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Die letzten Zeugen an der Burg

Überleben ist ein Privileg, das verpflichtet. Ich habe mich immer wieder gefragt, was ich für die tun kann, die nicht überlebt haben.

Die Antwort, die ich für mich gefunden habe lautet: Ich will ihr Sprachrohr sein, ich will die Erinnerung an sie wach halten, damit

die Toten in dieser Erinnerung weiterleben können. Aber wir, die Überlebenden, sind nicht nur den Toten verpflichtet, sondern auch

den kommenden Generationen: Wir müssen unsere Erfahrungen an sie weitergeben, damit sie daraus lernen können. Information ist Abwehr - Überlebende müssen wie ein Seismograph sein. Sie müssen die Gefahr früher als andere wittern. Sie haben nicht das Recht sich ein zweites Mal zu irren und für harmlos zu halten, was in einer Katastrophe münden kann.

Aus der Autobiographe von Simon Wiesenthal

 

 

Diese einprägsame Erkenntnis zitierte Rudi Gelbard in einer bemerkenswerten und tief bewegenden Produktion des Burgtheaters anlässlich des 75-jährigen Gedenkens an das Novemberpogrom im Jahre 1938. Das Projekt, von Doron Rabinovici und Mathias Hartmann realisiert, beweist eindrucksvoll wie wichtig und unersetzbar die Aussagen und Bekenntnisse von Zeitzeugen sind. Stellvertretend für eine ganze Generation kamen sieben Überlebende zu Wort und Schauspieler lasen aus ihren Werken: Vilma Neuwirth (Glockengasse 29. Eine jüdische Arbeiterfamilie in Wien, 2008), Schoschana Rabinovici (Dank meiner Mutter, 2009) Ceija Stoijka, die am 28. Jänner 2013 verstarb (Wir leben im Verborgenen. Bekenntnisse einer ­Zigeunerin, 2013), Marko Feingold (Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh, 2012), Rudolf Gelbard (Walter Kohl: Die dunklen Seiten des Planeten: Rudi Gelbard, der Kämpfer, 2008), Ari Rath (Ari heißt Löwe. Erinnerungen, 2012) und Lucia Heilmann (Interview des Dokumentationsarchiv Centropa.)

Die klare und sehr behutsame Inszenierung ergreift das Publikum des ausverkauften Burgtheaters auf das Tiefste. Im Vordergrund lesen die Schauspieler jeweils Texte aus Erinnerungen, wobei die Betroffenen im Hintergrund – getrennt durch einen durchsichtigen Vorhang – in bewundernswerter Haltung verharren und man jeweils in Großaufnahme das Bild derjenigen Person sieht, deren ­Erinnerungen gerade verlesen werden, wobei Ceija Stoika symbolisch durch ein buntes Tuch repräsentiert ist. So unterschiedlich die einzelnen Schicksale sind, so steht nicht nur das erfahrene Leid im Vordergrund, sondern auch die Tatsache, dass sie relativ spät über ihre für uns unvorstellbaren Ereignisse überhaupt sprechen wollten. Gemeinsam ist auch ihr Streben im Kampf gegen das Totschweigen und das Vergessen. Es bedarf einer starken Persönlichkeit, um an diesen Erfahrungen nicht zu scheitern. Bewundernswert an allen ist ihr starker Wille und die Kraft mit der Vergangenheit umzugehen, die zwar nicht immer artikuliert wird, jedoch stets präsent ist.

Lucia Heilman schildert nicht nur die bedrohliche Atmosphäre in Wien, sie richtet vor allem ihr Augenmerk auf ihren Retter Reinhold Duschka, der auch von Yad ­Vashem ausgezeichnet wurde. Erschütternd die Schilderung von Schoschana Rabinovici, die wie durch ein Wunder der Hölle entkam. Unglaublich auch die Geschichte des agilen und kämpferischen 100-jährigen Präsidenten der IKG Salzburg Marko Feingold der einige KZs überstand und nach dem Krieg in den DP Lagern die illegale Einwanderung nach dem damaligen Palästina organisierte, wofür er auch vom Staate Israel ausgezeichnet wurde. Vilma Neuwirth verdankt ihr Leben vor allem ihrer couragierten nichtjüdischen Mutter, die sich während dieser grausamen Zeit mutig für die ganze Familie einsetzte. Ceija Stoika war in den Jahren zwischen 1941-1945 in den KZs Auschwitz, Ravensbrück und Bergen-Belsen interniert. Sie, ihre Mutter und vier Geschwistern überlebten, 200 Mitglieder dieser Großfamilie wurden ermordet. Das Lied der verstorbenen Stoijka konnte man nur auf Band hören. Ari Rath gelang es rechtzeitig nach Palästina auszureisen, um dort beim Aufbau des Staates Israel mitzuwirken. Er war in den Jahren 1975 -1989 Chefredakteur der Jerusalemer Post. Als er 1947 nach Wien kam, hatte er das Gefühl auf einem Friedhof gelandet zu sein. Rudi ­Gelbard widmete sein Leben nach dem Überleben – er war als Kind in Theresienstadt interniert – der Aufklärung, sein Wissen über die Shoah, den Nahostkonflikt sowie über den Kommunismus sind beeindruckend. Schon sehr früh ging er in Schulen und berichtete als Zeitzeuge über die Verbrechen der Nazis. Erschütternd auch seine Schilderung der Wiederkehr nach Wien, wo er sich quasi rechtfertigen musste, dass er überlebt habe.

Auch die Schauspieler vorn rechts, die die Schicksale vortrugen – Mavie Hörbiger, Dörte Lyssewski, Peter Knaack und Daniel Sträßer – waren sichtlich mitgenommen von dem, worüber sie berichteten, nein, ebenfalls Zeugnis ablegten. Am Ende führten die Vorlesenden nach und nach die Protagonisten aus dem Hintergrund nach vorne – sehr ergreifende Momente. Die Vorstellung auf der Burgtheaterbühne ­dauert ca. 2 Stunden, nach einer Pause finden in den Foyers moderierte Gespräche mit den Zeitzeugen statt. Diese dauern ca. 1 Stunde.
­Weitere Vorstellung gibt es noch am 12.12. sowie am 26.1.2014. Eine Aufführung die man nicht versäumen sollte. Nachdenklich stimmt die Tatsache, dass diese Idee nicht schon vor Jahren entwickelt werden konnte und 75 Jahre vergehen mussten bis man den Zeugen die Aufmerksamkeit schenkte, die sie schon vor Jahren verdient hätten, wo es auch noch wesentlich mehr gab.

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