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Legenden und Traditionen

Mir ist etwas ziemlich Verrücktes passiert. Vor einem halben Jahr habe ich mich verliebt – in ein Buch. Es erschien zwar schon 1985 in New York unter dem Titel A Jewish Bestiary. Aber ich lernte dessen „Vater und Mutter“, genauer gesagt seinen Autor und Illustrator erst kürzlich kennen. Ein gemeinsamer Freund machte mich mit einem seiner Berufskollegen bekannt. Nun ist Mark Podwal nicht nur ein angesehener Dermatologe aus New York, sondern in fast jeder Minute seiner freien Zeit mit Zeichnen, Illustrieren und Studieren beschäftigt. Bei einem – koscheren – Abendessen durfte ich sein zauberhaftes Bilderbuch Jerusalem Sky: Stars, Crosses and Crescents bewundern, das nicht nur Kindern auf ganz andere, wunderschön gestaltete Weise die Vision der Ringparabel – vom friedlichen Miteinander der drei abrahamitischen, monotheistischen Religionen – nahe bringen will. Übrigens ein weiteres Schatzkästlein, das sich zu bergen lohnte. Muster von Glückwunschkarten zu jüdischen Feiertagen, Skizzen von Illustrationen für Torah-Vorhänge einer davon schmückt inzwischen die Alt-Neuschul in Prag, Motive von Ausstellungen im Theresienstädter Ghetto-Museum und am Mount Scopus in Jerusalem und etliches mehr gab es zu bestaunen. Dann kam ich mit Podwal, der große Popularität mit seinen Zeichnungen in der New York Times erlangte, auf berühmte jüdische Zeichner-Kollegen zu sprechen: Saul Steinberg, André Francois, R. O. Blechman. – Und dann bekam ich es zu sehen: A Jewish Bestiary. A Book of Fabulous Creatures Drawn from Hebraic Legend and Lore. Tierzeichnungen, eine Kombination aus jüdischen Symbolen, minimalistischen Pointen, oft karikaturhaft verdichtet, kombiniert mit Texten, die diese echten und mythischen Geschöpfe in einen Kontext zu Chumasch, Psalmen, Propheten und Midraschim stellen.

Podwal arbeitete in der Vergangenheit mit Harold Bloom, Cynthia Ozick und Elie Wiesel zusammen. Der Friedensnobelpreisträger von 1986 gerät hier übrigens ebenfalls ins Schwärmen: „Für all jene, die biblische Geschichte und talmudische Legenden lieben, ist Mark Podwals Jüdisches Bestiarium ein pures Vergnügen. Seine Kunst ist sowohl eindringlich als auch beseelt, seine Phantasie angereichert mit uralter Weisheit und Humor“. Nun ist die deutschsprachige Ausgabe – auf 31 Tiere angewachsen – gerade rechtzeitig zum Neuen Jüdischen Jahr 5776 auf dem Markt, ergänzt um ein geistreiches Nachwort des Historikers Michael Brenner, der den Bogen von den rituell erlaubten bzw. verbotenen Tieren über Anspielungen in der Namensgebung (Zvi, Arieh und Dov) bis hin zum Holocaust-Comic Mauschwitz von Art Spiegelmann zu spannen weiß. Mark Podwal beschreibt, wie eine Mücke dem Feldherrn Titus, verantwortlich für die Zerstörung des Zweiten Tempels, den Garaus machte und eine Spinne dem späteren König David das Leben rettete. Doch es geht nicht nur um reale Tiere wie Ameise, Frosch und Löwe, sondern auch mythische wie Behemot, Leviathan und den Vogel Ziz, der mit ausgebreiteten Flügeln die Welt verdunkelt. Alle drei sind Leckerbissen für die Gerechten in der kommenden Welt beim messianischen Bankett.

Im 3. Buch Moses, wird unmissverständlich erklärt, dass nur Tiere verzehrt werden dürfen, die gleichzeitig vierbeinige Paarhufer und Wiederkäuer sind, und von Vers 4 bis 43 ausführlich erläutert, was alles als unrein gilt. Wieso das Schwein gerade im Nahen und Mittleren Osten – und das reicht weit über das Tabu für Juden hinaus – esskulturgeschichtlich keine Chance hatte, hängt mit der Geographie und dem Klima zusammen, wie das äußerst lesenswerte Schweine-Porträt von Thomas Macho, herausgegeben in der Reihe Naturkunden von Judith Schalansky bei Matthes & Seitz, Berlin 2015, Band 17, erläutert. Mark Podwal löst das Schweine-Tabu in seinem Jüdischen Bestiarium sachkundig wie elegant: „Für Juden wurde Rom zum Inbegriff der Perfidie. Das Schwein, das am meisten verachtete aller Tiere, teilt diese Schmach.“ Sprach‘s und zeichnete das römische Wahrzeichen: Romulus und ­Remus an den Zitzen einer Wölfin. Nur deren Schatten deutet die Schweineform an.    

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