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Eine Hommage an Jurek Becker

Zu den wichtigsten belletristischen Werken, die sich mit dem Holocaust, der Shoah, jener namenlos riesigen Katastrophe an den Juden Europas befassen, zählt ohne Zweifel der Roman Jakob der Lügner von Jurek Becker. Viel zu früh, am 14. März 1997 in Sieseby/Schleswig-Holstein mit gerade mal sechzig Jahren, starb dieser vielseitige, humorvolle, ernsthafte, widerspenstige Autor. Er hinterließ sieben Romane, ferner Erzählungen und Drehbücher. 

Es gibt Sammlungen mit Essays und Vorträgen sowie posthum Postkarten an den Freund Manfred Krug. Ebenfalls posthum erschienen 2004 seine Postkarten an den dritten und jüngsten Sohn Jonathan und der Briefband Ihr Unvergleichlichen, herausgegeben von seiner zweiten Frau und Witwe Christine Becker sowie von Joanna Obruśnik, die über Jurek Becker promovierte. Der Stoff aus dem sein Leben gewebt war taucht natürlich in seinem Werk auf, voll feiner Ironie und in schönstem Sprachfluss. Dabei hat er richtiges Deutsch erst mit acht Jahren zu lernen begonnen. Davor war ihm diese Sprache nur durch raue, bedrohliche Befehle vertraut. 

1937 kam Jurek Becker in Lodz, einer prosperierenden Stadt der Kleidungsindustrie, zur Welt. Sein Geburtstag wird nur angenommen, weil er zur Erhöhung seiner Überlebenschancen wohl für älter ausgegeben wurde. Der Vater Mieczyslaw, in besseren Tagen Prokurist in einer Textilfabrik, und seine Mutter Annette mussten mit ihrem einzigen Kind nach dem Einmarsch der Deutschen ins Ghetto. Radio hören war verboten wie so vieles. Dabei war ein Radio die letzte Verbindung zur Außenwelt. In den heimlich abgehörten Sendungen suchte man nach dem Hoffnungsschimmer, dass der Alptraum bald vorüber sein würde. Die Meldungen erwiesen sich als falsch. Das Ganze lieferte aber den historischen Hintergrund für ein 1968 von der DEFA (der zentralen und einzigen Film Drehscheibe der DDR)  zunächst abgelehntes Drehbuch mit dem Titel Jakob der Lügner, das Jurek Becker daraufhin zu seinem ersten Roman umschrieb. Dieser erschien 1969 und wurde dann doch noch verfilmt. Und diese DDR-Produktion schaffte es 1974 sogar bis zur Nominierung für den Oscar als bester ausländischer Film in Hollywood. 

Doch wir wollen den Geschehnissen nicht vorgreifen. Mutter und Kind wurden ins KZ Ravensbrück und weiter nach Sachsenhausen deportiert. Dank der Essensrationen, die seine Mutter ihm zusteckte, überlebte der Junge; sie aber starb kurz nach der Befreiung an den Folgen der Unterernährung. Der Vater, Auschwitz-Überlebender, erkannte den inzwischen Achtjährigen nur mehr an einem verborgenen Muttermal. Gefunden hatte er ihn mit Hilfe des American Joint Distribution Committee, kurz Joint genannt. Die Rückkehr nach Polen kam angesichts neuer Pogrome nicht in Betracht. Der Vater erfand zwei neue Existenzen, Max und Georg Becker aus Fürth. Wie er wusste, war das Rathaus in dieser fränkischen Provinzmetropole abgebrannt, sodass es keine Dokumente mehr gab, die beweisen hätten können, dass er noch nie einen Fuß in diesen Ort gesetzt hatte und gar kein Deutscher war. Max Becker ließ sich im Osten Berlins nieder wo er sich von russischen Panzern beschützt fühlte. 

Nun endlich lernte Jurek (polnische Koseform von Georg) richtig Deutsch und machte 1955 sein Abitur. Er durchläuft den üblichen Weg eines Jugendlichen in der DDR: FDJ-Mitgliedschaft, Dienst bei der Volkspolizei, tritt 1957 ein Philosophie-Studium an der Humboldt-Universität an und tritt in die SED ein. 1960 kommt er seinem Rausschmiss an der Uni wegen zahlreicher „disziplinarischer Verstöße“ zuvor und wechselt ans DDR-Filmzentrum Babelsberg. Ab 1962 schreibt er für die DEFA Drehbücher für Fernsehspiele und Filme. Seine lebenslange Freundschaft mit dem Schauspieler Manfred Krug reicht bis in die 1950er Jahre zurück. 

Durch ihn lernt er auch Wolf Biermann kennen, mit dem ihn einiges verband: das Schicksal der Väter (wobei Biermanns Vater in Auschwitz ermordet wurde) und ihre Konfrontation mit der SED. Biermann erinnert sich: „Er wurde inzwischen schikaniert – und ich war verboten.“ Jurek Beckers amtlicher Status als „Opfer des Faschismus“ verhindert weder die Bespitzelung durch die Stasi noch seine zunehmende Isolation, vor allem nach seiner Solidarisierung mit dem aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossenen ­Rainer Kunze und dem 1976 ausgebürgerten Wolf ­B­iermann. Im Dezember 1977 darf Becker, dessen Vater bereits verstorben war und dessen Exfrau Rieke mit den beiden Söhnen Nikolaus (Jahrgang 1961) und Leonard (Jahrgang 1964) in der DDR bleibt, mit Visum nach West-Berlin umziehen. 

In den Romanen Der Boxer (1976) und Bronsteins Kinder (1986) vollendet sich seine Trilogie zum jüdischen Schicksal. So aufrichtig er schreiben will, lässt er doch Vorsicht walten – seiner im Osten verbliebenen Familie zuliebe. Seinen wohl größten Publikumserfolg startet er 1986/1987 mit den Drehbüchern zur Fernsehserie Liebling Kreuzberg mit seinem Freund Manfred Krug in der Rolle eines melancholischen, kreativ-schlitzohrigen Bürgeranwalts. Dafür gab es einen Preisregen vom Adolf-Grimme- bis zum Bayerischen Fernsehpreis und 1992 das Bundesverdienstkreuz. 1992 erschien auch sein letzter Roman Amanda herzlos

Der zu Gastprofessuren und Vorträgen im In- und Ausland vielfach Verpflichtete bekam mit seiner zweiten Frau Christine 1990 den Sohn Jonathan. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Am 14. März 1997 erlag Jurek Becker einem zu spät diagnostizierten Darmkrebs. „Ein provokanter Spottvogel“ war er laut Wolf Biermann: „Er trug in seinem skeptischen Herzen, so kam es mir vor, eine todtraurige Lebenslust“. Seine 2004 veröffentlichte Briefsammlung aus den Jahren 1969 bis 1996 erweist Jurek Becker als eifrigen, sorgsamen, zärtlichen, strengen, auf jeden Fall zugewandten Brief- und Gesprächspartner.

Jurek Beckers Werk liegt im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, vor. 

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