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Ausgabe September / November 2006

Aus dem Inhalt der aktuellen Ausgabe

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Kommentar

Gewalt der Despoten

Die regelmäßig auftretenden Nahostkrisen produzieren ebenso stereotyp kategorische Mahnungen an die Streitteile, dass es jetzt aber allerhöchste Zeit wäre, den Konflikt endlich zu bereinigen. Man gaukelt sich vor, es hätten sich da Israelis und Palästinenser untereinander etwas auszumachen und ignoriert das Kernproblem des Nahen und Mittleren Ostens: Nämlich die Zwangsvorstellungen der jeweils regierenden Despoten, von denen jeder im Stile von Renaissancefürsten glaubt, sein Staat müsse eine regionale Großmacht sein und Gewalt als legitim betrachtet. Syrien will den Libanon dominieren, die Kurden sind eine Gräte im Hals für Iran, Irak, Türkei, der Iran will die Schiiten im Irak, in der Golf Region und in Libanon für seine Zwecke aktivieren, Irak gegen Iran und Kuwait, Ägypten strebte mit der Vereinigung mit Syrien (und dann mit Libyen) zur Vereinigten Arabischen Republik eine Großmachtrolle an, aus Saudi Arabien werden islamistische Terroristen finanziert. Im Irak, wo sie jetzt endlich losgelassen, massakrieren die Sunniten die Schiiten, Kurden die Araber, jeder jeden.

Das entbehrt nicht einer gewissen Logik, müssen doch die Herrscher damit rechnen, dass der liebe Stammes- und Glaubensgenosse bei erstbester Gelegenheit über ihn herfällt, nicht notwendigerweise gleich im offenen Krieg oder Bürgerkrieg, obwohl das auch zum Repertoire gehört. Es genügt ein bisschen Subversion, oder wenigstens Subvention derselben, ein bisschen Destabilisierung, ein bisschen Terrorismus, auch wenn es sich nur darum handelt, Terroristen nach dem Florianiprinzip vom eigenen Staatsgebiet in ein Bruderland abzuschieben.

Gelingt es auch nicht immer, der Stärkere zu sein, so muss man doch den Schein hervorrufen, es zu sein. Es ist schon viel gewonnen, wenn man im Konzert der Dissonanzen so schrill aufspielt, dass man nicht überhört werden kann. Wer klein oder schwach ist, lebt riskant: der Libanon, Kuweit, Jordanien. Das Recht Israels, zu bestehen? Das reicht nur soweit als es durch das militärische Dispositiv garantiert wird. Ohne seinen Schutz wäre Israel wohl nicht einmal geboren worden.

Dabei kann man keinen einzigen Staat für sich allein beurteilen, seine Gestionen isoliert von seinen weiteren und näheren Nachbarn sehen. Alle sind nach einem System kommunizierender Gefäße untrennbar miteinander verknüpft.

Und jeder Konflikt trägt das Potential in sich, Israel mit einzubeziehen. Am besten illustriert durch die Raketen, die Saddam Hussein auf Israel abfeuerte, als die USA ihn aus Kuwait vertrieben.

In diesem Konzert gibt es nämlich nur ein Leitmotiv, das halbwegs synchronisiert abläuft: Den Antizionismus. Es ist ein unentbehrlicher Katalysator für die politische Klasse, seien es die regierenden Herrscher oder oppositionelle Islamisten.

Mit ihm sichern sie sich die Zustimmung ihrer öffentlichen Meinung, oder das, was sie als solche gelten lassen, den vereinigten A-capella-Chor von Lumpenproletariat und Lumpenbourgeoisie. Man denke nur an die Jubelausbrüche in den Straßen der Hauptstädte, wenn es gilt, tote Israelis, oder dieser Tage die noch nicht erfolgte Niederlage der Hisbollah, als Sieg zu feiern. Die Stimmen der Besonnenen, wenn sie überhaupt wagen sich zu erheben, verhallen ungehört. Manche bezahlen ihren Wagemut auch mit dem Leben. Mit Antizionismus profiliert man sich in der arabischen Welt, je radikaler man sich verbal, für die „gerechte Sache“ engagiert, umso eher übertrumpft man die Mitkonkurrenten.

Damit kann man auch über die unlösbaren inneren Schwächen, die Korruption, die Willkür, die Bevölkerungsexplosion, die Abhängigkeit von westlichem Geld, dem Marasmus der sozialen, ethnischen und religiösen Spannungen hinwegtauchen.

Das Schicksal der Palästinenser interessiert nur insoweit, als man es instrumentalisieren kann. Die arabische Welt hat sich u.a. darauf eingeschworen, dass die Rückkehr der Palästinenser in ihre ursprünglichen Heimstätten unverzichtbar ist. Eine Forderung, die für Israel natürlich unannehmbar ist. Das wissen alle, auch die Palästinenser. Aber indem man die Erinnerung an das Unrecht, das ihnen oder ihren Vorfahren widerfahren ist, wach hält, verfügt man immer über ein Reservoir an antiisraelischen Militanten. Konsequenterweise geschieht auch nichts, um die Palästinenser in ihren Gastländern zu integrieren.

Díe echten Belange des palästinensischen Volkes wurden nicht von der PLO und werden nicht von der Hamas wahrgenommen, nicht von den iranischen Mullahs. Wie wenig sie zählen zeigt das Beispiel Jerusalem. Das ist nach arabischer Lesart eine Frage, über die nicht etwa die Palästinenser, sondern alle Muslime von Indonesien bis Mauretanien mitzubestimmen haben!

Man sollte sich von der Illusion verabschieden, dass Israel der alleinige Akteur wäre, der die Schlüssel zur Befriedung der Region in den Händen hält. Selbst wenn es zu einem Modus Vivendi mit den Palästinensern, zu einer Neutralisierung der Hisbollah käme, wäre der Hexenkessel noch lange nicht ausgekocht. Die scheinbaren Fortschritte, Camp David, Road map, der Rückzug Israels aus Süd-Libanon und aus Gaza, der Exodus der PLO aus dem Libanon sind nur Zwischenstationen in einer labyrinthischen Endlosschleife. Israel kann nachgiebig oder unnachgiebig sein, es kann immer wieder wieder trügerische Hoffnungen erweckende längere, relativ ruhige Intervalle geben.

Die politische Geographie der Region ändert sich nicht. Die Bereitschaft zur Gewalt bleibt.

Hiezu müsste man die gesamte Landkarte von Grund auf umgestalten und das dürfte für die wieselhaften Bürokraten der UN oder der EU um einige Schuhnummern zu groß sein. Letzten Endes haben auch die USA, selbst wenn Bush seine Marschordnung vom Allmächtigen zu erhalten glaubt, bis heute nicht mehr vermocht, als aus der Defensive heraus zu reagieren.

Hoffnung, dass die Völker der Region ihre Sehnsucht nach Frieden verwirklichen, besteht erst dann, wenn sie sich aus der Bevormundung durch ihre Potentaten befreien. Heike

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Diplomatie auf Hochtouren

Von Gil Yaron aus Tel Aviv

Dreieinhalb Wochen nach in Kraft treten der Waffenruhe im Libanon arbeitet die internationale Diplomatie in der Region auf Hochtouren, um die Schwungkraft der Waffenstillstandsresolution 1701 des Weltsicherheitsrates für eine Stabilisierung der Gesamtlage im Nahen Osten zu nutzen. In Tel Aviv und Beirut geben sich in den letzten Tagen Außenminister aus aller Welt die Klinke in die Hand. Nach dem italienischen, dem russischen und dem deutschen Außenminister kommt auch der britische Premier Tony Blair nach Israel. Der Besuch der deutschen Delegation unter Frank Walther Steinmeier erweckte in Israel besonderes Interesse, da Deutschland sich in der Vergangenheit in Verhandlungen um die Freilassung entführter israelischer Staatsbürger als effektiver Vermittler erwiesen hat.

