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The Missing Image

77 Jahren nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland erinnert die Installation „The Missing Image“ vor der Albertina an die Erniedrigung der Juden, die sie in „Reibpartien“ nach der Machtübernahme der Nazis erfahren haben. Ruth Beckermann gestaltet mit dieser filmischen Installation eine längst fällige Ergänzung des Hrdlicka-Mahnmals. Die Musik komponierte Olga Neuwirth.

 

 

Was sieht man? Was sieht man nicht? Was sieht man heute und warum hat man es gestern noch nicht gesehen? Warum behauptete man 1945, NICHT gesehen zu haben, wobei man 1938 zugeschaut hatte? Obwohl hartnäckig das Gegenteil behauptet wird, wissen wir, dass nicht die Vergangenheit der Gegenwart ihren Willen aufzwingt, sondern gegenwärtige Bedürfnisse bestimmen, was wir erinnern und wie wir es erinnern. Die Vergangenheit hat einen biegsamen Charakter. Und das ist nützlich. Entsprechend den politischen und psychischen Erfordernissen der Gegenwart spielen wir mit den Versatzstücken der Geschichte. Spricht man in Österreich von der „Vergangenheit“, so ist damit zumeist die Nazizeit gemeint. Inzwischen hat die 2. Republik jedoch bereits ihre eigene 70jährige wechselhafte Geschichte mit dieser „Vergangenheit“. Sie reicht vom Mythos der Lagerstraße und den kurzen Jahren der Volksgerichte über die 40 langen Jahre der Lügen von Österreich als erstem Opfer des deutschen Nazismus, über Waldheim und die Folgen bis zu Schwarz-Blau und die Folgen. Die Ursprungsidee zu dieser Installation liegt im Jahr 1988. Als Reaktion auf die ­Waldheim-Affäre – die internationale Ächtung des Bundespräsidenten und damit der Republik – wurde das Jahr 1988 zum sog. Bedenkjahr an den sog. Anschluss im Jahr 1938 ausgerufen. In vielen Veranstaltungen wurde – man kann es sich heute kaum vorstellen – erstmals die Judenverfolgung in Österreich thematisiert. Erstmals saßen österreichische Juden als Juden auf Podien, um über ihr Lebensgefühl in diesem Land zu berichten. Den Höhepunkt des Bedenkjahres bildete die Einweihung des Mahnmals gegen Krieg und Faschismus des Bildhauers Alfred Hrdlicka durch den damaligen Bürgermeister Helmut Zilk. In drei Stationen stellte Alfred Hrdlicka das übliche Narrativ von Österreichs Untergang und Wiederauferstehung ungebrochen dar. Neu war der starke Hinweis auf den hausgemachten Antisemitismus durch die Figur des Juden als Opfer. Dies brachte Verwirrung in die Opferlegende. Wer war nun wessen Opfer?

Rund um das Mahnmal tobte ein heftiger Kampf um die Erinnerung. Da die Kronen-Zeitung dagegen wütete, fühlten sich die Wohlmeinenden und Waldheim-Gegner verpflichtet, dafür zu sein. Wer dagegen war, war sehr allein.

25 Jahre nach Aufstellung des Denkmals, sah ich erstmals die dokumentarischen Aufnahmen von einer sog. Reibpartie bei einer Präsentation im österreichischen Filmmuseum. Fünf Sekunden Filmmaterial, das eine Gruppe von Gaffern und Grinsern zeigt, die sich an den knienden Juden erfreuen. Plötzlich wurden die Umstehenden von damals wieder lebendig! Hier war es: The Missing Image. Das Bild, das bisher keiner sehen wollte. Der fehlende Gegenschuss. Die Menschen, denen keiner wirklich ins Gesicht sah. Photos von den sog. Reibpartien sind seit langem bekannt. Es gab jedoch kein Interesse daran, die Lacher und Gaffer, die natürlich in allen Parteien zu Hause waren, zu identifizieren. Auf dem Filmstreifen sieht man eine sog. Reibpartie, eingesetzt um die pro-österreichischen Parolen für die geplante und abgesagte Volksabstimmung wegzuwaschen. Am Nachmittag des 12. März tauchten die bisher verborgenen Hakenkreuze überall auf. Die Polizei war innerhalb von Stunden auf Linie. Die Nazis in der Bevölkerung nahmen dies als Startschuss für ihre lange zurückgehaltene Pogrom-Lust.                       

        Aus der Rede von Ruth Beckermann

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