Es war vermutlich ein nebeliger Morgen gewesen, denn der israelische und österreichische Rechtsanwalt aus Lausanne in der Schweiz, musste einen Umweg nehmen, weil der Flugbetrieb eingestellt worden war. Gegen 15:40 war er dann endlich im Foyer des deutschen Finanzministeriums eingetroffen. Mit größtem Erstaunen entgegnete er die Frage des Pförtners, der ihn seit Jahren kannte, nach seinem Namen. „Deutsch, sie kennen mich doch? Was ist denn heute los?“ Dieses Verhalten war offenbar nicht zufällig gewählt, sondern das Signal für einen weiteren Herrn der im schummrigen Hintergrund wartete, denn im nächsten Augenblick stand der Mann im braunen Ledermantel neben dem Anwalt und sagte: „Herr Deutsch sie sind verhaftet!“
Dieses spektakuläre Ereignis fand am 3. November 1964 in Bonn, der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland statt. Vor fünfzig Jahren wurde der Wiedergutmachungsanwalt Hans Deutsch dort verhaftet und für 18 Monate in Untersuchungshaft gesperrt. Die Verhaftung des Wiedergutmachungsanwaltes löste nicht nur in der jüdischen Welt eine Protestwelle aus. Viele Kunstschaffende, prominente Philosophen, Journalisten und Politiker verstanden diese Verhaftung als Angriff auf die Wiedergutmachung, was sich als klug vorausblickend erweisen sollte, und protestierten lautstark gegen das deutsche Vorgehen. Die Vermutung, dass es die alten Nazi-Seilschaften waren, die solches inszenieren konnten, gab es damals schon. Allein, es fehlten die Beweise!
Gerhard Mauz war im SPIEGEL überzeugt, dass Hans Deutsch „der engagierteste und erfolgreichste Vorkämpfer von Hoffnung, Anspruch und Forderung an der Front der Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung“ war. Genau das war der eigentliche Grund für die Attacke gegen den Anwalt, wie man heute beweisen kann. Man wollte den individuellen Schadenersatz stoppen. Und es handelte sich um eine Verschwörung von ehemaligen SA- und SS-Mitgliedern in Deutschland und Österreich, um ehemalige Spione des SD (Geheimdienst der SS), die wieder aktiviert wurden, und frühere Opfer des NS-Regimes, die sich für Geld gegen Deutsch einspannen ließen. Der Fall Deutsch offenbart einen erbärmlichen und ungeheuer verkommenen Zustand der Nachkriegsgesellschaft.
Der Drahtzieher dieser Verschwörung saß im deutschen Finanzministerium und hieß Ernst Féaux de la Croix. In NS-Zeiten war er SA-Mitglied, Beamter im Justizministerium und Mitverfasser einer Denkschrift die zu einer der Grundlagen für die Verfolgung aus rassistischen Gründen wurde. Nach der Kapitulation stieg er zum Leiter der Wiedergutmachung im Finanzministerium auf. Im Jahr 1962 verlieh ihm die Republik Österreich das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Jahrzehnte später wurde einem der emsigsten Mitverschwörer von Féaux, nämlich SS-Obersturmbannführer Wilhelm Höttl, ehemals Geheimdienstchef auf dem Balkan, inklusive Ungarns, auch ein Ehrenzeichen verliehen: das Goldene Verdienstkreuz des Landes Steiermark. Die Alpenrepublik ist also außerordentlich spendabel mit Orden für Menschen mit Nazi-Biographien, wie es scheint.
