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Grenzen denkend durchbrechen

Israels Geheimdienst will neue IT-Experten an Bord holen. Um nur „die besten“ Kandidaten zu finden, veröffentlichte er ein Rätsel. Bislang lösten es nur 26 von 60.000 Bewerbern.

Sie wollten immer schon mal zum israelischen Geheimdienst? Dann müssen Sie erst einmal herausfinden, was dieser Buchstabensalat bedeutet: „MTAxMDAxMTAxMTAxMDAwMDExMDAwMDEwMTEwMDAxMDAxMTAwMDAxMDExMDEwMTEuY29t“. 

Er erscheint auf der neuen Webseite (https://www.shabak.gov.il/pages/cyber.html#=1) des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schabak, und ist der Beginn eines besonders kniffligen Rätsels. Den Agenten ist es mit dem Ratespiel sehr ernst: Es soll helfen, potenzielle Bewerber für neue Planstellen auszumachen. Denn der Dienst, der im Inland Attentate verhindern und Gegenspionage betreiben soll, muss sich angesichts neuer Gefahren neu erfinden. Dabei setzt der Schabak vor allem auf High-Tech. Die neuen Angestellten sollen Attentäter bereits vor ihrer Tat in sozialen Netzwerken ausfindig machen, tief in feindliche Rechner eindringen, Spionageprogramme schreiben und „an der Speerspitze neuester Technologien“ forschen, um neue Abwehrwaffen gegen Terror zu entwickeln. Nur die „Besten unter Euch“ will der Schabak dafür nehmen: Sie sollen „denken, um Grenzen zu durchbrechen“. 

Über Jahrzehnte wurde der Inlandsgeheimdienst Schabak von seinem wichtigsten Konkurrenten, dem Auslandsgeheimdienst Mossad, in den Schatten gestellt. Schließlich wehrten die ­Israelis die größten Gefahren jenseits der Landesgrenze ab. Die Mossad-Agenten galten als schillernde Figuren, die ihr Leben in abenteuerlichen Auslandseinsätzen aufs Spiel setzten, die so manchen Bond-Film fast langweilig erscheinen lassen. Die Kollegen vom Schabak machten indes mühselige Feldarbeit in den besetzten Gebieten, wo es ihre wichtigste Aufgabe war, gute Beziehungen zu palästinensischen Informanten zu unterhalten. Auch diesmal hinkt der Schabak seinem großen Bruder nach: Der Mossad startete bereits vor einem Jahr eine neue, attraktive Webseite, um neue Agenten zu rekrutieren. Auch hier versuchte man Bewerber mit einem spannenden Rätsel anzulocken. Das erwies sich allerdings als zu einfach, und wurde von sehr vielen Anwärtern gelöst.

Das soll diesmal anders sein. Fünf Programmierer des Schabak machten sich deshalb daran, ein viel schwieriges Rätsel auszutüfteln. Scheinbar mit Erfolg: Die Herausforderung lässt mit ihrer Komplexität anscheinend selbst die Bewerbung bei amerikanischen Eliteuniversitäten leicht erscheinen. Laut Angaben vom Schabak ist es seit Ende April nur 26 von über 60.000 Bewerbern gelungen, das gesamte, in mehrere Schritte aufgeteilte Rätsel zu knacken. Laut einem Bericht der israelischen Nachrichtenseite ynet gehe es inzwischen rund um die Welt und in einschlägigen Foren von Mathematik-Begeisterten debattiere man lebhaft darüber. Das freut den Schabak, der seit der Zweiten Initifada – ein Volksaufstand der Palästinenser begann im Jahr 2000 und wurde von einer massiven Terrorwelle in Israels Kernland begleitet –, endlich aus dem Schatten des Mossad tritt. Schließlich sind seine Agenten die Hauptverantwortlichen dafür, dass man in Tel Aviv sicher in Diskotheken oder einfach nur an den Strand gehen kann. Der klassische Feldagent allein, der sich nachts auf abgelegenen Ackern mit seinen Informanten trifft, reicht aber längst nicht mehr aus, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. 

Deswegen will der Schabak sich neu erfinden: In Zukunft sollen 25 Prozent der Belegschaft im IT-Bereich tätig sein. Um sie anzulocken, hat der Geheimdienst neue Stipendien geschaffen und den Grundsold für Dienstanfänger erheblich aufgestockt. Denn Spezialisten in „Cloudcomputing, maschinellem Lernen und Cybersecurity“, die der Dienst laut einem Werbefilm auf seiner Webseite sucht, sind auch in Israels High-Tech-Industrie sehr gesucht – und die zahlt überdurchschnittlich gute Gehälter. Um jungen Talenten die Arbeit deshalb über den Sold hinaus schmackhaft zu machen, gewährt ein weiterer Werbefilm Einblicke in die spannende Alltagsarbeit der Agenten: In einer fiktiven Geschichte, die allerdings auf wahren Begebenheiten beruht, machen Feldagenten einen potenziellen Attentäter aus. Sie finden heraus, welches Smartphone er benutzt. In den Labors des Dienstes wird daraufhin ein identisches Smartphone mit neuen Abhörtechnologien ausgestattet. Als der Verdächtige in sein Stammlokal essen geht, tauscht der Kellner – ein heimlicher Mitarbeiter des Dienstes – unbemerkt dessen Handy mit dem neuen Smartphone aus. So gelingt es dem Dienst, das ganze Netzwerk des Terroristen zu infiltrieren, zu enthüllen und dingfest zu machen.

Um solche Technologien weiterentwickeln zu können, sucht der Dienst jetzt nach IT-Spezialisten ersten Ranges. Um angenommen zu werden genügt es aber nicht, das erste Rätsel auf der Webseite – eine simple 64Bit-Codierung – zu entschlüsseln. Die führt lediglich zu einer weiteren Webadresse 10100110110100001100001011000100110000101101011.com, auf der das Rätsel weitergeht: „Die Nation ruft Dich!“ grüßt der Schabak mit einem Wortspiel: „Hier ist das Schabhacking Team“, und kommt gleich zur Sache: ein gewisser Agent R. Sanchez sei auf einer Mission erwischt worden und werde nun „in einem intergalaktischen Gefängnis festgehalten“. „Bist Du gut genug ihn freizubekommen?“, fragt die Webseite. Wer sich der Herausforderung stellt, muss oder kann eine von zwei verschlüsselten Dateien auf seinen Rechner herunterladen und sie knacken, um die genauen Koordinaten dieses Gefängnisses herauszufinden. Wer das Rätsel löst, auf den wartet eine Einladung, um an „besonderen Operationen“ unter besonders guten Arbeitsbedingungen teilzunehmen. 

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