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Wer ein Leben rettet – rettet die ganze Welt

Dunkelstein im Hamakom. Szenische Aufarbeitung von Robert Schindels Roman

Dieser oft zitierte Talmudspruch wird an der Person Saul Dunkelstein erörtert. Inspiriert zu diesem Thema wurde Robert Schindel von Doron ­Rabinovicis historischer Studie über die Rolle der Judenräte in Ohnmacht der Instanzen sowie vom Claude Lanzmann Interview mit Murmelstein Der Letzte der Ungerechten. 

Dunkelstein steht für Benjamin ­Murmelstein, (1905 -1989) einen umstrittenen und zu seiner Zeit gefürchteten und verachteten hochrangigen Funktionär der IKG. ­Schindel zeichnet hingegen eine weitsichtige und schlaue Persönlichkeit, die schon bald nach dem Anschluss erkennt, dass die Auswanderung der einzige Weg ist Jüdinnen und Juden aus Wien zu retten. Aus diesem Grund ist Dunkelstein auch bereit mit den Nazibehörden zu kooperieren. Er verhandelt mit Linde – alias Adolf Eichmann - über die Auswanderung und später über die Deportationen. Schindel unterscheidet sehr wohl zwischen Kooperation und Kollaboration und beweist in der Figur Dunkelstein die unermüdlichen Anstrengungen, das Beste aus dieser ausweglosen Situation herauszuholen, wobei seine Aktivitäten von den Wiener Juden nicht geschätzt wurden, da viele zu dieser Zeit noch gar nicht auswandern wollten. Unter seiner Leitung werden die bürokratischen Hürden für die Auswanderung mittels der Gründung einer Zentralstelle herabgesetzt und 40.000 Juden erhalten die Chance, in einem anderen Land neu zu beginnen, wobei sie den Verlust ihrer materiellen Güter für den Erhalt eines Visums in Kauf nehmen müssen. 

Es stellt auch eine Rehabilitierung ­Murmelsteins sowie der Judenräte dar, die nachdem Krieg der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt wurden und man erst später ihre teils vergeblichen Bemühungen in einem anderem Licht sah. Die sehr gelungene Inszenierung von Frederic Lion, in der Bearbeitung von Karl Baratta und Frederic Lion, vermittelt das facettenreiche Bild dieser Zeit, die wenn auch nicht von allen gleich erkannt, in der Katastrophe mündet. Zu Beginn sehen wir noch die Welt der Tante Jolesch, das Wiener Judentum mit seinem Humor und seiner Lebensfreude, eine Welt, die durch die Naziherrschaft endgültig untergegangen ist. In skizzenhaften Szenen werden die diversen Familiensituationen dargestellt. Beeindruckend das Ensemble, das aus acht Schauspielern besteht, die jeweils verschiedene Rollen verkörpern. Allen voran Michael Gruner als Dunkelstein, ein kluger mitunter herrischer Mann, der bei all den Erniedrigungen seine Würde in den Diskussionen mit Linde ebenfalls hervorragend dargestellt von Alexander Julian Meile nicht verliert. Florentin Groll brilliert als Neugröschl und auch noch in anderen Rollen, wobei sein Jiddisch auffallend echt wirkt – was eher selten vorkommt. 

Ebenfalls an die Realität angelehnt ist die Liebesgeschichte zwischen einem SS Offizier und einer Kommunistin, Heinz Weixelbaum und Dolores Winkler verkörpern diese ungewöhnliche Beziehung mit großer Sensibilität. Rouven Stöhr überzeugt als Behinderter, der noch schutzloser als alle anderen der Brutalität dieser Zeit ausgesetzt ist. Esther Rebenwurzel, engste Mitarbeiterin von Dunkelstein ist an Franziska Danneberg-Löw angelehnt und wird von Lilly Prohaska mit viel Empathie gespielt. Ihr ist auch der Roman von Robert Schindel gewidmet, da es ihr gelungen ist den Säugling sicher unterzubringen – dieses Kind war der Autor. Sein Vater wurde in Dachau ermordet, seine Mutter überlebte Auschwitz und Ravensbrück und kehrte nach Wien zurück, wo sie ihren Sohn wiederfand.

Ein ergreifendes und sehenswertes Stück Zeitgeschichte, das wegen des großen Publikumsandrang vom 8.-11. Juni wiederholt wird (Theater Nestroyhof – Hamakom, 1020 Wien, Nestroyplatz 1). Sollte man nicht versäumen.

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