Inhalt

Wer an Israels Existenzrecht glaubt, ist Zionist

Wir bringen Auszüge aus den interessanten, mutigen und sehr persönliche gehaltenen Beobachtungen und Analysen der 1983 geborenen Islamwissenschaftlerin Carmen Matussek – ein Werk, das für alle, die sich mit dem Thema Naher Osten auseinandersetzen, zur Pflichtlektüre werden sollte.

Qanta Ahmed ist eine gläubige, praktizierende Muslima pakistanischer Abstammung. Zeitweise hat sie auch in Saudi-Arabien gelebt. Sie kämpft gegen die Übernahme ihrer Religion durch Extremisten und setzt sich für Israel ein. Ich habe sie 2015 auf der Konferenz in Jerusalem kennengelernt. Ich konnte mir ihr Einverständnis holen, in meinem Buch über sie zu schreiben. Für weitere Informationen verwies sie mich an das Internet, wo sie mutig ihre Meinung publik macht. 

Hauptberuflich ist Qanta Ärztin. Sie hat sich auf Schlafstörungen spezialisiert und ein Jahr lang in Saudi-Arabien gelehrt. Über die Erfahrungen, die sie dort als Frau und westlich geprägte Akademikerin gemacht hatte, schrieb sie ein Buch: In the Land of Invisible Women – Im Land der unsichtbaren Frauen. 

Sie ist eine selbstbewusste Frau mit entschlossenem Auftreten, groß, schlank, adrett. Was und wie sie über Israel schreibt, offenbart neben einer scharfen Analytik auch ein feinfühliges Herz. Ich zitiere Qanta Ahmed aus einem Interview, das sie dem israelischen Fernsehen 2013 gegeben hat, als sie zum ersten Mal in Israel war, und aus einem Artikel, den sie bereits drei Jahre zuvor geschrieben hatte.

Dieser Artikel ist ein Beispiel dafür, dass man Israel nicht unbedingt besucht haben muss, um es zu verstehen. Bereits in der Überschrift des Artikels bezeichnet sich Qanta als ,Accidental ­Zionist’. Wie soll man das übersetzen? Ungeplante ­Zionistin? Zionistin wider Willen? Nein – dafür trägt sie den Titel mit zu viel Stolz. Was sie meint, ist, dass sie sich ihre Rolle als muslimische ­Zionistin nicht ausgesucht hat, aber auch nicht darum herumkommt. Eine Zionistin zu sein, ist für sie beides: eine Fremdzuweisung und eine persönliche Entscheidung. 

Einerseits wurde sie von anderen so bezeichnet beziehungsweise beschimpft, bevor sie überhaupt auf die Idee gekommen wäre, sich als ­Zionistin zu sehen. Zum anderen sieht sie den Begriff schon lange nicht mehr als Beleidigung. „Ich würde sagen, dass jeder, der an Israels Existenzrecht glaubt, ein Zionist ist”, verkündet sie. „Ich bin eine Muslima, und zwar eine, die das Produkt zweier demokratischer Gesellschaften ist. Ich wurde in London geboren und lebe jetzt in New York. Von Geburt an bin ich Muslima und ich wurde von Muslimen erzogen. Ich halte es für falsch, wenn die Leute sagen, dass ich keine richtige Muslima sei, wenn ich Israel anerkenne.”

Fälschlicherweise halten viele das Wort ­Zionist für ein Schimpfwort, weil der ­Zionismus so oft als etwas Negatives, Unrechtmäßiges, Brutales dargestellt wurde. Dabei handelt es sich schlicht und ergreifend um den Wunsch der ­Juden nach einem unabhängigen Nationalstaat und die entsprechende politische Bewegung. Der Staat Israel ist weder blutiger noch unrechtmäßiger entstanden als irgendein anderer moderner Nationalstaat. Im Gegenteil. 