„Ich kann nach meinen Gesprächen in Beirut nicht beurteilen, ob die Zeit für einen Vermittlungsprozess reif ist“, sagte Steinmeier bei einer Pressekonferenz mit der israelischen Außenministerin Tzippi Livni in Tel Aviv. Er machte jedoch die Bereitschaft Berlins deutlich, künftig als Vermittler zu fungieren: „Es ist klar, dass niemand sich der Bitte um Hilfe verweigern kann“, so Steinmeier. Steinmeier lobte die „konstruktive Rolle Israels“ in der Aufhebung der Luftblockade des Libanon. Er hoffe, dass auch die Seeblockade „innerhalb weniger Stunden aufgehoben werden könne“.

Steinmeier
Frank Walther Steinmeier

Hochrangige Quellen in der deutschen Delegation betonten das „höchst positive Klima“, in dem die Gespräche stattgefunden hätten. Die Minister hätten ihre Hauptaufmerksamkeit dem israelisch-palästinensischen Konflikt und möglichen Lösungen zugewandt, erklärten hochrangige Mitglieder der Delegation. Israel erkenne, dass die Auseinandersetzung mit den Palästinensern ein Kernproblem sei, ohne dessen Beilegung die Region nicht befriedet werden könne, so die Quellen weiter. Steinmeier, der seine israelische Kollegin „Tzippi“ inzwischen duzt und ihr des Öfteren ein Lächeln schenkt, reiste von Tel Aviv zu Gesprächen mit dem palästinensischen Präsidenten nach Ramallah.

Unterdessen scheint sich hier eine neue diplomatische Offensive Jerusalems anzubahnen. „Nach einem Monat militärischer Aktionen ist es Zeit, Ideen für zukünftige Gespräche mit den Palästinensern auszuloten und voranzutreiben“, so Livni in der Konferenz mit Steinmeier. Israel sei jederzeit zu Verhandlungen mit Abbas bereit. Die Palästinenser müssten jedoch der Gewalt und dem Terror entsagen, sagte Livni weiter. Der stellvertretende Premier Schimon Peres hatte bereits verkündet, dass Premierminister Ehud Olmert zu einem Gipfeltreffen mit Abbas bereit sei, sobald ein von der Hamas entführter Soldat heimgekehrt sei.

Blair
Premieminister Tony Blair

Dem britischen Premierminister Tony Blair scheint es bei seinem Nahostbesuch zu gelingen, Bewegung in den seit Monaten stockenden Friedensprozess zu bringen. Nachdem der israelische Premier Ehud Olmert bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Jerusalem seine Bereitschaft verkündete, sich bald mit seinem palästinensischen Pendant, dem Präsidenten Machmud Abbas, zu treffen, erklärte nun auch Abbas in Ramallah, dass er bereit sei, einen solchen Gipfel unverzüglich vorzubereiten. „Die Zeit ist reif, um die diplomatischen Kontakte zu den Palästinensern zu erneuern, um für die gesamte Region bessere Aussichten zu schaffen“, sagte Olmert zum Auftakt der Kabinettssitzung.

Alle führenden Mitglieder der Regierung, Olmert inbegriffen, konstatieren der Idee weiterer einseitiger israelischer Rückzüge den politischen Tod. Olmert war aufgrund seines Wahlversprechens, die endgültigen Grenzen Israels notfalls einseitig festzulegen, ins Amt gewählt worden. Doch in Folge des Libanonkriegs, dessen Handhabung und Ausgang in Israel heftig umstritten sind, sucht die Regierung Olmerts offensichtlich, die verloren gegangene öffentliche Zustimmung zurückzugewinnen. Als Ursache für den Krieg sehen die Israelis nämlich einhellig die bereits ausgeführten einseitigen Rückzüge aus dem Libanon und dem Gazastreifen. Um den linken politischen Flügel buhlt Olmert nun mit einer diplomatischen Lächeloffensive gegenüber den Palästinensern. Nachdem er sich früher wiederholt skeptisch über das Potential von Gesprächen mit Abbas äußerte, erklärt er nun, dass er an der Road Map, dem internationalen Nahostfriedensplan, festhalten und mit Abbas verhandeln wolle. Zu weit nach Links will Olmert aber nicht abweichen. Er deckt sich gegen Kritik von Rechts ab, indem seine Regierung eine Ausschreibung für den Ausbau von Siedlungsblöcken im Westjordanland veröffentlichte. Auf dem Rabinplatz in Tel Aviv demonstrierten mehr als 40.000 Israelis mit der Forderung, eine staatliche Untersuchungskommission für den Libanonkrieg einzusetzen. Ein großer Teil der Demonstranten, die sich aus dem gesamten politischen Spektrum rekrutierten, forderte ebenso den sofortigen Rücktritt der gesamten Landesführung vor dem Hintergrund einer „fahrlässigen Kriegsführung“. Olmert weigert sich bisher, solch ein Gremium einzuberufen. Laut dem israelischen Gesetz besäße eine staatliche Kommission, deren Zusammensetzung vom Verfassungsgericht bestimmt würde, weitreichende Möglichkeiten, den Kriegsverlauf unabhängig zu untersuchen. Sie könnte theoretisch auch Olmerts Verhalten rügen. Olmert will dahingegen eine eigene Untersuchungskommission einsetzen. Deren Zusammensetzung musste aber wiederholt wegen Interessenkonflikten verändert werden.

Unterdessen wächst bei den Palästinensern fortwährend der Druck auf die Zivilbevölkerung. Ein Forschungsbericht der Near East Consulting Group (NEC) stellte fest, dass sich bereits 65% der Palästinenser unterhalb der Armutsgrenze befinden, die bei einem Monatseinkommen von 360 € für eine sechsköpfige Familie liegt. Seit der Machtübernahme der islamistischen Hamas im Januar seien monatlich 3% der Bevölkerung in die Armut abgestiegen, hieß es weiter. Besonders im Gazastreifen ist die Not groß. Seitdem die Hamas Ende Juni einen israelischen Soldaten entführte, sind dort insgesamt mindestens 226 Palästinenser in israelischen Vergeltungs- und Suchaktionen ums Leben gekommen. Trotzdem weigern sich die Islamisten weiterhin, die Bedingungen des Westens für eine Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe, wie einer Anerkennung des Existenzrechts Israels und die Einstellung des Terrors, anzunehmen. Hamas Sprecher Sami Abu Suhri erklärte, man werde sich westlichen Diktaten nicht beugen. Vor diesem Hintergrund ist es weiter unwahrscheinlich, dass er zur Bildung einer Einheitsregierung der Hamas mit den pragmatischeren Mitgliedern der Fatah von Präsident Abbas kommen wird.

