Im Juni 1967 sicherte Israel sein Überleben als Staat, als jüdischer und demokratischer Staat. Gemessen an dem, was das zionistische Experiment bis zum Sechstagekrieg durchzumachen hatte, war dies mehr als ein Erfolg – es war ein Triumph. Aber es war ein Triumph auf Zeit.
Seit dem Juni 1967 ist viel geschehen: Israels arabische Nachbarn haben – jedenfalls zunächst – weiterhin die israelischen Friedensangebote zurückgewiesen, bis Anwar Sadat die Ablehnungsfront durchbrochen und Jordanien ihm gefolgt ist. 1993 brachte das Oslo-Abkommen so etwas wie einen Friedensschluss zwischen Israel und den von der PLO repräsentierten Palästinensern. Dieser Friedensschluss hat zwar nicht Frieden gebracht – und viele, ja die entscheidenden Punkte, die in Oslo offen geblieben sind, bleiben weiter ungelöst. Es ist vor allem der Status des Westjordanlandes, der die Unvollkommenheit der Zweistaatenlösung – Kern des Oslo-Abkommens – deutlich macht.
Die Zweistaatenlösung ist ein Ziel, das seit 1993 nicht erreicht wurde; und nichts spricht dafür, dass in absehbarer Zeit sich daran etwas ändern wird. Beide Seiten – Israel und die Palästinenser – wissen zwar, wie in etwa die Friedenslösung aussehen müsste; beide Seiten sind aber in ihrem jeweiligen Innenverhältnis nicht in der Lage, die für den Frieden notwendigen Schritte auch zu setzen: Die palästinensische Seite müsste de facto auf das „Right of Return“ verzichten, das sie seit 1948 für die geflohenen/vertriebenen Palästinenser in Anspruch nimmt – für einen Anspruch, der nun schon für die Kindeskinder der bewusst im Status von Flüchtlingen gettoisierten Menschen palästinensischer Herkunft gelten soll; ebenso würde ein auf der Zweistaatenlösung aufbauender Friedensschluss den weitgehenden Verzicht auf einen militärischen Arm (also auf eine palästinensische Armee) bedeuten. Israel wiederum müsste akzeptieren, dass ein großer Teil der im Westjordanland errichteten Siedlungen geräumt werden muss – und dass es eine zumindest symbolische Präsenz eines palästinensischen Staates in (einem freilich nicht wieder geteilten) Jerusalem zu akzeptieren hat.
Alles das ist nicht durchsetzbar, weil auf beiden Seiten der notwendige interne Konsens nicht gegeben ist. Es wird daher keine zwei Staaten im früheren britischen Mandatsgebiet Palästina geben – jedenfalls nicht in den nächsten Jahren. Aber das muss und das sollte auch nicht die offizielle Absage an das prinzipiell ja vereinbarte Fernziel einer solchen Lösung bedeuten. Denn eine solche Absage provoziert die gerade auch für Israel gefährliche Frage nach der Alternative. Und die einzig in sich schlüssige Alternative ist noch viel weniger realistisch als die Zweistaatenlösung.
Die Einstaatenlösung impliziert die Annexion des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens – also des Territoriums, das grundsätzlich die geographische Basis eines Staates Palästina wäre. Eine solche Annexion ist nur gegen den massiven Widerstand der arabischen Bevölkerung vorstellbar. Die zweite, von terroristischer Gewalt begleitete, Intifada von 2000 und den Jahren danach wäre wohl nicht einmal eine Generalprobe für die dann zu erwartende Gewaltwelle gewesen – eine Gewalt, die Israel insgesamt erfassen würde. Israel würde auch die formell (zu Ägypten, Jordanien) und informell (zu den Golf-Staaten) hergestellten Kommunikationskanäle einbüßen.
Eine Annexion von Ramallah und Jericho, Hebron und Nablus, Jenin und Gaza wäre das Ferment einer gewaltbereiten, antiisraelischen, panarabischen Einheitsfront, die durch die Politik Menachem Begins und Anwar Sadats ebenso an Bedeutung verloren hat wie durch das Oslo-Abkommen. Israel stünde wieder einem geschlossenen Gegner gegenüber. Zwar kann Israel vermutlich davon ausgehen, dass es militärisch einer solchen Front mit Erfolg entgegen treten könnte – aber der ökonomische Schaden wäre erheblich, und ebenso auch der politische Schaden: Israel würde sein historisches Kernargument verlieren, dass es die, von den Vereinten Nationen 1947 vorgeschlagene und von den arabischen Staaten strikt abgelehnte, Teilung des Mandatsgebietes Palästina akzeptiert hat. Im Falle der Annexion wäre dies ins Gegenteil verkehrt: Israel würde seine Bereitschaft zu einem historischen Kompromiss zurücknehmen. Die erreichten diplomatischen Erfolge der letzten Jahrzehnte (etwa die „Normalisierung“ der Beziehungen zu den vormals kommunistischen Staaten) wären wohl gegenstandslos.
Es wäre naiv – im Vertrauen auf die Rhetorik eines für vier Jahre gewählten US-Präsidenten – das argumentative Fundament der Zweistaatenlösung aufzugeben. Diese Lösung ist zwar keine Lösung – nicht heute und auch nicht morgen. Aber die einzige logisch vorgegebene Alternative ist erst recht keine Lösung – jedenfalls keine, die Frieden bringen kann. Sie würde das, was Israel in den fast sieben Jahrzehnten seit der Staatsgründung erreicht hat, ohne Notwendigkeit einem gewaltigen Risiko aussetzen, das die Existenz Israels gefährdet.
Der Status quo ist besser als seine Alternative. Status quo heißt: Am Prinzip der Zweistaatenlösung festhalten – wissend, dass sie (noch) nicht umsetzbar ist. Die Alternative dazu ist eine Gewaltexplosion, Vorbote eines möglichen, ja wahrscheinlichen Endes eines demokratischen jüdischen Staates.