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Albert Ticho in Jerusalem

Der am Michigan State University College of Human Medicine lehrende Ophthamologe David Reifler, M.D., publizierte über seinen berühmten Vorgänger Abraham ­Albert Ticho (1883-1960) eine faszinierende Studie. 

Ticho wuchs als das 12. von 13 Kindern des Kaufmanns Ignatz Ticho und seiner Ehefrau Laura im mährischen Boskowitz auf, wo die Familie Ticho seit dem 17. Jahrhundert nachweisbar ist. Er besuchte das Gymnasium in Brünn, studierte Medizin in Wien und Prag und spezialisierte sich nach seiner Promotion 1908 auf die Augenheilkunde. 

Während seines Studiums in Wien wohnte er zeitweise bei seiner Schwester Sarah, die dort mit ihrem Ehemann Dr. Isidor Reiniger, der sich in der streng orthodoxen Agudah engagierte, lebte. Nach seiner Promotion arbeitete Ticho kurze Zeit als Assistenzarzt in Wien; das Angebot einer permanenten Stelle, das von seiner Taufe abhängig gewesen wäre, lehnte er ab. 1912 erfuhr er, dass der 1888 von den Rabbinern Esriel Hildesheimer und Markus Horovitz gegründete Palästinensische Hilfsverein für seine Augenklinik in Jerusalem einen neuen Leiter suchte. Im Februar 1912 erfuhr Ticho, dass seine Bewerbung nach einem Gespräch mit Rabbiner Nehemiah Anton Nobel in Frankfurt am Main akzeptiert wurde. Ebenfalls in diesem Frühjahr hielt Ticho um die Hand seiner noch nicht 18jährigen Cousine Anna Ticho, die nach dem Tod ihres Vaters Philipp 1911 als Kunststudentin in Wien lebte, an. 

Mitte Juni 1912 machte sich Ticho auf den Weg nach Jerusalem. Vier Monate später folgten ihm seine Verlobte Anna und ihre Mutter Bertha. Im November 1912 wurden Albert und Anna im Hotel Kaminitz von Joseph Chaim Sonnenfeld, dem 1873 aus Kobersdorf eingewanderten, antizionistischen Rabbiner der charedischen Gemeinde in Jerusalem, getraut. Anna half ihrem Mann in der Ordination. Sie verliebte sich in die Landschaft und Vegetation ihrer neuen Heimat, die sie in wunderschönen Bildern festhielt, die sie 1926 erstmals öffentlich zeigte.  

Während des Ersten Weltkriegs betreute Ticho als Arzt die österreichischen, deutschen und türkischen Truppen. 1916 begrüßten er und sein Kollege Aryeh Feigenbaum 400 in Jerusalem stationierte österreichisch-ungarische Soldaten. Im November 1917 wurde Ticho von den türkischen Behörden inhaftiert und aufgrund der Intervention des spanischen Konsuls Antonio de la Cierva Conde de Ballobar freigelassen. Bedingung dafür war, dass er zusammen mit der österreichisch-ungarischen Armee die Stadt verlassen musste. Ab Dezember 1917 lebten Albert und Anna Ticho in Damaskus; Albert leitete die Augenklinik des österreichischen Reservespitals und betreute jüdische Flüchtlinge, die unter der Führung von Meir Dizengoff in Syrien lebten. Anna erholte sich von einer Typhuserkrankung und malte. Ticho erhielt mehrere österreichische Auszeichnungen und kehrte nach dem Ende des Weltkrieges über Odessa und Istanbul nach Jerusalem zurück. Neben der Wiedereröffnung seiner Praxis gründete er eine neue Klinik in der St. George’s Road. Ab 1920 leitete Ticho die Augenabteilung der Hadassah. In den Jahren 1923 bis 1926 war Ticho Präsident der Jerusalemer Ärztevereinigung. Bei der feierlichen Eröffnung der Hebräischen Universität 1925 war er anwesend und wurde später  auch Mitglied ihres Board of Directors.

Auch die schweren Unruhen im August 1929 in Jerusalem und Hebron erlebte er hautnah. Die Briten versuchten, die genauen Umstände der Morde und Verstümmelungen durch die Araber zu vertuschen. Ticho, Felix Danziger und andere Jerusalemer Ärzte bemühten sich um eine genaue Dokumentation und veröffentlichten dazu einen offenen Brief. Am Morgen des 12. November dieses Jahres wurde Ticho auf dem Weg in seine Klinik mit einem Messer angegriffen; er wurde in der Lungengegend verletzt; der Täter konnte nicht gefasst werden. Das Oberrabbinat erließ einen Aufruf, für Ticho zu beten und zahlreiche prominente Persönlichkeiten Palästinas besuchten ihn in seinem Krankenzimmer im Spital der Hadassah.

Im Februar und März 1930 reiste das Ehepaar Ticho zur Erholung nach Paris und Wien. Anna zeigte in drei Ausstellungen – in der Galerie des Quatre Chemins in Paris, in der Galerie Würthle in Wien und in der Buchhandlung Steimatzky in Jerusalem – ihre Bilder. Arthur Schnitzler und Felix Salten entschuldigten sich für die Ausstellungseröffnung in Wien, versprachen aber, die Ausstellung später zu besuchen.

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