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Arabische Stimmen

Analysen des Libanonkrieges

Eine Mehrheit von 52 Prozent der Israelis ist laut Umfragen davon überzeugt, dass der Libanonkrieg eine Niederlage war. Nun sucht man nach den Schuldigen für das Debakel. Die Zustimmungsraten von Premierminister Ehud Olmert, Verteidigungsminister Amir Peretz und Generalstabschef Dan Halutz sind die ersten Opfer der öffentlichen Missstimmung mit den Ergebnissen.

Unterdessen hat die israelische Armee bereits damit begonnen, sich aus dem Libanon zurückzuziehen. Große Truppenverbände von Reservisten werden demobilisiert. Hochrangige israelische Offiziere haben bereits erste Gespräche mit UNIFIL-Truppen geführt, um die Übergabe des Südlibanon zu koordinieren. Der libanesische Verteidigungsminister Elias Murr hatte erklärt, dass die libanesische Armee innerhalb von wenigen Tagen bereit sei, in den Südlibanon einzumarschieren.

Unterdessen bleibt unklar, ob der Libanon der Forderung der UN-Resolution 1701, dass die Hisbollah sich in das Gebiet nördlich des Litani-Flusses zurückzieht und in einem späteren Stadium gar entwaffnet wird, nachkommen wird. Die libanesische Armee wird keine Arbeit für die Israelis leisten und die Hisbollah nicht entwaffnen, erklärte Murr. Arabische Zeitungen berichteten, dass laut einem Geheimabkommen die Hisbollah künftig auch im Grenzgebiet zu Israel ihre Waffen behalten dürfe, solange sie sie nicht öffentlich zur Schau stelle.

Ganz Nahost ist nun damit beschäftigt, die Konsequenzen des Libanonkriegs zu analysieren. Nur eine kleine Minderheit der Araber nimmt dabei den schweren Preis, den die Libanesen im Krieg zahlen mussten, wahr. Als einen göttlichen Sieg beschreiben Zeitungen die Standhaftigkeit der Hisbollah und spielen dabei auf den Namen des Milizführers Hassan Nasrallah an. „Nasr Allah“ bedeutet auf Arabisch „Sieg Gottes“. Fernsehkommentatoren schlagen der ägyptischen und jordanischen Armee vor, bei Nasrallah in die Lehre zu gehen. Die letzten Kämpfe haben bewiesen, dass wir immer Recht gehabt haben und dass der bewaffnete Widerstand der einzige Weg ist, verkündete Syriens Präsident Baschar Al-Assad. Die Region hat sich Dank der Errungenschaften der Hisbollah von Grund auf verändert, so Assad weiter. Israel sei von Anfang an besiegt worden, die Israelis hätten sich lächerlich gemacht, sagte der syrische Präsident, der behauptete, Syrien sei auf einen Krieg mit Israel vorbereitet.

In Palästina zog man unterschiedliche Konsequenzen. Im Gazastreifen wächst die Angst, dass die Palästinenser die Rechnung für die Niederlage der Israelis im Libanon begleichen müssen. So nehmen hier die Stimmen zu, die eine sofortige Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit fordern, bevor die israelischen Truppen den Libanon verlassen und erneut in den Süden verlegt werden. Andere sehen im Sieg der Hisbollah nur Vorteile: Die größten Nutznießer des Sieges der Hisbollah sind die Palästinenser, kommentierte die Hamas-Zeitung Al-Rissahla. Er habe diejenigen geschwächt, die zu Konzessionen gegenüber Israel bereit seien. Solche militärische Niederlagen würden Israel zu weiteren einseitigen Rückzügen zwingen, wie im Jahr 2000 aus dem Libanon oder 2005 aus dem Gazastreifen. Die Tür zur dritten Intifada wird geöffnet, wir übernehmen die Initiative, kündigte die Zeitung triumphierend an.

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Scham oder Kalkül? – Günther Grass im Kreuzfeuer

Kommentar von Joanna Nittenberg

Die Aufregung war perfekt, sowohl in literarischen als auch politischen Kreisen wurde die SS-Mitgliedschaft Günther Grass’ und sein spätes Bekenntnis auf das Heftigste diskutiert.

Deutsche Realität hat nun wieder einmal zugeschlagen. Es war ganz natürlich zu dieser Zeit, als Jugendlicher begeisterter Nationalsozialist zu sein. Nichts Außergewöhnliches, die Mitgliedschaft bei der Hitlerjugend oder bei einer sonstigen einschlägigen Organisation. Das war die Normalität, ohne der das System nicht hätte existieren können. Bei dieser Debatte fiel mir die Analyse von Daniel Cohn Bendet ein, der vor vielen Jahren bei einem Canetti-Symposium folgendes Bild zeichnete:

günther Grass

Beobachtet man die Geschichtsschreibung Deutschlands und ihren assoziierten Staaten, so kommt es einem vor – die Nazis von einem anderen Stern kommend – haben Deutschland überrollt und sind nach grausamen Zerstörungen wieder ins All zurückgekehrt.

Sozusagen aus dem Nichts gekommen und spurlos verschwunden.

Niemand kann heute einem Siebzehnjährigen vorwerfen, der Faszination des Nationalsozialismus erlegen zu sein. Was heute noch immer so schwer begreifbar ist, dass der Staat nie so gut und lange funktioniert hätte, wenn die Menschen nicht davon überzeugt gewesen wären. Die Gegner der Nazis waren schon längst vertrieben, eingesperrt, ermordet oder sonst wie zum Schweigen gebracht. Die Nazis waren keine abstrakten Wesen, sondern ganz normale Bürger eines totalitären Staates dem sie mit Begeisterung folgten, solange er ihnen Ruhm und Wohlstand garantierte. Bekannt auch die Tatsache, dass die Jugend gerne extremen Idealen folgt. Günther Grass hatte nur teilweise die Gnade der späten Geburt.

Bei den unzähligen Kommentaren sind viele essentielle Fragen nicht gestellt worden.

Wie kann man seine Biographie verarbeiten, wenn man den Ballast der Schuld in sich vergräbt? Jeder Therapeut wird bestätigen, dass dies unmöglich ist solange man sich der Realität nicht stellt. Niemand stellt Grass’ antifaschistische Haltung in Frage und seine Kommentare zur Zeitgeschichte sind über jeden Zweifel erhaben. Sein außergewöhnliches schriftstellerische Talent steht hier auch nicht zur Diskussion.

Günther Grass hätte als Repräsentant einer Generation, die zwar zu jung war um wirklich aktiv an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, die Pflicht gehabt, über die Verführbarkeiten autoritärer Systeme auch aus eigener Erfahrung zu sprechen.Um wie viel glaubhafter ist, wenn man persönliche Betroffenheit zeigt und nicht von der Warte des nicht involvierten Beobachters agiert?

Ich glaube ihm seine Scham, ist es doch wirklich nicht sehr ruhmreich, ein Angehöriger der Waffen-SS gewesen zu sein. Aber gerade dieses Bekenntnis zur Scham wäre ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis dieser Zeit und könnte plastischer als Warnung für die Zukunft verstanden werden. Eine weitere Frage stellt sich, wie weit die ideologischen Grundwerte seiner Jugend bis in die Gegenwart wirken? Seine Aussagen zum Nahost-Konflikt entsprechen den extrem linken Positionen, aber nirgends war zu lesen, dass er Israels Existenzrecht anerkennt, auch keine Kommentare zu den antisemitischen Äußerungen des iranischen Präsidenten. Stets zeigte er sich verständnisvoll für die Terroristen und er war auch einer der ersten, die den Anschlag auf das World Trade Center zu relativieren versuchten. Seine unreflektierte antiamerikanische Haltung, die über die Bush-Regierung hinausreicht, birgt vielleicht doch alte, verdrängt geglaubte Ressentiments? Und war es Zufall, dass nach einem Spiegel-Bericht in der legendären Gruppe 47, zu denen unter anderen Martin Walser und Walter Jens (dessen Parteimitgliedschaft auch erst kürzlich bekannt wurde) zählten, Juden nicht willkommen waren? All diese Fragen drängen sich auf und blieben unbeantwortet.

