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Darf man die Türe ins bessere Jenseits aufstemmen?

Die israelische Tragikomödie „Am Ende ein Fest” von Tal Granit und Sharon Maymon machte in Israel Furore

Zelda hat keine Kraft mehr. Gott höchstpersönlich erkundigt sich nach ihrem Befinden, teilt ihr mit, dass sie die Behandlung nicht abbrechen dürfe, es gäbe momentan keine Kapazitäten, sie im Himmel aufzunehmen. Also muss sie erst mal weitermachen. Hinter der göttlichen Stimme steckt der Tüftler und Erfinder Yehezkel, der seinem Namen „von Gott gestärkt“ durchaus Ehre macht. Der rüstige Rentner könnte seinen Lebensabend im Seniorenheim Achvat Vatikim genießen, wenn das Alter nicht unerbittlich seinen Tribut einfordern würde. Die Palliativmedizin lässt seinen todkranken Freund Max dem ersehnten Tod schmerzensreich entgegendämmern. Wegen der immer massiveren Aussetzer der eigenen, über alles geliebten Ehefrau Levana (hebr. Mond) droht deren Zwangsverlegung in ein Pflegeheim für Demenzkranke.

In dem israelischen Film „Mita towa”, der international unter dem Titel „The Farewell Party” läuft und in der deutschen Version etwas daneben „Am Ende ein Fest” betitelt ist, geht es um letale Krankheiten, körperlichen und geistigen Abbau, Schmerz und Sterbehilfe. Vorletzte und letzte Dinge, die man in unserer globalen Spaßgesellschaft so lange wie möglich verdrängt. Trotzdem wurde die Story um eine Renter-Gang, die sich ganz praktisch mit den in Israel juristisch wie religiös verbotenen Fragen der Sterbehilfe herumschlägt, einer der erfolgreichsten israelischen Filme der letzten Jahre und katapultierte das Regieduo Sharon Maymon und Tal Granit ins internationale Bewusstsein. 

Und das hat etwas mit der Leichtigkeit, der Mitmenschlichkeit und dem Humor zu tun, mit dem die Geschichte rund um den Erfinder ­Yehezkel, höchst überzeugend von dem Film- und Theaterstar Ze’ev Revach dargestellt, erzählt wird. Nach seinem Stimmenimitator und einem elektronischen Tablettenspender baut er – bedrängt von Max und dessen Frau Yana – eine „Gnadentod-Maschine“. Der Sterbewillige muss das tödliche Mittel per Knopfdruck selbst in seinen Kreislauf einführen. Wie die Truppe, darunter ein ehemaliger Tierarzt, der das Sedativ bereitstellt, ein pensionierter Polizist, die angehende Witwe und der Maschinenbauer den Pulsoximeter und den Narkosemonitor austricksen, ist purer Slapstick. 

Natürlich ist alles unzulässig, was da passiert. Tötung, Selbsttötung und Sterbehilfe sind gemäß jüdischer Ethik und nicht nur da verboten. „Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn“ (1. BM 1:27). Nichts in der Bibel wird ohne Grund mehrfach erwähnt. Ganz am Ende spricht Moses ein letztes Mal zum Volk Israel und zitiert Gottes Wort: „Ich töte und belebe, verwunde, und ich heile, und niemand rettet aus meiner Hand.“ (5. BM 32:39) Der Körper wird als Leihgabe angesehen, der Rückgabezeitpunkt von Gott entschieden. Ein Sterbender „ist in jeder Beziehung wie ein Lebender“ anzusehen. Er wird im Schulchan Aruch verglichen mit „einem verlöschenden Licht; sobald ein Mensch es berührt, geht es gleich aus”. Berühren und damit nachhelfen ist verboten.

Yehezkel ist kein Gelehrter, er schlägt sich nicht mit Überlegungen, wie denen des 1994 verstorbenen legendären Religionsgelehrten Jeschajahu ­Leibowitz, „Die Frage, ob ein Leben lebenswert ist, darf es nicht geben.“, herum. Er will, von Max’ Ehefrau bedrängt, nur helfen, ein Leiden zu beenden, ohne juristisch belangbar zu werden.

Doch mit dem Bau des Selbstbedienungssterbegeräts ruft er Geister, die er nicht mehr loswird. Es taucht ein Mann auf, der seine lungenkrebskranke Frau Clara erlöst wissen möchte. Auch der Pflegefall Zelda, die inzwischen in einen Kibbuz zu ihrem jüngeren und offensichtlich pflegebereiten Bruder abgeschoben wurde, meldet sich wieder. Yehezkel entgleitet nicht nur die Kontrolle über das Projekt, das der ehemalige Polizist Raffi – überzeugend unsympathisch verkörpert von Tafi Tabor – als Geldquelle missbraucht. Levana, gespielt von der preisgekrönten zarten Darstellerin Levana Finkelstein, gerät immer öfter in demütigende, für sie und die kleine Enkelin geradezu bedrohliche Situationen. In lichten Momenten nimmt Levana die Situation ihres Mannes nüchtern wahr: „Du bist ein Mörder, aber kein Serienkiller“, wandelt sich von der erbitterten Gegnerin zur resignierten Mitläuferin: „Du hast das Bett bereitet, jetzt liegen wir drin.“ Auch der eigene Niedergang ist ihr bewusst: „Bald werde ich meinen Namen nicht mehr wissen. – Ich verschwinde – Ich werde nicht mehr ich selbst sein.“

„Mita towa”, der hebräische Filmtitel ist ziemlich genial, weil durchaus ironisch zu deuten. Wenn man die beiden Worte nicht geschrieben sieht, sondern nur hört, kann von einem „guten Bett“ die Rede sein, oder von einer guten, ewigen Ruhestätte. Eben der letzten. Wann und auf welche Weise man nach „Neverland“ geht, weiß niemand. Die Lebenden und die Toten haben da ihre je eigenen Vorstellungen und Erkenntnisse. Man kann darüber singen, weinen, verzweifeln, aber auch lachen. Regisseur und Drehbuchautor Sharon Maymon, Jahrgang 1972 und seine Partnerin Tal Granit haben bereits vier Filmprojekte gemeinsam realisiert. Mit ihrem 2014 entstandenen Film haben sie einen Nerv der israelischen Gesellschaft, aber auch jeder anderen hochtechnisierten Gemeinschaft getroffen.

Wem der „Mitat Neschika“, der Todeskuss durch einen schnellen Tod - von den Weisen als besondere Gnade betrachtet – versagt bleibt, ist heutzutage einer Apparatemedizin überantwortet, in der die persönliche Ansprache und Betreuung meist zu kurz kommt. Hier vermuten Gelehrte wie Rabbiner Maurice Lamm eines der Hauptprobleme: „Es sterben mehr Menschen an Hoffnungslosigkeit als an jeder anderen Ursache“. 

„The Last Farewall Party”, ab 2. Oktober in Österreich unter dem Titel „Am Ende ein Fest” (im POLYFILM Verleih) zu sehen, zeigt, wie weit Freundschaft und Liebe gehen können, manchmal sogar über die Grenze des Erlaubten hinaus. 

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