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Fotografierende Spionin II

Im Rahmen der diesjährigen Viennale wurde der Dokumentarfilm „Auf Ediths Spuren” gezeigt. Dieser basiert auf dem zuvor erschienenen Buch, ebenfalls von Peter Stephan Jungk, „Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart”, und handelt vom Leben seiner Großtante (Rezension in INW 4/2014, S. 24). 

Geboren wurde Edith Tudor-Hart als Edith Suschitzky 1908 in Wien. Sie war Montessori-Kindergärtnerin und studierte während der Weimarer Republik Fotografie am Bauhaus in Dessau. Später wurde sie wegen „kommunistischer Umtriebe” verhaftet und emigrierte nach England. Dort wurde sie mit ihren fotografischen Sozialreportagen bekannt. Tudor-Hart zählt zu den wichtigsten VertreterInnen der britischen Arbeiterfotografie. Sie hielt Demonstrationen mit ihrer Rolleiflex fest und zeigte in ihren Bildern das soziale Elend und die Armut auf der Straße. In der „National Portrait Gallery”, in Edinburgh, sind rund 4.000 ihrer Negative aufbewahrt, von denen der Großteil bisher noch nicht ausgewertet wurde.

Tudor-Hart war aber auch Agentin des sowjetischen Geheimdiensts KGB. Unter anderem vermittelte sie den Kontakt zu Kim Philby, einem der erfolgreichsten Doppelagenten. Durch ihn ist der Ring der „Cambridge Five” in Erscheinung getreten – fünf sowjetische Spione, die im Zweiten Weltkrieg und bis in die 1950er hinein Informationen an Russland weiterleiteten. 

Es werden viele private Einblicke in ihr Leben gewährt, sie hatte nie Geld, ihre Ehe scheiterte und sie hatte unglückliche Liebesgeschichten. Ihr einziger Sohn Tommy, der 1936 geboren wurde, war Autist. Dieser wurde zunächst von dem berühmten Kinderpsychiater Donald Winnicott behandelt, bevor er als angeblich unheilbar schizophren lebenslang in Nervenheilanstalten verschwand. Edith Tudor-Hart verliebte sich in Winnicott – eine desaströse Affäre. Die „fotografierende Spionin” war eine sehr sozial engagierte und kompromisslose Idealistin. Sie starb 1973 in Brighton.

Gedreht wurde an den wichtigsten Schauplätzen ihres Lebens. In Gesprächen mit Verwandten, Freunden, Historikern und ehemaligen Geheimdienstleuten versucht der Filmemacher Peter Stephan Jungk die Geheimnisse um Edith Tudor-Hart zu lüften. Familiäre Erinnerungen werden u. a. in Gesprächen mit ihrem Bruder, Wolfgang Suschitzky, in den Focus gerückt, wobei beispielsweise der Aspekt, dass niemand von ihrem Doppelleben etwas geahnt hatte, erörtert wird. Der Kameramann und Fotograf Wolf Suschitzky ist kürzlich im Alter von 104 Jahren verstorben. Gesprächspartner sind auch Paul Broda, der Sohn von Engelbert Broda, der Fotohistoriker Duncan Forbes, der Ex-KGB-Offizier, Igor Prelin, oder der Psychoanalytiker Felix de Mendelssohn, der, wie Wolf Suschitzky, am 7. Oktober 2016 verstorben ist. 

Während seiner Recherchen versuchte der Filmemacher mehrmals vergeblich, Zugang zu den Geheimakten in der Zentrale des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, zu erhalten.

Jungk betrieb akribische Ahnenforschung in Wien, London, Dessau und Moskau. Das vielschichtige Leben der Großtante spiegelt sich auch in dem unheimlich dichten Film wieder, aus dem ganz viele neue Filme entstehen könnten. Formal sehr gelungen sind animierte, gezeichnete Szenen, welches das Medium Film um eine weitere Facette bereichert. 

Auf Ediths Spuren ist ein äußerst interessantes Filmporträt über eine beeindruckende Frau. Nun aber wäre es wohl an der Zeit, einen näheren Blick auf ihre fotografischen Arbeiten zu richten.

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