Irritierend und schwer verständlich der Umstand, dass sein Bekenntnis so spät kommt und ausgerechnet knapp vor der Präsentation seiner Autobiographie. Beunruhigend auch die Tatsache, dass nun die verbrecherische Waffen-SS zu einer ganz normalen Einheit degradiert wurde, der man angehören konnte, ohne persönliche Schuld auf sich zu laden. Sicher aber, dass sein soeben erschienenes Werk sich größter Popularität erfreut. Ein weiterer Beweis dafür, dass in unserer medialen Welt Publicity über alles geht – ganz egal, welche Konsequenzen sie in sich birgt.

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Jüdische Passagen – 100 Jahre jüdische Denker

Serie von Eveline Goodman-Thau

Die Reihe 100 Jahre jüdische Denker will neben den öffentlichen Debatten bezüglich Gedenkfeierlichkeiten, Erinnerungsgesten und einem angemessenen kollektiven Gedächtnis die jüdischen Denker in den Mittelpunkt rücken – an den Punkt, wo Geschichte und Biografie sich kreuzen, wo die historischen Ereignisse ihr Leben als Menschen und Juden radikal änderten, Ereignisse, die ihr Denken und Wirken geprägt haben und bis in unsere Zeit weiterwirken.

Die Banalität des Bösen und das politische Erinnern im Spiegel der Zeit – Hannah Arendt

goodman-Thau
Rabbinerin Eveline Goodman-Thau
ist Professorin für jüdsche Religiongs-
und Geistesgeschichte.
Sie lehrt an der Universität Wien und
ist Direktorin der Hermann-Cohen-
Akademie für Religion, Wissenschaft
und Kunst in Buchen / Odw.

"Der Unterschied zwischen den geschichtlichen und politischen Wissenschaften: Geschichte hat es zu tun mit der Vergangenheit, insofern als Vergangenheit die Dimension der Größe ist. Größe ist der einzige Maßstab der Geschichtswissenschaft. Größe ist das, was hervorragt ,größer ist als… In diesem Sinne ist die Monarchie, die auf Auszeichnung beruht, dem geschichtlichen „Gefühl“ am nächsten. Politik hat es gerade mit dem Durchschnittlichen zu tun und als solche eine natürliche Affinität zur Republik. Ihr Maßstab ist: gut – schlecht, als Indizes des Handelns. Größe gerade kann kein Maßstab sein, weil sie sich nur am Gewesenen zeigt. Der Zusammenhang mit Ethik ist so stark, wie er sich ursprünglich in Aristoteles kundtat; es ist wirklich dasselbe. Nur dass es sich nicht im Gut-oderböse-Sein handeln kann, sondern um die Veränderung der von Menschen konstituierten Welt. Es kommt mehr Güte vor oder weniger; die Menschen werden nicht besser oder schlechter.“ Hannah Arendt, Januar 1953 (Denktagebücher)

"Wenn Juden in Europa bleiben sollen können, dann nicht als Deutsche oder Franzosen etc., als ob nichts geschehen sei. Mir scheint, keiner von uns kann zurückkommen (und Schreiben ist doch eine Form des Zurückkommens), nur weil man nun wieder bereit scheint, Juden als Deutsche oder sonst etwas anzuerkennen; sondern nur, wenn wir als Juden willkommen sind." Hannah Arendt in einen Brief an ihren Freund Karl Jaspers am 29. Januar 1946.

Die Frage nach der Verbindlichkeit des menschlichen Handelns steht im Mittelpunk des Denkens von Hannah Arendt. „Vita activa“ bedeutet nicht nur ein kontemplatives Leben, sonder die Fähigkeit, das Denken im Handeln fruchtbar zu machen. Es bedeutet einen Abschied vom griechischen Kosmos, von dem Versuch, das Ganze des Alls zudenken, hin zu einem nicht weniger anspruchsvollen, jedoch viel menschlicheren Projekt, die Vergangenheit als„Bedingung der Möglichkeit“ zu sehen, als Moment eines Anfangs, wo die menschliche Entscheidung den Gang der Dinge bestimmt. „Bevor der Mensch“, so Arendt, „eine Vergangenheit erinnert, schafft er sich diese Dimension in der Mythologie.“ Die Dimension in der Geschichte hat ihren Ursprung somit in der Vergangenheit. Es geht daher nicht darum, die Vergangenheit zu suchen, um sie zu rekonstruieren, sondern um die Geschichte aus einem kritischen Blick auf die Vergangenheit heraus zu gestalten: der Mythos muss immer wieder auf sein Gültigkeit für die Zukunft hin befragt werden und trägt daher eine dauernde Sprengkraft in sich, eine Tatsache, die auch Ernst Cassirer betont hat. Geschichteerinnern heißt somit nicht, sich der Tatsachen zu erinnern, „wie sie eigentlich geschehen sind“, sondern wie sie in Wirklichkeit auf uns gewirkt haben, um Franz Rosenzweig zu paraphrasieren und weiterzudenken.

Das politische Erinnern erscheint also im Spiegel der Zeit als reale Gegenwart und erlaubt einen neuen Blick auf die Banalität des Bösen. Arendt
Hannah Arendt

Die Frage nach der Menschlichkeit in finsteren Zeiten, im Lessingschen Sinnjenseits festgelegter moralischer odertheoretischer Kategorien in der Suche nach einem freien Denken, „das sich weder der Geschichte noch des logischen Zwanges als Krücken bedient“ , durchzieht praktisch alle Aspekte des politischen Denkens von Hannah Arendt. Si eist der Subtext ihrer Theorie von Tradition, Geschichte Totalitarismus, Gewalt und vor allem Freiheit, und dient als kritische Kategorie in der für sie notwendigen Verbindung zwischen Denken und Handeln.„Lessing zog sich auf das Denken zurück, aber ganz und gar nicht auf sein Selbst, und wenn es für ihn eine geheime Verbundenheit zwischen Handeln und Denken gegeben hat, so lag sie darin, dass beides, Handeln wie Denken, in der Form einer Bewegung vor sich gehen, dass also die Freiheit, die beiden zugrunde liegt, die Bewegungsfreiheit ist.“

[…]

Wenn wir den verschiedenen Stationen ihrer Biografie folgen, tritt diese Grundfrage noch deutlicher hervor. Geboren am14. Oktober 1906 in Hannover, als dreijähriges Kind in das Haus der Großeltern, im Kreis einer lebendigen und jüdisch selbstbewussten Welt in Königsberg, umgezogen, bleibt sie einziges Kind. Ihr Vater Paul stirbt 1913. 1924 zieht sie nach Marburg, studiert Philosophie, Theologie und Klassische Philologie bei Heideggerund Bultmann, danach in Freiburg bei Husserl und in Heidelberg bei Jaspers, wo sie über „Der Liebesbegriff bei Augustin“ promovierte. 1929 Heirat mit Günther Stern (Anders) in Berlin.

