Inhalt

Kampf gegen Vorurteile

Zum 100. Todestag von Maria von Ebner-Eschenbach

Vor 100 Jahren, am 12.3.1916, starb die als Freiin von Dubsky geborene Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach, eine der Autorinnen des späten Realismus, die man getrost in eine Reihe mit den bedeutendsten Literaten des Deutschen Sprachraums stellen darf, wobei sie selbst größten Wert darauf legte, die österreichische als eine durchaus eigenständige Literatur wahr zu nehmen. 

Sie hinterlässt ein umfangreiches Oeuvre von dramatischen Versuchen, Erzählungen und beachtenswerten Aphorismen, dessen Erfolg ihr nicht in den Schoss gefallen ist; denn, so sagte sie: „Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde – alle dummen Männer.”

Nach heutigen Begriffen, für die die Intensität der Fäkalsprache ein entscheidendes Kriterium ist, mag sie wie eine etwas biedere, letzten Endes versöhnliche Porträtistin der „Welt von Gestern“ erscheinen. Damals allerdings war man außerordentlich peinlich berührt, dass sie der Gesellschaft einen kritischen Spiegel vorhielt, der an Schärfe und Klarsicht nichts zu wünschen übrig ließ, dass sie den Benachteiligten und am Rande des Lebens Stehenden ihre Aufmerksamkeit und echt empfundenes Mitgefühl schenkte. Ebner-Eschenbach ging mit den Vorurteilen ihrer Zeit ebenso wie mit dem Dünkel des Standes scharf, unbarmherzig zu Gericht. Ihr Erstlingswerk, das Bühnenstück Das Waldfräulein, erstaufgeführt 1878, verschwand vom Spielplan, weil es den Adel bloßstellte. Nicht nur in ihren Schriften trat sie vehement für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frau ein, sie schloss sich auch der Forderung nach völliger Gleichstellung der Mädchenerziehung an, sie verurteilte vehement den Nationalismus, der zu dieser Zeit die Monarchie heimsuchte, und zwar sowohl den deutschnationalen, als auch den tschechischen, und war eng mit Juden befreundet, für die Aristokraten, die für die Bürgerlichen im allgemeinen und die Juden im Besondern nur naserümpfende Herablassung übrig hatten, schockierend. Das focht sie, die auch in der Öffentlichkeit Zigaretten rauchte und mit ihren Freundinnen tarockierte, nicht an. In ihrem Haus verkehrten der Dichter Joseph von Weilen, der Sprachphilosoph Fritz ­Mauthner und Ida Fleischl, ihre Jugendfreundin. Mit ihrem Mann trat Ebner-Eschenbach dem von Berta von Suttner ins Leben gerufenen Verein zur Abwehr des Antisemitismus bei. 

Man kann und soll, wenn man in die „Zeit von Gestern“ blickt, getrost versuchen, tiefer zu blicken. Diese Welt von gestern hatte ihre Meriten und manche der Völker entdecken erst heute, dass sie von diesem Erbe in nicht geringem Maß zehren. Gewiss, es gab einen brutalen Klassenkampf und es gab auf der anderen Seite die Entwicklung eines bildungsbeflissenen, selbstbewusst werdenden Bürgertums und das Emporkommen eines jüdischen Patriziats und Mäzenatentums es gab auf der einen Seite einen Lueger, einen Schönerer, es gab die unseligen Waidhofner Beschlüsse der schlagenden Burschenschaften, die den Juden als ehrlos erklärten, auf der anderen Seite sprossen im facettenreichen Vielvölkerstaat eine Unzahl von Talenten. Es war für die Juden die Arena, in der sie sich in praktisch allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, sei es Redakteur, Künstler, Arzt, Wissenschaftler, Unternehmer oder was auch immer verwirklichen konnten. Es gab eine Ebner-Eschenbach, eine Berta von Suttner, einen Josef Roth, ­Sigmund Freud und einen Stefan Zweig, der die Welt von Gestern zum Inhalt eines Buches machte, man könnte die Reihe seitenweise fortsetzen. Es gab solche, die sie anfeindeten und die, die auf ihrer Seite standen,  und es gab fromme Juden, die jeden Tag – offenbar hatten sie hierzu Veranlassung – für Franz ­Jossele, den Kaiser beteten.

Wenn Rathenau, deutscher Außenminister, einmal sagen musste: „In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnern wird, wenn ihm zum ersten Male voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist, und dass keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien können.“, so konnte der jüdische Abgeordnete Pinkus in der Knesset 1950 sagen: „Vielleicht ein Viertel der anwesenden Kollegen haben es Österreich zu danken, Bildung und Kultur erworben zu haben. Wollen wir auch an dieses Österreich denken. Und hoffen, dass das neue Österreich an dieses alte erinnern möge.“ Zu dem einen und dem anderen Österreich gewährt Eschenbach Zugang und Einsicht. 

Im Residenzverlag Salzburg ist eine vierbändige Leseausgabe, darunter auch die Aphorismen, erschienen. 

Kontextspalte