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Streit um „Haus des Schicksals”

Am 9. März 2015 übernahm Ungarn den Vorsitz der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA).

Das Ziel der IHRA ist die Unterstützung, Koordination und Mobilisierung der politischen und sozialen Führungskräfte für die Aufklärung, Erinnerung und Forschung über den Holocaust auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Schwerpunkte sind auch der Massenmord an Roma und Sinti sowie Völkermordprävention und der Kampf gegen Antisemitismus. Ungarn hat sich verpflichtet mit den jüdischen Gemeinden und den lokalen Verwaltungen dafür zu sorgen, schwer vernachlässigte jüdische Friedhöfe zu restaurieren. 

Die Geschichtsdebatte geht in Ungarn auch heuer mit unverminderter Schärfe weiter. Obwohl es in Budapest seit 2004 ein staatlich finanziertes Holocaust Gedenkmuseum (HDKE) gibt, wurde beschlossen ein weiteres Holocaust-Gedenkzentrum auf dem Gelände des ehemaligen Josefstädter Güterbahnhofs in Budapest zu bauen. Von diesem wurden nach dem deutschen Einmarsch Juden aus der Umgebung von Budapest deportiert. In diesem „Haus des Schicksals“ sollte vor allem jüdischer Kinder gedacht werden. Das jüdische Spitzengremium Mazsihisz meinte jedoch, die 7,5 Milliarden Forint (25 Mio. €) wären besser angelegt, wenn man das bereits bestehende HDKE modernisieren würde.

Mit ein Grund für die Ablehnung war die Historikerin Mária Schmidt, die mit der Entwicklung des Projekts betraut wurde. Schon 1999 löste sie einen Sturm der Entrüstung aus, als sie erklärte: „Im Zweiten Weltkrieg ging es nicht um das Judentum, um den Völkermord. So leid es uns auch tut: Der Holocaust, die Ausrottung oder Rettung des Judentums war ein nebensächlicher, sozusagen marginaler Gesichtspunkt, der bei keinem der Gegner das Kriegsziel war.“

Im Oktober 2014 folgerte die Regierung, aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem ominösen „Besatzungsdenkmal“, dass sie ihr Verhalten ändern müsse. So erklärte damals Kabinettminister János Lázár, dass kein neues Museum ohne Zustimmung von Mazsihisz errichtet wird.
Mária Schmidt leugnet die ungarische Mitverantwortung für den ungarischen Holocaust und macht für die Deportation der Juden unter Reichsverweser Horthy allein die deutsche Besatzungsmacht verantwortlich. Diese Ansicht wurde sogar in das Vorwort des ungarischen Grundgesetzes festgeschrieben, wonach Ungarn am 19. März 1944 die Souveränität verloren hatte. Schmidts ursprünglicher Vorschlag sah vor, sich nur auf die Deportation zu konzentrieren und alle Juden diskriminierende Gesetze der Horthyperiode seit 1920 zu ignorieren.

Anfang Februar 2015 sandte sie einen 200 Seiten umfassenden Projektplan, von dem sich nur 30 Seiten mit dem Konzept des zu errichtenden Museums befassten, an János Lázár, der diesen Plan weiterleitete an die jüdischen Gemeinden und an Historiker mit der Bitte, innerhalb eines Monats ihre Meinung dazu kundzutun. Nicht nur die jüdischen Organisationen, sondern auch Historiker, darunter Mitglieder der Akademie der Wissenschaften fanden das Projekt nicht annehmbar.

Jetzt geschah etwas überraschendes, was auf die tiefe Krise des Orbán-Regimes hinweist, es entbrannte eine öffentliche Diskussion zwischen den beiden, Orbán nahe stehenden Personen, ­János Lázár und Mária Schmidt. Sie beschuldigte den Minister, „absichtlich und mutwillig die Regierungsentscheidung zu missachten“. Lázár antwortete bereits am nächsten Tag: „Dieses Museum wird eröffnet mit der Zustimmung der jüdischen Gemeinde oder überhaupt nicht“, damit das Museum eröffnet wird, müssen „die Planer, die Historiker und auch die Regierung die Zustimmung des ungarischen Judentums gewinnen. Wenn diese nicht zustimmen, wird das Haus des Schicksals nicht gebaut werden.“

Anscheinend ist Schmidt dagegen, dass Mazsihisz oder eine andere jüdische Organisation etwas zu sagen haben zum inhaltlichen Konzept eines Holocaustmuseums. Sie beschuldigte Mazsihisz-Funktionäre, diese würden während der letzten 25 Jahre die falsche Beschuldigung des Antisemitismus verbreiten. Sie wären glücklich über die Diskussion über das neue Holocaustmuseum, weil diese den Streit innerhalb der Regierungspartei Fidesz und der Regierung vertiefe. Schmidt unterstellte András Heisler, Vorsitzender der Mazsihisz, sei ein Rassist, der Leute im neuen Museum anstellen möchte, die „von jüdischen Universitäten“ kämen, während die Regierung Leute nicht auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sondern ihrer Fähigkeiten anstelle. Als der Journalist meinte, János Lázárs Entscheidung, man müsse die Zustimmung der jüdischen Gemeinschaft haben, sei von Viktor Orbán genehmigt, protestierte Schmidt lauthals. Nein, Viktor Orbán ist ein tapferer Mann, während Lázár ein Feigling sei, der sein Wort gebrochen und seinen ursprünglichen Plan fallen gelassen habe.

Schmidt spielte auch auf Differenzen unter den Juden Ungarns an, doch dank ihrer aggressiven Haltung sind sich die in dieser Frage einig.

Der an der Szegeder Universität lehrende Historiker László Karsai nannte auf ATV Mária Schmidt eine „Geschichtsfälscherin” und warf ihr vor, den „Holocaust zu relativieren”, auf die Frage, ob er denn keinen Prozess befürchtet, antwortete Karsai, dass er sie schon in der Vergangenheit so qualifizierte, Schmidt jedoch kein Verfahren angestrengt habe. 

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