Der keineswegs nur von französischer Seite mit extremer Grausamkeit geführte algerische Unabhängigkeitskrieg war in den 1950er und 60er Jahren ein zentraler Bezugspunkt für die europäische Linke. Die Erfahrungen der Front de Libération National wurden von Generationen von Antiimperialisten studiert und Frantz Fanons „Die Verdammten dieser Erde“ avancierte zum Klassiker. Marcel van der Linden, der Direktor des Internationalen Institut für Sozialgeschichte, verweist im Vorwort zu Fritz Kellers Studie über die .österreichische Algeriensolidarit.t darauf, dass die europäische Solidaritätsbewegung mit der FLN der erste Versuch war, „die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Kooperation von Linken und Muslimen auszuloten.“
In den 1950er-Jahren entstand in Österreich eine von Jungsozialisten getragene Aktivistengruppe, die nicht nur publizistisch in die Diskussion über Algerien intervenierte, sondern praktische Unterstützung für die FLN organisierte. Von besonderem Interesse ist dieses Engagement, weil es keineswegs von unbekannten linken Aktivisten betrieben wurde: Mit Erwin Lanc und Karl Blecha waren spätere Außen- und Innenminister unmittelbar in die oftmals am Rande der Legalität angesiedelten Aktionen involviert. Auch Bruno Kreisky und Rudolf Kirchschläger unterstützten die Hilfe für die FLN. Keller beschreibt die Streitereien, die es in der Sozialistischen Internationale mit den französischen Sozialisten über die Algerienfrage gab. Neben dem Engagement der SPÖler skizziert er die eigenständige Algerien- Politik der KP. und der .österreichischen Trotzkisten. Zu den instruktivsten Passagen der Studie gehört die Darstellung der Konflikte, die innerhalb der .österreichischen Sozialdemokratie existierten: Der linke Flügel um Josef Hindels forderte die bedingungslose Unterstützung des „nationalrevolutionären“ Antikolonialismus; das pragmatische Zentrum um Bruno Kreisky setzte ebenfalls auf eine Unterstützung der FLN. Der rechte Parteiflügel hingegen agitierte gegen eine blinde Unterstützung des islamisch geprägten Panarabismus.
Keller beschreibt die Begeisterung ehemaliger Nazis für die gegen Frankreich gerichtete Politik der FLN und zitiert einen linken Algerienreisenden des Jahres 1964, der die Kontinuitäten vom antiwestlichen Furor des Nationalsozialismus zum Antikolonialismus thematisiert: „Für den Sozialismus sind hier alle. Für Hitler auch.“ Am Beginn der Algeriensolidarit.t in .Österreich stand die Kooperation mit der Jami’at al Islam, deren Hauptaufgabe darin bestand, sich für die knapp 3000 islamischen Nazikollaborateure aus Zentralasien und dem Balkan einzusetzen, die sich nach 1945 in .Österreich aufhielten. Zentrale Figur der Jami’at al Islam und Mittelsmann zu den linken Algerienaktivisten war Smail Balic, der sich laut Keller später zu einem Kritiker des Islamismus wandelte. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er aber pronazistische Schriften veröffentlicht und die Bestrebungen von Amin al-Husseini, dem antisemitischen Mufti von Jerusalem, bei der Aufstellung bosnischer SS-Divisionen unterstützt.
Keller konstatiert, dass die .österreichischen Aktivisten nicht in der Lage waren, die Bedeutung des Islam in Algerien und die exzessive Gewaltbereitschaft seitens der Unterdrückten „auch nur ansatzweise zu analysieren.“ Doch auch in Kellers Buch, das leider in einem Verlag erschienen ist, der Pamphlete im Programm führt, deren französische Ausgabe völlig zu Recht wegen Antisemitismus verboten wurde, findet sich wenig zu solch einer Analyse. Bei der Präsentation seiner Studie in Wien formulierte er jedoch eine deutliche Kritik an der „Naivität der damaligen jungsozialistischen Solidaritätsaktivisten“, die jede irgendwie nach Sozialismus klingende Verlautbarung der FLN begierig aufgegriffen hätten, während sie sich für die erzreaktionäre Politik der algerischen Antikolonialisten, die bei ihren Mitgliedern rigide gegen die Missachtung des Ramadan, Tabak- und Alkoholkonsum vorgingen, kaum interessierten. Umso erstaunlicher ist es, dass mit Karl Blecha einer jener Akteure ein Vorwort zu der Studie beigesteuert hat, die auch heute kein kritisches Wort zu ihrer vorbehaltlosen Unterstützung der FLN über die Lippen bringen. Blecha, der Ausbildungslager des militärischen Flügels der FLN besucht hat, bezeichnet die Algerien-Solidarität als „eine Trägerrakete des Antiimperialismus“, behauptet und bedauert aber, dass sie „in Österreich keine nachhaltige Wirkung hatte“.
Zu Recht widerspricht Keller ihm in diesem Punkt und verweist nicht nur auf Kreiskys Nahostpolitik, sondern auch auf die Rolle, welche die „innige Kooperation zwischen SP. und FLN“ bei der Akquirierung von Aufträgen für die verstaatlichte .österreichische Industrie gespielt hat. Darüber hinaus kann konstatiert werden, dass Kreiskys Hofierung der PLO, die damals noch offen zur Vernichtung Israels aufrief, in der linken Algeriensolidarit.t ebenso ihre Grundlegung erfahren hat, wie das Verhalten gegen über dem Iran unter Khomeini, dem genau jener Erwin Lanc als erster westlicher Außenminister 1984 seine Aufwartung machte, der rund 20 Jahre vorher in die Unterstützung der FLN involviert war.
Dass man schon in den 1960er-Jahren hätte wissen können, worauf der kryptosozialistische islamische Nationalismus der maßgeblichen Strömungen in der FLN allerhöchst wahrscheinlich hinauslaufen würde, kann man in der Autobiographie Claude Lanzmanns nachlesen, der sich anfänglich für die algerische Unabhängigkeit einsetzte und an Protesten gegen die Massaker der französischen Kolonialmacht beteiligte, aber recht bald ernüchtert feststellte: „Ich hatte geglaubt, man könnte gleichzeitig für die Unabhängigkeit Algeriens und die Existenz des Staates Israel sein. Ich hatte mich getäuscht.“
Fritz Keller: Gelebter Internationalismus. Österreichs Linke und der algerische Widerstand (1958-1963). Promedia 2010, 315 Seiten. € 19,90.
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Letzte Änderung: 04.08.2012
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