Am 7. November 1981, genau 50 Jahre nach Eröffnung ihrer ersten Bühne, dem Kabarett Der liebe Augustin im Souterrain des Café Prückl nahm Stella Kadmon Abschied vom Theater. Insgesamt konnte Kadmon auf fünf verschiedene Theatergründungen zwischen Wien und Tel Aviv zurückblicken. Sie galt seit Jahren als „Mutter Courage“ der Wiener Theaterszene. Diesen bewundernden Beinamen hatte sich Kadmon aufgrund ihres außergewöhnlichen Lebenswegs, ihrer künstlerischen Stringenz wie Unbeirrbarkeit erworben. „Mutter Courage“ bezog sich darauf wie Kadmon allen Widrigkeiten zum Trotz ihren Anspruch an Theater verwirklichte.
Als sie im November 1931 den lieben Augustin eröffnete, hatte die damals 29 jährige arbeitslose Schauspielerin weder Erfahrung in der Leitung einer Bühne noch nennenswerte finanziellen Mittel. Doch zeichnete sie sich durch das Vermögen aus, eine existentielle Krise zum Anlass zu nehmen sich völlig neu zu orientieren und Verhältnisse zu schaffen, dieser Krise entgegenzuwirken. Kadmon gründete ohne Geld eine Kleinkunstbühne, sie umschiffte die gesetzlichen Regelungen, die für die Leitung eines Theaters einiges an steuerlichen und sonstigen finanziellen Bedingungen stellte. Sie ließ sich eine Varietékonzession ausstellen, verlangte kein Eintrittsgeld, dafür aber gab es Konsumationszwang beim Cafetier. Kunst und Konsumation lautete der erste Werbezettel, der von ihr und ihren ersten Mitarbeitern in Wien verteilt wurde. Das Konzept funktionierte, der Gast bestimmte den Preis seines Besuchs durch die Konsumation und Kadmon konnte trotz der Konkurrenz des schräg gegenüberliegende Simpl, in dem u.a. Karl Farkas, Fritz Grünbaum und Armin Berg auftraten, ihr Publikum finden.
Das erste Ensemble – Kollektiv nannte es Kadmon – bestand aus Peter Hammerschlag, Fritz Spielmann, Grete Wagner, Risa Haller, Lisa Thenen, Alfred Edthofer, Alexander Szekely, Oskar und Gustav Heintze, Walter Varndal. Der liebe Augustin übte in einer sehr spezifischen Weise Ksritik an den politischen Vorgängen – mit Parodie und Travestie, mit Nonsens Witz und politischen Satiren kommentierte das Ensemble um Kadmon seine Umwelt, studierte Wiener Typen, fragte sich nach dem Geschmack seiner Zeit, nach Moden und denjenigen, die sie kreierten. Die Sketches, Miniaturoperetten und Chansons hatten Titel wie Hotelratte, Kitsch-Express oder Wessely-Limonade. Für Kadmon schrieb der Hausautor Hammerschlag Hübschlerinnen, Kurtisanen, Mondäne gerade weil sei nicht zu ihr passten – so Hammerschlag – denn das wäre dann komisch. Hinter dem scheinbar leichten Witz waren diese Produktionen subversiv, arbeiteten gegen einen Zeitgeist der sich in Kitsch gefiel, um von Entdemokratisierungsprozessen abzulenken, vor antisemitischen Ausgrenzungen die Augen zu verschließen und eine heile heiter bis heroische Welt zu kreieren. Ein Großteil der Unterhaltungsindustrie ebenso wie der so genannten Hochkultur produzierte Kitsch, nicht reale Lebensverhältnisse oder politische Vorgänge bildeten Ausgangspunkt, sondern die Leugnung dieser. Real allerdings hatten sich die Verhältnisse extrem radikalisiert. Politische Demonstrationen und gewalttätige Auseinandersetzungen bestimmten schon die Zeit seit 1918, doch spitzten sie sich zu – durch die Vorgänge in NS Deutschland erstarkte der ohnehin schon aggressive Antisemitismus zu einer offensiv zur Schau gestellten Feindseligkeit seitens der sogenannten Alltagsmenschen.
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