Für die Philosophen und Gesellschaftskritiker Theodor W. Adorno und Max Horkheimer war die Solidarität mit Israel als Zufluchtsstätte für alle vom Antisemitismus Bedrohte eine Selbstverständlichkeit. Vor diesem Hintergrund erscheint es wie ein schlechter Scherz, dass Anfang September der Theodor-W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main, der seit 1977 zur Anerkennung herausragender Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film verliehen wird und in dessen Vergabekomitee dieses Jahr auch die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz sitzt, an Judith Butler vergeben werden soll.
Butler ist eine internationale Aktivistin, die zum Boykott Israels aufruft. Sie engagiert sich im "Boycott, Divestment and Sanctions Movement" (BDS), das sich nicht etwa gegen das iranische Regime richtet, das seit mehr als 30 Jahren Frauen mit aller Gewalt unter die Gesetze der Scharia zwingt und Schwule an Baukränen aufhängt, sondern gegen den jüdischen Staat, der als einziges Land in der Region Homosexuellen ein gleichberechtigtes und selbstbewusstes Leben ermöglicht.
Von der Kampagne des BDS haben sich mittlerweile selbst radikale Antizionisten wie Noam Chomsky oder Norman Finkelstein distanziert. Butler hingegen fungiert weiterhin als ihr internationales Aushängeschild. Insofern ist es auch kein Wunder, dass folgende Charakterisierung von der Meisterdenkerin aus Cleveland stammt: „Es ist außerordentlich wichtig, die Hamas und die Hisbollah als soziale Bewegungen zu begreifen, die progressiv und links, die Teil einer globalen Linken sind."
Nach zahlreichen Protesten gegen diese Apologie des Djihadismus erklärte Butler, sie fühle sich „missverstanden"; sie lehne Gewalt selbstverständlich ab, begreife die Hamas und die Hisbollah aber als „Bewegungen gegen den Kolonialismus und den Imperialismus". Was in etwa bedeutet: Sie kämpfen für dieselben Ziele wie Butler, wählen aber die falschen Mittel und sollten sich doch bitte lieber dem BDS-Movement gegen Israel anschließen.
Butler begeistert sich für die Elogen der US-palästinensischen Genderforscherin Lila Abu-Lughod auf die Burka und diskreditiert Kritik am islamischen Tugendterror als „kulturimperialistische Ausbeutung des Feminismus". Die passende Antwort darauf haben bereits im Jahr 1979 jene iranischen Frauen formuliert, die wochenlang zu Zehntausenden in Teheran gegen die Einführung der Zwangsverschleierung demonstrierten – unter der Parole: „Emanzipation ist nicht westlich und nicht östlich, sondern universal."
Butler hat sich nicht zuletzt bei ihrer Edward-Said-Gedenkvorlesung 2010 in Kairo als glühende Antizionistin positioniert, und man kann nur hoffen, dass sich das Frankfurter Vergabekomitee doch noch eine würdigere Preisträgerin einfallen lässt.
Alleine schon, weil sich in der jetzigen Entscheidung auch eine Ignoranz gegenüber all jenen Feministinnen ausdrückt, die ihre Gesellschaftskritik tatsächlich ausgehend von der Kritischen Theorie Adornos versuchen zu formulieren. Stephan Grigat
Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien und Herausgeber von „Postnazismus revisited – Das Nachleben des Nationalsozialismus