Damit Kommunikation im Allgemeinen und Dialoge im Speziellen gelingen können, reichen vollmundige Bekenntnisse zur Gesprächsbereitschaft nicht aus. Es gibt ein paar unverzichtbare Voraussetzungen, die beachtet werden müssen, damit Verständigung kein leeres Lippenbekenntnis bleibt.
Diese kommunikativen Voraussetzungen gelten nicht nur für private, zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auf allen Ebenen gesellschaftlichen Zusammenlebens – auf Ebene der Politik nicht weniger, als im interreligiösen oder interkulturellen Dialog. So unterschiedlich diese Gesprächsebenen und die damit verbundenen Interessenslagen auch immer sein mögen – letztlich kommt es auf einen entscheidenden, den Gesprächsverlauf und das Gesprächsergebnis maßgeblich bestimmenden Faktor an: die Wahrhaftigkeit.
Die Gesprächspartner müssen einander wechselseitig unterstellen können, dass ihre Worte mit ihren Absichten übereinstimmen, dass die gesprochenen Worte also authentisch sind. Nur unter dieser Voraussetzung wechselseitig unterstellter Wahrhaftigkeit, also des Vertrauens darauf, dass keiner den anderen zu täuschen beabsichtigt, kann Kommunikation, kann der Dialog gelingen.
Es muss aber noch eine zweite Bedingung erfüllt sein: Die Gesprächspartner müssen auf die Durchsetzung ihrer partikularen Interessen und des damit verbundenen subjektiven Wahrheitsanspruchs zugunsten einer gemeinsamer Konsensfindung verzichten. Denn jeder wahrhaftige, an der Konsensfindung (was nicht heißt: einer Meinung sein zu müssen) orientierte Dialog bedarf der gemeinsamen Überzeugung, dass keiner der Gesprächspartner im alleinigen Besitz der Wahrheit ist sondern dass wir alles dazu tun müssen, damit wir uns an der gemeinsamen Wahrheitssuche beteiligen können. Das kann aber nur im Prozess der Kommunikation gelingen.
Deswegen ist Wahrheit ihrem Wesen nach ein dialogischer Begriff. Im Wort Dialog ist der Begriff Logos enthalten und Logos meint sowohl göttlicher Geist, als auch Begriffe wie Vernunft, Sinn und Wort.
Im Dialog wird im Idealfall dieser Geist, dieser verborgene Sinn gemeinsam hergestellt, geteilt und widerspruchsvolle Mehrdeutigkeit in gemeinsames Sinnverstehen verwandelt. Freilich bedarf es dazu des Verzichts auf jegliche offene oder verborgene strategische Absicht der Partner – kurz: Die Partner stehen vor der nicht leichten Aufgabe, sich wahrhaftig aufeinander einlassen zu müssen
Doch spätestens an dieser Stelle beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten, z.B. bei interreligiösen Dialogen. Sie kommen über den bloßen Austausch ökumenischer Höflichkeiten oftmals nicht hinaus. Und das hat seine Gründe.
Der Christlich-Jüdische Dialog und seine Implikationen
Der sogenannte Christlich-Jüdische Dialog, um ein prominentes und markantes Beispiel zu nennen, ist deswegen in den vergangenen fünf Jahrzehnten – seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 und dessen, für die Neubestimmung des Verhältnisses der Katholischen Kirche zum Judentum maßgebliches Konzilsdekret Nostra Aetate – so steril und folgenlos geblieben, weil es auf christlicher Seite an dieser Wahrhaftigkeit mangelte und heute mehr denn je mangelt. Denn weder das Konzil-Bekenntnis der Katholischen Kirche zum Judentum und zum jüdischen Erbe des Christentums noch der international betriebene Dialogprozess hat dem Antisemitismus und Antijudaismus im zumindest immer noch christlich geprägten Europa etwas von seiner destruktiven Kraft genommen. Es ist also in all den Jahrzehnten nicht gelungen, eine christliche Religiosität zu entwickeln, die gegen den Judenhass immunisieren würde.
Im Gegenteil: Nie war der Antisemitismus so virulent wie heute – er hat sich nur neu maskiert: Als allgegenwärtiger Hass auf den jüdischen Staat Israel nimmt er längst – spätestens seit dem für Israel siegreichen Sechstagekrieg 1967 – einen festen Platz im öffentlichen Diskurs ein.
Dass der neue Antisemitismus in Gestalt des Antiisraelismus und Antizionismus, insbesondere auch bei katholischen, wie evangelischen Christen in Europa auf fruchtbaren Boden fällt, hat viele historische, tiefenpsychologische und theologische Gründe. Ein maßgeblicher Grund für den neuen Antisemitismus unter Christen liegt mit Gewissheit auch darin, dass die Katholische Kirche peinlichst darum bemüht war (und immer noch ist), den mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Gang gesetzten Versöhnungsprozess mit dem Judentum tunlichst auf die rein theologische Ebene zu beschränken, um gegenüber den arabischen Ländern ja nicht den Eindruck zu erwecken, die weltweit mächtige Katholische Kirche würde den jüdischen Staat unterstützen. Zu groß war und ist die Sorge um das Schicksal der Christen in der arabischen Welt.
