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Reuven Rivlin - Neuer Präsident Israels

Am Ende konnte der Sieger es sich leisten, großzügig zu sein: „Mann, Du hast Dich hervorragend geschlagen“, gestand Israels frisch gewählter Präsident Reuven Rivlin seinem Rivalen Meir Schitrit mit einem breiten Lächeln zu.

Dabei hatte er nur wenige Minuten zuvor einen ganz anderen Gesichtsausdruck gehabt. Stundenlang war Israels Parlament voller Spannung – niemand wusste, wie das härteste Rennen um das höchste Amt im Staat ausgehen würde. Israels Medien nannten den Wahlkampf die „größte Schlammschlacht in der Geschichte des Staates“. Was war Rivlins knappem Sieg in der Knesset nicht alles vorausgegangen: Zuerst hatte Premier Benjamin Netanjahu versucht, das Amt mit einer Änderung des Grundgesetzes abzuschaffen, um einen erwarteten Sieg ­Rivlin zu verhindern. Dann hatte er den US-Bürger Elie Wiesel gebeten, sich um das Amt zu bewerben. Bis zum letzten Augenblick hatte er dem Parteigenossen Rivlin seine Unterstützung vorenthalten, und ihn nur unterstützt, als ihm bereits keine andere Wahl blieb. Denn die Wahl des Präsidenten war auch in erster Linie ein Spiegelbild des Zusammenhalts der Koalition. Und um die ist es augenblicklich schlecht bestellt. Nach dem ersten Wahlgang, in dem er 44 Stimmen der 119 anwesenden Abgeordneten erhielt, sprachen Israels Medien schon von einem Landrutsch zu Gunsten des Oppositionskandidaten Schitrit. Netanjahus halbherzige Unterstützung drohte für Rivlin zum Debakel zu werden. Und so brach der emotionale Rivlin in Freudentränen aus, als schließlich das Ergebnis verlesen wurde: Er hatte in der Stichwahl mit 63 Stimmen die absolute Mehrheit errungen – in Israels verkehrter politischer Welt siegte der Kandidat der Regierungspartei auch Dank der Stimmen der Opposition. Und so wird Ende Juli ein sehr volkstümlicher Mann in der Präsidentenresidenz in Jerusalem arbeiten – denn der bescheidene Rivlin hat nicht vor, seine kleine Wohnung zu verlassen. „Aus Jerusalem!“ ist wohl die erste Assoziation der meisten Israelis, wenn sie an Rivlin denken. Jedes Mal, wenn der 74 Jahre alte Politiker und Vater von vier Kindern interviewt wird, beginnt er das Gespräch indem er in heiter-patriotischem Tonfall proklamiert, wo er sich gerade befindet. Sein Wohnort ist Programmpunkt, eine der wenigen Berührungspunkte zwischen Rivlin und Netanjahu. Denn die Parteifreunde scheinen sich inzwischen nur noch in einer Frage einig zu sein: dass Jerusalem auf ewig Israels unteilbare Hauptstadt bleiben soll. Ansonsten sind sich die beiden Staatsspitzen seit langem Spinnefeind. Dabei haben Rivlin und Netanjahu manches gemein. Als Kinder angesehener Jerusalemer Familien haben sie viele gemeinsame Bekannte und Jugenderinnerungen. Beide machten anfangs als Offiziere in Eliteeinheiten der israelischen Armee Karriere, traten später in die rechte Likud-Partei ein. Doch hier enden die Parallelen. Netanjahu wurde schnell Medienstar. Als selbstbewusster, maskuliner Vertreter der Idee eines Großisraels erlebte er einen kometenhaften Aufstieg. ­Netanjahu polarisiert, wird geliebt und gehasst. Rivlin hingegen scheint außerstande, derartige Emotionen zu wecken. Der gemütliche, überzeugte Vegetarier mit der prominenten Nase wirkt bedrohlich wie ein Gartenzwerg. Und ganz im Gegensatz zu ­Netanjahu, der schnell zu einem Mann von Welt wurde, der die Annehmlichkeiten des Jetsets zu schätzen weiß, teure Zigarren raucht, zehntausende Euro im Jahr für den Unterhalt seiner Residenz ausgeben lässt und nur an den besten Adressen übernachtet, blieb der Sportfan Rivlin bodenständig und bescheiden. Als einziger, der vor den Wahlen seine volle Steuererklärung veröffentlichte, entblößte er sich als Rechtsanwalt mit einem Vermögensstand der durchschnittlichen Bürgertums, der nichts besitzt außer seiner kleinen Wohnung und einem Mittelklassewagen. Doch so mittelständig sein Vermögen sein mag, so extrem sind ­Rivlins politische Ansichten. Er war gegen die Räumung des Gazastreifens, ist ein Gegner der Zwei-Staaten Lösung, und er wird alles tun, um eine Teilung Jerusalems zu verhindern. Während Netanjahu seine Fahne oft nach dem Wind hängt, und sich zumindest offiziell zur Zwei-Staaten Lösung bekennt, blieb ­Rivlin Vollblutideologe, einer der letzten konsequenten Vertreter der Idee, dass es westlich des Jordans nur den Staat Israel geben darf. Doch trotz seiner harten Meinung blieb er in allen seinen Ämtern, auch als Parlamentspräsident, Gentleman. Nichts charakterisiert ihn mehr als sein Verhalten während der Präsidentenwahl 2007, als er als einziger Gegenkandidat ­Shimon Peres in der Stichwahl seine Kandidatur zurückzog und mit Tränen in den Augen zur Einheit im Volk mit den Worten aufrief: „Lang lebe unser Präsident!“ Rivlin dürfte es diesen beiden Eigenschaften zu verdanken haben, dass er in der Knesset die Wahl gewann. In einer Zeit, in der israelische Minister reihenweise der Korruption überführt wurden, gilt sein zertifizierter Anstand und seine Bescheidenheit – Nichtregierungsorganisationen erkoren ihn 2012 zum „Ritter redlicher Verwaltung“ – als löbliche Ausnahme. Mit seiner Fairness und seiner Bereitschaft, auch politische Widersacher anzuhören, gewann er selbst in arabischen Oppositionsparteien Freunde. Doch gerade mit dieser Integrität und der Bereitschaft, offen für seine Meinung einzutreten, machte er sich ­Netanjahu zum Feind. Denn dem wurde er zur lästigen Opposition im ­Likud, und als Parlamentspräsident zur Geißel. Das wird nicht der einzige Grund sein, weshalb Netanjahu den scheidenden Peres schon bald vermissen dürfte. Denn der Friedensnobelpreisträger galt international als Israels wichtigster Diplomat, als Garant dafür, dass der Judenstaat insgeheim doch noch eine Zwei-Staaten Lösung mit den Palästinensern anstrebt. Mit dem bekennenden Siedlerfreund Rivlin im Amt des Präsidenten ist Netanjahu dieses diplomatische Feigenblatt verlorengegangen.                

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