Der Iran stellt der Europäischen Union Bedingungen und gibt ihr 60 Tage Zeit, um den Fortbestand des Atomabkommens, auch nach dem Ausstieg der USA, zu garantieren.
Europa dürfe sich keinesfalls von Teheran Bedingungen diktieren lassen, sagte der Politikwissenschaftler Stephan Grigat am 15. Mai 2018 im Interview mit Liane von Billerbeck auf Deutschlandfunk Kultur. Der Politikwissenschaftler vertritt dazu eine sehr kritische Meinung: Die EU solle sich nichts von einem autoritären Regime diktieren lassen, sondern vielmehr selbst Bedingungen stellen und die oppositionellen Kräfte im Iran unterstützen. Es sei ein guter Augenblick dafür: Denn Frustration und Unmut der Bevölkerung richteten sich gerade gegen die eigene Regierung. Grigat hat das Atomabkommen schon bei seiner Ausverhandlung kritisiert. Im Folgenden lesen Sie Auszüge aus seinen leicht redigierten Antworten auf die Fragen von Liane von Billerbeck:
„Man könnte den Eindruck gewinnen, als stünden Deutschland und die komplette Europäische Union jetzt auf der Seite des Iran gegen die USA. Das ist natürlich eine absurde Situation. Man muss sich immer wieder klarmachen, über was für einen Iran wir hier reden. Wir reden über das iranische Regime – das ist ein Regime, das ganz offen nach wie vor – auch unter dem aktuellen Präsidenten Hassan Rohani – zur Vernichtung Israels aufruft; das eine ausgesprochen aggressive Expansionspolitik im Nahen Osten betreibt, gerade seitdem der Atomdeal abgeschlossen wurde; das seine eigene Bevölkerung nicht nur drangsaliert, sondern zu Tausenden ermordet hat. Es ist also ein Regime, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben sollte. Im Augenblick haben sich jedoch die führenden europäischen Staaten auf die Seite genau dieses Regimes gestellt, und das ist ein fundamentaler Fehler.
Meiner Ansicht nach war dieses Atomabkommen von Anfang an ausgesprochen problematisch, wenn nicht gar gefährlich, weil es massive Probleme beinhaltet, die in der aktuellen Diskussion drohen unterzugehen. Die Behauptung von vielen Befürwortern dieses Deals ist falsch, dass durch dieses Abkommen die Gefahr, die vom iranischen Nuklearwaffenprogramm ausgeht, damit beseitigt wurde. Im Gegenteil: In Wirklichkeit hat dieses Atomabkommen das iranische Nuklearprogramm quasi legalisiert.
Zum einen bleibt die komplette Infrastruktur dieses Nuklearprogramms bestehen, weil es zwar Beschränkungen für die Anlagen gibt – die Anlagen selber existieren jedoch weiter. Es wurde keine einzige der Uranzentrifugen verschrottet, sondern sie wurden nur stillgestellt. Und das bedeutet, zu einem Zeitpunkt, den das iranische Regime selber entscheidet, kann es sein Atomprogramm wieder aufnehmen.
Zum anderen ist das gesamte Raketenprogramm, das ein integraler Bestandteil des Nuklearwaffenprogramms ist, nicht Teil dieses Abkommens. Es gibt jedoch noch eine Reihe anderer Probleme, die vor allem das Auslaufen dieses Deals betreffen: Am Ende dieser diversen Fristen, wird der Iran ganz offensichtlich in der Lage sein, Nuklearwaffen zu produzieren.
Das Abkommen geht letzten Endes von einer falschen Annahme aus: Die Überzeugung der Befürworter war, dass am Ende dieses Deals sich das Regime mäßigen, schließlich durch Auslaufen des Deals auf Nuklearwaffen verzichten werde und zurück in die ‚Völkergemeinschaft‘ käme. Das Gegenteil ist der Fall: Dieser Deal hat es dem Regime ermöglicht, eine viel aggressivere Außenpolitik zu betreiben, als das vorher schon der Fall gewesen ist. Wichtig wäre es, auch darauf hinzuweisen, dass große Teile der iranischen Bevölkerung nicht hinter dem iranischen Regime stehen. Das ist einer der Punkte, wo auch die europäische Politik anknüpfen sollte. Man bräuchte einen fundamentalen Wandel in der europäischen und vor allem auch der deutschen und österreichischen Iran-Politik: Man müsste genau jene Kräfte im Iran unterstützen, die sich klar gegen dieses Regime stellen.
