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Sein Antrieb – Empörung

Marcel Ophüls – Auszeichnung für sein Lebenswerk

So begrüßt zu werden macht einem alten Knacker wie mir Freude“, kommentiert der 87-jährige Dokumentarfilmer Marcel Ophüls den begeisterten Publikums-Applaus, als er im Haus der Berliner Festspiele von Berlinale-Direktor Dieter Kosslick für sein Lebenswerk geehrt wird. Sein Leben lang hat sich Marcel Ophüls in seinen Filmen an den schweren Themen abgearbeitet: Hass und Gewalt, Nationalsozialismus, Antisemitismus, Kriegsverbrechen. Für alle seine Filme war und ist Empörung der Antrieb – wie etwa für Hotel Terminus, die filmische Abrechnung mit dem Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, für die Ophüls mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, oder Memory of Justice, seine filmische Suche nach den Wurzeln des Totalitarismus, für die Ophüls vor vier Jahrzehnten nicht nur Ankläger und Angeklagte der Nürnberger Prozesse befragt hatte, sondern auch Vietnamkriegs-Veteranen und Augenzeugen des Algerien-Krieges. Filme wie diese haben Marcel Ophüls zu einem der bedeutendsten Dokumentarfilmer der Welt gemacht und so ist es umso erstaunlicher, wenn der nicht minder berühmte Sohn des legendären Filmregisseurs Max Ophüls (Liebelei, Lola Montez) in seiner Dankesrede für die Berlinale-Kamera gesteht: „Eigentlich bedaure ich es, dass ich nicht in der Lage bin, Liebesfilme wie mein Vater zu drehen“.

Vor der Auszeichnung für sein Lebenswerk hatte Marcel Ophüls seine Autobiographie präsentiert. Das Buch mit dem Titel Meines Vaters Sohn liest sich wie ein Who is Who der Filmgeschichte und ist gleichzeitig ein ebenso anekdotenreiches wie historisch-kritisches Panorama des 20. Jahrhunderts. Marcel Ophüls schildert seine Flucht vor den Nazis, einen Tag nach dem Reichstagsbrand. Er erzählt von seiner Kindheit in Paris und in der Filmmetropole Hollywood und von Begegnung mit den Großen des Films von Fritz Lang bis Ernst Lubitsch, von Marlene Dietrich bis Simone Signoret. Mit Bertolt Brecht hatte der junge Marcel viele Jahre hindurch Schach gespielt – und immer verloren. In seiner Wahlheimat Paris folgten enge Freundschaften mit Künstlern und Filmemachern, unter anderem mit Jean-Luc Godard und François Truffaut. „François Truffaut war mein großer Freund und kurz bevor er gestorben ist, hat er mir gesagt: ,Versprechen Sie mir, Marcel, dass Sie Ihre Memoiren schreiben‘“. „Dreißig Jahre nach dem Tod des Freundes“, meint nun Marcel Ophüls, sei er diesem Wunsch „von ganz oben“ gefolgt.

Marcel Ophüls war sechs Jahre alt, als er und seine Familie von den Nazis vertrieben wurden. Bis heute hat er keinen deutschen Pass – er ist französischer und amerikanischer Staatsbürger. Die Entwurzelung blieb zeitlebens ein wichtiges Thema für ihn.Entsprechend ausführlich erzählt Ophüls in diesen Memoiren von seiner Kindheit und Jugend und davon, wie er mehr aus Verzweiflung zum Dokumentarfilm kam, nachdem er als Kinoregisseur gescheitert war. Ein Scheitern, mit dem er sich vom Schatten seines Übervaters gelöst hatte. Komödien – vor allem die tiefschwarze Satire Sein oder Nichtsein von Ernst Lubitsch – so gibt sich Ophüls im Interview, das er aus Anlass seiner Buchpräsentation gibt, überzeugt, seien „die schärfstenWaffen gegen die Nazis und ihre Nachfolger“. Trotz des Welterfolgs seiner eigenen Filme hält er Dokumentarfilme „für eine ziemlich zweitrangige Kategorie“.

„Mein Vater hätte ganz bestimmt gefragt: Verbirgst du nicht deinen eigenen Mangel an Einfällen, indem du zu dieser schwergewichtigen Thematik greifst?“, mutmaßt Ophüls. Die rund 6.000 Mitglieder der Amerikanischen Filmakademie waren da entschieden anderer Meinung. 1988 zeichneten sie Ophüls für seinen Film Hotel Terminus, über Klaus Barbie, den „Nazi-Schlächter von Lyon“, mit dem Oscar aus. Dass Marcel Ophüls trotz seiner Erfolge als Dokumentarist eigentlich Spielfilm-Regisseur werden wollte, ist vielleicht ein Grund für sein Credo, das er bei seinen eigenen Filmen immer befolgt hat: „Auch der strengste Dokumentarfilmer darf nie vergessen, dass er sein Publikum unterhalten muss!“ Was Ophüls mit dieser Forderung meint, wird rasch klar, wenn man seine monumentalen Werke sieht, für die er eine ganz besondere Art von Interviews entwickelt hat. Sie sind provokant, frech, respektlos und gerade deshalb unglaublich effektiv. Er beginnt mit harmlos erscheinenden Erkundigungen, denen ein beiläufiges Nachhaken folgt, dann die blitzschnelle Konfrontation mit Fakten und ein plötzliches Zupacken. Ophüls kann aber auch ein guter Zuhörer sein: verständnisvoll, ungläubig, staunend – und manchmal erlaubt er sich ein kurzes Lächeln, das gleichzeitig subversiven Zweifel ausdrückt. Diese Interview-Methode nennt Ophüls die „Peter-Falk-Columbo-Taktik“, hinter der sich „der tiefe jüdische Glaube an Wahrheit und Gerechtigkeit verbirgt“.