Israel erlangte seine Unabhängigkeit 1948 nach einem Beschluss der UNO-Vollversammlung, Syrien erlangte seine Unabhängigkeit von Frankreich 1946, der Libanon 1943. Ägypten wurde vom Vereinigten Königreich im Jahr 1922 unabhängig, Jordanien 1946. Die Unterschiede wären gar nicht so groß, wenn Israel nicht als einziger Staat am Tag seiner Unabhängigkeitserklärung von fünf arabischen Armeen angegriffen worden wäre, die keinen jüdischen Staat in ihrer Mitte akzeptieren wollten. 

„Wenn ich der israelischen Regierung einen Rat erteilen dürfte“, sagt Qanta, „sollten sie die Deutungshoheit über ihre Geschichtsschreibung zurückerlangen. Niemand anders sollte festlegen dürfen, was die Geschichte Israels ist. Sie selbst müssen hingehen und sie schreiben und veröffentlichen und verbreiten. Das tut man, indem man auf alle erdenkliche Weise so viele Leute wie möglich damit erreicht. Sie sollten damit bei ihrem eigenen Volk beginnen.”

Damit spielt Qanta auf den Umstand an, dass ein beachtlicher Teil der Falschdarstellung aus Israel selbst kommt. Israelische Wissenschaftler und Friedensinitiativen beteiligen sich bereitwillig an der akribischen Fehlersuche in der zionistischen Bewegung und der israelischen Politik. Das Recht dazu gehört zum Grundarsenal demokratischer Freiheiten, und es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn es nicht so oft auf die Delegitimierung des ganzen Staates hinauslaufen würde. 

Qanta Ahmed schwärmt für die israelische Demokratie und bezeichnet sie als eine stabilisierende Hoffnung für die Region. „Die Demokratie, die ich hier in Israel gesehen habe, ist eine, die jede Minderheit repräsentiert, jede Religion und jede Hautfarbe. Und auch die Leute, die nicht arbeitsfähig sind, sind in diese Demokratie integriert. Israel gesteht Leuten das Recht zu, Moscheen zu bauen und religiöse Schulen zu besuchen und ihren Rechtsstreit vor muslimischen Gerichten auszutragen. Etwas Vergleichbares habe ich in der muslimischen Welt nirgends gesehen. Das beste Beispiel, auf das ich in Israel gestoßen bin, war in Haifa, wo ich die muslimischen Leiter der Ahmadiyya-Gemeinschaft getroffen habe. Das ist eine sehr gut etablierte muslimische Gemeinschaft hier in Israel, und es gibt sie schon seit den 1920er Jahren. In Pakistan, der ersten muslimischen Demokratie der Welt, dürfen die Anhänger der ­Ahmadiyya ihre Gebetsräume nicht Moscheen nennen, sie dürfen nicht zum Gebet rufen und sie dürfen andere Muslime nicht mit Salam grüßen. In Israel können die Ahmadiyya-Muslime alle diese Dinge tun und sogar ihre Literatur verbreiten.“

Die Ahmadiyya-Bewegung entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Indien. Ihre Anhänger verstehen sich als Muslime, werden aber in der Regel nicht als solche anerkannt, weil ihnen ­Mohammed nicht als der letzte Prophet gilt. Deswegen werden sie in vielen islamischen Ländern, darunter auch Pakistan, diskriminiert und verfolgt. Im gesamten Nahen und Mittleren Osten ist Israel das einzige Land, in dem die Anhänger der Ahmadiyya ihren Glauben wirklich frei praktizieren können. Die israelfreundliche Islaminterpretation, der Qanta, Raheel und andere folgen, ist unter den Ahmadiyyas weit verbreitet. 

Auch für andere verfolgte Minderheiten der islamischen Welt gilt, dass sie in Israel einen sicheren Hafen haben, „einen isolierten Ort in einem Inferno von Flammen“, wie Qanta sagt. Dazu gehören auch Homosexuelle und Bahai, die anderswo um ihre Freiheit oder sogar ihr Leben fürchten müssen. So kommt es, dass Abspaltungen vom orthodoxen Islam wie die Ahmadiyya und die Bahai (beide haben Ursprünge im schiitischen Islam) ihre religiösen Zentren in Israel (Haifa) haben. 

