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Bauhaus in Israel

Wer dieser Tage durch Tel Avivs Innenstadt schlendert, dem dürfte es schwer fallen nachzuvollziehen, weshalb die UNESCO Israels größte Metropole mit dem Namen

„Die Weiße Stadt“ zum Weltkulturerbe erklärte.Wer dieser Tage durch Tel Avivs Innenstadt schlendert, dem dürfte es schwer fallen nachzuvollziehen, weshalb die UNESCO Israels größte Metropole mit dem Namen „Die Weiße Stadt“ zum Weltkulturerbe erklärte.

Von Ruß und Abgasen gebräunter Putz fällt von den Häusern, nicht selten schimmern grauer Beton oder trübe Bausteine durch breite Risse. Ehedem blühende Vorgärten sind mit brüchigem Asphalt bedeckt, der von Unkraut durchlöchert wird. Auf den einst berühmten Flachdächern stehen schmucklose Heißwasserspeicher oder illegale Bauten. Die ehemals prominenten offenen Terrassen sind mit unansehnlichen, klapprigen Plastikjalousien geschlossen. Selbst Deutschlands Botschafter in Tel Aviv Andreas Michaelis rügte unlängst sein Gastland öffentlich. Man müsse zugeben, sagte der deutsche Gesandte auf einem Kongress der Tel Aviver Stadtverwaltung und der Heinrich Böll Stiftung, dass das einzigartige architektonische Erbe der Stadt „eine sehr lange Zeit in einem erstaunlichem Maße vernachlässigt wurde.“ Damit sagt er nichts Neues: „Unsere Stadt steht vor einem kritischen Scheideweg“, meint auch der Leiter des Tel Aviver Denkmalschutzes Jeremi Hoffmann. Denn wenn die Stadt nicht bald eine Kehrtwende macht, könnte UNESCO Tel Aviv ihren Sonderstatus wieder aberkennen. Das kulturelle Erbe ist in akuter Gefahr. Rund 4000 Gebäude im Internationalen Stil entstanden in den Jahren 1933-1948 in Tel Aviv, die größte Ansammlung dieser Architektur weltweit. Sie sind gleichzeitig ein Meilenstein in Israels Geschichte, und ein einmaliges deutsches Kulturerbe.

Israelis nennen diesen Baustil nicht umsonst einfach nur „Bauhaus“: Viele der Architekten und Bauherren waren jüdische Flüchtlinge aus Deutschland. Zu ihnen gehörten bedeutende Baumeister, wie der Theaterarchitekt Oskar Kaufmann, dem Erbauer der Kroll-Oper, der Volksbühne und des Renaissance Theaters in Berlin, oder Schüler des BAUHAUS wie Arieh Sharon. Michaelis spricht von einem „wichtigen Teil deutsch-jüdischer und deutsch-israelischer Geschichte“. Während die Entwicklung des Internationalen Stils in Europa im Zweiten Weltkrieg zum Stillstand kam, erfuhr er in Palästina dank der Flüchtlinge aus Deutschland eine unerwartete Blüte. Die Sanddünen, auf denen die Zionisten ihre erste „hebräische Stadt“ aus dem Boden stampften, wurden für sie zu einem unbefleckten Reißbrett, auf dem sie ihre revolutionären Ideen fast ohne Einschränkungen ausprobieren konnten. In der westlichen Welt seien die Gesellschaften „zu sehr mit ihren Traditionen verbunden und deswegen unfähig, mit alten Gewohnheiten zu brechen“, schrieb der Architekt Joseph Neufeld, der in Berlin für Erich Mendelsohn gearbeitet hatte. „Aber dort, in dem kleinen Land Palästina“, fuhr Neufeld fort, „fand ein schäumender Prozess statt, ohne Traditionen oder Gesetzgebung, wurden zahllose architektonische und soziale Experimente geplant und ausgeführt.“

Ludwig Mies van der Rohes Minimalismus – er prägte für seine Entwürfe den Grundsatz „Weniger ist mehr“ – stieß bei den gebeutelten jüdischen Flüchtlingen auf großen Zuspruch. Louis Sullivans Maxime „Form folgt aus der Funktion“ entsprach der zweckgerichteten Weltanschauung der sozialistischen zionistischen Führung. Und so gab Baurat Jakob Ben Sira die Anweisung, nur noch im Internationalen Stil zu bauen. Tel Aviv wurde zur Weißen Stadt, in der die „Neue Sachlichkeit“ der modernen Architektur des BAUHAUSES einen weltweit einzigartigen Ausdruck fanden. Tiefe Terrassen verleihen würfelförmigen Gebäuden Schwung und Rhythmus und spenden Schatten, Pilotis ermöglichen der Meeresbrise, die baumbestandenen Alleen zu kühlen. Thermometerfenster spenden in Treppenhäusern Licht und erhellen nachts den Bürgersteig. Lange wurde diese „Bauhaus“ Architektur hier geringschätzt. Die Elite zog in neue Villen in grünen Vororten, die Innenstadt verfiel. Doch spätestens seit der Anerkennung durch die UNESCO haben auch die Israelis die potentielle Schönheit Tel Avivs wiederentdeckt: „Wir würdigen die Bedeutung dieses architektonischen Schatzes“, beteuert der stellvertretende Bürgermeister Doron Sappir auf der Konferenz, die sein Rathaus gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung ausrichtete. „Aber unser Bestreben, ihn zu erhalten, ist eine gewaltige Herausforderung.“ Denn das Rathaus steht von gleich mehreren Seiten unter Druck.

