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Antisemitismus und Islamophobie

Das Christentum hat, so Maximilian ­Gottschlich in seinem letzten Buch, durch zwei Jahrtausende die Verfolgung und Diffamierung der Juden in sein Programmheft geschrieben, und zweifellos wurde damit indirekt auch der Boden, auf dem der Rassenantisemitismus in die Shoa mündete, aufbereitet. Selbst die Aufklärung brachte keine Änderung an der Wurzel, da sie die Aufgabe des spezifisch Jüdischen verlangte, eine Aufgabe der Religion zur Vorbedingung der Aufnahme in den europäischen Kulturkreis. Das beruhte wohl auch darauf, dass die Aufklärung per se zur Distanz, zur Kritik auf Religion überhaupt ging und hinsichtlich der jüdischen keine Ausnahme machte. Im Vordergrund stand nunmehr die destruktive Rolle der Juden in Wirtschaft und Gesellschaft, sie traten als Gefahr für das erwachende Nationalbewusstsein des Bürgertums auf. Sie sollten ihre Eigenständigkeit aufgeben oder sie wurden ausgegrenzt. Sie bezahlten für ihre Emanzipation damit, dass sie im kollektiven Sinne aufhören mussten, Juden zu sein. Freilich sei angemerkt, dass sich der jüdische Genius erst durch die Berührung mit der Welt der Aufklärung entfaltete. Im Shtetl lebten wohl die Großväter und Väter der Nobelpreisträger, Künstler, Unternehmer. Dazu wurden sie erst in der Symbiose mit der nichtjüdischen Welt. Dennoch drohte ihnen dann die Ausrottung, die die Rationalität der Aufklärung nicht nur nicht verhinderte, sondern mit einem pervertierten Szientismus geradezu förderte. 

Wenn Auschwitz als Metapher für eine Totalentgleisung unserer westlichen Kultur stehen kann, so ist es ist damit auch ein historisches Versäumnis des Christentums. Denn – so Gottschlich – „Dass der Genozid an den europäischen Juden nicht im Namen Christi erfolgte, entlastet die Christen nicht. Denn er wurde auch nicht von den Christen im Namen Jesu Christi verhindert.“ Er räumt wohl ein, dass durch die Erklärung Nostra Aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils eine historische Wende eingeleitet wurde. Nach ihr sind Juden nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen und stehen im ungekündigten Gottesbund. Juden und Christen verwalten ein gemeinsames geistiges Erbe. Juden sind nicht von Gott verworfen oder verflucht, weder den damals lebenden Juden, noch den heutigen Juden kann man die Last der Schuld am Tod Christi auferlegen. Ein Jahrzehnt später hat Johannes Paul der Zweite 1986 in seiner berühmten Ansprache in der römischen Synagoge darauf hingewiesen, dass die jüdische Religion für uns nicht etwas Äußerliches ist. Zu ihr haben wir Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. „Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und so könnte man sagen unsere älteren Brüder.“ 

Diese Besinnung kam spät, sehr spät und sie erreichte, so Gottschlich, nicht die Herzen. Er konstatiert eine merkbare Kluft zwischen dem theologisch religiösen Anspruch und der gesellschaftlichen Praxis. Die vatikanische Kurskorrektur gegenüber dem Judentum sei über die Organisation interreligiöser Dialogforennicht wirklich hinausgekommen.

In der Zwischenzeit ist ein neuer Judenhass in Europa angekommen, der islamische. So kann der indigene Antisemitismus, der eine Zeitlang Winterschlaf gehalten hat, wiedererwachen und mit einem Tarnanstrich, der Liebe zu den verfolgten Palästinensern auftreten. Mit der Camouflage des Antizionismus als „ehrbaren” Antisemitismus wird es geradezu zu einer Pflichtübung, Israel anzuklagen und insgeheim die Staatsgründung und bloße Existenz Israels – weil ein Unrecht gegenüber den Arabern – zur Disposition zu stellen. Hinlänglich bekannt sind die zahlreichen Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen, die in den Medien gerne als antizionistisch bagatellisiert werden. Gottschlich hat den Mut, diese teils vorsätzlich, teils grob fahrlässig verleugnete Thematik in voller Klarheit anzuschneiden.

Man har zwar keine Schwierigkeiten einzuräumen, dass das Christentum zu Untaten und Judenhass fähig war, jede auch nur zaghafteste Andeutung, dass dieses auch im Islam möglich wäre, wird mit lodernder Empörung als „islamophob“ gebrandmarkt. Den arabischen Staaten ist es mit einem perfiden Trick gelungen, jedwede Islamkritik gar mit Antisemitismus gleichzusetzen und weil das gleich in Einem geht, den Zionismus mit Rassismus. 

Nach dieser Lesart ist bereits islamophob derjenige, der auch nur zitiert: Etwa wenn es heißt: „Die Stunde wird nicht eintreten, bis die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten und sich der Jude hinter einem Stein einem Baum verstecken wird. Da sagt der Stein oder der Baum: o Muslim. o Diener Allahs. Dieser ist ein Jude hinter mir, so komm und töte ihn.” Es gibt noch eine Unzahl anderer Aussagen, nicht weniger blutrünstig aus dem Koran und man fragt sich verwundert, warum soll man angesichts solcher Äußerungen nicht islamophob sein, das heißt sich vor einer solchen Religion fürchten? 

Genauso wenig wie man antichristlich ist, wenn man den christlichen Antisemitismus benennt, so Gottschlich, sei man nicht islamophob wenn man auf die religiösen Wurzeln und die religiöse Tradition der islamischen Feindseligkeit gegen Juden und das Judentum hinweist. Das Fazit: Europa ist die Arena eines ideologischen Kampfes zwischen islamischem Mittelalter und dem aufgeklärten Rest der Welt. Der islamische Hass gegen Juden verbreitet sich wie ein Flächenbrand auch in Europa. Und er trifft auf nur wenig Gegenwehr. Europas antisemitische Immunschwäche ist das Einfallstor für die Pandemie des islamischen Antijudaismus. Beistand und Widerstand soll von der katholischen Kirche geleistet werden, die sich in der Vergangenheit der Judenverfolgung schon sehr gehen sein ließ und daher eine besondere Schuldigkeit zur Wiedergutmachung hat. Gottschlich erwartet angesichts ihres weltumspannenden Charakters und der daraus resultierenden tiefen Wirksamkeit die Mission, einmal den alten, noch bestehenden indigenen Antisemitismus radikal aus der Gesellschaft zu entfernen, andererseits aber auch den neuen, importierten Antisemitismus einzugrenzen. So hat der Antisemitismus eine Vergangenheit, leider auch eine Gegenwart – es bedarf wohl großer Anstrengungen, um zu verhindern, dass er auch noch eine Zukunft hat.

Maximilian Gottschlich: Unerlöste Schatten. Die Christen und der neue Antisemitismus, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016, 227 Seiten, 19,90 Euro.  

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