So hat das, zu Ende des Konzils im Oktober 1965 verabschiedete Dekret Nostra Aetate, in dem die Kirche auf wenigen Seiten und mit knappen – um nicht zu sagen: halbherzigen – Worten ihr Verhältnis zum Judentum neu bestimmte, den Fokus lediglich auf das historische Judentum gelegt. In diesem maßgeblichen Dekret ist die Kirche trotz ihrer Kehrtwendung in der sogenannten Judenfrage den Juden alles schuldig geblieben: Weder findet sich ein Wort der Reue und der Scham über den christlichen Antijudaismus der vergangenen zwei Jahrtausende, noch wird die Shoah und ihre, weit in die Geschichte zurückreichenden, christlichen Wurzeln erwähnt, noch wird an die Mitwirkung und Duldung des organisierten Massenmordes an den europäischen Juden durch Kirche und Christen erinnert, noch wird ein Bekenntnis zum Judentum der Gegenwart, also zum jüdischen Staat Israel abgelegt, den es deswegen gibt, weil es den Holocaust gegeben hat.
So ist auch nicht verwunderlich, dass es nach dem Konzil fast dreißig Jahre – also bis 1994 – dauerte, bis der Vatikan Israel diplomatisch anerkannte. Heute gelingt die Verständigung zwischen Christen und Juden in der Regel nur um den Preis der Ausklammerung der Israel-Frage. Es ist ein Reden mit gespaltener Zunge: Judentum ja, Israel, wie es sich jetzt politisch und militärisch präsentiert, nein.
Päpste reisen als Zeichen der Versöhnungsbereitschaft nach Jerusalem zur Klagemauer und lassen zugleich zu, dass höchste kirchliche Würdenträger sich nicht scheuen, Palästinenserlager im Gazastreifen oder in der Westbank mit KZs zu vergleichen.
Man kann darauf wetten: Wenn in einschlägigen Diskussionen über das christlich-jüdische Verhältnis, oder über den Antisemitismus in Europa die Rede auf Israel fällt, dann kippt das vordergründige Einvernehmen schnell in heftige Unmutsbekundungen gegen Israel und selbst hohe Kirchenvertreter überkommt dann nicht selten unheiliger Zorn gegen „die Politik Israels“.
Auch sie betreiben damit – wissentlich oder unwissentlich – das antisemitische Geschäft der Feinde Israels, die sich auf die negative Utopie eines judenfreien Palästina eingeschworen haben. Was aber ist die feierlich proklamierte Versöhnung zwischen Christentum und Judentum wert, wenn sie nicht dazu taugt, gegen den neuen Antisemitismus, der sich als Antiisraelismus und Antizionismus tarnt, nachhaltig Widerstand zu leisten? Was ist der Christlich-Jüdische Dialog wert, wenn dessen daran Beteiligte nicht in der Lage oder willens sind, gegen den europaweiten Hass auf Israel, auch unter Christen, theologisch und politisch zu mobilisieren? Was ist von deren sogenanntem Dialog zu halten, wenn sie ihn mit gespaltener Zunge führen, weil viele Christen von ihnen nicht müde werden, Israel, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet, auf die Anklagebank zu rücken?
Als Nachkommen der Tätergesellschaften sind sich viele dessen nicht bewusst, dass sie damit auf andere Weise wiederholen, was ihre Väter, Großväter und Urgroßväter schon unter den Nazis getan haben: die Opfer zu Tätern zu stempeln und so die eigentlichen Täter und damit sich selbst posthum zu entlasten.
Es sind christliche Organisationen wie Pax Christi oder der Ökumenische Rat der Kirchen und mit ihnen zahlreiche andere kirchliche Verbände in Österreich, Deutschland und anderswo in Europa, die mit ihrem systematischen Antizionismus und Israel-Bashing den Antisemitismus reinwaschen, ihn gleichsam adeln. Sie alle stehen in der Mitverantwortung für den Anstieg und die Radikalisierung antisemitischer Ressentiments in der Bevölkerung. „Die Israelis verhalten sich gegenüber den Palästinensern genauso unmenschlich, wie damals die Nazis gegenüber den Juden.“ Fast jeder zweite Österreicher (42%) stimmt heute dieser Meinung zu. Ein solcher Antisemitismus der Schuldumkehr diente immer schon in der Geschichte zur Rechtfertigung der Verfolgung der Juden.
Als im Sommer 2014 in deutschen Städten gegen Israel demonstriert wurde, weil das israelische Militär einen Gegenschlag gegen den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen führte und die Massen, Rechte wie Linke, Antiisrael-Parolen skandierten, darunter auch: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“, da blieben die Vertreter des Christlich-Jüdischen Dialogs merkwürdig stumm – und mit ihnen die christlichen Kirchen insgesamt...
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