Nur etwa 1600 der insgesamt 4000 Gebäude im Internationalen Stil sind denkmalgeschützt. Der Stadt Tel Aviv fehlt es an Geld, um sie mit öffentlichen Geldern zu sanieren. Deswegen gilt hier ein besonderes, umstrittenes Konzept des Denkmalschutzes: Eigentümer erhalten auf den Dächern zusätzliche Baurechte, wenn sie den Originalzustand der Gebäude wiederherstellen. Auf diese Weise wurden bereits 400 Häuser saniert, sagt die Verantwortliche im Rathaus Schira Binjamini. Israelis sprechen von einer Lösung, an der jeder gewinnt: Der Unternehmer macht mit den zusätzlichen Etagen Gewinn, die Bewohner erhalten ein renoviertes Haus, die Stadt kostenlos sanierte, ansehnliche Fassaden. Doch Philip Oswalt, Direktor der BAUHAUS Stiftung in Dessau, hält dieses Modell für heikel: „Es wird vielen Gebäuden nicht gerecht. Die Nachverdichtung von Innenstädten erzeugt oft neue Probleme.“ Israels Immobilienhaie kümmert das wenig. Sie wittern einen Reibach, wenn sie auf den flachen Dächern nur weitere Baurechte wahrnehmen könnten, und drängen die Stadtverwaltung, es mit dem Denkmalschutz nicht so eng zu nehmen.

Die nahöstliche Realität ist eine weitere, schwerwiegende Bedrohung: „Wir müssen die alten Häuser sicherer machen. Die Bewohner Tel Avivs brauchen Schutzräume gegen Raketen, und wir müssen die Folgen eines Erdbebens vorbeugen“, sagt der stellvertretende Bürgermeister Sappir. Israels größte Metropole befindet sich nämlich nicht nur im Fadenkreuz der Feinde des Judenstaats, sondern auch direkt auf dem syrisch-afrikanischen Graben, wo im Durchschnitt alle 100 Jahre ein schweres Beben stattfindet. Das letzte ereignete sich 1927, das nächste große Beben steht also bald an und könnte weite Teile der Stadt zum Einsturz bringen. Und so gewähren neue nationale Bebauungspläne jedem, der Schutzräume errichtet oder der Fundament und Konstruktion für mehr Schutz vor Erdbeben festigt, weitere Baurechte – ohne Rücksicht auf äußere Ästhetik. Doch diese Pläne machen die finanziellen Anreize für fachgerechte Sanierung historischer Gebäude obsolet. Selbst das umstrittene Denkmalschutzmodell Tel Avivs wird für Investoren immer unattraktiver. Deswegen, so die Denkmalschützerin Binjamini, seien bislang nur 30% der historischen Bauten saniert worden. Eine Kooperation mit Deutschland soll nun Abhilfe schaffen: „Deutsches Know-How kann uns dabei helfen, diesen deutschen Baustil zeitgerecht anzupassen“, sagt Sappir. Denn in Israel fehlt es nicht nur an Geld, sondern auch an Fachwissen, um die Häuser, die in den dreißiger Jahren mit deutschen Materialien und Baumethoden errichtet wurden, sachgerecht zu sanieren. Und so strebt die Stadt Tel Aviv eine enge Kooperation mit Deutschland an.

Bei den bilateralen Regierungskonsultationen im November 2012 verpflichtete sich das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, „mit der Stadtverwaltung von Tel Aviv bei der Erforschung, Dokumentation und Erhaltung von Bauhaus-Gebäuden zusammenzuarbeiten“. Beide Seiten hätten dabei viel zu gewinnen: „Es gibt hier einen großen Markt für innovative deutsche Bauprodukte, für Partnerschaften und Austausch in Industrie und Handwerk“, sagt der verantwortliche Referatsleiter im Ministerium Matthias Vollmer. Dafür errichte sein Amt gerade ein „Netzwerk Weiße Stadt“. Doch Aktivisten in Tel Aviv und Berlin träumen eigentlich von einem Großprojekt: „Wir planen ein Zentrum, in dem die deutsch-israelische Geschichte Tel Avivs gemeinsam dokumentiert und zusammen für ihren Erhalt gearbeitet wird“, sagt Vollmer. „Achtzig Jahre, nachdem jüdische Deutsche als Flüchtlinge nach Tel Aviv kamen und hier ein Weltkulturerbe errichteten, könnten nun junge deutsche Experten als willkommene Gäste in ihren Fußstapfen folgen, und helfen, dieses Erbe zu bewahren“, sagt die Tel Aviver Denkmalschützerin Sharon Golan. Am Dizengoff Platz kann man heute bereits erahnen, wie das Ergebnis einer solchen Anstrengung aussehen könnte. Elegant erstrahlen hier die Bauten Jenia Averbuchs rund um den berühmtesten Kreisverkehr im Herzen Tel Avivs nach ihrer Sanierung wieder in leuchtendem Weiß. Ihre energisch geschwungenen Terrassen und die in Beton gefasste, genau durchdachte Planung überzeugen selbst skeptische Besucher, dass die „Weiße Stadt“ der Moderne sich ihren Namen einst redlich verdiente, und dass ihr Erhalt sich auf jeden Fall lohnt.                                                             

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