1933 flieht sie, wie viele andere deutsche Intellektuelle, nach kurzer Inhaftierung nach Paris, wo sie sich zwischen 1935 und 1940 als Leiterindes Pariser Büros der Jugend-Alijah zur Rettung jüdischer Kinder vor den Nationalsozialisten einsetzt, europäische Geschichtestudiert und häufige Begegnungen mit Walter Benjamin hat.

1936 trennt sie sich von Stern und lernt Heinrich Blücher kennen, den sie 1940 heiratet. Es folgt eine Internierung im Konzentrationslager Gurs in Südfrankreich. 1941 flüchten beide in die USA. Die „Geschichtsphilosophischen Thesen“ Walter Benjamins sind im Reisegepäck– ihr Autor wählt auf dem Weg in die Freiheit in Spanien den Freitod. In Amerika beginnt Hannah Arendts politische Karriere als Journalistin mit einer Kolumne in der deutschsprachigen Zeitung „Aufbau“. Ab1944 ist sie Leiterin einer Forschungsabteilung bei der European Jewish Cultural Reconstruction Organisation, von 1946bis 1948 Cheflektorin bei Schocken Books, übernimmt im Anschluss die Geschäftsführung der Jewish Cultural Reconstruction Organisation und reist 1949/50 in ihrem Auftrag zum ersten Mal nach Deutschland. Ein Jahr später veröffentlicht sie ihr erstes englischsprachiges Buch „The Origins of Totalitarism“ und wird amerikanische Staatsbürgerin.

Nach einem Guggenheim-Stipendium für Studien auf dem Gebiet der politischen Theorie und Wissenschaft gibt sie erstmals1953/54 Vorlesungen in Princeton und an der New School for Social Research. Von diesem Zeitpunkt an verbindet Hannah Arendt eine akademische Laufbahn mit einer ständigen Tätigkeit im Politischen im weiteren Sinn, eine Tatsache, die sie, wie aus ihren Schriften spricht, immer wieder den Schnittbereich zwischen Politik und Kultur sucht. Von 1963–67 ist sie Professorin an der University of Chicago, nachdem sie 1961 für den „New Yorker“ über den Eichmann-Prozess in Jerusalem berichtet hatte. „Eichmann: A Report on the Banality of Evil“ erscheint 1963 und löst eine unerhörte Kontroverse aus, die bis zur Gegenwart reicht.

BuchcoverAb 1967 lehrt Arendt wiederum an der New School, und stirbt am 4. Dezember 1975. Hans Jonas hält an ihrem Grab die Trauerrede.

Wenn wir ihren Denkweg betrachten, wird deutlich, wie zentral die Frage der Humanität und Solidarität im kulturellen und globalen Kontext der Moderne ist: Nachdem das Verhältnis von Differenz und Gleichheit nicht mehr in der öffentlichenethischen und politischen Kulturverankert ist, geht auch das Beziehungsnetzgesellschaftlicher Werte als Konsens verloren. Uniformierung von Menschenrechten oder die Idee der Menschheit kann den Verlust an traditionellen sozialen Bindungen nicht ersetzen.

Den gesamten Artikel finden Sie in der Printausgabe der Illustrierten Neuen Welt September / November 2006.

Außerdem finden Sie in dieser Ausgabe eine Würdigung des bei Suhrkamp erschienen Dokumentationsbandes mit Texten und Briefen von Hannah Arendt und Walter Benjamin durch Gabriel Ramin Schor. Der Autor geht auch auf das Benjamin-Handubuch, herausgegeben von Burkhardt Lindner (Metzler) ein.

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Polen 1945: Warum verließen Shoah-Überlebende das Land?

Sie hatten Angst vor dem Nachkriegsantisemitismus der Polen, meint Jan Tomasz Gross in seinem neuesten Buch „Fear“. Polen war ein jüdischer Friedhof, antwortet ihm Bozena Szynok.

Antisemitismus ist in Polen ein heikles Thema. Glaubt man den offiziellen Erklärungen der Politiker, gibt es ihn gar nicht. Dass Abgeordnete in ihrer Freizeit schon mal den Arm zum Hitlergruß strecken, Zeitungsverkäufer auch antisemitische Postillen anbieten und Richter regelmäßig Antisemiten freisprechen, weil deren Taten von „gesellschaftlich geringem Schaden“ seien, ist in Polen ebenso „normal“ wie Treffen von Rechtsradikalen in katholischen Kirchen. Probleme haben in Polen denn auch nicht Antisemiten, sondern diejenigen, die behaupten, es gäbe Antisemitismus in Polen.

Jan Tomasz Gross

So eine angebliche Unperson ist Jan Tomasz Gross. Vor sechs Jahren löste sein Buch „Nachbarn. Der Mord an den Juden in Jedwabne“ die größte Nachkriegsdiskussion in Polen zum polnisch-jüdischen Verhältnis im Zweiten Weltkrieg aus. Das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) rollte das Verbrechen vom Juli 1941 noch einmal auf und kam zum Ergebnis, dass es nach dem Überfall der Nazis auf die ehemals sowjetisch besetzten Gebiete Polens zu rund 60 Pogromen und Übergriffen von Polen auf Juden gekommen war. Umfragen zufolge führte die fast zwei Jahre dauernde Debatte zu einem ambivalenten Ergebnis: einerseits gibt es heute mehr offene und geschichtskritisch denkende Menschen in Polen, andererseits aber auch mehr Antisemiten.

Nun hat Gross ein neues Buch vorgelegt. „Fear“ heißt es. „Angst. Antisemitismus in Polen nach Auschwitz. Eine historische Interpretation.“

Gross fragt darin nach den Ursachen des Nachkriegs-Antisemitismus in Polen. Die Polen waren doch unmittelbare Zeugen des deutschen Massenmordes an den europäischen Juden.Wie konnte der Vorkriegsantisemitismus in Polen nach Kriegsende erneut aufflammen? Warum töteten am 4. Juli 1946 christliche Polen in Kielce 80 Holocaust-Überlebende? Wie konnte es zu diesem größten Nachkriegspogrom Europas kommen? Warum fürchteten sich viele polnische Judenretter auch nach 1945 noch, sich zu ihrer Hilfe gegenüber verfolgten Juden zu bekennen?

 Noch ist das Buch des polnisch-jüdisch-amerikanischen Autors nur in den USA erschienen. Noch hat es kaum jemand in Polen gelesen. Doch das Urteil über das 300-Seiten-Werk scheint bereits festzustehen. „Neue Fälschungen von Gross“ überschreibt der katholisch-antisemitische Nasz Dziennik (Unser Tagbatt) die Artikelserie von Jerzy Robert Nowak über Gross neues Buch. Der umtriebige Professor aus Tschenstochau hatte schon vor fünf Jahren eine Serie veröffentlicht. Woche für Woche erschien im Niedziela, Polens größter katholischer Zeitung, ein Artikel der antisemitischen Serie: „Die 100 Lügen des Jan Tomasz Gross“. Die immer wieder vom Nasz Dziennik, dem derzeitigen Quasi-Regierungsblatt Polens, erhobene Forderung, kritischen Historikern, Soziologen oder Jorurnalisten das Handwerk zu legen und sie vor Gericht zu bringen, wollen Sejm und Regierung nun auch tatsächlich nachkommen. So sieht Artikel 55a im neuen Gesetz über das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) eine erhebliche Einschränkung künftiger Forschung zur Geschichte Polens vor. Sollte Präsident Lech Kaczynski das Gesetz in dieser Form unterschreiben, könnten demnächst alle Personen, die „öffentlich die polnische Nation der Teilnahme, Organisation oder Verantwortung für kommunistische oder nationalsozialistische Verbrechen bezichtigen, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden“. In der liberalen Gazeta Wyborcza warnte der Zeithistoriker Dariusz Stola vor einer neuen Zensur und verwies insbesondere auf die Arbeiten von Jan Tomasz Gross. Bei entsprechend böswilliger Interpretation des Gesetzes, so Stola, müsste Gross für die Publikation seiner Bücher in Polen demnächst mit einer Freiheitsstrafe rechnen.

