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Zweierlei Maß

Was Antisemitismus und „Islamphobie“ miteinander zu tun haben

Mein Freund Rouven besitzt eine Imbissstube. Eigentlich ist es mehr als eine Imbissstube, aber auch wiederum etwas weniger als ein Restaurant. „Mediterrane Spezialitäten“ gibt´s dort, und wir alle wissen, was damit gemeint ist: Pita, Falafel, Shoarma und ähnliche Dinge, die uns an ein kleines und etwas seltsames Land am Mittelmer erinnern, das die meisten von uns schon öfter besucht haben. Vergangenes Jahr im Dezember ist es Rouven gelungen, mich gründlich zu überraschen. „Was, bitte, ist denn das“ fragte ich mit einem Blick auf die Ansammlung von Eseln, Schafen und Kühen, die sich da vor einem Holzgestell mit einem kleinen Kind drinnen drängten. „Also DU solltest das doch eigentlich wissen“, lachte Rouven (ja, natürlich, der Namen wurde geändert). Ich, erstaunt: „Ja, aber ein KRIPPE in einem jüdischen Geschäft?“ Rouven, lachend. „Ja, die .... haben das gern so. Und außerdem, vergiss nicht, da liegt ja einer der Unsrigen drin“. Stimmt. Und Rouven hat natürlich das böse „G-Wort“ verwendet, aber es klang gar nicht böse. Eher gutmütig-amüsiert, vielleicht sogar ein ganz, ganz klein wenig mitleidig. Denn G´tt hat ja UNS auserwählt. Sagen zumindest unsere Rabbiner, und auch diejenigen von uns, deren Kontakt zu diesem Berufsstand ein eher lockerer ist, glauben das irgendwo in einem ganz hinteren, versteckten, aber in gewisse Weise omnipräsenten Winkel ihrer Gedankenwelt. Er hat uns ausgewählt, und daran ändert die Krippe nichts, und auch nicht die Ostereier, die ich als Auslagendekoration in so manchem Innenstadtgeschäft gefunden habe, dessen Besitzerin oder Besitzer ich zu Yom Kippur im Stadttempel treffe. Die Symbole einer Religion in einem Geschäft, dessen Inhaber einer anderen Religion angehört – geht das?

Offenbar geht es. Zumindest in die eine Richtung. Da gibt es weder irgendeine „Phobie“, und auch keinen „Anti-irgendwas“. Bisweilen vielleicht eine gewisse Vorsicht. Ja, es war christlicher Antisemitismus, der den Weg für eines der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte bereitet hat, aber es muss dennoch irgendwann wieder ein „miteinander“ geben. Und außerdem: Was geht uns die Religion „der Anderen“ an? Das Judentum missioniert nicht, ihm steht es nicht zu, jemanden „auszuerwählen“ – eine solide Basis für das, was die Philosophen der Neuzeit als „Toleranz“ bezeichnen. Antisemitismus wendet sich in seinem Wesen daher auch nicht gegen eine Religion, sondern immer gegen Menschen, die im Wesentlichen froh sind, wenn  man sie so lässt, wie sie sind und die schon gar nicht im Sinn haben, in das Leben anderer einzugreifen. Genau das aber wollen missionierende Religionen wie Christentum (wobei das Christentum aus schrecklichen Fehlern der Vergangenheit gelernt hat) und Islam. Da tauchen Prediger auf, die ein „Kalifat Deutschland“ fordern. Da ermorden Terroristen eine ganze Zeitungsredaktion, weil man mit Karikaturen nicht einverstanden ist, und schreien dann auch noch, dass man jetzt „Mohammed gerächt“ habe. Da häufen sich Übergriffe aus dem Umfeld des Islam auf jüdische Menschen und Einrichtungen in ganz Europa. Da werden in Moscheen „westliche Werte“ verteufelt. Da erklären schon kleine Buben ihren (christlichen) Lehrerinnen, dass ihnen Frauen nichts zu sagen haben. Es hat keinen Sinn, das zu beschönigen: Mit Millionen Moslems haben wir nach Europa auch Haltungen importiert, die mit „westlichen Werten“ nicht kompatibel sind. Saudiarabien hat die weltweiten Proteste gegen die Verurteilung eines Bloggers zur Auspeitschung wütend mit dem Hinweis zurückgewiesen, man kritisiere hier das Rechtssystem eines souveränen (islamischen) Staates. Als nach den Morden bei Charlie Hebdo, Zeitungen Karikaturen des Satiremagazins nachdruckten, erklärte es der Weltverband der muslimischen Religionsgelehrten für „unklug“, dass man nach dem Attentat weiterhin Charly Hebdo-Karikaturen publiziere. „Unklug“? Der  Zentralrat der deutschen Muslime sprach sich in einer Stellungnahme zwar für Pressefreiheit aus, forderte aber gleichzeitig eine Verschärfung des Blasphemieparagraphen, weil „religiöse Gefühle in anderen Ländern stärker geschützt seien“. Es ist nicht all zu lang her, da hat ein kanadisches Gericht erstinstanzlich einen Mann freigesprochen, der seine Frau misshandelt hatte. Der Anwalt des Gewalttäters argumentierte mit islamischem Recht (das Urteil wurde in der zweiten Instanz aufgehoben). Ist es da verwunderlich, wenn die Angst der Europäer davor steigt, wenn Millionen Menschen in Europa die Scharia als dem Rechtsstaat vorzuziehen betrachten?