Was wurde nun Hans Deutsch vorgeworfen? Wiedergutmachungsbetrug! Er hatte für die berühmteste Privatsammlung französischer Impressionisten Schadenersatz erstritten. Dem Zuckerbaron Ferenc Hatvany war die Collection im Jahr 1944 von der SS in Budapest geraubt worden. Nachdem die erste Tranche der Entschädigung bezahlt worden war, hatte man in einer verarmten Wiener Grafenrunde von Widersprüchen gehört. Die „Noblesse oblige“ sah sich der Intrige verpflichtet und verhalf um viel Geld dem deutschen Finanzministerium zu einem abenteuerlichen Konstrukt. Demnach sollten die Russen und nicht die SS die wertvolle Sammlung geraubt haben. Hans Deutsch hätte also den deutschen Staat betrogen. Féaux de la Croix schaltete die Kameraden des Bundeskriminalamtes ein. SS-Hauptsturmführer Paul Dickopf, der Mann für heikle Operationen, war damals auf dem Sprung ins Präsidentenamt des BKA. Sein Untergebener, Josef Ochs, SS-Sturmführer, war der unmittelbar ausführende Beamte. Das lässt sich alles in den Akten nachlesen. Dem effizientesten Schadenersatzstreiter in Europa, wurde daraufhin eine Falle gestellt die die Ehemaligen am 3. November vor 50 Jahren zuschnappen ließen. Für einen Mann sollte sich das besonders lohnen: Dickopf wurde drei Monate später zum Präsidenten des BKA ernannt.
Die deutschen Behörden hatten in der Folge allerdings ein Problem: wie ließ sich der Wiedergutmachungsbetrug nachweisen? Die Hauptbelastungszeugin, Magda Bethlen, eine notorische Lügnerin, verstarb noch vor dem Beginn des Strafprozesses gegen Hans Deutsch. Auch waren ihre Behauptungen von Deutsch längst widerlegt worden. In diesem kritischen Moment wurde das „österreichische Team“, wie sie sich nannten, besonders aktiv. Es bestand im Kern aus SS-Obersturmbannführer Höttl, dem Rechtsanwalt und SS-Hauptsturmführer Erich Führer und Istvan von Szöts, den beide SS-Leute besonders gut aus Ungarn kannten.
Sie beschafften in der Folge sogenannte Beweise, dass die SS niemals diesen Raubzug unternommen habe, sondern die Russen. Es wurden Dokumente gefälscht, andere überhaupt neu produziert und Zeugen der Verteidigung von Höttl (W. Höttl befehligte selbst den letzten Transport von Hatvany-Bildern aus Budapest) und Führer erpresst, bedroht und genötigt bis sie ihrer materiellen Existenz beraubt aufgaben. Darauf verstanden sie sich bestens. Auch Féaux trieb einen der wichtigsten Zeugen und Sachverständigen fast zum Wahnsinn. Darüber existieren genügend Beweismittel.
Das „österreichische Team“ kassierte vom deutschen Staat für seine Dienste wieder einmal üppige Honorare. Erich Führer, der Vertrauensanwalt der jüdischen Wiener Mitbürger, der sich seinerzeit angeboten hatte den Verfolgten zu helfen, erhielt hohe Kommissionsgelder aus dem Vermögen der Ausgeraubten. Er wickelte u.a. die Sammlung Bloch-Bauer ab, wobei er später des Diebstahls überführt wurde. Damals kassierte er für den staatlichen Raub viel Geld. Die Rückerstattung der Klimtgemälde an die Erben war vor einigen Jahren ein heißes Thema. Führer besuchte Bloch-Bauer sogar in der Schweiz, um mit dem Versprechen, das Lieblingsbild – die „Goldene Adele“ – für ihn zu retten, das letzte Geld auf den Bankkonten des verzweifelten Mannes zu plündern.
Mit solchen Individuen hatte es Deutsch zu tun. Ohne zu wissen, dass Dr. Führer auch bei der Beraubung der Wiener Rothschilds seine Finger im Spiel hatte und ohne zu ahnen, welch hinterhältige Operation von diesem Mann ausging, war er gezwungen mit dem „Herrn Kollegen“ zu reden, weil dieser die notorische Lügnerin Bethlen vertrat.
Am Ende gelang die atemberaubende SS-Verschwörung jedoch nur zum Teil. Hans Deutsch musste freigesprochen werden. Aber sein Schadenersatz wurde mit juristischen Tricks und dem braunen Netzwerk im Bundesgerichtshof ausgehebelt. Alle Richter, bis auf einen, waren NSDAP-Mitglieder, einer sogar an einem Sondergerichtshof tätig.