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Leben auf der Flucht

Zum 80. Geburtstag von Jakov (Jascha) Bararon

Die erste Flucht war die interne Vertreibung. „Ich habe nicht gewusst, warum sie mich verstecken“, erzählt der 80-jährige Jakov Jascha Bararon. Seine Eltern waren sephardische Juden, Nachkommen der im Mittelalter aus Spanien und Portugal vertriebenen jüdischen Bevölkerung. Die Familie lebte bis zur deutschen Besatzung in Belgrad, der Hauptstadt des Königreichs Jugoslawien.
Bararon überlebte den Zweiten Weltkrieg, weil ihn eine serbische Familie vor den Nazis und den jugoslawischen Kollaborateuren versteckt hat. Gleich nach dem Einmarsch der Wehrmacht, im März 1941, wurde sein Vater Avram von den Deutschen auf der Belgrader Sava-Brücke getötet. Seine Mutter Rifka Pardo Bararon hat die gelbe Armbinde nie angelegt. Sie tauchte gemeinsam mit ihrem Sohn unter und verwendete den nicht-jüdischen Namen Radmila Babić. Rifka Pardo Bararon meldete sich unter diesem Namen zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich. Sie wurde nach Wien geschickt und ließ ihren Sohn bei einer befreundeten Familie zurück.
Der Name der Familie Svetličić, der Jakov Bararon das Überleben der Shoah zu verdanken hat, steht heute in Yad Vashem unter den „Gerechten“ neben den Namen jener couragierten Menschen, die ebenfalls Juden gerettet haben. Rifka Pardo Bararon wurde nach einem Verrat nach Mauthausen deportiert.
Die zweite Flucht begann, als die Mutter nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager nach Belgrad zurückkehrte und sich mit Jakov nach Israel absetzen wollte. Da eine Ausreise im neuen Jugoslawien unter Titos Führung erst nach der offiziellen Staatsgründung Israels 1948 erlaubt wurde, gingen sie nach Paris, wo es jüdische Organisationen gab, die bei der Überfahrt in den Nahen Osten behilflich waren. Er kam in ein zionistisches Pariser Kinderheim, dort begann er Hebräisch zu lernen. Danach gingen sie nach Marseille, wo er nach dreimonatigem Aufenthalt mit einem Schiff mit insgesamt 300 Kindern die Reise in das Gelobte Land antrat. Rifka Pardo Bararon blieb in Frankreich zurück .
Auch das Leben in der jüdischen Urheimat bedeutete für Bararon eine weitere – nun schon die dritte – Flucht. Er wurde auf einem Gebiet, das im Krieg gegen die Araber besetzt wurde, angesiedelt. In dem Kibbutz Beeri, in der Nähe von Gaza, lebte er bis 1957, als ihn seine Mutter, die in der Zwischenzeit in Jugoslawien geheiratet hatte, einlud, nach „Hause“ zu kommen. Er ging.
Jakov Bararons vierte Flucht begann in seiner alten Heimat Jugoslawien. Erst später wurde ihm bewusst, dass der Abschied von Israel ein Fehler war. Er kam aus einem demokratischen Land, wo die Rechte der Einzelnen hochgehalten wurden, in ein Land, in dem er zwar geboren, wo aber noch immer all diese Nationalismen lebendig waren. Es musste erst ein richtiger Krieg losgetreten werden, dass die Familie nochmals fliehen sollte. „ Als es im Zuge des Zerfalls des jugoslawischen Staates zur blutigen Abrechnung kam, als Sarajevo unter Beschuss kam, da haben ihn seine dortigen Kollegen aufgefordert, sich den Verteidigern der Hauptstadt anzuschließen. „Sie wollten, dass ich eine Waffe in die Hand nehme und auf Leute schieße, die ich gut kannte, und mit denen ich gut zusammengearbeitet habe.“ Als eines Tages ein Schrapnell in seinem Atelier genau jenes Bild traf, auf dem er das Panorama von Sarajevo verewigt hatte, war es für ihn jener Moment mit symbolischer Bedeutung, um eine endgültige Entscheidung zu treffen: Es war Zeit, wieder zu fliehen.
Genau dieses Bild stellte Bararon nach seiner fünften Flucht und bei seiner ersten Ausstellung in Wien, der bislang letzten Station seines Lebens, aus.
Bararon ist überzeugt, dass jeder Künstler seine von den Vorfahren geschriebene Haggada in sich trägt. Auch er hat seine aus Sarajevo nach Wien mitgebracht. Aus diesem Grund malte er nach der Ankunft in Wien zuerst diese Sarajevo Haggada, die eine Quelle seiner Inspiration war. „Es war etwas Ursprüngliches, das ich mit nach Wien gebracht habe“, erzählt der Künstler. Später hat er mit Landschaftsmalerei weitergemacht und mit Judaica, die mit seinen Vorfahren zu tun haben. In seinen Arbeiten versuchte er immer, Figuren zu vermeiden. Jakov (Jascha) Bararon erzählt, dass er Menschen nur gemalt habe, wenn er das wirklich machen musste.
Aus einem Interview von Boris Cibej Delo, Slowenien

 

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