Die Fakten, die Gross in seinem neuen Buch ausbreitet, sind nicht neu. Kaum einer der Rezensenten stellt sie in Frage. Das Buch ist gut dokumentiert. Neu ist die Interpretation. Ungewohnt für polnische Leser ist auch der Stil. „Fear“ ist im Ton eines engagierten Aufklärers geschrieben. Es fehlt das vorsichtige Abwägen eines Wissenschaftlers. Die Thesen sind genau durchdacht und scharf formuliert. Das macht das Buch spannend, provoziert aber auch Widerspruch. Stimmt die Hauptthese Gross tatsächlich, dass der Nachkriegsantisemitismus Polens durch das Schuldgefühl vieler Polen erklärt werden kann, mit den Nazis im Grunde genommen gemeinsame Sache gemacht und vom Holocaust wirtschaftlich profitiert zu haben? Waren die Polen einverstanden mit dem Nazi-Raubmord an den Juden, weil auch für sie dabei ein Teil der Beute abfiel? Kam es zu den Nachkriegspogromen in Rzeszow, Krakau und Kielce, weil die Holocaust-Überlebenden ihr Eigentum zurückforderten?

Hunderte von Prozess-Unterlagen scheinen diese These zu stützen. Tagebücher, Erinnerungen und Interviews mit Zeitzeugen ebenso. Auch die noch provisorische Regierung bereicherte sich am „verlassenen“ Eigentum, das mit dem der Deutschen, die noch zu vertreiben waren, in einem gemeinsam Dekret zu „Staatseigentum“ erklärt wurde. Jüdische Rückkehrer aus der Sowjetunion, aus den KZs oder den Verstecken auf dem Land waren nicht gern gesehen. Schätzungen zufolge  ermordeten Polen in den Jahren 1945 bis 1946 rund 500 bis 1.500 Holocaust-Überlebende. Nach dem bestialischen Pogrom von Kielce im Juli 1946 verließen rund 200.000 der einst 3,5 Millionen Juden Polens fluchtartig das Land.

Unter den meist negativen Rezensionen des Buches in Polen ragen zwei heraus. Die von Maciej Kozlowski in der konservativen Rzeczpospolita und die von Bozena Szajnok in der liberalen Gazeta Wyborcza. Kozlowski ist Staatsbeauftragter für polnisch-jüdische Beziehungen im polnischen Außenministerium. Auf ganzen zwei Seiten führte er in der Rzeczpospolita aus, dass das Buch Gross über den polnischen Nachkriegsantisemitismus dem Image Polens im Ausland schade. Er verüble es Gross persönlich, schreibt Kozlowski gleich zu Beginn, dass der in Princeton lehrende Professor das Buch zunächst in den USA veröffentlicht habe. Dort sei es von namhaften Historikern zwar durchweg positiv, aber falsch und „voll kurioser Feststellungen“ besprochen worden. Eine solche Vorgehensweise könne man zwar „aus rein kommerziellen Gründen“ rechtfertigen, so Kozlowski, doch in Polen müsse das auf englisch verfasste Buch „wie eine Verleumdung“ aufgefasst werden, wie eine „ungerechte Attacke auf Polen“, gegen die es nur eines gebe: „Verteidigung statt sachlicher Diskussion“.

biuchcover Fear

Das tut Kozlowski denn auch, wirft Gross angebliche „Manipulationen“ bei den Beweisen für seine Thesen vor, da er sie „einseitig“ gesammelt habe. So fehle die Beschreibung des von der polnischen Exilregierung in London finanzierten „Hilfsrates für Juden“– Zegota fast vollständig. Dafür erkläre Gross, so Kozlowski, den angeblich „zu hohen“ Anteil von Juden im kommunistischen Geheimdienst Polens zu wenig. Mit seinem neuesten Buch kläre Gross also nicht auf, so die Schlußfolgerung Kozlowskis, sondern gebe den polnischen Antisemiten noch neue Munition.

Ganz anders argumentiert die Zeithistorikern Bozena Szaynok in der Gazeta Wybrocza. Sie ist im Ton moderater, weist darauf hin, dass die meisten Polen nach Kriegsende genug mit sich selbst zu tun hatten und sich vor allem darum kümmerten, ihr eigenes Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Der Nachkriegsantisemitismus sei zwar ein Problem in Polen gewesen, aber die Dimensionen stellten sich anders dar als im Buch von Gross. Die Masse der Holocaust-Überlebenden habe Polen nicht wegen des polnischen Nachkriegs-Antisemitismus verlassen, so Szaynok, sondern weil sie keine Angehörige mehr in Polen hatten. Das Land war übersät mit KZs und Vernichtungsslager, die meisten großen Städte lagen in Trümmer. Für viele Juden glich Polen 1945 einem gigantischen jüdischen Friedhof. Dort wollten sie nicht mehr leben. Gabriele Lesser

Jan Tomasz Gross: Fear: Antisemitism in Poland after Auschwitz. An Essay in Historical Interpretation. Random House, 2006, € 23,70

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Robert Weil zum 125. Geburtstag

Poldi Huber und seine Sprachschlampereien sind sprichtwörtlich geworden, Operetten wie "Sissy" oder "Frühjahrsparade" erfreuen sich ebenso wie der Marischka-Film "Die Deutschmeister" nach wie vor der Liebe des Publikums. Doch an den Schöpfer der Texte, Robert Wei, erinnert sich kaum jemand.
Robert Weil (Pseudonyme: Gustav Holm, Homunkulus) war eine Säule des österreichischen Kabaretts, Schriftsteller, Bühnen- und Drehbuchautor. Er wurde am 4. August 1881 in Wien-Rudolfsheim als der Sohn des k.-u. k. Hoflieferanten Morris Weil und dessen Gattin Martha geboren. Sein Werk umfasst Novellen, Erzählungen, Aphorismen, Romane, Libretti und Drehbücher. Robert Weil ist am 5. Dezember 1960 in New York gestorben.

Im humanistischen Gymnasium brillierte er besonders in den Fächern Deutsch, Latein, Griechisch und Geschichte. Nach der Matura inskribierte er an der Juridischen Fakultät der Wiener Universität und ließ keine Gelegenheit aus, um Gedichte, Aufsätze und Theaterstücke zu schreiben. Noch während seines Jura-Studiums feierte der 24-jährige Dichter einen triumphalen Erfolg mit seinem Theaterstück „Irdischer Richter“, das 1905 am Wiener Raimundtheater vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. Die Kritiker der meisten Zeitungen beurteilten das Stück allerdings eher mäßig. Lediglich Anton Wildgans pries das Stück in den höchsten Tönen und verlor daraufhin, wie er dem Autor des Stückes einige Jahre später erzählte, seine Stellung bei der Arbeiterzeitung.

