Diese können meist zu einem günstigeren Preis gekauft und vom Autor signiert werden. Auch die 85 jährige Philosophin Ágnes Heller war anwesend. Seit Jahren publiziert sie ihre Bücher beim traditionsreichen jüdischen Verlag Múlt és Jövö (Vergangenheit und Zukunft). Für die INW befragte Karl Pfeifer die emeritierte Universitätsprofessorin zur Kultur- und Geschichtspolitik ihres Landes.
INW: Laut dem Historiker Miklós Szabó erwähnen die rechten Historiker immer wieder die jüdische Abstammung von Mátyás Rákosi, der Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg ein paar Jahre regierte. Gleichzeitig aber verdrängen sie, dass die im Verhältnis zu den anderen Volksdemokratien liberale Kulturpolitik während der Kádárperiode, der Tatsache zu verdanken ist, dass gerade die jüdischen Intellektuellen, die überlebten, die liberalen Traditionen der ungarischen Kultur fortsetzten…
Ágnes Heller: Die Kulturpolitik der Kádárperiode war nicht liberal. Der damals wirkende „Kulturpapst“ György Aczél hatte zweifelsohne die Gabe, Qualität und Talent zu erkennen und er bemühte sich, diejenigen, die darüber verfügten, mit materiellen Anreizen oder anderswie für sich zu gewinnen. So machte er Menschen – deren Niveau er anerkannte – zu Dienern der Macht. Ein Teil der ungarischen Intelligenz gewöhnte sich daran, sich den jeweiligen Machthabern anzudienen und deren Wünsche zu erfüllen und verhält sich leider auch heute so. Hingegen gab es in der zweiten Hälfte der Kádárperiode eine aktive oppositionelle demokratische Intelligenz. Diese spielte nach der Wende eine wichtige Rolle, aber als Politiker waren sie nicht besonders erfolgreich. Heute sind viele von ihnen aktiv in der Opposition gegen die Regierung Orbán. Die Kulturpolitik von Kádár und Aczél war gekennzeichnet dadurch, dass sie Qualität schätzten und dafür bezahlten. Sie wussten, wen sie bestechen sollten. Indessen besticht auch die heutige Regierung willige Künstler, die aber selten talentiert sind.
INW: Hier an diesem Platz gewinnt man den Eindruck, alles wäre in Ordnung. Wer aber zehn Minuten zum Freiheitsplatz (Szabadságtér) spaziert, kann eine Demonstration gegen ein zu errichtendes Denkmal erleben, das einen deutschen Adler zeigt, der einen unschuldigen ungarischen Erzengel Gabriel angreift und somit die in Ungarn weit verbreitete Legende bestätigt, wonach vor der deutschen Besatzung am 19. März 1944 eitel Sonnenschein herrschte. In Deutschland und Österreich versteht man nicht, weshalb Ministerpräsident Orbán darauf besteht, damit die Geschichte derart krass zu fälschen.
Vom Numerus Clausus Gesetz 1920 bis 1942 gab es 22 antisemitische Gesetze und hunderte Verordnungen mit denen das Horthyregime offiziell und legal wenigstens 200.000 Menschen beraubte und ins Elend stürzte.
Die Deportationen von Juden begannen bereits 1940 und kosteten Zehntausenden das Leben, die ungarische Soldateska und Gendarmerie raubte aus und ermordete über 800 Juden im Januar 1942 in und um Novisad. An die 25.000 Juden, die zum waffenlosen Arbeitsdienst in die Ukraine und Russland gebracht worden waren fanden dort ihren Tod. All das geschah Jahre vor der deutschen Besatzung.
Á.H.: Die ungarische Regierung braucht Vorbilder aus der Vergangenheit, auf die man sich berufen kann und die eine positive Rolle gespielt haben. Die waren in Ungarn fast ausnahmslos links oder liberal und wenn sie schon konservativ waren, dann liberal-konservativ. Diese Regierung hat also keine „Ahnen“ auf die sie sich berufen könnte. Da es hauptsächlich eine linke oder liberale Intelligenz gab, versucht die Regierung, rechtsextremistische oder pronazistische Intellektuelle aus der Vergangenheit (z.B. József Nyirö oder Albert Wass) als „konservativ“ zu verkaufen und sie rehabilitiert Horthy und Politiker aus seinem Kreis. Gerade diese Woche hat Orbán ein Denkmal für Ministerpräsident István Tisza, der 1918 ermordet wurde, wieder eingeweiht. Das bereits 1934 errichtete monströse Denkmal wurde rekonstruiert und vor dem Parlament aufgestellt, weil Orbán darauf bestanden hat, diesen Platz wieder so herzurichten, wie er 1944 war. Anlässlich der Einweihung behauptete Orbán, „die Vorsehung“ habe ihn „zum nationalen Oberhaupt“ gemacht hat, denn bis dahin hätten die Liberalen das Land ruiniert und er bringe es auf den nationalen Weg, denn „In den vergangenen vier Jahren hat Ungarn seine Ehre wiederhergestellt“. Dazu passt auch das von ihm befürwortete Denkmal, mit dem an die deutsche Besatzung Ungarns erinnert werden soll, was der Präambel des neuen Grundgesetzes entspricht, wonach Ungarn seine Souveränität am 19. März 1944 verloren und erst nach der ersten freien Wahl am 3. Mai 1990 wiedergewonnen hat. Was also in den zwischenliegenden 46 Jahren geschah, liegt nicht in der Verantwortung Ungarns…
Lesen Sie mehr in der Printausgabe