Palästinenser in der islamischen Welt 

Was den Nahostkonflikt betrifft, befürwortet Qanta eine Zweistaatenlösung und ein Ende der Besatzung. Sie ist aber realistisch genug, um zu sehen, dass Israel sich momentan nicht aus den palästinensischen Gebieten zurückziehen kann, ohne damit seine Existenz zu gefährden. 

Des Weiteren stellt sie fest: „Die Feindschaft gegenüber dem Staat Israel würde mit der Zweistaatenlösung nicht aufhören. Diese Feindschaft beobachte ich auch und besonders unter Akademikern oder in den britischen oder europäischen Medien. Dort nennt man sie Antizionismus und nicht Antisemitismus, weil Antisemitismus nicht mehr salonfähig ist, während Antizionismus als eine akzeptable politische Einstellung gilt.“ ...

Ich nehme Raheel und Qanta in ihrer Liebe zum Islam sehr ernst. Sie haben Wege gefunden, einem Islam zu folgen, der mit sämtlichen Grund-, Menschen-, Frauen- und Freiheitsrechten in Einklang steht. 

Aber was Qanta hier über die Willkommenskultur der islamischen Welt gegenüber den Palästinensern schreibt, ist leider Wunschdenken und fernab der Realität. Obwohl sich die ganze Welt, besonders die islamische und arabische, um das Wohl der Palästinenser zu sorgen scheint, sind sie als Flüchtlinge dort nie willkommen gewesen. Die eigentliche Aufmerksamkeit der islamischen Welt richtet sich nicht auf einen palästinensischen Staat, sondern lediglich gegen den jüdischen Staat. 

Von 1949 bis 1967, also fast zwei Jahrzehnte lang, als Gaza von Ägypten und die Westbank von Jordanien besetzt waren, sprach niemand davon, einen palästinensischen Staat zu gründen, obwohl es reichlich Zeit dafür gegeben hätte. Stattdessen warteten die arabischen Staaten auf die nächste Gelegenheit, das ganze Israel zu erobern – ein Versuch, der 1967 kläglich scheiterte. Erst danach, unter israelischer Militärverwaltung, gewann die Vorstellung, dass die Palästinenser ein Recht auf ihren eigenen Staat hätten, an Popularität. ...

Die Erfahrungen aus Geschichte und Gegenwart zeichnen ein ganz anderes Bild: dass nämlich der Hass auf Israel leider viel größer ist als die Liebe zu den Palästinensern. Auch Qanta sieht Neid als Quelle für all den Hass. „Wir sollten nicht die Macht des Neides unterschätzen“, sagt sie. „Ich halte das für einen grundlegenden Gedanken.

Viel von dem Elend in der muslimischen Welt liegt an muslimischen Ländern, Einzelpersonen und Leitern, die nicht dieselben Möglichkeiten bieten können wie säkulare Demokratien. Und sie sehen keinen Ausweg. Wenn man nicht erreichen kann, was der Rivale oder Konkurrent oder Nachbar schafft, dann bleibt einem nur der Neid. Und der Neid schadet sowohl dem Neider als auch dem Beneideten. 

Über zwanzig arabische Länder boykottieren Israel und wollen mit dem Land nichts zu tun haben. Ich denke, dass das vor allem den Arabern selbst schadet. Wenn man mit einer anderen Gruppe nichts zu tun haben will, kann man auch nicht von ihr lernen und sie schon gar nicht beeinflussen.“

Angesichts von Taliban, al-Qaida und der iranischen Israelpolitik sei die Angst der Juden vor Vernichtung sehr real und erfordere „diplomatische, politische und militärische Beachtung. Muslime sollten sich bewusst sein, dass sie ihren eigenen Ursprung verleugnen, wenn sie die Herkunft, Geschichte und das Leiden der Juden im Holocaust nicht anerkennen“, meint Qanta... 

Lesen Sie mehr in der Printausgabe

 

Kontextspalte