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Mit Sigmund Freud auf Mörderjagd

Sigmund Freud hat offenbar wieder Saison. Vor allem, wenn er seine psychoanalytischen Erkenntnisse in den Dienst der Kriminologie stellt, oder gar selbst auf Mörderjagd geht. 

Geplant ist unter anderem eine Krimi-Serie rund um den jungen Psychoanalytiker Sigmund Freud, der mit seinen revolutionären Theorien Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts so richtig aufmischt. Außerdem begibt er sich auf eine nervenaufreibende Jagd nach einem mysteriösen Serienkiller. Und noch eine weitere Verfilmung einer Freud-Krimi-Reihe steht zur Debatte – die ­Lieberman-Reihe des britischen Autors Frank Tallis. 

Wenn er nicht an seinen Kriminalromanen schreibt, unterrichtet Dr. Tallis klinische Psychologie und Neurowissenschaften am King‘s College London. Er veröffentlichte bereits dazu noch mehrere Studien über das menschliche Verhalten und die Geschichte der Psychotherapie. Für seine Romane erhielt Tallis zahlreiche Preise, unter anderem den Writers’ Award from the Arts Council of Great Britain und den New London Writers’ Award. Im Mittelpunkt seiner mittlerweile sechsteiligen Krimi-Reihe steht jeweils der Psychoanalytiker Max Liebermann, ein Schüler von Sigmund Freud, der einem befreundeten Kriminalbeamten, Inspektor Oskar Rheinhardt, als eine Art „Profiler“ bei der Lösung seiner Fälle zur Seite steht. Ihre Untersuchungen führen die beiden durch das imperiale Wien der Jahrhundertwende. Tallis thematisiert in seiner Krimi-Reihe auch konkrete kulturelle und politische Ereignisse der damaligen Zeit und die vielen politischen Intrigen, die letztlich zum Untergang der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs geführt haben. Er demonstriert mit seiner Romanserie, wie präzise gerade ein an Sigmund Freud orientierter Psycho-Krimi die Kernprobleme unserer Gesellschaft ansprechen und aufgrund der Popularität des Genres einem breiten Publikum näherbringen kann – wie etwa die psychologischen „Ersatzkriegsschauplätze“ als Reaktion auf unterdrückte Begierden, Affekte, echte oder subjektiv empfundene Benachteiligungen, auf gesellschaftliche Zwänge und Mobbing. 

Von außen gesehen – und auch das vermitteln Tallis‘ Kriminalromane – sind es oft nur scheinbar kleine psychische Probleme und Kränkungen, die eine große Wirkung entfalten, wenn Rache zum zerstörerischen Mittel der Kränkungsverarbeitung wird. Kränken und in seinem Selbstwertgefühl verletzen kann man nicht nur ein Individuum, sondern auch das Wertesystem einer ganzen Gesellschaft.

Was macht den legendären Wiener Psychoanalytiker im Krimi-Genre eigentlich so populär? Die von ihm geprägten Begriffe wie Über-Ich, Verdrängung, Lustprinzip, oder Ödipus-Komplex sind heute Teil der Alltagssprache geworden und in jedem besseren Krimi basiert heute die Spannung auf der Popularität Sigmund Freuds und einem Allgemeinwissen über seine Theorien. Dass die vor allem in Kriminalromanen und -filmen gern verwendeten „Freud‘schen Fehlleistungen“ auf verdrängte Wünsche oder gar auf Schuldeingeständnisse schließen lassen, behauptete Freud übrigens sogar selbst – in seiner Schrift Psychopathologie des Alltagslebens. Er setzte damit nicht nur für das Krimi-Genre, sondern auch für die Literatur generell neue Maßstäbe. Seine provokanten Theorien beeinflussten auch Schriftsteller wie Alfred Döblin, Robert Musil oder Thomas Mann, der in seinem Roman Zauberberg – als Reverenz auf Freud – den „Seelenzergliederer“ Dr. Krokowski auftreten lässt. 

