Das Buch erzählt die Geschichte der Tanzpädagogin Margalit Ornstein, eine aus gutbürgerlicher Familie stammenden Tänzerin – ihr Vater Alois Oppenheimer war Optiker und k.u.k. Hoflieferant – und ihrer beiden Zwillingstöchter Jehudit und Shoshana, die 1921 aus Wien kommend ins „gelobte Land“ einwanderten. Im Juni 1920, an einem heißen Sommertag, ging Jacques Ornstein, Bewunderer Theodor Herzls und vormals Offizier im 1.Weltkrieg, in Jaffa von Bord und schrieb seiner Familie: »Kommt, das ist das Paradies“ – das jüdische Palästina, das hier mehrmals mit utopischen Worten besungen wird. So zitiert Aldor den Großvater, der seine Frau anfeuert mit den Worten, „in Palästina gibt es eine neue Religion... hier wirst Du nicht in die Synagoge gehen, stattdessen werden wir feiern, fröhlich sein und eine neue, bessere Welt bauen.“ Gaby Aldor, die Enkelin Margalits und Tochter von Shoshana Ornstein, hat eine umfassende künstlerische Familienbiographie geschrieben, die durch Fotografien (darunter manch bekannte Fotografen wie Alfons Himmelreich und Helmar Lersky) ergänzt auf Basis von Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen und Tanzübungsnotizen entstanden ist; kommentiert und erweitert wird sie von literarischen Rückblicken der Enkelin. Margalit Ornstein studierte in Wien Körperkultur, Tanz, Architektur und Medizin – zu ihren Lehrern zählten u.a. auch Rudolf von Laban oder Mary Wigman – und gründete 1922 die erste Schule für Tanz und rhythmische Gymnastik in Tel Aviv, dessen Stadtbild damals noch von Sand und Kamelen geprägt war. Die Töchter Margalits kommen Ende der 20er Jahre nach Berlin und Wien zurück, um bei den Größen des Ausdruckstanzes wie Gertrud Bodenwieser, Rosalia Chladek oder Max Terpis zu studieren. Zurück in Palästina treten die Zwillinge als Stars in Theatern, bei Festen und Feiern – ob auf großen Bühnen, in Volksbildungsheimen oder im Kibbuz auf und sind bis in die 80er Jahre prägend im israelischen Tanz. Im Jüdischen Museum Wien erzählte Gaby Aldor über die 10-jährige Entwicklungsgeschichte des Buches, ihre enge Beziehung zur Großmutter, Mutter und Tante, die Rolle des Tanzes für die israelischen Künstler und auf ihrer Ausbildung zur Schauspielerin: „Mama und Tanz – das war für mich dasselbe, eine völlige Identifizierung, auch mit dem Aufbau des neuen Staates. Unser Haus, wo das Tanzstudio und die Wohnung sich befanden, steht heute noch, dort ging die Welt der Kunst aus und ein, man sprach über Tanz, Theater, Architektur, über Politik und die Zukunft des Judentums. Man trat im Kibbuz auf, tanzte auf Brettern, auf Tischen, vor Kindern, alten Menschen, Bauern. Die größten Künstler traten da auf, aus Begeisterung und Liebe zur Kunst.“
UTOPIE MODERNE
Zugleich ist das Buch ein Testament auf die Künste der Moderne – ein Aufbruch, der sowohl international wie auch interdisziplinär war – uns so ist es auch die Geschichte von Jacques (Yaakov) Ornstein, einem der ersten Bauhaus-Architekten im damaligen Palästina, der neben anderen Häusern des heutigen UNESCO-Kulturerbes „Weiße Stadt“ auch das erste Theatergebäude Tel Avivs errichtet hat. Und es ist eine Geschichte über die Emanzipation von Frauen und Künstlerinnen, in einem neuen Land, deren demokratischer Geist sie beflügelten. Immer wieder überrascht Gaby Aldor den Leser mit ihren Schilderungen eines im Vergleich zur Wiener Existenz kargen Lebens der Einwanderer, aber auch über ihren Mut, Zukunftsglauben, die künstlerischen Utopien und die ungeheure Tatenkraft...
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