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Symbiose zwischen Kunst und Wirtschaft

20 Millionen Kugelschreiber werden täglich von BIC produziert, das entspricht 30% aller Kulis weltweit, 40% aller Einweg-Feuerzeuge sind BIC-Erzeugnisse. Die Produkte und Produktionsmaschinen wurden in der Wiener Firma MINITEK unter der Leitung von Friedrich Schächter entwickelt.

Friedrich Schächter wurde vor 92 Jahren geboren. Seine Eltern, Ruben und Bertha, geb. Weingeist, führen ein Lederbekleidungsgeschäft in der Wiener Thaliastraße. Anfang der 1920er Jahre ziehen sie von Währing in die ­Schmalzhofgasse 9/Ecke Hirschengasse in Mariahilf, wo sie bis 1939 wohnen.

Der kleine Fritz spricht, bevor er gehen lernt und beginnt bereits als Zweijähriger Dinge nicht mehr nur spielerisch nachzubauen, sondern eigene Kreationen zu basteln. Sein sehnlichster Wunsch, ein Matador-Metallbaukasten, wird ihm nach dem Aufwachen aus der Narkose von einer Blinddarmoperation erfüllt. Ab seinem fünften Lebensjahr erhält er Klavierunterricht, gleichzeitig beginnt er zu malen: Fritz verdient seinen ersten Schilling für die Anfertigung eines Porträts von seinem Onkel Oskar. Er besucht die Volksschule in der Corneliusgasse und anschließend das Esterhazy-Realgymnasium, wo er nur bis zur fünften Klasse bleiben kann. Von September 1938 bis April 1939 lernt er beim Wiener Graphiker Viktor Theodor Slama.

Seine heute mit 93 Jahren in Syracuse, N.Y., lebende ältere Schwester Edith erinnert sich, dass man vom nahegelegenen sogenannten „Braunen Haus“ in der Hirschengasse immer öfter illegale Nazis singen hörte. Textfragmente wie „…wenn das Judenblut vom Messer spritzt…“ beunruhigen das aufgeweckte Mädchen. Schon 1933 will sie unter anderem deshalb die Eltern zum Auswandern bewegen – die sind aber überzeugte Wiener und schätzen die zunehmenden Übergriffe auf jüdische MitbürgerInnen falsch ein, bis im Oktober 1938 Vater Ruben nach Dachau und von dort weiter ins Vernichtungslager Buchenwald verschleppt wird. Er erhält später ein Visum für Caracas und sollte seine Familie nie mehr sehen. Im März 1939 kann Edith Wien verlassen, im April 1939 entkommt der fünfzehnjährige Fritz mit einem Kindertransport nach Malmö und landet schlussendlich in Göteborg. Mutter Bertha gelingt im September 1939 in letzter Minute die Flucht als Begleiterin eines Kindertransports nach England.

Fritz wird mit Hilfe der Mosaiska Församlingen, der jüdischen Gemeinde in Göteborg, bei einer Familie aufgenommen. Wie andere gerettete Jugendliche auch wird er nie mehr Zeit finden die Matura nachzuholen. Er beginnt zu arbeiten, und zwar in einem Fotogeschäft, später auch als Volontär für Gebrauchsgrafik bei Druckereien und Werbeagenturen in Göteborg und Stockholm. Gleichzeitig gelingt es ihm durch seine Beharrlichkeit zeitweilig Schüler der schwedischen Maler Isaac Grünwald und Ragnar Sandberg zu werden; er malt Porträts und kann davon leben.

1938 wird ein Patent für einen Kugelschreiber, den sogenannten Go-Pen, vom ungarischen Erfinder Ladislaus Biro angemeldet: Fritz erfährt in Göteborg von diesem neuen Schreibgerät, das in Zukunft seinen Lebensweg bestimmen sollte.

Schächter lernt den aus Wien stammenden Unternehmer Eugen Spitzer kennen und wird von ihm ermutigt, einen ähnlichen Stift zu entwickeln. In der Fahrradwerkstatt eines Freundes schafft er die technischen Voraussetzungen für die Erzeugung von Kugelschreiberspitzen; daraus soll später der BALLOGRAF-Kuli werden.

1947, im Alter von 23 Jahren, reicht Schächter in Schweden sein erstes Patent ein. Für einen jungen Mann ohne technische Vorbildung, ohne Studium eine ebenso erstaunliche wie brillante Leistung. In dieser Zeit trifft er auch auf Gerhard Brutzkus (lebt heute in Köln), der einer seiner besten Freunde wird.

Gemeinsam mit Spitzer gründet er 1948 BALLOGRAF-Verken und bleibt als Entwicklungsleiter dem Unternehmen bis 1951 verbunden.

1953 geht Schächter nach Amerika zu PAPER MATE in New York. Er trifft dort unter anderem den Kugelschreiber-Pionier, Unternehmer und philosophierenden Buchautor Paul C. Fisher. Fritz berät Eugen Spitzer bei der chemischen Zusammensetzung einer licht- und dokumentenechten Tinte. Im selben Jahr wird er wieder Entwicklungsleiter bei BALLOGRAF und sieht nach 14 Jahren erstmals seine Schwester Edith, inzwischen verheiratete Schmitz, in New Jersey wieder.

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