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Will mich jeden Tag freuen

Interview mit Hilde Zadek

INW: Liebe Frau Kammersängerin, vielen Dank, dass Sie mir Ihre wertvolle Zeit schenken und mir ein Interview geben. Wie geht es Ihnen?

Hilde Zadek: Für 97 geht es mir ausgezeichnet. Ich werde hier herrlich versorgt, fühle mich, sehr wohl in meinen eigenen Wänden und freue mich eigentlich hier des Lebens jeden Tag. Ich weiß, ich habe nicht mehr so viel, aber die Zeit, die ich habe, will ich in Freude verbringen und nicht in Angst, nicht in Sorge und nicht in Panik. Ich will mich einfach jeden Tag freuen.

INW: Sie leben in Wien, ich darf Sie in Ihrer Wohnung besuchen. Wien ist eine langjährige Haltestelle in Ihrem Leben, eine Stadt voller musikalischer Erinnerungen und sicherlich auch Erinnerungen an außergewöhnliche Menschen und einzigartige Ereignisse…

HZ: Einzigartige Erlebnisse habe ich eigentlich jeden Tag. Wien ist schon eine einzigartige Stadt und in meinem Leben ist sie eigentlich die wichtigste Haltestelle, weil ich seit fast 70 Jahren hier lebe. Ich liebe Wien, liebe meine Wohnung und bin glücklich, in Wien zu sein. Ich bin inzwischen Österreicherin geworden, das ist meine dritte Staatsbürgerschaft, und genieße es hier zu sein, weil es eine gemütliche Stadt ist. Das kann man von Paris und London nicht sagen. Ich sage immer: Wien ist die größte Kleinstadt. Wien strahlt diese wunderschöne Gemütlichkeit aus, obwohl der Wiener selber vielleicht gar nicht so gemütlich ist, aber die Atmosphäre ist hier ganz anders. Man wird hier von der Atmosphäre in Wien getragen.

INW: Haben Sie einen Lieblingsort in Wien?

HZ: Das ist meine Wohnung. Wenn Sie mich fragen, was das Zweitliebste in Wien, dann ist es die Staatsoper. Und das Drittliebste ist vielleicht dass man, wie ich vorhin schon sagte, so gemütlich zusammen sein kann wie zum Beispiel der Heurigen. Ich habe diese Atmosphäre beim Heurigen sehr gerne, obwohl ich nicht so oft hingehe, aber wenn ich hingehe, dann genieße ich es immer sehr.

INW: Bei Bertholt Brecht heißt es „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen…. Er kommt auch nicht auf so eine einfach Weise zustande…“ Sie wurden in Bromberg geboren, mussten mit Ihrer Familie nach Stettin fliehen, sind als junge Frau alleine nach Palästina emigriert und haben dort Ihre erste Ausbildung als Säuglingsschwester bekommen. Sie haben weiter in Zürich ein Stipendium bekommen und Gesang studiert…

HZ: Ich habe schon in Israel begonnen, Gesang zu studieren. Ich habe gleichzeitig Schuhe verkauft und Gesang studiert und war eine ausgebildete Säuglingsschwester. Das passt alles zusammen, aber in meinem Leben passt eigentlich nichts zusammen. Und trotzdem führe ich ein sehr positives Leben. Ich habe immer ein positives Leben geführt, aber ich bin kein Beispiel für irgendjemanden.

INW: Was bedeutet für Sie Heimat? 

HZ: Das ist die schwierigste Frage, die Sie mir stellen könnten. Heimat, das ist so ein Ausdruck. Meistens ist Heimat da, wo man geboren ist. Das ist es schon mal nicht. Dann ist Heimat, wo man aufgewachsen ist. Das ist bei mir auch nicht so. Heimat ist wo man sich verheiratet hat und Kinder gekriegt hat. Beides habe ich nicht getan. Und Wien, wo ich jetzt seit 60 Jahren lebe ist meine Lebensumgebung und ich liebe es sehr, aber ich würde nie behaupten, dass es meine Heimat ist. Heimat ist etwas, was man nicht erwerben kann. Ich habe sie eigentlich nie gehabt. Nie.

INW: Sie haben viele Jahre in Palästina verlebt. Die Zeit in der Hachschara war für Sie als Frau nicht so leicht. Was hat sie getröstet? Was hat Ihnen Kraft gegeben?

HZ: Das zu beantworten ist mir sehr schwer. Hinter mir als Schubkarren war Hitler. Er kommt mich holen. Es war Hitler, der den Juden das Leben sehr schwer gemacht hat. Ich habe Säuglingsschwester gelernt in Berlin und bin knapp 17-jährig alleine nach Palästina gegangen, weil ich wusste, dass ich in Palästina sofort einen Job bekommen werde, weil ausgebildete Säuglingsschwestern dort sehr gefragt waren. Und das war auch so: Ich kam an und schon nach der ersten Woche bekam ich das Angebot, die Stelle der Stationsschwester anzutreten. Ich war 20, bitte! Stationsschwester! Weil die alte Stationsschwester in Pension ging. Und da habe ich einige Jahre, ich weiß es jetzt gar nicht wie lange, gearbeitet bis meine Eltern kamen, die auch emigrieren mussten. Meine zweite Schwester war auch schon in Palästina. Sie war im Kibbuz, sie ist mit der Jugendalijah nach Palästina gekommen. Die kleine Schwester war noch bei den Eltern und sie kamen dann im Januar 1939 in Palästina an. Nun entstand das große Problem, 5 Personen zu ernähren.

