrieb Fritz Grünbaum in einem Vorwort zum Neudruck seiner Textsammlungen „Verlogene Wahrheiten“: Der erste Abdruck der nachfolgenden Gedichte fällt in das Jahr 1912. Seither ist ein Weltkrieg entflammt und ausgebrannt. Länder wurden verwüstet, Völker niedergemetzelt. Kronen fielen. Reiche brachen zusammen. Die Kultur, die Zivilisation haben sich bankrott erklärt. Und aus Not und Tod, Asche und Leichenfelder erhebt die Nachfrage den Ruf nach dem Neudruck meiner Gedichte. So rehabilitiert sich der Krieg: diese Menschheit hat ihn verdient!
Fritz Grünbaum setzte sich mit den politischen Geschehnissen immer stärker auseinander und schrieb 1925 als „Wochenchroniqueur“ für das Wiener Neue 8 Uhr-Blatt eine „Wochenchronik in Versen“. Weltpolitik, Alltagssorgen, Neuigkeiten und Skandale aus der Kunstwelt waren die Themen, die Grünbaum mit spitzer Feder Revue passieren ließ.
1927 initiierte Fritz Grünbaum den Aufruf „Eine Kundgebung für ein geistiges Wien. Ein Zeugnis für die große soziale und kulturelle Leistung der Wiener Gemeinde“, der am 20. April am Titelblatt der Arbeiter-Zeitung erschien. Unter anderem heißt es darin: Wesen des Geistes ist vor allem die Freiheit, die jetzt gefährdet ist, und die zu schützen wir uns verpflichtet fühlen. Das Ringen um eine höhere Menschlichkeit und der Kampf gegen Trägheit und Verödung wird uns immer bereit finden. Unterzeichner dieses Artikels waren Prominente aus vielen Bereichen, von der Medizin über die Nationalökonomie bis zur Kunst, wie Alfred Adler, Sigmund Freud, Josef Jarno, Hans Kelsen, Wilhelm Kienzl, Alma Mahler, Robert Musil, Alfred Polgar, Franz Salmhofer, Oskar Strnad, Anton Webern, Egon Wellesz, Franz Werfel und eben auch Fritz Grünbaum. Wohl war er nur einer unter vielen klingenden Namen, im Volksmund hieß die Schrift jedoch „Fritz-Grünbaum- Aufruf“. Karl Kraus ließ es sich nicht nehmen, eine Erwiderung im Neuen Wiener Journal zu erwirken, da fälschlich berichtet worden war, dass er die Unterschrift verweigert hätte: Wahr ist, dass Herr Karl Kraus nie aufgefordert wurde, jenen Aufruf zu unterschreiben, wohl aus dem Grunde, weil man der Verweigerung seiner Unterschrift von Aufrufen sicher war.
Die Lage in Deutschland und Österreich wurde immer bedrohlicher, in einem Brief an seine Wiener Nachbarn vom Februar 1930 bekannte Grünbaum seine pessimistische Sicht der politischen Verhältnisse: Ich bin in der Zwischenzeit in Deutschland herumgegondelt: November Berlin, Dezember Breslau, Jänner Berlin, jetzt bin ich in Dresden, März bin ich wieder in Berlin und am 1. April komme ich auf 13 Monate nach Wien (bis 30. April 1931). Hier im Deutschen Reich geht’s genauso reaktionär zu wie in Österreich: Das Bürgertum ist geschlossen antisozial. Man sieht es an der erschreckenden Zunahme der nationalsozialistischen Stimmen (die natürlich nur national und absolut nicht sozialistisch sind!). Es ist ein Jammer, wie sich das Volk immer selbst das Grab gräbt und seinen Ausbeutern Handlangerdienste leistet.
Noch deutlicher stand ihm die nahende Katastrophe zwei Jahre später vor Augen, als er den eingangs zitierten Brief verfasste, der mit den Worten schließt: „… wir werden noch durch schrecklich viel Bitternis und Hässlichkeit hindurchmüssen, ehe sich diese Herrschaft des Ungeistes leergelaufen haben wird. Dass dieser Zeitpunkt freilich einmal kommen wird, ist im Augenblick ein schwacher Trost gegenüber der bitteren Tatsache, daß die sinnlose Gewaltherrschaft noch immer im Anschwellen ist. Es wird sicher besser werden, aber erleben werd’ ich’s nicht.“ Grünbaums politische Wachsamkeit zeigte sich auch in seinen Kabarett-Texten: „Sein Sketch ‚Abstimmung‘ hatte die konsequente Verurteilung des Machtwahns der Nazis zum Inhalt: Auf der völlig leeren Bühne stehen ein paar Dutzend würdiger Männer im Gehrock, vor ihnen eine unverkennbare „Führer“-Gestalt. Der Mann mit Schmachtlocke auf der Stirn und Zahnbürste unter der Nase hält eine kurze Ansprache: ‚Meine Parteigenossen! Wir kommen zum Beschluss über ein wichtiges Bevollmächtigungsgesetz! Wer dafür ist, steht auf, wer dagegen ist, setzt sich!‘ Die Begehrockten sehen sich suchend um und bleiben natürlich stehen. Kurze Pause. Dann der Führer mit vollem Munde: ‚Parteigenossen! Das Gesetz ist einstimmig angenommen!‘ – Vorhang!“
Am 10. März 1938 endete die glänzende Karriere Fritz Grünbaums. Sein physisches Ende wurde von Folter, Demütigung und Entmenschlichung begleitet, war er doch den Nazis in besonderem Ausmaß verhasst. Trotz enormer Anstrengungen, ihn außer Landes zu bringen – am US-Konsulat in Wien lagen, wie Friedrich Torberg berichtete, drei gültige Affidavits! –, ließen sich die Nazis immer weitere Schikanen einfallen, um diesen kleinen Mann, der ihnen so oft und mutig die Stirn geboten hatte, zu Tode zu foltern. Fritz Grünbaum hielt lange stand. Sein Leidensweg führte von Dachau nach Buchenwald und wieder zurück. Am 14. Jänner 1941 wurde er besiegt – seine Asche erhielt Lilly Grünbaum per Nachnahme …
Marie-Theres Arnbom (Historikerin und Autorin, gemeinsam mit Christoph Wagner-Trenkwitz Kuratorin der Fritz Grünbaum- Ausstellung)
Letzte Änderung: 03.01.2012
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