1906 promovierte Robert Weil zum Doktor Juris und absolvierte ein Jahr Rechtspraxis im Wiener Landesgericht für Strafsachen, sowie im Zivil- und Landesgericht. Im darauffolgenden Jahr bewarb er sich um eine Stelle an der Wiener Urania, wo seine Vorträge bereits sehr beliebt waren. Viele Dramen sowie unzählige Artikel für Zeitschriften und Bücher flossen in dieser Zeit aus seiner Feder.

Robert Weil

Bald nachdem Weil bei der Eröffnung des neugegründeten Kabaretts „Der Himmel“, am 1. Oktober 1910, unter stürmischem Applaus seine „Wedekindpremiere“ vortrug, überbot er diesen Erfolg mit „Der rosa Domino“. Immer wieder forderten ihn Zurufe aus dem Publikum auf, „noch etwas“ vorzutragen. Da fasste er den Entschluss, den „ersten Schulaufsatz des Poldi Huber“ zu rezitieren. Die Zuhörer waren davon so begeistert, dass sie mehr als eine Viertelstunde lang tosenden Applaus spendeten. Das war also die Geburtsstunde des berühmten Poldi Huber, der über viele Jahrzehnte die Wiener und mitteleuropäische Gesellschaft mit seinem Humor beherzte.

Auf einmal war Robert Weil, der sich inzwischen das Pseudonym „Homunkulus“ zugelegt hatte, bei der Wiener Gesellschaft sehr begehrt. Sein Ruhm hatte sich so verbreitet, dass er schließlich vom Thronfolger Franz Ferdinand aufgefordert wurde, im März 1914 die Festrede zur Feier des 10-jährigen Bestandes des österreichischen Flottenvereines zu halten. Alle in Wien vertretenen wichtigen Diplomaten und Würdenträger der Welt, wie auch der Thronfolger und die ganze österreichische Regierung, fanden sich im großen Saal des Wiener Konzerthauses ein. Man erwartete einen heiteren Abend mit dem bekannten Humoristen, aber man erhielt genau das Gegenteil. In todernstem Ton warnte Weil die Versammelten vor dem bevorstehenden Krieg und dem darauffolgenden Zerfall der österreichischen Monarchie. Die meisten Zuhörer verließen empört den Saal und am nächsten Tag brachten die Zeitungen nur eine ganz kurze Notiz über die Rede des jungen Autors.

Der von ihm vorausgesagte erste Weltkrieg unterbrach zwar seine intensive literarische Tätigkeit, brachte sie aber nicht zum Stillstand. Im Dienste der österreichischen K.u.K. Armee, im Range eines Deutschmeisteroffiziers, wurde er einer der Gründer des Fronttheaters. Nicht nur das Theater trug zur Aufrechterhaltung der Truppenmoral bei, sondern auch die vielen neuen „Schulaufsätze des Poldi Huber“, die weit und breit von allen gelesen wurden, von den höchsten Offizieren bis zu den niedrigsten Soldaten. Außer den „Schulaufsätze des Poldi Huber“ erschienen in dieser Zeit zahlreiche Bücher aus der Feder von Weil. Die meisten Werke kamen im Loewit-Verlag heraus und waren mit mehr als einer Million Exemplaren verbreitet. Jedoch die „Schulaufsätze des Poldi Huber“ erreichten eine Rekordauflage von sieben Millionen Exemplaren.

Der große Papiermangel, der nach dem Krieg herrschte, konnte Weil nicht davon abhalten, seine geplante Autobiographie zu schreiben und zu veröffentlichen. Der WILMA-Verlag brachte auch tatsächlich sein Buch „Rück näher Bruder“ 1919–1920 heraus. Trotz der Schwierigkeiten durch den erwähnten Papiermangel wurde das Buch ein unmittelbarer Erfolg und mehr als 10.000 Exemplare wurden gedruckt und in kurzer Zeit verkauft.

Filme, obwohl damals noch im experimentellen Stadium, fesselten ihn immer mehr. Die Volvo-Filmgesellschaft drehte 1927 den Film „Walpurgiszauber“ (oder „Kleine Ursachen, große Wirkung“) in dem der bereits bekannte Weil zum ersten Mal mit dem jungen, unbekannten Ernst Marischka zusammenarbeitete. Weil schrieb den Text des Filmes und Ernst Marischka führte Regie. Das war der Anfang einer jahrzehntelangen Zusammenarbeit. In den darauffolgenden Jahren, bis 1938, als in Österreich die Nazis an die Macht kamen, arbeiteten die beiden gemeinsam an Filmen und Theaterstücken, die entweder Ernst Marischkas oder Gustavs Holms Namen trugen. Gustav Holm war das neue Pseudonym von Weil, zu dem ihm der berühmte Theaterkritiker Ernst Decsey riet. Manche Werke wurden auch nur unter dem Namen Ernst Marischka publik gemacht, obwohl die meisten Ideen der erfolgreichen Filme und Theaterstücke auf Weil zurückzuführen sind.

FilmplakatDie erste Zusammenarbeit mit Ernst Decsey ergab sich, als Weil im Jahre 1929 Direktor Decsey ein Zaubermärchen „Die Sternenwiese“ überreichte. Decsey war vom Stoff fasziniert und schlug vor, aus dem Sujet eine Oper zu schaffen. So entstand die Oper „Dame im Traum“, mit Musik von Franz Salmhofer, die am 26. Dezember 1935 an der Wiener Staatsoper zur Uraufführung gelangte. Weils größter Theatererfolg sollte aber noch kommen. Während er mit Direktor Decsey die gemeinsame Oper „Dame im Traum“ vollendete, unterbreitete er Decsey eine Idee, die ihn schon lange beschäftigte und die er zum Teil schon ausgearbeitet hatte: ein Singspiel über die Liebesgeschichte zwischen Kaiser Franz Joseph und Elisabeth von Bayern, genannt Sissy. Das Endresultat dieser Zusammenarbeit war das Singspiel „Sissys Brautfahrt“. Zufällig zeigte Weil sein neues Singspiel, von dem er sich sehr viel versprach, Ernst Marischka, dem Bruder Hubert Marischkas. Das war ein außerordentlicher Glücksfall für die Brüder Marischka und besonders für Hubert, der als Leiter des Theaters an der Wien vor dem finanziellen Zusammenbruch stand, und der nur durch einen außerordentlichen Erfolg gerettet werden konnte. Er sah sich „Sissys Brautfahrt“ an und witterte den schwer fassbaren, aber heiß ersehnten Erfolg. Ernst Marischka und Weil (wieder unter dem Pseudonym Gustav Holm) machten sich an die Arbeit und entwickelten mit sämtlichen Änderungen die endgültige Operette „Sissy“, die mit Fritz Kreislers Musik am 24. Dezember 1932 im Theater an der Wien ihre Uraufführung fand, und, da sie zu einem enormen Erfolg wurde, das Theater an der Wien vor dem Untergang rettete.

Weil war auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Ideen für Filme und Theaterstücke flogen ihm nur so zu und wurden mit Dankbarkeit von seinem Mitarbeiter, Ernst Marischka, aufgenommen.