Immer wieder wird heute „Islamophobie“ mit „Antisemitismus“ gleichgesetzt, beides unter dem Deckmantel „politischer Korrektheit“. Rein sprachlich passt da schon einiges nicht zusammen. Phobie bezeichnet eine pathologische Angst, Antisemitismus hingegen ist, wie es die Geschichte gezeigt hat, mörderischer Hass, und dieser schlägt im heutigen Europa immer häufiger zu. Oft läuft das dann aber auf eine Täter-Opfer-Umkehr hinaus. Wie oft war zu lesen, sie seien „zur falschen Zeit am falschen  Platz“ gewesen, die Juden, die im koscheren Supermarkt in Paris praktisch gleichzeitig mit den Karikaturisten des Satiremagazins ermordet worden waren. Nein, sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Platz – nämlich vor Schabbat beim koscheren Einkauf. Aber als Folge kam es zu Solidaritätsdemonstrationen – nein, nicht nur für die Ermordeten (wobei, wie in Wien, die jüdischen Opfer einfach „vergessen“ wurden), sondern gegen „Islamophobie“. Ja, es stimmt, zahlreiche Moslems lehnen die Morde ab. Aber fragen wir besser nicht, wie viele sich dachten, die Karikaturen seien doch zumindest „unklug“ gewesen und die Ermordeten doch wenigstens zum Teil selber schuld. Zensur – es gibt sie längst. In Deutschland wurde die Mozart-Oper Idomeneo abgesetzt, weil Kritik aus muslimischen Kreisen kam. Und wann gab es Voltaires Mahomet zuletzt auf einer großen Bühne? Verlage weigern sich aus Angst, islam-kritische Bücher zu veröffentlichen. Muslimische Geistliche fordern öffentlich die Ermordung islam-kritischer Buchautoren. Die sogenannte „Islamophobie“ – sie ist keine irreale, pathologische Angst, und daher ist das Wort auch grundlegend falsch. Es ist eine durchaus begründete Vorsicht vor einem Wertesystem, das an den Grundmauern jener liberalen, emanzipatorischen Gesellschaft rüttelt, für die „wir im Westen“ jahrhundertelang gekämpft haben und die immer mehr Menschen jetzt bedroht sehen. Islamophobie ist dafür das falsche Wort. Nennen wir es lieber „Wachsamkeit“.

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