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Das Erbe des legendären Kunstliebhabers

Alfred Flechtheim widmete sein Leben lieber der Kunst, als Sammler sowohl als auch als Kunsthändler, anstatt im Familienbetrieb als Getreidegroßhändler tätig zu sein.

In Münster 1878 geboren, absolvierte er zunächst eine Kaufmannslehre und wurde 1902 Teilhaber des väterlichen Unternehmens mit Hauptsitz in Düsseldorf. 1910 arrangierten seine Eltern eine Ehe mit Betty Goldschmidt aus einer der reichsten Familien in Dortmund. Die Hochzeitsreise ging nach Paris, wo er den Großteil der Mitgift in kubistischer Kunst anlegte, woraufhin die Schwiegereltern nachträglich eine Gütertrennung durchsetzten. Bereits um die Jahrhundertwende sammelte Flechtheim Kunst. Er lernte während seiner Paris-Reisen im Café du Dôme die maßgeblichen Vertreter der neuen Kunstströmungen kennen, aber auch den Kunstexperten Wilhelm Uhde und den Mannheimer Daniel-Henry ­Kahnweiler, der ab 1907 in Paris eine Kunsthandlung betrieb. Er war Mitorganisator der Sonderbundausstellungen in Düsseldorf und Köln, welche die französische Avantgarde und die deutsche Moderne erstmals vereinten. Flechtheim eröffnete vor hundert Jahren, am 9. Oktober 1913, in ­Düsseldorf seine erste Galerie, später folgten weitere in Berlin, Köln, Frankfurt und eine Repräsentanz der ­Galerie Flechtheim in der Galerie Würthle in Wien, deren Geschäftsführerin Lea Bondi-Jaray war. Eines der großen Verdienste Flechtheims war es, dass er die französische Avantgarde, Fauvismus und Kubismus, von der Seine nach Deutschland brachte und so ihren Bildern die Wege in Sammlungen und Museen ebnete. Des Weiteren förderte er den rheinischen Expressionismus sowie die deutsche Moderne und stellte Persönlichkeiten wie Max Beckmann, Paul Klee und George Grosz aus. Er zeigte auch außereuropäische Kunst und wagte sich mit der Ausstellung der Berliner Modefotografin Frieda Ries auf das Feld der Fotografie.

Als Verleger publizierte Flechtheim den Querschnitt mit Beiträgen zu Kunst, Kultur, Sport, Politik, mit Ausstellungsbesprechungen und vielen Abbildungen von Werken der Künstler und ab 1931 die Zeitschrift Omnibus.

Obwohl die finanziellen Sorgen seine ständigen Begleiter waren, investierte er in die Erweiterung seiner Galerie. Durch die Weltwirtschaftskrise war der Kunsthandel finanziell angeschlagen, viele Galerien mussten schließen. Flechtheim versuchte sich 1932 durch den Einstieg in den ­Auktionshandel ein zweites Standbein zu schaffen, doch 1933 wurde eine Versteigerung in Düsseldorf durch die SA abgebrochen.

Bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten war Flechtheim öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt, so wurden NS-Magazine mit seinem Porträt bebildert. Die Kunst, die er vertrat wurde als „entartet” eingestuft (in der Ausstellung „Entartete Kunst“ reihte man Flechtheim in die „Gruppe 9“ ein: „Vollendeter Wahnsinn“).

Die Düsseldorfer Galerie wurde von ­Flechtheims arischem Geschäftsführer Alex Vömel, Mitglied der NSDAP und der SA, übernommen. Um Schulden der Galerie zu begleichen, verpfändete er Kunstwerke auch aus der Privatsammlung Flechtheims.

Flechtheim emigrierte über die Schweiz zunächst nach Paris und anschließend nach London. Inzwischen lief ein Liquidationsverfahren in Berlin gegen Flechtheim und seine Galerie. Um einen Konkurs zu vermeiden, sah sich ­Flechtheim gezwungen, gerettete Bilder zum Verkauf zu stellen und den Erlös als Devisen nach Berlin zu transferieren. 1936 gab er dem niederländischen Kunsthändler Carel van Lier Kunstwerke in Kommission, der nach Flechtheims Tod die Bilder auf eigene Rechnung verkaufte. Flechtheim starb 1937 im ­Alter von nur 59 Jahren an den Folgen eines Unfalls. Seine Ehefrau Betty, die in Berlin geblieben war, nahm sich 1941 angesichts ihrer bevorstehenden Deportation das Leben. Die in der ­Berliner Wohnung verbliebenen Kunstwerke gelten als verschollen. Flechtheim hatte seinen ­Neffen Henry Hulton testamentarisch zum Alleinerben bestimmt. Dieser stellte nach dem Krieg einen Antrag auf Wiedergutmachung für das von Betty Flechtheim geraubte Eigentum. Das Landgericht Berlin sprach Hulton im Mai 1954 20.400 Mark zu, davon 12.400 für Möbel sowie Hausrat und 8.000 Mark für Werke weltbekannter Künstler wie Klee, Grosz, Monet und Renoir.

