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Unermüdlicher Kämpfer

Leo Luster

Die Österreicher verschleppen alles“. So begrüßt uns Leo Luster als wir ihn in den Kellerräumlichkeiten des Zentralkomitees der österreichischen Juden im Zentrum von Tel Aviv besuchen. Der Vorsitzende des Komitees, der neunzigjährige Gideon Eckhaus, der 1938 von Wien nach Palästina flüchten konnte und der noch nicht ganz neunzigjährige Leo Luster arbeiten jeden Tag im Büro, außer an den Feiertagen. Ehrenamtlich, versteht sich. Zwei Sekretärinnen arbeiten angestellt.

Das Kellerbüro wurde vor ein paar Jahrzehnten von der Österreichischen Regierung bezahlt. Ein kleiner, verspäteter Beitrag zur „Wiedergutmachung“,  eine „finanzielle Entschädigung“ für die Ermordungen, Vertreibungen und Enteignungen, die den österreichischen Juden von den Nazis zugefügt wurden. 

Leo Luster wurde 1927 in Wien geboren. Er lebte, bevor er mit seinen Eltern zuerst nach Theresienstadt und 1940 nach Ausschwitz deportiert wurde, in der Flossgasse, in der Leopoldstadt. Sein Vater Moses wurde in Ausschwitz  umgebracht. Leo Luster hat nach dem Krieg seine Mutter wieder gefunden und emigrierte mit ihr nach Israel, wo er am Aufbau des Landes mitarbeitete. Später war er viele Jahre der Chauffeur des österreichischen Botschafters in Israel. Inzwischen ist er sehr krank, aber das kann ihn nicht davon abhalten, jeden Tag ins Büro zu gehen. 

Er kümmert sich um die Mitglieder des Komitees. Er hat über die Jahre zahlreichen aus Österreich geflüchteten Juden geholfen, um zu ihren Pensionsansprüchen zu kommen. Da Leo Luster nicht mehr selbst Auto fahren kann, fährt ihn sein Sohn Moshe. Vielen Antragstellern hat Leo Luster durch die schwierige, österreichische Bürokratie geholfen, um ihr Anrecht auf eine österreichische Pension geltend zu machen. Die Betroffenen müssen sich für diese Pension beim österreichischen Pensions- und Sozialversicherungssystem mit ein paar tausend Euro einkaufen, dann beträgt diese Pension etwa 300 Euro monatlich, ein äußerst geringer Betrag. Doch „wichtiger als die eigentliche Pension, ist das Pflegegeld, das die ehemaligen österreichischen Juden von Österreich bekommen“ sagt Leo Luster. „Die Menschen, um die es geht, sind inzwischen alt und gebrechlich und manche sind auch sehr arm. Besonders das österreichische Pflegegeld hilft diesen Menschen. Man soll dem österreichischen Staat nichts schenken, schließlich wurden diese Menschen von österreichischen Nazis seinerzeit beraubt und vertrieben. Einige von Ihnen haben sogar den Holocaust überlebt“. 

Leo Luster zeigt uns die Schränke, die an den Wänden stehen und voll mit Aktenordnern sind. „Hier sind die Lebensgeschichten, die Verfolgung und Ermordung, das durch die Nazis zugefügte Leid an den österreichischen Juden dokumentiert.“

Leo Luster ist ein Kämpfer, der unermüdlich und zäh für seine Ziele eintritt, und dabei nicht aufgibt. Seit mehreren Jahrzehnten kämpft er dafür, dass jüdische Menschen, die zwischen 1938 und 1945 von österreichischen Eltern in Palästina geboren wurden, dasselbe Anrecht auf die österreichischen Pensionsvergünstigungen haben, wie ihre auf der Flucht, oder noch in Wien geborenen Geschwister. Bisher ohne Erfolg. Da Palästina nach den österreichischen Gesetzen von 1938 bis 1945 als „sicheres Land“ gilt, würde es einer Gesetzesänderung bedürfen, um diesen Menschen zu einer Pension zu verhelfen. Nur noch etwa 300 dieser Kinder, die es betrifft, sind noch am Leben und es werden weniger. 

Es wäre eine schöne Geste des österreichischen Staates, diesen Menschen eine Pension (in die sie sich einkaufen müssten) und Pflegegeld zu gewähren. Und dies relativ rasch, ohne die Geschichte zu verschleppen, weil diese Menschen schon sehr alt sind.

Eine der peinlicheren Verschleppungen in Sachen Verwaltungsbürokratie der Zweiten Republik Österreich ist das Mahnmal Aspangbahnhof, das nicht und nicht errichtet wird. Jetzt soll es endlich 2017 aufgestellt werden.

Leo Luster, Gideon Eckhaus, das Zentralkomitee in Tel Aviv und Überlebende kämpfen seit Jahrzehnten für das Mahnmal. Vom Aspangbahnhof gingen die Transporte in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten ab. Die meisten dieser Menschen überlebten nicht. Leo Luster selbst wurde vom Aspangbahnhof in einem Viehwaggon nach Theresienstadt transportiert und verschleppt.

Vor zehn Jahren bereits fand eine Ausschreibung für die künstlerische Gestaltung des Mahnmals statt. Das Konzept, das den ersten Preis gewann, wurde im Nachhinein als zu gefährlich für spielende Kinder eingestuft. 

Daraufhin wurde die Aufstellung eines Mahnmal für die Ermordeten zehn Jahre ad acta gelegt. Nachdem das Konzept des ersten Preises nicht umgesetzt werden konnte, hat man sich damals nicht überlegt, den Entwurf, der den zweiten Preis erhielt, zu nehmen.

Es geschah also über zehn Jahre gar nichts, obwohl wiederholt Briefe von Überlebenden an die zuständigen Politiker gerichtet worden waren. 

Inzwischen hat eine neue Ausschreibung stattgefunden. Andere Künstler haben ihre Projekte eingereicht. 2017 soll es dann so weit sein. Ein Mahnmal am ehemaligen Aspangbahnhof soll endlich errichtet werden. 

Leo Luster ist bis dahin wahrscheinlich zu krank, um noch einmal selbst nach Wien fahren zu können, um die Genugtuung zu erleben, beim Festakt der Eröffnung dabei zu sein. Er ist einer der letzten noch lebenden Menschen, die so einen Transport in einem Viehwaggon vom Aspangbahnhof nach Theresienstadt überlebt haben. 

Doch Leo Luster generalisiert nicht, trotz des Schrecklichen, das ihm angetan wurde. Er diskutiert mit österreichischen Politikern und er erzählt seine Geschichte in Schulen in Österreich. 

Seit ihn der Jewish Welcome Service das erste Mal nach Wien eingeladen hat, ist Leo Luster auch immer gerne nach Wien gekommen. Inzwischen ist er aber auch des Kämpfens müde geworden. Die Enttäuschung ist ihm anzusehen. „Die Österreicher verschleppen alles...“.     

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