Genau studieren kann man die Columbo-Taktik in The Memory of Justice, Ophüls 1975 gedrehtem Film über die Nachwirkungen der Nürnberger Prozesse – unter anderem beim Interview mit dem ehemaligen Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine, Karl ­Dönitz. Anfangs wiederholt er stur die Beteuerung, er habe „makellos gehandelt“ und sei sich „keiner Schuld bewusst“. Bis ihm Ophüls die Behauptung entlockt, er, Dönitz, habe „nur“ zur Reparatur von Kriegsschiffen Tausende Insassen von Konzentrationslagern angefordert. Mit seiner höchst eigenwilligen Rhetorik hatte Ophüls in seinem 1975 gedrehten Film Memory of Justice Antworten auf Fragen provoziert, die uns bis heute bewegen. Wie etwa die Frage, welchen moralischen Normen sich die von den Siegermächten eingesetzten Richter beim Nürnberger Prozess verpflichtet gefühlt hatten. Oder die Fragen: Was hat der Prozess damals bewirkt und unter welchen Folgen haben die Nazi-Opfer und ihre Nachfahren immer noch zu leiden?

Um die Aussagen entsprechend illustrieren zu können, hatte Ophüls Anfang der 1970er Jahre bis dahin nie gezeigtes Dokumentarmaterial des Nürnberger Prozesses gesichtet und für den eigenen Film verwertet. Um die Nazi-Verbrechen in Relation zu späteren Kriegsverbrechen zu stellen, ließ Ophüls in Memory of Justice auch Veteranen des Algerien- und des Vietnam-Krieges zu Wort kommen. In Vietnam, so erzählt etwa ein US-Veteran, seien Unschuldige vor den Augen von Offizieren zu Tode gequält worden. Aber mit der organisierten Judenvernichtung durch die Nazis – daran lässt Ophüls in seinem Film keinen Zweifel – sind all diese Verbrechen nicht vergleichbar.

1978 war Memory of Justice erstmals im Rahmen der Berlinale präsentiert worden, danach hatte der Film als verschollen gegolten. Nun wurde die einzige, noch existierende Kopie in Deutschland wiedergefunden, restauriert und im Rahmen der diesjährigen Berlinale nach Jahrzehnten wieder aufgeführt. Noch in diesem Jahr soll der beeindruckende und wichtige Film auch als DVD auf den Markt kommen.

„Es hat einen schwierigen Punkt gegeben, den ich im Laufe meines Lebens habe begreifen müssen“, meint Ophüls bei einem Auftritt am Berliner Talente-Campus, einem Forum im Rahmen der 65. Internationalen Filmfestspiele von Berlin. „Der Punkt besteht darin, dass Monster nicht so aussehen, wie wir uns Monster vorstellen. Die Täter sehen nicht so aus, als ob sie das getan hätten, was sie tatsächlich getan haben.“ Das habe er spätestens einsehen müssen, so Ophüls weiter, als er Albert Speer begegnet sei, „einem überaus charmantem Mann“. Es sei schwierig gewesen, damit umzugehen, dass dieser große Kriegsverbrecher auch attraktive Seiten haben konnte.

„Kann man das Böse nicht irgendwie definieren?“ wird Ophüls nach der Veranstaltung von einer jungen Frau gefragt. Seine Antwort: „Eichmann war ein phantasieloser Bürokrat, Speer aber war weder phantasielos noch ein Bürokrat. Böse können alle Arten von Menschen sein.“ Der 87-jährige Filmemacher wirkt alt und müde während er dies sagt. Nach etwaigen künftigen Filmvorhaben gefragt, erzählt Ophüls von einem geplanten Dokumentarfilm, den er bereits im Jänner dieses Jahres in Paris zu drehen begonnen hat – während der Demonstrationen gegen den islamistisch motivierten Terroranschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo und die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt, bei der vier Menschen ums Leben gekommen waren. Und plötzlich wird Ophüls ganz jugendlich. Aus ihm spricht genau diese Empörung, die immer schon der Antrieb seine Filme war: „Diese Scheiß Mörder, diese grauenhaften, unkultivierten Fanatiker, die wussten genau, warum ihre Form von Islam keinen Humor duldet – so wie der Hitler genau wusste, warum er die Juden nicht will!“ Wie auf alle bisherigen Filme von ­Marcel Ophüls darf man auch auf diesen gespannt sein.

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