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Woody Allen

„Café Society”

Von einem nostalgischen Rückblick auf das jüdische Hollywood der 1930er Jahre bis zum schwierigen Leben im heutigen Israel reichte der Bogen des zeitgenössischen Filmschaffens, der bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes gespannt wurde. Für den nostalgischen Rückblick zeichnete niemand Geringerer als Woody Allen verantwortlich, der wieder einmal das berühmte Festival eröffnete: Mit Café Society, einem Film, der – anders als die meisten von Allens jüngeren Filmen – wieder in den USA spielt. 

„Ich habe ein starkes Bedürfnis, in den Mutterleib zurückzukehren. In irgendeinen“, lautet eines von zahlreichen Woody-Allen-Zitaten, die um das Dilemma der menschlichen Existenz kreisen. Dieses Dilemma sublimiert Woody Allen in Kunst und mit dem für ihn typischen, jüdisch geprägten Witz: feinsinnig, selbstironisch und voll bitterer Wahrheiten. 

Ein Spiegelbild des Regisseurs, des intellektuellen Komikers, der mit seinen Neurosen hadert, dessen Beziehungsversuche regelmäßig scheitern und der trotzdem oder gerade deshalb alles mit einem Witz kommentiert, tauchte zwar in abgewandelter Form auch in den europäischen Woody-Allen-Filmen auf, aber wirklich zu Hause fühlten sie sich nicht in der Alten Welt. 

Zurück also in den vertrauten „Mutterleib“ des Filmemachers – nach New York und (fallweise auch) nach Hollywood, wo Woodys typische, nach wie vor unzureichend erwachsene Protagonisten offenbar am liebsten nach dem Sinn des Lebens oder etwas Ähnlichem suchen. Dort pflegen sie – wie alle Kreationen von Woody Allen – ihre Neurosen und werden hin und wieder von Depressionen geplagt. 

Da Café Society im Hollywood der 1930er Jahre spielt, kann man davon ausgehen, dass Allen in diesem Film nicht sein eigenes Leben verarbeitet hat, denn er selbst wurde erst 1935 geboren. Sicher steckt aber auch in den Figuren von Café Society viel von seiner eigenen Weltanschauung. 

Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der in den 1930er Jahren von New York nach Los Angeles geht, um dort die Filmwelt zu erobern. Er verliebt sich und wird von seiner Angebeteten in die sogenannte Café-Community hineingezogen – eine pulsierende Jugendszene, die in hippen Lokalen abhängt. Die Hauptrolle spielt Jesse Eisenberg, der nicht zufällig so spricht und aussieht wie die Jugendausgabe seines gerade 80 Jahre alt gewordenen Regisseurs. 

Mehr als in Woody Allens letzten Filmen stehen in Café Society wieder jede Menge jüdische Lebensweisheiten im Mittelpunkt – wie etwa diese: „Es ist nicht gut, dass die Jüdische Religion kein Leben nach dem Tod anbietet wie die Christen – sie hätte sonst eine viel größere Kundschaft.“ Oder: „Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter Tag – dann hättest du letztendlich doch wenigstens einmal recht.“ Und schon haben wir sie wieder, die Ingredienzien von Woodys Humor, den Witz des Schwachen, des Ängstlichen, des von Alltagssorgen Geplagten. Den Humor dessen aber auch, wo ein Sachverhalt, eine Situation blitzschnell so gedreht wird, dass daraus so etwas wie eine Lebensweisheit entsteht.

INW: Haben Sie auch für uns Nicht-Filmemacher ein Rezept, wie man sich manch bitterer Wahrheit entziehen kann?

Woody Allen: Eine sehr angenehme Strategie, der Wirklichkeit des Lebens zu entkommen, besteht darin, sich mit dem anderen Geschlecht einzulassen. Ablenkung durch physische Lust, durch Obsession funktioniere immer noch am besten: Ruft er mich an, oder ruft er mich nicht an? Habe ich gestern Nacht auf der Party was Falsches zu ihm gesagt? Denn unsere Aufmerksamkeit werde von Banalitäten gefesselt: Gehe ich mit ihm aus, gehe ich mit ihm ins Bett oder nicht? Heute Abend ist es noch zu früh, lieber nächstes Mal? So beschäftigen wir uns mit unseren kleinen Sorgen und nicht mit den echten Leiden. Jeder Flirt sei demnach auch eine Medizin. 

Nach drei Ehen, Beziehungen mit den Schauspielerinnen Diane Keaton und Mia Farrow und dem skandalumwitterten Verhältnis mit der Adoptivtochter von Mia Farrow, Soon-Yi Previn, scheint Woody dieser Medizin abgeschworen zu haben – er ist seit 19 Jahren mit Soon-Yi verheiratet. 

Apropos Flirt: Wohl keiner flirtet so hingebungsvoll, so andauernd und so charmant mit seinen reichlich vorhandenen Selbstzweifeln wie Woody, der Stadtneurotiker. Aber schlimmer noch als die Versagensängste, sexuellen Nöte und Beziehungskrisen ist für ihn der Verdacht, einfach nur „normal“ zu sein. Seine Filme, in denen er diese Neurosen abarbeitet – so erklärte mir Woody Allen einmal in einem Interview – hasse er alle. Da hat er viel zu tun, denn bisher hat er mehr als 50 Mal Regie geführt. Aber der Flirt mit dem Understatement gehört eben auch zu einem echten Stadtneurotiker...

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