Sehr früh arbeitete Weil mit seinem alten Freund Robert Stolz an Filmprojekten zusammen. Noch viele erfolgreiche Filme folgten in Zusammenarbeit mit Marischka und Stolz. Aber der Name Gustav Holm ( Weils Pseudonym) verschwand wegen der Nürnberger Rassengesetze allmählich gänzlich von den Theateranzeigen und Ernst Marischka figurierte alleine auf den Plakaten, Programmen und Ankündigungen. Etwa 30 Filme schuf Weil in Zusammenarbeit mit Ernst Marischka in den Jahren 1933–1938. Darunter „Mitternachtstraum“, „Abenteuer im Südexpress“, „Muss man sich gleich scheiden lassen“, „Confetti“, „Ich liebe alle Frauen“ oder „Abschiedwalze. „Frühjahrsparade“ mit der Musik von Robert Stolz und namhaften DarstellerInnen wie Franziska Gaál, Paul Hörbiger, Fritz Imhoff, Theo Lingen und Hans Moser verfilmt, wurde bei der Biennale in Venedig 1934 als bester Musikfilm ausgezeichnet. Unter dem Titel „Die Deutschmeister“ wurde der Stoff mit der jungen Romy Schneider und der Elite des Wiener Theaters 1955 neuerlich unter der Regie von Ernst Marischka verfilmt. 1964 schrieb Ernst Marischka gemeinsam mit Hugo Wiener ein Operettenlibretto zur „Frühjahrsparade“, die an der Wiener Volksoper uraufgeführt wurde.

Programmheft Fruehjahrsparade

Nach dem Anschluss Österreichs im Jahre 1938 flüchtete Weil, der von den Nazis wegen seiner Abstammung und seiner politischen Haltung verfolgt wurde, aus seiner Heimatstadt Wien, um sein Leben zu retten. Die Gestapo stand an dem Tag vor der Tür, an dem es ihm gelang, mit seiner Frau von Wien nach Prag zu flüchten. Mit dem letzten Flugzeug vor dem Sturz der Tschechoslowakei brachte er es zustande, nach Zürich zu fliegen, wo er aber nur kurzfristig geduldet wurde. Es war ihm sogar mehrmals gedroht worden, ihn und seine Frau wieder an die deutsche Grenze abzuschieben. Weil war ein mittelloser, trostloser Flüchtling, bei den übrigen Europäern kaum geduldet. Neun Monate verbrachte der ehemals erfolgreiche Schriftsteller als mittelloser Gast bei einer verwandten Schweizer Familie. Am Tage, da die Schweizer Behörden Weil samt Frau an die deutsche Grenze abschieben wollten, kam ein amerikanisches Affidavit, vermittelt von Upton Sinclair, in Zürich an, das ihm und seiner Frau ermöglichte, endlich die ersehnte Sicherheit knapp vor Kriegsausbruch in New York zu erreichen. Weil verbrachte die restlichen Jahre bis zu seinem Tode, am 5. Dezember 1960, in New York. Er hatte noch das Glück, seine vier Enkelkinder heranwachsen zu sehen.

 

Sein Freundeskreis war zusammengeschrumpft, da viele seiner Wiener Freunde die rettende Neue Welt nicht mehr erreichen konnten. Weil führte mit seiner Frau Henriette ein ruhiges und bescheidenes Leben, war aber trotzdem noch literarisch tätig. Dem Urwiener war es aber kaum möglich, seine Stücke, die er noch immer schrieb, zu platzieren, da er einerseits die englische Sprache nicht beherrschte und andererseits die amerikanische Psyche nicht verstand, hatte er doch sein ganzes Leben bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges in Europa gelebt.

Robert Stolz
Treuer Freund Robert Stolz

Fast alle seine Versuche, als unbekannter Autor in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und schon über 50 Jahre alt, wieder auf die Füße zu kommen, scheiterten. Hin und wieder flackerte ein Hoffnungsschimmer auf, aber immer wieder wurden alle seine Hoffnungen zerschmettert. Als 1943 der Verlag G. P. Putnam’s Sons, New York, sein Buch „This was Lidice“, ein Roman über den tragischen Untergang des tschechischen Dorfes Lidice, das von den Nazis als Rache für das Attentat auf Reinhard Heydrich zerstört, und aus dem alle Frauen und Kinder verschleppt und alle Männer hingerichtet wurden, war es schon zu spät, um erfolgreich zu werden. Putnam hatte mehrere Male die Veröffentlichung des Buches hinausgezögert, bis es zu spät war, das Interesse der Öffentlichkeit an diesem Stoff wach zu halten.

Weil setzte sich aber dennoch immer wieder an seine alte, wacklige Schreibmaschine, um seine Gedanken zu Papier zu bringen. Besonders beschäftigte ihn seine eigene Biographie, die er in zwei Teilen niederschrieb. Viel Erlebtes und viel Geschichte sind in dieser Autobiographie eingeflochten. Nebenbei schrieb er etliche Theaterstücke und Filme, die aber größtenteils bisher nicht veröffentlich wurden. Zu jenen Freunden, mit denen er außer Walter Slezak und Oskar Karlweis stets in Kontakt war, zählte wohl auch sein ältester Freund Robert Stolz und dessen Freundin und spätere Gattin, Yvonne Louise Ulrich. In New York nahm er wieder seine Zusammenarbeit mit Stolz auf. Weil und Stolz arbeiteten gemeinsam an mehreren Projekten, so wie sie es schon früher getan hatten. Die Stolz-Biographie „Im 3/4 Takt durch die Welt“, die Weil auf Stolzens Drängen schrieb, wurde 1948 unter dem Pseudonym Gustav Holm vom Ibis-Verlag herausgebracht und damals zu einem großen Erfolg. Heute ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich. Weil verbrachte viele Stunden, ja sogar Monate, mit Robert und „Einzi“ (Yvonne Louise Ulrich), und schrieb peinlich genau alles nieder, was ihm Stolz über sein Leben erzählte. Stolz war damals bedacht, seine Biographie festzuhalten, da er fürchtete, sein Gedächtnis könnte nachlassen.

Robert Weil, der im Januar 1918 Henriette Ortner heiratete, hatte zwei Töchter, Susanne Weil Tolman und seine jüngere Tochter, Prof. Dr. Dorrit Molony. Seine Frau und seine ältere Tochter sind inzwischen verstorben. Dorrit Molony, die in den USA und in Wien lebt, und sich als Rechtsnachfolgerin ihres Vaters um die Verwaltung seines Nachlasses kümmert, setzt sich dafür ein, dass ihm die gebührende Würdigung und Gerechtigkeit zuteil wird, die ihm aufgrund der politischen Umstände so lange Zeit versagt blieben.

Robert Weil war, wie so viele österreichische Künstler und Kulturschaffende, ein Opfer des menschenverachtenden nationalsozialistischen Rassenwahns, der sein Wirken in der Heimat zu eliminieren versuchte. Es muss aber auch erwähnt werden, dass . Weil kein „geschäftstüchtiger“ Künstler war, er war ein bescheidener Mensch, der viel zu gutgläubig seinen Kollegen gegenüber – wenn überhaupt – schlechte Verträge schloss.

Dieser Text basiert auf einer Kurzbiographie, die von der Tochter von Robert Weil, Frau Prof. Dr. Dorrit Molony, verfasst und freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde.

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Letzte Änderung: 03.01.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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