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Sowjetische Nahostpolitik

Auszüge aus einer Artikelserie von Matthias Künzel

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich die sowjetische Nahostpolitik durch eine wohlwollende oder neutrale Haltung Israel gegenüber aus. Der Kreml unterstützte die Gründung des jüdischen Staates, verurteilte 1948 den Einmarsch der arabischen Armeen in Palästina und macht diese Aggression für das Los der palästinensischen Flüchtlinge verantwortlich. Später verfolgte Moskau einen neutralen Kurs. So enthielt sich die Sowjetunion zwischen 1949 und 1952 bei allen UN-Abstimmungen zum Nahostkonflikt der Stimme.

Die erste Krise erlebten die sowjetisch-israelischen Beziehungen Anfang 1953 im Zusammenhang mit Stalins antisemitischer Wahnidee von einer „Ärzteverschwörung“, der zufolge „zionistische Spione“ der Sowjetführung nach dem Leben trachteten.

Stalin starb im März 1953. Sein Nachfolger Nikita Chruschtschow entlarvte das Ärztegerücht als Lüge und nahm die zwischenzeitlich unterbrochenen Beziehungen zu Israel wieder auf. Im Unterschied zu Stalin verfolgte Chruschtschow jedoch eine konsequent pro-arabische Linie, die den Anti-Israelismus in diesem neuen Kontext stärkte.

Die großen Wende der sowjetischen Nahostpolitik fand im September 1955 statt, als Ägypten erstmals Waffenlieferungen mit der Sowjetunion und der Tschechoslowakei vereinbarte. Zwar versuchte anfänglich der Kreml jedweden Zusammenhang zwischen dem Nahost-Konflikt und dem Waffendeal zu dementieren. Mehr noch: Wann immer die sowjetischen Medien über Gamal Abdel Nasser, den damaligen ägyptischen Präsidenten, berichteten, ließen sie dessen anti-israelischen Tiraden – so, als sei ihnen dieses Kapitel peinlich – aus. Die nun beginnende Freundschaft mit Syrien und Ägypten schloss mehr und mehr positive Beziehungen mit Israel aus. Ende 1955 war es schließlich soweit: Jetzt ergriff Moskau gegen Israel auch offen Partei. In einem nächsten Schritt wurde die Geschichte „korrigiert“: Moskaus Parteinahme für Israel im Krieg 1948 wurde aus der historischen Erinnerung gelöscht und mit einer neuen Lesart überschrieben. Von nun an wurde der jüdische Staat für den Ausbruch der Kämpfe von 1948 gegen „die junge arabische Nationalbewegung“ verantwortlich gemacht.

Es war nicht so sehr der Antizionismus, der den Kreml auf die arabische Seite trieb: Forderungen, die auf die Auslöschung Israels zielten, begegnete die Sowjetunion mit Distanz. Im Vordergrund stand jedoch das Kräftemessen mit den USA, der Kalte Krieg. „Als sich Moskau zwischen den arabischen Staaten und Israel entscheiden musste, wählte es die stärkeren Bataillione“, erläutert Walter Laqueur. „Man sollte die antijüdischen Vorurteile der sowjetischen Führung nicht unterschätzen, doch was in letzter Instanz die Annäherung zwischen Moskau und Jerusalem verhinderte, war nicht der Antisemitismus, sondern die simple Tatsache, dass Israel so klein war.”

So ist das Hin und Her der Sowjetunion im Kontext des Sechstagekrieges zu erklären. Während Nasser dazu aufrief, den jüdischen Staat zu zerstören, verfolgte die Sowjetunion ein anderes Ziel. Sie wollte die israelische Führung durch Aufbau einer Droh- und Druckkulisse dazu zwingen, sich auf die, im UN-Teilungsplan von 1947, festgelegten Grenzen zurückzuziehen.

Mit seinen gezielten Falschmeldungen über angeblich israelische Truppenstationierungen an der Syrien-Grenze schuf der Kreml den Vorwand, um durch ägyptische Truppenstationierungen auf dem Sinai die Situation kalkuliert eskalieren zu lassen.

Dann aber scherte Gamal Abdel Nasser aus. Mit der Entfernung der UN-Friedenstruppen und der Sperrung der Meerenge von Tiran geriet das im Kreml ausgetüftelte Szenario aus dem Ruder. Nun drohte eine unkalkulierbare Eskalation. Die Sowjetunion bekam die Quittung für ihr gefährliches Taktieren. 

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