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„Ihr liebt das Leben, wir den Tod!“

Die Kriegswaffe des Selbstmordattentats ist bis heute nicht explizit geächtet

Der Einsatz von ABC-Waffen als Mittel des Krieges wurde von der internationalen Staatengemeinschaft geächtet. Selbstmordattentaten hingegen wurde im UN-System bis heute nicht ausdrücklich jede Legitimation abgesprochen. Sie gelten nicht nur radikalen Islamisten als gerechtfertigtes Kampfmittel. Während aber Muslime und selbst manche Islamisten sich zunehmend von Suicide Attacs distanzieren, bleibt die westliche Politik indifferent.

Das Grauen, das uns nach den ­Brüsseler Terroranschlägen erneut erfasst, beginnt mit den Selbstmordattentätern selbst. Sie haben in sich einen existenziellen Willen abgetötet, der eigentlich allen Lebewesen gemeinsam ist: den Überlebenswillen. Wer aber entschlossen ist, sein Leben zu opfern, lässt sich durch nichts abschrecken und ist zu jedem Verbrechen bereit.

Bisher war Krieg, von einigen Ausnahmen abgesehen, eine räumlich und zeitlich begrenzte Ausnahmesituation. Selbstmordterroristen heben diese Begrenzungen auf. Ihr Tatort ist der Flughafen, die U-Bahn, der Konzertsaal, das Café, die Moschee oder der Markt – Orte, an denen sich Menschen sammeln.

In Paris kostete die Mordorgie vom 13. November 130 Menschen das Leben, 352 wurden verletzt. Die Kriegsführung der Selbstmordattentäter ist besonders heimtückisch: So hatten sich die Attentäter am Flughafen von Brüssel als Touristen getarnt, um diejenigen zu zerfetzen, die sie arglos in ihre Mitte ließen.

Das scheinbar Sinnlose folgt einem klaren Konzept. „Selbstmordattentate bringen dem Feind das größtmögliche Grauen bei relativ geringen Verlusten für die Islamistische Bewegung“, schrieb al-Qaida-Führer Ayman al Zawahiri im Jahr 2001. Am besten seien Anschläge, die möglichst viele ZivilistInnen töten: „Das verbreitet bei den Völkern des Westens den größten Schrecken. Das ist die Sprache, die sie verstehen.

Inzwischen wurden sie vor allem zu einem Schrecken für die islamische Welt, morden sie doch in erster Linie Muslime und Musliminne in Syrien, Irak, Afghanistan oder Pakistan. Selbstmordattentate bedrohen gleichzeitig die Grundvoraussetzungen demokratischer Gesellschaften, denn sie nötigen diese, entweder die Freiheit zu opfern, um Sicherheit zu schaffen, oder Unsicherheiten und permanente Furcht zu akzeptieren.

All die Rufe nach besserer Überwachung und geheimdienstlicher Operation, wie sie auch nach den Brüsseler Anschlägen zu hören waren, und all die Versuche, den Islamischen Staat mit Luftschlägen zu treffen, greifen deshalb zu kurz, solange dies eine nicht gelingt: Die Kriegsform des Selbstmordattentats als ein Verbrechen gegen die Menschheit politisch und juristisch so zu ächten, wie man einst den Einsatz der ABC-Waffen geächtet hat.

Tatsächlich aber findet diese Forderung, die in der Vergangenheit von Organisationen wie Human Rights Watch und Einzelpersonen wie dem Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel erhoben wurde, auch nach den Anschlägen von ­Brüssel und Paris kein Gehör. Viele scheinen das Selbstmordattentat für ein Grundmerkmal des Islam oder zumindest des Islamismus zu halten. Doch diese Annahme ist falsch. In Wirklichkeit sind der islamistisch motivierte Selbstmordattentäter und die Selbstmordattentäterin eine historisch neue Figur. Vor 35 Jahren hat es ihn noch nicht gegeben.

Von 1979 bis 1989 führten sunnitische Islamisten, unterstützt von den USA, ihren Krieg gegen die Sowjets in Afghanistan. In diesem Zeitraum gab es dort kein einziges Selbstmordattentat. Dies hatte einen einfachen Grund: Das Suicide Bombing widerspricht den Vorgaben des Koran. Erstens verbietet auch der Islam das Menschenopfer für Gott, zweitens ist die Tötung beliebiger Menschen, die sich zufällig am Ort des Massakers befinden, verboten und drittens ist die Selbsttötung strikt untersagt. „Begeht nicht Selbstmord“, heißt es in Sure 4, Vers 29 des Koran: „Wer dieses tut (…), den werden wir brennen lassen im Feuer.“

Gewiss: Es finden sich im Koran zahllose Verse, die das Töten ausdrücklich empfehlen. „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft“, heißt es zum Beispiel im vierten Vers der 47. Sure, „dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt.“

Andere Verse rufen die Muslime dazu auf, den Tod mehr zu lieben als das Leben: „Dieses irdische Leben“, heißt es zum Beispiel in Sure 29, Vers 64, „ist nichts als Zeitvertreib und ein Spiel, und siehe, die jenseitige Wohnung ist wahrlich das Leben.“ Der Märtyrertod gilt als besonders attraktiv: Wer als Märtyrer stirbt, dem werden alle Sünden vergeben. Zugleich wird das Leben nach dem Tod mit sexuellen Verlockungen schmackhaft gemacht: „Jungfrauen mit schwellenden Brüsten“, aber auch „unsterbliche Knaben“ verspricht der Koran, die der Märtyrer in den „Gärten der Wonne“ genießen könne. Hierauf aufbauend entwickelten die 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbrüder ihren Märtyrerkult: Für sie war und ist „der Tod für die Sache Gottes ihr erhabenster Wunsch.“

Und doch war ihr Aufruf, den Tod im Zuge des Djihad gegen Ungläubige nicht zu fürchten, von der heutigen Praxis des suizidalen Massenmords, bei dem die Täterin und der Täter den Selbstmord willentlich vorbereiten, weit entfernt.

Die frühen Ideologen des Islamismus wollten keine Muslime, die durch Sterben kämpfen, sondern solche, die durch Kämpfen sterben; die in auswegloser Situation ihr Leben also eher opfern als zu kapitulieren. Dies ist von der Praxis späterer Selbstmordattentäter, die sich willentlich in einer keineswegs ausweglosen Situation in den Tod stürzen, weit entfernt...

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