Jetzt gilt es, eine grundsätzliche Umorientierung einzuleiten und die iranische Opposition zu unterstützen. Langfristig kann man die Gefahren, die vom iranischen Regime und von seinem Nuklearwaffenprogramm ausgehen nur beseitigen, wenn dieses Regime gestürzt wird. Das müsste eigentlich das Ziel der Europäischen Union sein.
Es gibt ja Massenproteste – Anfang dieses Jahres haben in zahlreichen iranischen Städten, nicht nur in den Großstädten, Massendemonstrationen stattgefunden, und das ist etwas, was alle Jahre im Iran passiert. Obwohl es massive Repressionen gibt, obwohl das Regime mit brutalster Gewalt gegen solche oppositionellen Gruppierungen vorgeht, reorganisiert sich diese Opposition doch immer wieder.
Es gibt sowohl im Iran als auch in der Exil-Opposition sehr wohl Kräfte, auf die man zugehen sollte, anstatt immer wieder Vertreter des iranischen Regimes zu hofieren. Das wäre auf jeden Fall eine Alternative zu der bestehenden Politik in der EU, die letzten Endes darauf hinausläuft, dieses Regime langfristig abzusichern. Denn es ist offensichtlich, dass man die Politik dieses Regimes finanziert, wenn man mit dem Iran Geschäfte macht. Und die Politik dieses Regimes besteht nun einmal in Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel, der aggressiven Außenpolitik im Nahen Osten und der Unterdrückung der iranischen Bevölkerung.
Es gab ja auch große Hoffnungen, dass durch die Milliarden, die das Regime jetzt schon erhalten hat und vermutlich auch noch erhalten wird, es zu einer deutlichen Verbesserung der Situation im Iran kommt. Auch das war eine Illusion, weil dieses Regime die Gelder nicht für die iranische Bevölkerung oder die Verbesserung der Infrastruktur ausgibt. Diese Milliarden werden ja nicht für die Reorganisation der Müllabfuhr in Teheran oder Ähnliches ausgegeben, sondern damit wird das Raketenprogramm und weitere Nuklearwaffenforschung finanziert sowie eine expansive, aggressive Außenpolitik. Und deswegen wäre eine weitere scharfe Sanktionierung des Regimes richtig und wichtig.
Man hätte ja auch andere Alternativen gehabt zum Aussteigen aus diesem Deal: Man hätte versuchen können, neben dem Nuklearprogramm und dem Abkommen zu sagen, okay, das ist das Nuklearprogramm, aber wir haben noch andere Probleme mit dem Regime, und deswegen verabschieden wir scharfe Sanktionen: wegen dem Raketenprogramm, wegen Menschenrechtsverletzungen, wegen Holocaustleugnung, wegen der Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel.
Diesen Weg hat aber die Europäische Union nicht beschreiten wollen, und deswegen haben wir die jetzige Situation, die auch keine gute ist, denn natürlich löst der Ausstieg der US-Administration aus diesem Deal allein nicht das Problem, vor dem wir stehen. Das existiert nach wie vor. Wir haben ein extrem aggressives Regime, das nach der Technologie für Massenvernichtung strebt. Und da muss man eine ernsthafte Debatte führen, was man dagegen tun kann.
Ich verweise immer wieder darauf, dass letzten Endes die Probleme und Gefahren, die von diesem Regime ausgehen, nur verschwinden werden, wenn dieses Regime verschwindet.“ n
(Aus einem Interview mit Stephan Grigat über die Aufkündigung des Atomdeals mit dem Iran durch die USA)
Stephan Grigat ist wissenschaftlicher Direktor von Stop the Bomb, Permanent Fellow am Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam, Research Fellow am Herzl Institute for the Study of Zionism and History der University of Haifa und Herausgeber von Iran-Israel-Deutschland: Antisemitismus, Außenhandel & Atomprogramm (Hentrich & Hentrich 2017).