Israel warnt die Welt seit Jahren vor der iranischen Atombombe, und davor, dass man sich gezwungen sehen könnte, notfalls allein gegen Teheran vorzugehen.
Viele betrachteten das bisher als wohldurchdachte Strategie: Sie war keine Vorbereitung eines israelischen Präventivschlags, sondern der Versuch, Druck auszuüben, damit die Welt mit diplomatischen Mitteln gegen den Iran vorgeht. Netanyahus Kalkül schien aufzugehen: Immer wieder platzierte er die iranische Bombe in den Schlagzeilen der Welt, er half, scharfe Sanktionen gegen Teheran durchzusetzen, und zwang die USA, sich dazu zu verpflichten, Irans Atomprogramm als letzte Option mit militärischen Mitteln auszuschalten.
Doch plötzlich scheint alles anders. Israelis horchen auf, obschon sie die apokalyptischen Drohungen ihres Premiers gewöhnt sind. Immer mehr sind überzeugt, dass Netanyahu nicht mehr blufft: Israel meint es ernst. Der Angriff kommt. Das hat zwei Gründe: Zum einen kann Netanyahu mit weiteren Drohungen kaum noch etwas erreichen. Sanktionen können kaum noch verschärft werden, und sie bräuchten zu lange. Aber die Uhr, sagt er, ist abgelaufen. Es gelte, sich zwischen Bombe oder Bombardierung zu entscheiden. Wenn der Präventivschlag nicht bald erfolge, könne Israel nichts mehr ausrichten. Und keine Nation dürfe ihre Existenz von einem anderen Staat abhängig machen.
Die Arabellion ist der zweite Grund: Israels Sicherheitslage hat sich seit 2011 gleichzeitig gebessert und dramatisch verschlechtert. Die Gefahr eines konventionellen Krieges gegen einen Nachbarstaat ist gesunken. Ägypten ringt mit einer maroden Wirtschaft und innenpolitischen Konflikten, dem Irak droht der Zerfall, Syrien steckt mitten im Bürgerkrieg.
Dennoch ist der Nahe Osten ein Pulverfass: Die Gefahr eines unkonventionellen Krieges ist gestiegen. Mit dem Zerfall zentraler Staatsgewalt in Syrien, im Sinai, in Libyen, Irak und Jemen steigt die Chance, dass Terroristen, Separatisten oder Islamisten Luftabwehrraketen aus Libyen, Giftgas aus Syrien, oder zehntausende Kurz- und Mittelstrecken-Raketen der Hisbollah in die Hände fallen. Solche Gruppierungen sind traditionelle Verbündete des Iran. Er kooperierte mit ihnen um in Palästina, Libanon, Irak, Jemen und Syrien Fuß zu fassen. Solche Terrororganisationen wären ungleich bedrohlicher, würden sie von einem nuklearen Iran gedeckt, ein Staat, der sich Israels Vernichtung zum Ziel gemacht hat.
Israel hat die mächtigen arabischen Staaten als Gegengewicht zum Iran verloren und steht jetzt allein. Auch deswegen sieht Netanyahu sich zum Handeln gezwungen. Er erkennt nur zwei Optionen: Entweder eine kleine, kontrollierte Sprengung jetzt, oder später eine atomare Explosion, die die ganze Region und seinen Staat verschlingen könnte.
Wenn man nach der Stimmung in Israels Bevölkerung urteilt, brennt die Lunte vom Pulverfass Nahost bereits.