Die psychologische Durchdringung der Mörderseelen ermöglicht auch Reflexionen darüber, wie sich Menschen zu Tätern oder Opfern entwickelt haben könnten. Den „gebrochenen“ Tätern stehen immer häufiger „gebrochene“ Kriminalisten gegenüber. Mit dieser Entwicklung änderte sich auch das Spannungspotential der Kriminalliteratur: Die Furcht des Täters entlarvt zu werden, kann im modernen Kriminalroman auf gleicher Ebene thematisiert werden wie die Furcht des Detektivs, selbst Teil des Falles zu werden. 

In seinem Krimi Rendezvous mit dem Tod lässt Frank Tallis in einigen Kapiteln sogar einen thanatophilen Mörder zu Wort kommen. Er erklärt den Drang Frauen vor der Befriedigung seiner Lust töten zu müssen damit, dass er lebende Sexualobjekte nicht ertragen kann – aus pathologischer Liebe zur inzwischen ebenfalls toten Mutter. Um diesen Fall zu lösen braucht es eben einen Psychiater – wie den von Freud geschulten Max Liebermann. Dass Tallis in seinen Romanen ganz nebenbei sein Wissen als Psychiater um tatsächliche Experimente an psychisch Kranken zu Freuds Zeiten einfließen lässt, bietet für die Lesenden zusätzliche Informationen, die für die Beurteilung der zu lösenden Kriminalfälle immer wieder von Bedeutung sind. 

 

Sigmund Freud und die Populärkultur 

Frank Tallis bezeichnete Sigmund Freud einmal als „frustrierten Wiener Stand-Up-Comedian“ und zeigt ihn in seinen Liebermann-Krimis auch von der humorvollen Seite. Das Wissen, welche Witze Freud gerne in Gesellschaft erzählte, bezog Tallis aus einem Buch eines ehemaligen Studenten von Freud, der wohl als Vorbild für den fiktiven Dr. ­Lieberman diente: Theodor Reik. Dieser setzte sich in seinen Werken sowohl mit Kriminalistik als auch mit jüdischem Humor und Freud-Witzen auseinander. Reik und sein Werk in den USA sind übrigens auch eine Quelle für die Witze von Woody Allen. 

Die Figur Sigmund Freud als schrulligem Professor mit Hang zu Scherzen taucht übrigens immer wieder in populären Filmen auf – wie etwa in einer Star Trek-Episode, in der Freud als „bedeutender menschlicher Psychologe von der Erde“ vorgestellt wird: Im Jahr 2370, so erzählt der Film, sucht Data den holographischen Sigmund Freud auf, um seinen Alptraum analysieren zu lassen. Doch Data ist mit Freuds Antworten nicht zufrieden und bricht das Programm wieder ab. 

Die Geschichte von Sigmund Freud als „Filmheld“ begann schon zu dessen Lebzeiten und bevor er nach seiner Flucht aus Wien im londoner Stadtteil Hampstead im Jahr 1939 starb. Samuel Goldwyn, Filmproduzent in Hollywood (Studio-Boss von Metro, Goldwyn, Meyer), versuchte bereits 1925 Sigmund Freud gegen 100.000 Dollar zur Mitarbeit an einem Liebesfilm über Antonius und Kleopatra zu gewinnen. Doch Freud lehnte ab. Er war skeptisch, dass psychoanalytische Prozesse tatsächlich literarisch oder filmisch darzustellen seien. 

Diese Skepsis, die Frank Tallis als profunder Freud-Kenner teilt, war für den britischen Autor und Psychiater auch mit ein Grund, warum er in seinen Romanen Freud selbst zwar vorkommen, aber nicht in den Mordfällen ermitteln lässt. Die Detektivarbeit ist Sache des Dr. Liebermann.

Für Ungeduldige, die nicht warten wollen, bis die, für das kommende Jahr geplanten, österreichischen Film- und TV-Projekte zu sehen sind – hier eine kurze Vorstellung der Liebermann-Reihe, deren jweilige Bände nach wie vor im Buchhandel erhältlich sind. 

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