Heute haben viele großen Museen in Deutschland, aber auch im Ausland, Werke aus dem Nachlass von Flechtheim in ihren Beständen.

Die Erben Flechtheims, der Großneffe ­Michael Hulton aus San Francisco und die in London ­lebende Penny Rose Hulton, die zweite Frau seines Vaters, sind mit Hilfe von Rechtsanwälten auf derSuche nach den Gemälden und Skulpturen aus seinem Besitz. Der Verbleib zahlreicher Bilder ist bis heute unklar.

Kompliziert ist der Fall auch aus mehreren Gründen: Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit feststellen, wie umfangreich das Erbe wirklich ist, ­welche Bilder tatsächlich beschlagnahmt oder verkauft worden sind. Weiters lässt sich nicht so einfach zurückverfolgen, welche Kunstwerke zum Galeriebestand zählten, welche zum Privatbesitz gehörten oder Kommissionsware waren. Die Grenzen zwischen Privatbesitz und Handelsware waren häufig fließend. Des Weiteren sind viele ­Dokumente nicht mehr erhalten.

2008 haben die Erben erstmals Eigentumsansprüche an die Museen gestellt. Die Restitutionsersuche betreffen dabei unter anderem Arbeiten von Max Beckmann, Juan Gris und Paul Klee. Das Kunstmuseum Bonn einigte sich im vergangenen Jahr mit den Erben. Das Bild Leuchtturm mit rotierenden Strahlen von Paul Adolf Seehaus durfte im Museum bleiben und die Erben erhielten eine Entschädigung von 25.000 Euro, die Hälfte des Marktwerts. Das Kölner Museum ­Ludwig war nicht so kooperativ. Es musste nach Hinzuziehung der Kommission zur NS-Raubkunst das Porträt Tilla Durieux von Oskar Kokoschka zurückgeben. Das Porträt stammte wohl aus der Privatsammlung Flechtheims und wurde 1934 von dem „Ariseur” Alex Vömel, an den Sammler Josef Haubrich um 1.800 RM verkauft, ein Preis, der deutlich unter dem Versicherungswert des Bildes von 1931, nämlich 3.000 RM, lag. Mit der Stiftung Haubrich wurde das Gemälde 1946 vom Wallraf-Richartz-Museum übernommen und gelangte anschließend bei der Neugliederung der Kölner Museen 1976 in das Museum Ludwig. Die Erben fordern weitere Bilder, z. B. aus der Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in ­Düsseldorf zurück: die Federpflanze von Paul Klee, ein kubistisches Stillleben Nature Morte (Violon et encrier) von Juan Gris und Die Nacht von Max Beckmann. Vielleicht tauchen auch Flechtheim-Bilder in der vor kurzem ans Licht getretetenen Kunstsammlung der Gurlitts in München auf?

Seit Oktober 2013 gibt es einen Internetauftritt zum Thema der Provenienzforschung von Werken aus der Sammlung Flechtheim, an dem 15 Museen beteiligt sind, die sich gleichzeitig in ihren Häusern diesem Thema widmen. Das Projekt soll die Wege der Kunstwerke aus dem Flechtheim-Besitz in die Museen aufzeigen und auch an das Schicksal des Kunsthändlers erinnern. Sie wollten damit zeigen, wie transparent sie angeblich mit den künstlerischen Arbeiten umgehen – eine einseitige Sicht aus der Perspektive der Museen, denn die Erben wurden in das Projekt nicht miteinbezogen. Diese betrachten das Projekt kritisch: „Sie hätten erwartet, dass die Museen sich bei solch einem bedeutenden Projekt frühzeitig an sie gewandt und man ihnen die Gelegenheit gegeben hätte, sich als Repräsentanten der Familie und mit ihrem Wissen aufgrund eigener Forschung mit einzubringen. Auch hätte man externe Experten wie beispielsweise Dr. Stephan von Wiese, einer der besten Flechtheim-Kenner und Mitorganisator der großen Flechtheim-Retrospektive von 1987 und Ralph Jentsch, Nachlassverwalter von George Grosz, der seit mehr als zwanzig Jahren auch zu Flechtheim forscht, einbinden können.” Sie stellten eine eigene Webseite ins Netz, welche den Standpunkt der Familie aufzeigt.

Die Staatsgemäldesammlungen in München und Düsseldorf verweigern jeglichen Dialog mit den Erben, das Museumsprojekt bringt diesbezüglich sicherlich keine Lösung. Aber je länger ein Diskurs verweigert wird, desto komplizierter sind Erbansprüche nachzuvollziehen und desto weniger müssen sich Museen mit der Raubkunst an ihren Wänden beschäftigen.

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