INW: Gibt es besondere Gegenstände, die Sie in die Hachschara dorthin mitgenommen haben und die Sie ein Leben lang an diese Zeit erinnern?

HZ: Nein, ich bin als Vagabund nach Palästina gekommen. Mit einem kleinen Koffer und das war’s. Ich hatte eben das große Glück, dass ich sofort eine Stelle als Säuglingsschwester bekam. Es war im Bikur Cholim sehr angenehm zu arbeiten. Die hatten sich damals schon wegbewegt von dem 12- bis 14-Stunden Tag, wir hatten normale Arbeitsbedingungen. Ich habe dort so lange gearbeitet bis meine Eltern kamen. Sie konnten damals wenigstens ihre Möbel nach Palästina emigrieren.

INW: Ihr Vater war 6 Wochen im KZ Sachsenhausen, einige Mitglieder Ihrer Verwandtschaft wurden ermordet. Hat er Ihnen von seiner Zeit dort erzählt? Wie wurde das in Ihrer Familie aufgearbeitet?

HZ: Konzentrationslager war nie ein Thema bei uns. Mein Vater hat kein Wort darüber gesprochen und ich glaube, dass die anderen Männer, die im Konzentrationslager waren, mit ihren Familien auch kein Wort darüber gesprochen haben. Wie schlimm das war haben wir alle nie erfahren.

INW: Ruth Klüger fühlt sich in Wien ja gar nicht wohl. Zu schwer die Erinnerungen. Die Verfolgung durch die Nazis hat auch in Ihrem Leben Spuren hinterlassen. Sie haben in der Bundeshauptstadt bereits als junge Frau große Opernerfolge erzielt, Sie wurden manchmal auch ein wenig antisemitisch angefeindet…

HZ: … nein, das ist übertrieben. Ich habe ein einziges Mal Antisemitismus zu spüren bekommen und das war, als ein Zettel an meinem Auto war, wo drauf stand: Wir brauchen keine Sarah Hunding. Das ist aus der „Wallküre“ und ihr Mann heißt Hunding. Das war das einzige Mal, dass ich mit wirklichem Antisemitismus in Berührung kam. Wobei ich nicht behaupten möchte, dass es ihn nicht gab. Ich bin mir ganz sicher, dass es ihn gab und manchmal, wenn ich mit jungen Menschen näher in Berührung kam, kam es vor, dass mir eine junge Dame sagte: „Wissen Sie, als Sie das erste Mal aufgetreten sind in Wien, hatten wir uns vorgenommen, Sie auszupfeifen. Eine Jüdin aus Israel. Wer braucht das hier. Und dann haben Sie aus Aida angefangen und nach der ersten Arie samma in die Knie gegangen.“

INW: Sie sind seit rund 50 Jahren Gesangspädagogin aus Leidenschaft, Sie werden von vielen Seiten für Ihr Engagement für den Gesangsnachwuchs sehr geschätzt. Seit 1998 gibt es den „Internationalen Hilde Zadek Gesangswettbewerb“. Was ist für Sie dabei das Schönste? 

HZ: Das ist für mich das Herrlichste, nicht nur das Schönste. Dass ich die Gnade habe oder dass ich das Glück habe, dass ich mein Wissen weitergeben kann an die nächste Generation. Ich hätte mir das nie erträumen lassen, dass ich im Alter, ich bin ja schon ziemlich alt, gewisse Ratschläge oder Ansichten an junge Menschen weitergeben kann, dass ich noch gefragt bin. Nicht als Lehrerin, nicht als Sängerin, aber als jemand der aus seiner Erfahrung sehr viel an junge Menschen weitergeben kann.

INW: Immer häufiger kommt es zu Budgetkürzungen in der Kultur, Kulturinstitutionen werden ganze Förderungen entzogen. Wie gewinnt man Investoren für die hohe Kunst?

HZ: Das kann ich Ihnen überhaupt nicht beantworten. Wir mit dem Hilde Zadek Wettbewerb hatten das große Glück, dass wir viele Freunde haben, die uns seit Beginn unterstützen und uns treu geblieben sind. Ich freue mich, dass wir die Siemens Musikstiftung überzeugen konnten von der Qualität des Wettbewerbs und dass sie uns finanziell unterstützt. Aber das ist ziemlich der Ausnahmefall. Es werden heute keine Stipendien mehr verteilt. Aber wir haben das Glück, dass wir das haben und können dadurch zwei jungen Künstlern das Studium erleichtern.

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