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Nobelpreise

Für einen Staat mit acht Millionen Einwohnern, der knapp so groß ist wie Hessen ist es eine beachtliche Leistung: Im vergangenen Jahrzehnt erhielten sechs Israelis den Nobelpreis für Chemie.

Doch daheim ist man nicht nur stolz: Das Schicksal der diesjährigen Preisträger wirft Licht auf ein problematisches Phänomen. Kein Land blutet mehr hochbegabte Akademiker als der Judenstaat. „Wir sind so stolz auf euch und die Leute an unseren Universitäten, die diese Entwicklungen vorantrieben“, gratulierte Israels Premier Benjamin Netanjahu dem Professor Arieh Warshel, kurz nachdem er den Chemienobelpreis gewann. Nicht nur Netanjahu, ganz Israel ist stolz: ­Warshel ist der sechste Israeli, der in weniger als zehn Jahren den prestigeträchtigen Preis erhält. Mit ihm wurde die Ehre auch Michael Levitt zuteil, der ebenfalls einen israelischen Pass hat. Dennoch war vielen Israelis nicht zum Feiern zumute. Denn die beiden Professoren leben und lehren längst nicht mehr im Land. Seit Jahrzehnten betreiben sie ihre Forschung an Universitäten in den USA, und sind somit Teil eines besorgniserregenden Trends: „Kein westlicher Staat verliert mehr Talente durch Auswanderung als Israel“, behauptet Professor Dan Ben-David, Direktor der Taub Denkfabrik für Sozialpolitik. Rund 29% der israelischen Akademiker verließen das Land, sagt Ben-David, viel mehr als bei anderen Industrienationen. So befänden sich lediglich 1,1% der japanischen Talente im Ausland, oder 3,4% der Franzosen. Selbst Wissenschafts- und Technologieminister Jakob Perri gab zu: „Dieser Erfolg betont eine Herausforderung für den gesamten Staat. Wir müssen israelischen Wissenschaftlern helfen, heimzukehren.“

Perri muss es wissen, denn laut einer neuen Studie des Taub Zentrums liegt das Problem hauptsächlich in der Politik: Seit 1977 sei ­Israels Bevölkerung um 133% gewachsen, insgesamt studierten heute mehr als vier Mal mehr Israelis als damals. Doch die Anzahl an Professorenstellen habe nur um 9% zugenommen, in den wichtigen Forschungseinrichtungen, wie den staatlichen Universitäten von Jerusalem, Tel Aviv oder Haifa sei sie gar um 17-26% zurückgegangen. Rund die Hälfte der Lehrstellen wird heute von Personal gefüllt, das nur dafür angeheuert wird und nicht an der Universität selber Forschung betreibt. Obwohl Israel in vergangenen Jahrzehnten ­einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung ­erfuhr, gibt der Staat pro Student weniger als ein Drittel von dem aus, was er sich die Akademiker noch vor 40 Jahren kosten ließ: „Wir sind viel reicher als früher, aber die Regierung entscheidet sich einfach, das Geld für andere Dinge auszugeben“, so Ben David. „Die Regierung hat Forschungseinrichtungen über Jahrzehnte vernachlässigt, sie nicht erweitert und modernisiert, und Forschungsbudgets nicht aufgestockt“, moniert auch Menachem Ben Sasson, Präsident der Hebräischen Universität in Jerusalem, der ältesten im Land. „Wir würden unsere Absolventen gerne aufnehmen, aber dafür fehlt das Geld.“

Wie im Fall von Warshel und Levitt. ­Warshel studierte zuerst am Technion in Haifa, wechselte später zum prestigeträchtigen ­Weizman Institut in Rehovot. Doch nachdem er die Forschung, die ihm jetzt den Preis einbrachte, bereits begonnen hatte, wanderte er in die USA aus: „Man konnte mir dort einfach keine Anstellung anbieten“, erklärt er heute. Levitt wanderte mit 35 aus Südafrika in ­Israel ein, heiratete eine Israelin. Doch auch er zog eine Karriere in Stanford vor, dabei „habe ich noch immer eine sehr starke emotionale Bindung zu Israel, meine beiden Söhne leben dort“, sagte er dem israelischen Fernsehen.

Eine neue Kommission des israelischen Rats für hohe Bildung soll die Flut der Auswanderer jetzt stemmen helfen. In den vergangenen drei Jahren seien mehr als 700 neue Lehrstellen geschaffen worden, sagt Liat Maos, die Direktorin der Abteilung für ­Sonderprojekte im Rat. Bis 2016 soll das Budget der Universitäten um 30% ansteigen und insgesamt 5000 neue Stellen geschaffen worden sein: „Wir kehren den Trend um“, so Maos. Doch selbst wenn es neue Lehrposten gibt, dürften noch immer viele Akademiker wegen der rasant steigenden Lebenshaltungskosten auswandern.        

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