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Frankreichs „düstere Jahre”

Im französischen Nationalarchiv wird die Ausstellung „Kollaboration, Vichy, Paris, Berlin 1940-1945” gezeigt, die wegen des großen Erfolges bis 5. April verlängert wurde. Bisher öffentlich nicht zugängliche Dokumente verweisen eindeutig auf die Verantwortung des Vichy-Regimes für die Verfolgung und Deportation der ausländischen und französischen Juden.

Dieses Verbrechen hätte ohne die volle Kooperation der französischen Polizei und Gendarmerie nicht vollbracht werden können, 90 Prozent der deportierten Juden wurden von ihnen festgenommen. Nirgendwo in Westeuropa arbeitete die lokale Administration so eng mit den Besatzern zusammen wie in Frankreich. Die von Pétain initiierte „Nationale Revolution“ schaffte das Emanzipationsdekret der französischen Revolution von 1791 ab und es wurden auf französischem Boden Konzentrationslager geschaffen, in denen tausende Juden gefangen gehalten wurden.

Die französische Bürokratie führte detaillierte Judenzählungen durch, stempelte in Personalausweise „Juif“ und in den Medien kam es zu einer schrecklichen, hysterischen Verleumdungs- und Stigmatisierungskampagne gegen Juden.

Nach der militärischen Niederlage Frankreichs im Juni 1940 führte die Kollaborationsregierung unter Marschall Philippe Pétain die antisemitische Tradition Frankreichs weiter. Sie erließ bereits im Oktober 1940 das „Statut des Juif“ und ergriff drakonische Maßnahmen, um jeden „jüdischen Einfluss“ im öffentlichen Leben auszuschalten und das jüdische Eigentum zu „arisieren“. Es handelte sich um eine Vermögensübertragung großen Ausmaßes, die rund 42.000 jüdische Geschäfte und Häuser betraf. Das Vichy-Regime ließ 76.000 ausländische und französische Juden in die Vernichtungslager deportieren.

Dies war bis Anfang der siebziger Jahre ein Tabu, ein schmerzliches Thema, das die offizielle Geschichtsschilderung, die nur die Resistance hervorhob, als Geschichtsklitterung bloßgestellt hätte. Viele Franzosen versuchten, die „vier düsteren Jahre“ aus der Erinnerung zu tilgen.

Die Pariser Ausstellung, die auch vom Verteidigungsministerium unterstützt wird, macht aufmerksam auf ein Bild, das Staatspräsident ­Philippe Pétain, Ministerpräsident Pierre Laval und den Generalinspekteur der Polizei René Bousquet zeigt, wie sie gerade aus dem Hotel De Sévigné in Vichy schreiten. Am Rücken des Bildes sieht man den Stempel der deutschen und französischen Zensur mit dem Datum 3. Juli 1942. Die drei Personen kamen gerade aus der Sitzung des Ministerrates, der nach einem Bericht von Laval beschlossen hatte, dass der französische Staat die Vel d’Hiv‘ Razzia durchführen wird, die von Bousquet geplant am 16. und 17. Juli ausschließlich von der französischen Polizei durchgeführt wurde. 12.884 ausländische Juden, darunter 4.000 Kinder wurden mit städtischen Autobussen in die Arena des Vélodrome d’Hiver gebracht und tagelang ohne Nahrung, Wasser und sanitäre Einrichtungen dort interniert.

In der Ausstellung kann man den mit 18. Juni 1942 datierten Brief Bousquets an SS- und Polizeiführer Carl-Albrecht Oberg sehen, der eine mündliche Absprache bestätigt. Die Besatzungsmacht sicherte der französischen Polizei Autonomie zu, was ein Risiko war, jedoch große Vorteile für die Nazi brachte. Denn die Bevölkerung hatte gegen französische Polizisten, die in Paris auf Judenjagd gingen, weniger einzuwenden...

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