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Amerikanisches Panorama

Ruth Beckermann drehte in den USA

Wahlkampf Barak Obamas und der Finanzkrise, wissen wie es um den Amerikanischen Traum bestellt ist. In einer zweijährigen Entdeckungsreise drehte sie den Dokumentarfilm „American Passage". Mit der Euphorie nach der Wahl Obamas zum Präsidenten von Amerika beginnt der Film „American Passage", doch der positive Ton hält nicht an. Der Zusammenbruch der Wirtschaft hat den Amerikanischen Traum – Alles ist machbar, jeder hat das Recht sein Glück zu suchen – in Frage gestellt.

Durch insgesamt elf Bundesstaaten ist Beckermann gereist, nicht um Orte zu filmen, sondern um Menschen zu treffen, aus deren persönlichen Statements der Zustand Amerikas heraus zu lesen ist. Das Bild ist fragmentarisch, gibt jedoch Anlass, so manches Klischee, das das, europäische Amerikabild formt, zu überdenken. Gedreht hat Beckermann nicht an den Küsten, sondern im Inneren des Landes, um jene Orte, „Nicht-Orte" nennt sie diese, zu finden, an denen sich das Leben abspielt. Dazu wählte sie auch zwei Punkte, die für sie „auf der symbolischen Ebene typisch" sind: New York und Las Vegas.

Die Szenen in der Wahlnacht drehte sie in Harlem, wo, so Beckermann, die Rassentrennung tatsächlich aufgehoben scheint und sich die Menschen in allen Lebensbereichen mischen. Las Vegas ist für sie „ein Beton gewordener Hollywoodfilm". Im Interview mit Karin Schiefer von der Austrian Film Commission sagt die Regisseurin über Las Vegas:

<cite>Es zeigt die Einstellung der Amerikaner zum Leben, die der europäischen diametral entgegengesetzt ist: Sexuelle Prüderie und Hedonismus im Spiel. In Las Vegas ist Prostitution verboten, damit die Spieler nicht abgelenkt werden. Das Leben wird in Amerika weitaus stärker als Spiel empfunden: Man erfindet sich selbst, man präsentiert sich in einer Rolle, man versucht sein Glück und wenn man scheitert, zieht man weiter und fängt neu an. Misserfolg, Konkurs, Scheitern werden gesellschaftlich nicht sanktioniert wie in Europa, Mut zum Wagnis wird dagegen hoch bewertet. In den der Wüste abgerungenen Städten des Westens, diesen paranoiden Suburbias, zeigt sich die ganze Brutalität dieser Lebensweise, die nur eines anstrebt, den Sieg. Sieg über die Spielautomaten, Sieg über die Wüste.</cite>

Beckermann vergleicht Las Vegas mit der Stadt Mahagonny aus Bert Brechts Opernlibretto „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" (Musik von Kurt Weill), in der man König ist solang man Geld hat. So erklingt auch während der Szene eines Castings in Las Vegas der Alabama Song. Im Interview erzählt Beckermann, dass sie sehr lange gebraucht habe, um die Menschen soweit zu verstehen, um Zugang zu ihnen zu finden. Das fiel ihr mit den afroamerikanischen GesprächspartnerInnen leichter als mit Weißen.

Bald musste sie den Gedanken aufgeben, dass Amerikaner sind wie Europäer und so konzentrierte sie sich dann auf die Verschiedenheiten. Was ihr gefiel ist, dass die Menschen in Amerika sich gerne präsentieren und sich auch ausdrücken können. Neben den Einzelgesprächen, in denen Frauen und Männer aller Altersstufen von ihren Erfolgen und ihrem Scheitern, ihren Hoffnungen und Träumen erzählen, sind viele Szenen zu sehen, in denen gemeinsam gesungen oder gebetet wird. Der Film vermittelt den nahezu beruhigenden Eindruck, dass in den Vereinigten Bundesstaaten ein viel innigeres Gemeinschaftsgefühl herrscht als in Europa, dass die Menschen Verantwortung für die Gesellschaft um sie herum übernehmen und für einander da sind. Aus vielen Gesprächen klingt der amerikanische Optimismus durch, die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit, alles ist möglich. Beckermann entdeckte aber auch negative Seiten, Rassismus zum Beispiel, der schnell hervorkommt, wenn am Lack gekratzt wird.

Der melancholische Grundton deressayistischen Dokumentation ist unüberhörbar, auch wenn der American Dream noch immer lebendig ist. Ruth Beckermann war möglicherweise mit der Kamera (Antoine Patouty, Lisa Rinzler) zu einem Zeitpunkt in Amerika, da die Ära des Träumens sich ihrem Ende
zuneigt. Ditta Rudle

(Interviewzitate aus afc-News von Karin Schiefer, 24. Februar 2011)

Ruth Beckermann, geboren 1952 in Wien, studierte in Wien und Tel Aviv Publizistik und Kunstgeschichte und promovierte 1977 zum Dr. phil. in New York. Danach studierte sie Fotografie an der School of Visual Arts. 1977 entstand, in Zusammenarbeit mit der Videogruppe Arena, ihr erster Film.
Dokumentarfilme (Auswahl).
1983 Wien retour (mit Josef Aichholzer).
1990 Nach Jerusalem
1996 Jenseits des Krieges
1999 Ein flüchtiger Zug nach dem Orient (mit Josef Aichholzer)
2006 Zorros Bar Mizwa
2011 American Passage

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