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Herzl Relo@ded – kein Märchen

Von Doron Rabinovici und Natan Sznaider

An: natan.sznaider@subt.il

Von: doron.rabinovici@liter.at

Hey Natan,

du wirst nicht glauben, was für eine Meschuggas mir vor einer Stunde passiert ist: Ich erhielt eine E-Mail von einem gewissen Theodor Herzl. Nein, nicht etwa von irgendeinem Namensvetter. Er klingt ganz wie der Alte mit Prophetenbart. Seine Sprache, sein Duktus, seine Vision. Das ist kein Streich von irgendeinem Clown. Ich würde Dir nicht davon erzählen, käme nicht jedes Wort so daher, als hätte es der Patriarch von Zion selbst geschrieben.

Nu, was sagst Du dazu? Zugegeben: Was er schreibt, tönt ein wenig schräg, ja, wuschelig, doch das ist bei ihm nichts wirklich Neues, oder? Das wurde originell genannt. Herzl wohnte ja einst in der Berggasse, nur einen Steinwurf vom alten Freud Sigmund entfernt. Sie lüfteten die Hüte, wenn sie einander sahen. Freud nahm in seinem Traumbuch auch auf Herzls Stück Das neue Ghetto Bezug. Ich frage mich manchmal, wie die ganze Geschichte verlaufen wäre, wenn Herzl eines Morgens Freud aufgesucht und gesagt hätte: »Herr Doktor, ich habe einen Traum?«

Lass von Dir hören, Doron

Von: teddyherzl@altneuland.com 

An: natan.sznaider@subt.il

Cc: doron.rabinovici@liter.at

Sehr geehrte Herren!

...Wann ich eigentlich anfing, mich mit der Judenfrage zu beschäftigen? Wahrscheinlich, seit sie aufkam... Zuerst hat mich die Judenfrage bitterlich gekränkt. Es gab vielleicht eine Zeit, wo ich ihr gern entwischt wäre, hinüber ins Christentum... 

Die Neue Freie Presse rief mich als Korrespondenten nach Paris. Ich nahm an, weil ich gleich ahnte, wie viel ich in dieser Stellung von der Welt sehen und lernen würde; hatte aber doch in mir ein Bedauern über den verlassenen Plan des Romans.

In Österreich oder Deutschland muß ich immer befürchten, daß mir hepp-hepp nachgerufen wird. Hier gehe ich doch »unerkannt« durch die Menge...

In Paris also gewann ich ein freieres Verhältnis zum Antisemitismus, den ich historisch zu verstehen und zu entschuldigen anfing. Vor allem erkannte ich die Leere und Nutzlosigkeit der Bestrebungen »zur Abwehr des Antisemitismus«. Mit Deklamationen auf dem Papier oder in geschlossenen Zirkeln ist da nicht das mindeste getan... Während der letzten zwei Monate meines Aufenthaltes in Paris schrieb ich das Buch Der Judenstaat. Ich erinnere mich nicht, je etwas in so erhabener Gemütsstimmung wie dieses Buch geschrieben zu haben. ... Zuerst hatte ich den Gedanken gehabt, diese meine kleine Schrift über die Lösung der Judenfrage nur privatim unter meinen Freunden umlaufen zu lassen. Die Veröffentlichung dieser Ansichten habe ich erst später ins Auge gefaßt; ich hatte nicht die Absicht, eine persönliche Agitation für die jüdische Sache zu beginnen. Die meisten Leser werden erstaunt sein, wenn sie von diesem früheren Widerstreben hören. Ich betrachtete die ganze Sache nur als solche, in der man handeln, nicht aber disputieren müsse. Öffentliche Agitation sollte nur mein letztes Auskunftsmittel werden, wenn man meinen privat gegebenen Rat nicht anhörte oder nicht befolgte.

Als ich mein Buch beendigt hatte, bat ich einen meiner ältesten und besten Freunde, das Manuskript zu lesen. Während er es las, fing er plötzlich an zu weinen. Ich fand diese Erregung ganz natürlich, da er ein Jude war; ich hatte ja auch manchmal beim Schreiben geweint. Aber zu meiner Bestürzung gab er einen ganz anderen Grund für seine Tränen an. Er dachte, ich wäre irrsinnig geworden, und da er mein Freund war, machte ihn mein Unglück sehr traurig. Er lief weg, ohne ein anderes Wort zu sagen. Nach einer schlaflosen Nacht kam er zurück und drang in mich, die Sache zu lassen, da mich jeder für irre halten würde. Er war so erregt, daß ich ihm alles versprach, um ihn zu beruhigen. Dann riet er mir, Max Nordau um Rat zu fragen, ob mein Plan der Gedanke eines zurechnungsfähigen Menschen sei. »Ich werde niemand fragen«, war meine Antwort, »wenn meine Gedanken einen solchen Eindruck auf einen gebildeten und treuen Freund machen, werde ich den Plan aufgeben.«

Ich hatte dann eine sehr ernste Krisis durchzumachen; ich kann sie nur damit vergleichen, wenn man einen rotglühenden Körper in kaltes Wasser wirft. Freilich, wenn dieser Körper zufällig Eisen ist, wird er Stahl.

Erst ein kleiner Vorfall gab mir wieder mein Selbstvertrauen zurück. meine Vernunft musste mich also nicht gänzlich verlassen haben. An jenem Tage begannen meine Beunruhigungen betreffs des Judenstaates. Während der zwei und mehr folgenden Jahre habe ich viele, viele traurige Tage erlebt, und ich fürchte, dass noch mehr traurige Tage folgen werden.1895 begann ich ein Tagebuch zu führen.

Aber eines betrachtete ich als gewiss und über allem Zweifel erhaben: die Bewegung wird anhalten. Ich weiß nicht, wann ich sterben werde, aber der Zionismus wird nie sterben.

Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Theodor Herzl

Von: doron.rabinovici@liter.at 

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Cc: natan.sznaider@subt.il

Sehr geehrter Herr Doktor Herzl,

selbst Ihre Gegner würden Ihnen sofort zustimmen, wenn Sie meinen, der Zionismus lebe weiter und vor allem die Palästinenser wissen davon ein Lied zu singen. Ich wurde in jenem Staat geboren, den Sie erträumten. Ich lebe seit meinem dritten Lebensjahr in Österreich. Der Satz, den Sie, lieber Theodor Herzl, schrieben: »In Salzburg brachte ich einige der glücklichsten Stunden meines Lebens zu«, wurde übrigens im Jahr 2001 von der Stadt Salzburg am Landgericht auf einer Marmortafel zitiert. Es fehlten indes Ihre weiteren Worte: »Ich wäre auch gerne in dieser schönen Stadt geblieben, aber als Jude wäre ich nie zur Stellung eines Richters befördert worden.« Die Künstler Wolfram P. Kastner und Martin Krenn vervollständigten hierauf gemeinsam mit ihren Studierenden an der Sommerakademie für Bildende Kunst das Zitat. Sie hofften, die Verantwortlichen würden daraufhin ihren Fehler ausbessern. Stattdessen wurde ein Strafverfahren gegen sie eröffnet.

LG, Doron Rabinovici

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