Initiatorin dieser Präsentation ist die Urenkelin Yael Perl Ruiz, ihr Ziel war es, den Menschen Dreyfus in den Mittelpunkt zu stellen und darüber hinaus die Situation der Juden in Frankreich aufzuzeigen. In einem Gespräch mit der INW wies sie auch auf den sich immer stärker artikulierten Antisemitismus in Frankreich hin. Auch heute gäbe es noch Leute, die unter vorgehaltener Hand die Unschuld Dreyfus bezweifelten.
Bekanntlich wurde Alfred Dreyfus 1894 der Spionage für Deutschland beschuldigt und verurteilt. Der Prozess und die darauf folgende Degradierung gestalteten sich zu einem unglaublich aggressiven antisemitischen Spektakel und bestätigten Theodor Herzls Theorie, eine Lösung der Judenfrage zu finden. Herzl war ab Oktober 1891 als Korrespondent in Paris tätig und sehr oft mit antisemitischen Themen konfrontiert. Er war auch Zeuge der öffentlichen Degradierung von Dreyfus im Januar 1895 und hatte sowohl dessen Unschuldsbeteuerungen gehört, als auch die Zuschauerrufe, die seinen Tod und den Tod aller Juden forderten. Diese Ereignisse bewiesen ihm, dass jegliche Bemühungen um Assimilation gescheitert sind. Der Judenstaat, Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage erschien bereits im Februar 1896 und im August 1896 fand in Basel der erste Zionistenkongress statt.
Dank der Hartnäckigkeit von Angehörigen, vor allem seines älteren Bruders Mathieu und seiner Frau Lucie, die von der Unschuld Dreyfus‘ überzeugt waren und diverse Persönlichkeiten aus Politik und Presse für den Fall interessierten, verschwand dieser nicht in der Versenkung. Als Esterházy am 11. Januar umgehend freigesprochen wurde, reagierten viele Personen mit Empörung. Einen wahren innenpolitischen Sturm entfachte dann der offene Brief J‘accuse…! (Ich klage an …!), den am 13. Januar 1898 der bekannte Autor Émile Zola in der Zeitung L‘Aurore an den Staatspräsidenten Félix Faure richtete, um auf das Unrecht gegenüber Dreyfus hinzuweisen.
Die französische Gesellschaft wurde von der Dreyfus-Affäre, wie sie nun hieß, bis in die Familien hinein polarisiert und spaltete sich in „Dreyfusards“ und „Anti-Dreyfusards“. Besonders in den Jahren 1898 und 1899 manifestierte sich dieses Thema in den Medien mit zahlreichen Karikaturen, Analysen und Zeichnungen.
Die im Juni 1899 neu gebildete Regierung unter Pierre Waldeck-Rousseau setzte auf einen Kompromiss, nicht auf eine grundsätzliche Korrektur des Fehlurteils, um die Auseinandersetzungen in der Affäre Dreyfus zu beenden. Wenige Wochen nach seiner zweiten Verurteilung wurde Dreyfus begnadigt. Ein Amnestiegesetz garantierte gleichzeitig Straffreiheit für alle mit der Dreyfus-Affäre im Zusammenhang stehenden Rechtsbrüche. Lediglich Alfred Dreyfus war von dieser Amnestie ausgenommen, was es ihm ermöglichte, sich weiter um eine Revision des Urteils gegen ihn zu bemühen. Am 12. Juli 1906 hob schließlich das zivile Oberste Berufungsgericht das Urteil gegen Dreyfus auf und rehabilitierte ihn vollständig. Dreyfus wurde wieder in die Armee aufgenommen, zum Major befördert und darüber hinaus zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt.
Viele unbekannte und sehr persönliche Briefe, insbesondere die an seine geliebte junge Frau Lucie, eröffnen die Tragik dieser Ereignisse, die weit über das politische hinaus reichen. Zur Eröffnung dieser aufschlussreichen und auch berührenden Ausstellung erschien die Urenkelin von Emile Zola, Martine Le Blond Zola, die auch an einem Symposium zum gleichlautenden Thema teilnahm. Die Ausstellung analysiert an Hand einer Familiengeschichte auch die Entwicklung der Juden in Frankreich bis in die Gegenwart. Gerade in Zeiten wachsenden Antisemitismus in Europa ist diese Ausstellung höchst brisant und aktuell.